Читать книгу Blut fließt auf der Wall Street - Annette Meyers - Страница 13

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Rona trug einen weißen Elisse-Jogginganzug und Avias. Kleine goldene Ringe, auf denen Perlen saßen, schmückten ihre Ohrläppchen. Keine Ringe an den Fingern, kein anderer Schmuck. Sie mußte auf dem Weg zu ihrem Fünf-Meilen-Pensum gewesen sein. Dunkle Augenbrauen, dunkle Wimpern, leichte Bräune, eine rote Wunde von Mund. Eine gesteppte Chanel-Umhängetasche – eine echte, keine Imitation – hing an einer zierlichen Gold- und Lederkette von ihrer Schulter. Zierlich war jedoch nicht das passende Wort für die Rona Middleton, die Wetzon vor sich hatte. Da war etwas Hartes und Kompromißloses an ihr, das Wetzon früher nicht wahrgenommen hatte.

Ferrante gab Wetzon einen stummen Befehl, indem er Blickkontakt herstellte und mit dem Kopf zur Tür wies.

»Passen Sie auf, was Sie sagen«, riet Wetzon leise, doch Rona kümmerte sich nicht darum. Sie zeigte Triumph wie ein Banner, als sie sich zum Gehen wandte. Lieber Gott, dachte Wetzon. Hoffentlich hat sie ein Alibi. Wetzon hatte schon Smith’ Stimme im Ohr, falls Rona wegen des Mordes an Brian verhaftet werden sollte und es dann auch auf Ronas Produktion kein Honorar gäbe.

»Laß ihn draußen«, sagte Dr. Vose. »Ich mache es gleich. Vielleicht möchten Sie solange bleiben.«

Um mein Leben nicht, dachte Wetzon, die möglichst schnell weg wollte.

»Drängeln Sie nicht«, bemerkte Rona. »Sie treten mir auf die Hacken.« Sie bückte sich, um die Ferse wieder in den Joggingschuh zu schieben, und Wetzon entdeckte eine dunkelrote Schramme an ihrem Bein zwischen dem weißen Socken und dem Hosenbein.

»Würden Sie eine Vermutung über die Ursache riskieren?« fragte Ferrante Dr. Vose.

Die Ohren spitzend blieb Wetzon wie angewurzelt stehen und ließ Rona weiter die Treppe hinaufgehen.

»Sicher. Ich kann eine Vermutung äußern, aber ich wiederhole, nageln Sie mich nicht fest. Ich würde sagen, er hatte ganz schön Ohrenschmerzen.«

Ohrenschmerzen?

»Ohrenschmerzen?« Ferrante sprach Wetzons Gedanken aus.

»Ja. Verursacht durch eine kleinkalibrige Pistole. Eine zweiunddreißiger, würde ich sagen.«

»Ich dachte, Sie hätten es so eilig, wegzukommen, Wetzon«, rief Rona die Treppe hinunter. »Ich gehe telefonieren.« Sie verschwand aus Wetzons Blick.

Wetzon drückte sich noch einige Minuten unten an der Treppe herum, hörte jedoch nichts mehr. Sie fand Rona in dem kleinen Wartezimmer, das von der Halle abging, im Gespräch mit Detective Martens.

»Es war eine offizielle Trennung. Ich habe während der vergangenen vier Monate nur drei Worte zu ihm gesagt. ›Geh zum Teufel.‹ Wie zuvorkommend von ihm. Megan, meine kleine Tochter, ist acht Monate alt und weiß nicht einmal, daß sie einen Vater hat – hatte.« Rona entdeckte Wetzon und machte eine Handbewegung in ihrer Richtung. »Fragen Sie Wetzon. Sie weiß, was ich durchgemacht habe. Der Scheißkerl verweigerte die Unterhaltszahlung für sein einziges Kind.«

Martens hörte höflich zu und machte Notizen in sein Buch. »Wann haben Sie Ihren Mann zum. letztenmal gesehen, Mrs. Middleton?«

Rona zog die Schultern hoch.

»Sie ist müde und ein wenig verstört, Detective«, äußerte Wetzon, indem sie versuchte, Rona davon abzuhalten, zuviel zu sagen.

»Ich bin weder das eine noch das andere, Wetzon. Das ist belebend. Wann ich den Scheißkerl zuletzt gesehen habe? Ich weiß es nicht mehr. Ich bin sicher, daß es Monate her ist.«

»Und heute morgen? Wo waren Sie zwischen, sagen wir, zwischen fünf und neun?«

»Sie machen wohl Witze«, fuhr Rona auf.

