Читать книгу Blut fließt auf der Wall Street - Annette Meyers - Страница 19

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Die Frau, die sich mühte, mit Rona Schritt zu halten, war klein und ein wenig dicklich, ausgesprochen birnenförmig. Rona war eine auffallende Erscheinung, die Frau neben ihr das Gegenteil. Sie war etwa in Ronas Alter, trug jedoch kein Makeup, und ihre Haut war bläßlich; ein winziges Kinn versteckte sich in einem zweiten, fleischigeren. Glattes braunes Haar ohne Fülle und schlecht geschnitten, vielleicht von ihr selbst mit der Nagelschere. Ponyfransen hingen schlaff auf die halbe Stirn über kurzsichtigen braunen Augen hinter einer Brille mit farblosem Rahmen. Brauner Tweedrock, brauner Blazer, weiße Baumwollbluse mit Schulmädchenkragen.

»Das ist Penny Ann Boyd«, sagte Rona mit einem vernichtenden Blick auf ihre triste Begleiterin. Die arme Penny Ann ließ die runden Schultern noch tiefer hängen.

»Penny Ann Brown?« Smith’ Lächeln war ungekünstelt.

»Boyd«, korrigierte Wetzon und trat sie unterm Tisch.

»Also, steh nicht herum. Setz dich«, befahl Rona, während sie sich auf den nächsten Stuhl fallen ließ. Sie war zwanglos gekleidet, verwaschene Seidenbluejeans, ein mauvefarbener Rollkragenpullover, Cowboystiefel. Ihre blonden Locken paßten wie ein Topfdeckel auf ihren Kopf, und der Ausdruck auf ihrem hageren Gesicht war verärgert. »Barbie parkt noch den Wagen.«

Aufregend, dachte Wetzon. Ein Treffen der Damenmannschaft im Basketball

»Tjaaa.« Smith’ Lächeln war jetzt ölig. »Warum erzählen Sie uns nicht…«

Rona winkte einem Kellner, der gerade vorbeiging. »Einen Martini – sehr trocken.« Sie zeigte auf Penny Ann. »Das gleiche für sie.«

»Nein, Rona, nein, ich kann nicht… nicht zu dem Valium … und überhaupt…« Penny Anns Stimme war so farblos wie ihre Haut.

»Na gut, bestell irgendwas«, sagte Rona ungeduldig, »damit wir anfangen können.«

»Tee mit Zitrone bitte.« Penny Anns Lippen bebten. Das arme Ding sah aus, als wäre sie in Todesängsten. Vor Rona?

Eine hübsche Frau in einer Bomberjacke aus schwarzem Leder und einem langen schwingenden schwarzen Rock kam auf sie zu. Ihr Haar war eine wilde Kaskade aus roten Locken, und sie hatte den zarten rosigen Teint mancher Rotschöpfe. Sie gab Smith und dann Wetzon einen festen Händedruck. »Ich bin Barbara Gordon.« Blaßgrüne Augen waren von einer feinen weißen Brillenfassung umrahmt. Wildtieraugen, Wolfsaugen. »Cola-Rum«, sagte sie zum Kellner und setzte sich neben Wetzon. Sie verströmte ein schwaches, nach Wald duftendes Parfum.

Als der Kellner ging, sah Rona Penny Ann an. »Erzähl’s ihnen.«

Penny Ann wimmerte, bevor sie begann. Es war beunruhigend. »Es ist … ich meine … es ist wegen meiner … Tochter. Tabitha Ann.«

Smith verschluckte sich, hielt die Hand vor den Mund und räusperte sich, indem sie die Geste nutzte, um heimlich zu Wetzon hin die Augen zu verdrehen. »Bitte sprechen Sie weiter«, sagte Smith liebenswürdig. »Meine Allergien …«

Barbara Gordon kniff die Augen zusammen und starrte Smith an. Sie hatte sie durchschaut.

Um nicht lachen zu müssen, wandte Wetzon ihre Aufmerksamkeit dem Innern ihrer Handtasche zu. Sie preßte die Lippen zusammen und stupste Smith noch einmal unterm Tisch an. Barbara Gordon war nicht auf den Kopf gefallen.

Der Kellner brachte eine Tasse mit Untertasse, ein Teekännchen, einen Teller mit Zitronenscheiben und Ronas Martini, Barbaras Cola-Rum, stellte alles hin und ließ sie allein. Die Gindämpfe verbreiteten sich aufdringlich. Wetzon bekam sofort einen Brechreiz, da sie und Gin sich vor vielen Jahren nach ihrem ersten Cocktail, einer Pink Lady, als unverträglich erwiesen hatten.

