Читать книгу Blut fließt auf der Wall Street - Annette Meyers - Страница 9
ОглавлениеEine übergewichtige Erscheinung mit großer Sonnenbrille und weichrandigem Strohhut, in einem grell bedruckten Kleid und knallroten Reeboks und mit einer Big Brown Bag-Tasche in der Hand raste aus der Wohnung.
Überrumpelt wich Wetzon zurück und stieß mit Smith zusammen.
»Uff«, machte Smith.
Die Frau ignorierte sie und schloß die Tür der 8B.
»Wer sind Sie?« fragte Smith, indem sie Wetzon stupste.
»Ist das nicht Brian Middletons Wohnung?« Wetzon bemerkte, daß die Frau einen schlanken, glatten Hals hatte. Sie war jünger, als sie wirkte.
»Por favor, ich Dienstmädchen«, erklärte die Frau mit breitem spanischem Akzent. »Er nicht aqui.« Sie drängte sich an ihnen vorbei und drückte den Abwärts-Knopf des Aufzugs.
»Sind Sie sicher?«
Die dunklen Gläser waren Spiegel, so daß sich Smith und Wetzon wie in einem Film sahen. »Ich sicher.«
»Haben Sie noch Tage frei?« fragte Smith.
Die dicke Frau drehte den Kopf langsam zu Smith und hustete, als sich die Aufzugtür öffnete.
»Smith!« Sie traten nach dem Dienstmädchen in den Aufzug.
»Fahr mich nicht an. Ich brauche ein neues Mädchen. Delilah ist zu ihrer Tochter nach Philadelphia gezogen.« Sie wandte sich an die Frau. »Na, wie sieht es aus?« Die Frau schüttelte nachdrücklich den Kopf. Smith seufzte. »Es ist so schwer, heute eine gute Hilfe zu bekommen.«
Die Frau eilte aus dem Aufzug, die Einkaufstasche fest an sich gedrückt, und verließ das Haus vor ihnen.
»Du hast keinen Stil, Smith.«
»Ich habe dir immer gesagt, daß man die Gelegenheit beim Schopfe packen muß. Du tust das fast nie, und darum …«
»Genug! Waffenstillstand!« Wetzon hielt die Hand hoch. Sie war nicht in der Stimmung, sich einen Vortrag über ihr Leben anzuhören, schon gar nicht von Smith.
»Was für eine Zeitverschwendung« klagte Smith. Sie sah auf die Uhr. »Ich komme zu spät. Ich weiß nicht, warum ich mich von dir immer zu deinen kleinen Abenteuern überreden lasse.«
Sie lachte unbefangen, als sie Wetzons finsteren Blick bemerkte. »Kommst du?«
»Laß dich von mir nicht aufhalten.«
Eine Tür in der rückwärtigen Wand der Halle ging auf, und eine dunkle Bulldogge von Mensch tauchte auf. Er war halb in Uniform, dunkle Hosen mit einem matten Goldstreifen an jedem Bein, keine Jacke. Eine unsichtbare Knoblauchwolke hüllte ihn ein. Er hob seine Daily News auf und pflanzte sich schwerfällig auf den Stuhl gegenüber dem Aufzug. Er sah ohne Neugier zu ihnen herüber, dann vertiefte er sich wieder in die Zeitung.
»Haben Sie Mr. Middleton gesehen?« fragte Wetzon.
Er schüttelte den Kopf. »Heute nicht.« Er erhob sich nicht.
Eine schwangere Frau kam in die Halle, mit einer Hand einen mit Einkaufstüten beladenen Sportwagen schiebend, während ein neben ihr zappelnder Junge von vielleicht drei Jahren versuchte, sich von ihrer anderen Hand loszureißen. Jetzt stand der Portier auf und ließ seine Zeitung auf den Stuhl fallen.
Als Wetzon aus dem Haus trat, sah sie Smith an der Columbus in ein Taxi steigen. Sie lief schneller, doch das Taxi fuhr los. Auch gut, Smith würde es verwinden. Und sie auch.
Verdammt. Falls Brian zu einer anderen Firma gegangen war, würde sie ihn umbringen. Aber solange er nicht irgendwo auftauchte, konnte man nichts unternehmen. Es war sinnlos, voreilige Schlüsse zu ziehen.
Sie sah das Honorar aus den Händen gleiten. Ihre finanzielle Lage war angespannt. Die Umlage für ihre Wohnung war in den vergangenen achtzehn Monaten zweimal erhöht worden, und jetzt lag ein Kostenvoranschlag für den neuen Aufzug vor.
Sie überquerte die Columbus und ging, vorsichtig auf ihren Pfennigabsätzen balancierend, über das Kopfsteinpflaster des Bürgersteigs hinter dem Museum für Naturgeschichte. Ein dünner schwarzer Eisenzaun begrenzte den kleinen Park, der hier Theodore Roosevelt Park hieß und bis zur 81. Street lief, wo er zum Margaret Mead Green wurde, nach der Anthropologin benannt, die ein Büro in dem Museum gehabt hatte.