Wetzon richtete den Blick zum Himmel. Danke, lieber Gott.

»Sie meinen, ich hätte es getan? Oh, bitte. Ist das denn zu glauben, Wetzon?«

»Das übliche Verfahren, Rona. Bestätigen Sie einfach, wo Sie waren, und dann können wir gehen. Stimmt’s Detective?«

Martens nickte. »Fürs erste.« Erwartete, den Federhalter gezückt, auf Ronas Aussage, wo sie sich aufgehalten hatte.

»Okay, okay, tja, warten Sie. Ich wachte wie immer um fünf auf, duschte, zog mich an. Dann frühstückten Megan, das Kindermädchen und ich zusammen, wie wir es jeden Morgen tun. Ich gehe gewöhnlich ungefähr um sieben weg, und ich bin spätestens um halb acht im Büro … Ich dachte, es wäre ein Raubüberfall?«

»Das ist eine reine Formsache, Mrs. Middleton. Nach der Autopsie wissen wir mehr.«

»Hm. Ich will nichts mehr davon hören. Haben Sie schon zu Abend gegessen, Wetzon?« Rona nahm ihren Arm.

Ringo trommelte einen Solo in Wetzons Kopf, und sie war am Verhungern. Sie schüttelte langsam den Kopf.

»Gut. Gehen wir irgendwo essen. Ich falle um vor Hunger.« Rona sah an sich hinunter und musterte den Jogginganzug. »Irgend etwas Zwangloses.«

»Ich glaube, ich gehe besser nach Hause«, sagte Wetzon, doch ihr Magen erinnerte sie daran, daß sie außer eingelegten Oliven und einer halben Tomate nichts im Kühlschrank hatte. Da Silvestri nicht da war, dachte sie nie an Lebensmittel in der Wohnung. Jedenfalls hatte sie keine Lust, für sich allein richtig zu kochen. Wenn sie also zu Hause zu Abend aß, war sie mit Bagels und einer Auswahl an Belag restlos zufrieden. Aber sie hatte nicht einmal ein Bagel im Kühlschrank.

»Ich weiß…« Sie befanden sich auf der Straße, nachdem sie Martens’ Angebot, sie zu fahren, abgelehnt hatten. »Gehen wir ins Carnegie

»Das Carnegie.« Wetzon lächelte. Warum nicht? Sie war eine Ewigkeit nicht mehr dort gewesen.

Es gab eine kleine Warteschlange vor dem Carnegie Dell an der Seventh Avenue und 55. Street, die bald länger würde, wenn die Theater schlossen. Noch ging es aber schnell voran. An der Theke herrschte hektischer Betrieb. Kellner drängten und riefen, man möge sie durchlassen, während die Kunden, die auf ihre Speisen warteten, ungeduldig wurden. Der restliche Teil des Restaurants war nicht übermäßig voll, doch konnte es sich dem Lärm nach mit einem Fußballstadion messen. Es war ein Tollhaus. Alle riefen durcheinander.

Sie wurden zu einem Tisch ganz hinten geführt.

»Sieh mal, wer da kommt«, sagte der Mann an dem Tisch.

»Menschenskind.« Wetzon stand vor Twoey und Smith. »Es muß ein Ende haben, daß wir uns immer so treffen.«

»Um Gottes willen.« Smith hatte ein gewaltiges Hacksteak zur Hälfte vertilgt.

»Kennt ihr euch? Das ist Smith, meine Partnerin, und dieser charmante Mann ist Goldman Barnes II. Rona Middleton.«

Twoey strahlte Wetzon an und nickte Rona zu. »Wir kennen uns.« Twoey war geschäftsführender Direktor bei Rosenkind, Luwisher, wo Rona als Mäklerin arbeitete.

Smith runzelte die Stirn. Während sie Ronas Joggingaufmachung und Wetzons Kostüm musterte, sagte sie: »Hallo, Rona.« Sie kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen und legte die Gabel aus der Hand. »Sollte ich etwas wissen?«

Verdammt. Wetzon ahnte, daß das hart würde. Sie sprach schnell und brachte es sofort heraus. »Brian wurde heute morgen im Central Park überfallen und ermordet.«

»Brian? Brian Middleton?« schrie Smith auf, und trotz der lauten Stimmen und des Geschirrgeklappers sahen die Leute zu ihrem Tisch herüber.