»Tabby Ann ist ausgerissen!« Penny Ann war offenbar entsetzt von der Stärke des Ausrufs. Sie sah hilfesuchend von Rona zu Barbara.

Rona angelte die Olive aus dem Glas und nagte daran. Sie schwieg.

Barbara langte hinter Rona vorbei, um Penny Ann auf die Schulter zu tätscheln. »Verlier den Faden nicht, Penny Ann.«

Was zum Kuckuck hatte das mit ihnen zu tun? dachte Wetzon. Und Smith, die ihren Gedankengang erriet, nickte.

»Gott sei uns gnädig, Penny Ann, du bist ein hoffnungsloser Fall.« Rona nahm einen Schluck Martini. »Tabitha Ann ist zufällig mein Patenkind.«

Tränen rollten unter Penny Anns Brille heraus.

»Rona, pack sie nicht so hart an«, sagte Barbara. Sie hatte ihr Cola-Rum unglaublich schnell getrunken.

»Was hat das mit uns zu tun?« Smith sah demonstrativ auf die Uhr.

»Brian hat unser Geld gestohlen«, begann Penny Ann und brach ab, als Rona den Blick zur Decke hob und aufstöhnte. »Nachdem Wilson tot war.« Penny Ann machte plötzlich Schluckgeräusche.

»Auch das noch«, sagte Smith. »Sie hat Hyperventilation.«

Wetzon tätschelte Penny Anns Hand. »Nur ruhig. Sie sind bei Freundinnen.« Smith trat sie unterm Tisch.

»Wilson hatte einen Hirntumor und war innerhalb von sechs Monaten nach der Diagnose tot«, erklärte Barbara.

Als wolle sie ihr Engagement abschwächen, fügte Rona hinzu: »Als Penny Ann ihre Abfindung erhielt, bekam ich gerade Megan …«

»Ich gab ihm mein Geld, damit er es für uns anlegte. Als Sicherheit. Für Tabby Anns College …«

»Wieviel war das?« fragte Wetzon. Brian war ein Schlawiner.

»Zweihunderttausend«, antwortete Rona. »Der Gauner hat es in Aktienindex-Optionsscheine gesteckt. Alles, was sie jetzt noch hat, sind fünfzehntausend, und das nach einer zweiten Hypothek auf das Haus.«

»Sie haben ihm eine Vollmacht gegeben?« fragte Wetzon ungläubig. Warum machten die Leute so etwas?

Penny Ann wimmerte. »Ich habe nur die Papiere unterschrieben, die er schickte. Ich kannte mich nicht aus. Ich sagte ihm, er sollte es in etwas Solides stecken. Er war Ronas Mann, und er war Jurist und alles. Ich kannte mich nicht aus.«

»Na ja, du hättest dich erkundigen können«, sagte Rona. Sie blickte Wetzon finster an. »Eine Vollmacht erteilen ist schön und gut. Man muß bloß die Person kennen, der man die Vollmacht gibt.«

Wetzon war anderer Meinung, schwieg jedoch, denn Rona war eine Kundin. So sehr sie Laura Lee mochte und ihr vertraute, würde Wetzon niemals auf die Verantwortung verzichten, ihr Geld selbst zu verwalten. Sie arbeitete zu hart, um es zu verdienen. Doch viele Leute verhielten sich wie Penny Ann. Und nicht nur naive Menschen und Erstanleger. Man las immer wieder von Filmstars und anderen Berühmtheiten, die ihr Geld Beratern ihres Vertrauens übergaben, selbst Verwandten und Ehegatten, um es zu investieren, und die damit baden gingen. Es war wirklich interessant. Die Leute besaßen gern Geld, machten gern Geld, befaßten sich aber nicht gern damit. Als ob es nicht anständig wäre – oder zu schmutzig für die protestantische Moral, die in diesen Vereinigten Staaten von Amerika so tief verwurzelt war.

»Ich habe ihm wirklich vertraut«, jammerte Penny Ann. »Wie konnte ich bloß so dumm sein?«

»Ich habe ihm auch vertraut«, bemerkte Rona nüchtern. Sie signalisierte dem Kellner mit dem Finger, daß sie noch einen Martini wünschte.

»Was wollen Sie unternehmen?« fragte Smith. »Haben Sie eine Beschwerde eingelegt?«

»Das ist gelaufen«, antwortete Rona. »Es kam zu einem Schlichtungsverfahren.«

»Schlichtung«, sagte Penny Ann bitter. »Das bedeutet, daß Freunde von Maklern und Maklerfirmen in einem Gremium sitzen und entscheiden, ob die Beschwerden zulässig sind. Wie fair ist das?«

»Sie können nicht klagen?« fragte Wetzon.