Auf der linken Seite waren Autos an Parkuhren abgestellt; rechts dehnte sich die Parkfläche. Auf Bänken entlang dem äußeren Zaun saßen Anwohner, Touristen und Obdachlose. Sie wußte mittlerweile, daß es mehrere Kategorien von Obdachlosen in der Stadt gab. Eine davon waren die wirklich Obdachlosen. Leute, deren Haus abgebrannt war oder die mittellos waren, weil sie ihre Arbeit verloren hatten. Dann gab es die Heruntergekommenen: die Gestörten, die Drogenabhängigen. Und schließlich die professionellen Obdachlosen, die das Betteln und Herumtreiben zum Beruf gemacht hatten, die keine Arbeit annahmen, wenn ihnen eine angeboten wurde, da sie das nomadische und oft einträgliche Leben der Straßen vorzogen. Die Parks, Bänke und U-Bahnen waren das Zuhause aller Kategorien geworden.
Sie kam an einer Frau vorbei, dick eingepackt in mehrere Kleiderschichten, die sich mit sieben oder acht zum Bersten vollen Einkaufstüten auf einer ganzen Bank eingerichtet hatte. Sie aß einen Burrito und trank Evianwasser aus der Flasche.
Mächtige Platanen, deren Blätter in Rot, Gold und Rost prunkten, verbargen einen großen Teil der Rückseite des Museums, so daß sie von ihrem Weg aus nur den runden Turm und leere Fenster sehen konnte. Auf der anderen Seite der Columbus Avenue waren hintereinander drei große weiße Caravans geparkt. Wahrscheinlich wurde irgendwo in der Nähe ein Film gedreht.
Als sie zur 81. Street kam, sah sie mehrere Personen ziemlich schnell durch die zwei Steinpfeiler, die den Eingang bezeichneten, in den Park laufen.
»Hilfe!« schrie jemand.
»Holt eine Ambulanz …«
Wetzon blieb stehen. Im Park versammelten sich Leute und Hunde um einen Baum. Auf der Columbus Avenue floß der Bus- und Autoverkehr stetig Richtung Süden. Sie drehten vermutlich eine Szene um jenen Baum. Wetzon gehörte nicht zu den New Yorkern, die Filmstars anglotzten, sie blieb nie bei Unfällen oder Festnahmen stehen. Sie folgte nie Feuerwehrautos. Genaugenommen wollte sie lieber nichts damit zu tun haben. Warum steuerte sie dann durch den Eingang auf die Menge um den Baum zu?
Der Parkweg teilte sich in drei Wege, von denen einer scharf nach rechts abknickte, auf beiden Seiten von Bänken gesäumt, die jeweils besitzergreifend von einer obdachlosen Person besetzt waren. Zwei Hunde jagten einander, indem sie Kreise auf dem Gras beschrieben. Auf der Gabelung direkt vor ihr stand eine gewaltige knorrige Eiche, deren Blätter im leichten Winde raschelten.
Die Leute drängten sich um einen Mann in Turnhose und T-Shirt, der unter dem Baum saß. Sie sah jemanden mit einem Megaphon. Es mußte sich um einen Film handeln. Der Mann schien krank oder tot zu sein. Wetzon ging langsamer. Eine Frau beugte sich über ihn, schien zu ihm zu sprechen. Irgendwo aus der Ferne kam der pulsierende Klang einer Sirene. Ein Mann in Jeans machte Aufnahmen mit einer tragbaren Kamera.
Ein Schauspieler und eine Schauspielerin in Polizeiuniformen bogen in den Park ein und gingen an ihr vorbei direkt auf den Mann unter dem Baum zu. Die andere Frau trat zurück, als die Polizistin den Mann unterm Baum ansprach, der sich jedoch nicht rührte. Die Polizistin nahm sein Handgelenk und suchte offensichtlich den Puls.
Wetzon kam näher und reckte sich auf Zehenspitzen, um über die Menge zu blicken. Das Gesicht des Mannes war gekonnt geschminkt, marmoriert mit Beulen und Schrammen.
Die Darstellerin der Polizistin ließ das Handgelenk des Mannes fallen, der durch die Bewegung das Gleichgewicht verlor und auf das Gesicht kippte. Ein kollektiver Schreckenslaut kam aus der Menge. Der Hinterkopf des Mannes war zertrümmert wie eine Eierschale.
Wetzon stand wie angewurzelt da. Sie hatte das Gesicht des Mannes ganz kurz zu sehen bekommen, gerade genug, bevor er umfiel.
Brian Middleton.
Der Körper rollte herum, Gesicht nach oben. »Schon wieder so ein verdammter Hexenschuß«, sagte er.
»Schnitt!« rief jemand.