»Ihr Mann«, erklärte Wetzon Twoey, der von Smith’ Reaktion betroffen wirkte.

»Der Exmann«, berichtigte Rona. Sie setzte sich neben Twoey, griff zur Speisekarte und studierte sie.

»Das tut mir leid.« Twoey hatte einen großen Teller mit Reibekuchen und saurer Sahne vor sich stehen. Er hatte ein wenig angesetzt, seit er mit Smith liiert war, wahrscheinlich weil Smith diesen beneidenswerten Stoffwechsel hatte und nach Herzenslust essen konnte.

»Wetzon …« murmelte Smith.

»Stimmt«, flüsterte Wetzon. »Kein Honorar für uns, altes Haus.« Sie starrte hungrig auf den gewaltigen Teller mit Pommes frites, den sich Twoey und Smith teilten, dann stibitzte sie eine und aß sie. Sie war köstlich fettig und salzig.

»Verrate mir bitte, wieso du damit zu tun hast, oder ist das eine dumme Frage?«

»Die Polizei erwartete mich zu Hause, nachdem ich dich heute abend verlassen hatte. Das einzige, was Brian bei sich hatte, war meine Geschäftskarte. Sie dachten, ich könnte vielleicht ein Opfer eines Raubüberfalls identifizieren.«

Ein betagter, langsamer Kellner in einem glänzenden schwarzen Anzug, eine weiße Leinenserviette über einem Arm, schien sich in ihre Richtung zu bewegen. Sein Vorankommen war faszinierend; er ging wie ein Zinnsoldat mit rostigen Scharnieren.

»Womit kann ich dienen?« fragte er mit brüchiger Stimme. Er sah aus, als würde er es niemals schaffen, noch einmal den Weg mit ihrem Essen zu machen.

»Ich nehme das gleiche wie sie«, sagte Rona, indem sie auf Smith’ Hacksteak deutete, »und ein Cola light.«

»Corned-beef-Haschee mit einem pochierten Ei und schwarzen koffeinfreien Kaffee.« Wetzon wußte, daß sie das beste Angebot auf der Speisekarte im Carnegie bestellte. Es war wie ein Betriebsgeheimnis, und die ungeheure Auswahl auf der Karte konnte sie nie zu etwas anderem verleiten.

»Das tut mir leid, Rona«, bemerkte Smith bedrückt, doch Wetzon begriff den eigentlichen Sinn. Brian war ein großer Posten, den sie verloren hatten. Früher oder später würde Smith sich ausrechnen, daß Rona eine Chance hatte, Brians Kundenstamm zu bekommen, da er ursprünglich ihr eigener gewesen war.

Wetzon nahm eine Tomate aus der Stahlschüssel auf dem Tisch und biß hinein, wobei sie aus Versehen Smith bespritzte, die sie finster ansah.

»Danke, Smith, aber wir wissen doch alle, was für ein mieses Stück er war, ergehen wir uns also nicht in Traurigkeit, wenn Sie nichts dagegen haben.« Ronas Hand zog einen Schnitt durch die Luft.

Twoey blinzelte hinter seiner goldenen Brille. Rona hörte sich ziemlich gefühllos an, aber schließlich hätte Twoey daran gewöhnt sein sollen, denn so viel anders war Smith auch nicht.

Smith lächelte plötzlich, und was für ein Strahlen.

Da, sie hatte es sich zusammengereimt.

»Liebe Rona, was für ein Schock für Sie.« Sie nahm die Gabel und stach begeistert in ihr Hacksteak. »Und wie geht es dir, Schatz?« wandte sie sich an Wetzon, doch ihre Augen sprachen, Wir werden hier doch noch Geld herausholen.

Wetzon nickte als Antwort auf das, was Smith nicht laut aussprach. »Rona und ich mußten ihn identifizieren.« Sie beobachtete die Ankunft des alten Kellners und ihres Essens, die von potentiellen Katastrophen durch Gäste und andere Kellner bedroht war, doch, o Wunder, er schaffte es, säuberte mit zitternden Händen sorgfältig die Ränder ihrer Teller mit seiner Leinenserviette, stellte die bestellten Gerichte auf den Tisch und legte die Rechnung dazu. Ein Drittel von Wetzons Kaffee befand sich in der Untertasse. Sie goß ihn in die Tasse zurück.