»So einfach ist das nicht.« Barbara winkte dem Kellner mit dem leeren Glas, um es nachfüllen zu lassen.

»Ich habe unter den ganzen Papieren auch einen Schiedsvertrag unterschrieben.« Penny Ann schien sich beinahe verliebt an ihre Selbstdarstellung als Opfer zu klammern. »Ich wußte nicht, daß ich meine Rechte abtrat.«

»Oh, bitte«, stöhnte Rona. »Du bist für dich verantwortlich. Der Oberste Gerichtshof schloß die meisten Verfahren gegen Makler aus, besonders wenn der Schiedsvertrag bei Eröffnung des Kontos unterschrieben wurde.«

»Aber Rona«, flüsterte Penny Ann, »es ist so klein gedruckt, die Formulierung ist so kompliziert. Und Dr. Jerry sagte mir, daß man bei den meisten soliden Maklerfirmen kein Konto eröffnen kann, wenn man diesen Vertrag nicht unterschreibt.«

Wer zum Teufel war Dr. Jerry? Wetzon steckte eine geräucherte Salzmandel in den Mund. Sie war müde, und es fiel ihr schwer, sich zu konzentrieren.

Ein zweites Glas Cola-Rum für Barbara kam zusammen mit Ronas Martini, und die leeren Gläser wurden weggenommen. Sonst wollte niemand nachbestellen.

»Die Schlichtung fällt normalerweise gegen den Makler aus«, fuhr Rona auf.

»Diesmal aber nicht. Brian gewann, und Bliss Norderman gewann. Und ich verlor.«

»Penny Ann«, sagte Rona müde, »Es tut mir leid, aber du hast eine Abfindung bekommen.« Penny Anns Mund verzog sich höhnisch. »Doch.« Rona sah Smith und Wetzon an. »Bliss Norderman sprach ihr und Tabby jeweils Jahreszinsen in Höhe von zehntausend Dollar zu.«

»Das kommt aber nur auf zwanzigtausend Dollar, und inzwischen habe ich eine zweite Hypothek auf meinem Haus, und ich habe kein Geld, kein Einkommen …« Ihr Sümmchen war wehleidig.

»Sie könnten vielleicht arbeiten gehen«, schlug Smith vor. Wäre sie Raucherin, hätte sie Rauch in Penny Anns Gesicht geblasen.

Zorn blitzte in Penny Anns matten Augen auf und war sofort wieder verschwunden. Dann sagte sie genau das Falsche, und um es noch schlimmer zu machen, sagte sie es besserwisserisch. »Sie wissen nicht, was es bedeutet, eine alleinerziehende Mutter zu sein.«

»Ach, was Sie nicht sagen.« Smith hauchte Eiszapfen.

Penny Ann glotzte Smith an. »Tut mir leid, wenn ich Sie beleidigt habe. Tabby Ann ist sechzehn.«

»Mein Sohn Mark ist auch sechzehn. Er ist am Groton.«

Barbara kaute auf dem Eis in ihrem leeren Glas. Sie hatte das zweite Cola-Rum noch schneller weggeputzt als das erste, doch bis auf zwei kleine rote Flecken auf den Wangen gab es keine Anzeichen von Trunkenheit. Sie ließ die Eissplitter im Mund kreisen und sagte: »Es ist auch nicht gerade einfach, Kinder großzuziehen, wenn beide Eltern vorhanden sind.«

Ich bin die kinderlose Frau am Tisch, dachte Wetzon plötzlich. Bringt dich das aus der Fassung? fragte sie sich, indem sie in sich hineinhorchte. Sie wußte keine Antwort. In letzter Zeit brachte sie alles aus der Fassung. Statt dessen sagte sie: »Dieses Geplänkel ist ja sehr reizvoll, aber können wir nicht zum Anlaß dieses Treffens kommen?« Die anderen Frauen sahen sie an. Verdammt, dachte sie, ich höre mich wie eine gereizte alte Jungfer an.

»Tabby Ann hat psychische Probleme gehabt«, begann Rona, und Penny Ann winselte wieder. »Möchtest du selbst berichten?«

Penny Ann schüttelte den Kopf. Sie preßte eine Zitronenscheibe in die Tasse und goß Tee ein. Vermutlich war er kalt.

»Sie war vernarrt in Brian.«

»Wer?« Smith runzelte die Stirn.