»Wie gräßlich«, bemerkte Smith, die sich damit, nahm Wetzon an, auf die Tatsache bezog, daß sie und Rona die Leiche identifizieren mußten, und nicht auf Wetzons Geschäft mit dem Kaffee. Sicher war sie sich jedoch nicht.

»Ach, ich weiß nicht«, sagte Rona. »Schwarz und blau und tot stand ihm eigentlich gut.« Sie wirkte zufrieden und attackierte das Hacksteak wie besessen, indem sie sich mit der linken Hand fütterte, während sie mit der rechten fast ununterbrochen gestikulierte. »Wo ich jetzt darüber nachdenke, wie starb er überhaupt? Die haben mir nichts gesagt.« Jetzt schien sie sich zu ärgern.

Sie haben nicht gefragt, dachte Wetzon, die sich an die Blutspur aus Brians Ohr und an Dr. Voses Bemerkung über die Zweiunddreißiger erinnerte. Sie trank einen Schluck Kaffee, dann stach sie die Gabel in den Eidotter, zerstörte ihn und beobachtete das gelbe Blut, das in Rinnsalen über das Eiweiß lief und sich mit den Brocken Corned Beef und Kartoffeln mischte. Das Bild war so grotesk, daß sie die Gabel aus der Hand legte.

»Zuckerstück«, schmachtete Smith Rona an, »sagen Sie uns doch bitte, wie Wetzon und ich Ihnen helfen können.« Sie nahm die Rechnung an sich. »Das übernehmen selbstverständlich wir.«

»Sie können mir eine Kopie von Brians Kundenbuch geben.«

»Nein«, erwiderte Wetzon. »Das geht auf keinen Fall. Das hängt von Simon Loveman bei Loeb Dawkins ab. Er hat Brians Kopien der Geschäftsberichte. Ich denke, er wird die Konten an Makler in seinem Büro verteilen.«

»Moment mal…« Smith deutete mit der Gabel auf Wetzon.

»Nein, Smith. Rona, Sie kennen Brians Kundenstamm. Der größte Teil war sowieso zunächst Ihrer. Denken Sie darüber nach, wie Sie sich verhalten wollen, dann gehen Sie auf sie zu, weil todsicher auch Bliss Norderman seine Kundenkonten vergeben wird, sobald Tony erfährt, daß Brian tot ist. Und vergessen Sie nicht, Brians Aktiva liegen immer noch bei Bliss, weil der Transfer erst nach seinem offiziellen Antritt bei Loeb Dawkins vonstatten gehen konnte.«

Rona stieß ihren Stuhl zurück. »Entschuldigen Sie mich eine Sekunde.«

»Wir werden unser Teil kriegen«, erklärte Smith, sowie Rona aus Hörweite war. »Nicht so toll, aber ordentlich.«

»Falls sie an diese Konten herankommt, doch ich glaube, es wird ihr gelingen. Wir werden von einem Toten profitieren.«

»Nun halt mal die Luft an! Hast du das gehört, Twoey? Miss Heiliger-als-heilig hier? So ist das Geschäft. Was kümmert es uns, ob einer von denen am Leben bleibt oder stirbt? Wichtig ist, daß wir bezahlt werden.«

»Klasse, Smith.«

Smith lächelte gnädig und reichte die Rechnung an Wetzon weiter. »Zahl du bitte. Ich habe keinen Cent Bargeld dabei.«

»Hast du nie.«

Twoey aß seinen letzten Reibekuchen und grinste sie an. »Regt euch ab. Eure Beute kommt zurück.«

Rona setzte sich wieder. Sie hatte die Lippen nachgezogen und sich gekämmt. »Sie sind mir eine große Hilfe gewesen, und ich danke Ihnen.« Sie wandte sich an Wetzon. »Als Sie Aktiva erwähnten, wollte ich mir nur etwas bestätigen lassen, was ich in unserer Trennungsvereinbarung vermutete.« Sie hob ihr Glas Cola light. »Ich möchte auf meinen teuren verstorbenen Exmann trinken. Kommen Sie, trinken Sie mit mir.«

»Ist mir etwas entgangen?« murmelte Smith, indem sie ihr Sodawasser hob.

Rona fuhr fort: »Im Tod hat die Laus endlich das Richtige getan. Unsere schriftliche Trennungsvereinbarung besagt für den Fall, daß Brian stirbt, bevor wir geschieden sind, daß seine sämtlichen Kapitalanlagen, sein Besitz, seine Bankkonten, alles, an mich fallen.«

Blut fließt auf der Wall Street

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