»Tabby Ann«, sagte Penny Ann. »Er hat sie verführt. Ich erfuhr es erst, als ich ihr Tagebuch las.«

»Hatte Brian Middleton etwas mit Ihrer Tochter?« wollte Smith wissen. Ihre Augen blitzten vor Interesse.

»Nein …ja … nein …« stotterte Penny Ann.

Rona seufzte. »Wir wissen es nicht. Sie war ja noch minderjährig, und ich meine, so ein Arschloch kann er doch nicht…«

»Da sind auch noch die Papiere«, sagte Penny Ann. Wieder sah sie Rona an.

»Was für Papiere, um Himmels willen?« Smith’ Geduld war nun vollends erschöpft.

»Meine privaten Papiere über die Schlichtung. Sie sind verschwunden.«

»Hör zu, Penny, du hast sie wahrscheinlich nur verlegt«, sagte Barbara beschwichtigend. »Um Tabitha machen wir uns Sorgen.«

»Sie sagen, sie sei ausgerissen?« Wetzon konnte sich immer noch nicht vorstellen, was das mit ihr und Smith zu tun hatte. Sie warf einen Blick auf Smith, die sich keine Mühe gab, ihr Desinteresse zu verbergen. »Wann haben Sie sie zuletzt gesehen?«

»Hm … sie ist seit fast einer Woche weg«, sagte Penny Ann.

»Eine Woche!« platzte Smith heraus.

»Es ist nicht so, wie Sie denken. Sie hat es schon öfter getan. Sie bleibt manchmal bei den Maglias. Sie haben eine zehnjährige Tochter, auf die sie gelegentlich aufpaßt.«

»Die Maglias? Tony Maglia, der Geschäftsführer bei Bliss Norderman?« Wie kompliziert im Zusammenhang mit dem Schiedsverfahren und allem. Das ergab alles keinen Sinn.

»Und sie war natürlich gewöhnlich bei Brian.«

Wetzon sah Rona an, die die Achseln zuckte. Dieses Treffen nahm allmählich surreale Züge an.

»Es wurde vorgeschlagen, daß Sie vielleicht…« Penny Ann hielt inne und blickte Rona an.

»Vorgeschlagen von wem?« fragte Wetzon.

»Dr. Jerry sagte …«

Schon wieder. »Dr. Jerry?«

»Dr. Jerome Gordon«, erklärte Barbara. »Genaugenommen bin ich heute nachmittag an seiner Stelle hier. Er muß einen Vortrag in New Haven halten. Er ist mein Mann.«

»Und unser Therapeut.« Rona tätschelte Barbies Hand und lächelte.

»Unser? Ihrer und Tabby Anns?«

Wetzon spürte mehr, als daß sie es sah, wie Smith plötzlich putzmunter wurde. »Dr. Jerome Gordon?« Smith kniff die Augen zusammen. »Sie meinen doch nicht den mit der Rundfunksendung in Connecticut, ›Fragen Sie Dr. Jerry‹?«

»Doch. Dr. Jerry deutete an, daß Sie Beziehungen haben. Er las oder hörte von Ihnen. Er sagte, Sie könnten mir vielleicht helfen, Tabby zu finden.«

»Ich fürchte, daß das hier ein Mißverständnis ist«, sagte Wetzon. »Wir sind keine Detektive. Man braucht eine Lizenz, um als Detektiv zu arbeiten.«

»Pst.« Smith hielt eine Hand hoch. »Laß mich nachdenken. Wir sind Berater. Wir haben den Fall Goldie Barnes erledigt. Vermutlich hat Dr. Jerry in diesem Zusammenhang von uns gehört.« Sie ignorierte Wetzons Fußtritt. Sie lächelte gütig. »Sie können uns als Berater engagieren.«

»Ich meine, es wäre besser, Sie würden der Polizei melden, daß Ihre Tochter verschwunden ist. Wir haben keine Erfahrung mit Ausreißern.« Oder Entführung? Wetzon wurde schwindlig.

Davor schien Penny Ann panische Angst zu haben. »Das kann ich nicht, das geht auf keinen Fall. Die Polizei wird glauben, daß Tabby ihn getötet hat.«

»Na, immer mit der Ruhe. Das ist unrealistisch. Es war doch ein Raubüberfall?« Smith warf einen Seitenblick auf Wetzon.

Penny Ann hob ihr kleines Kinn, an dem eine dicke Träne schaukelte. »In Tabby Anns Tagebuch steht, daß sie Brian am Freitag morgen in New York im Conservatory Garden treffen wollte.«

Die Träne klatschte in ihre Tasse.

Blut fließt auf der Wall Street

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