Читать книгу Blut fließt auf der Wall Street - Annette Meyers - Страница 18
ОглавлениеBei Zabar’s nahm sie ein paar Schokocroissants und ein Pfund koffeinfreien Kaffee mit. Dann ging sie auf dem kürzesten Weg zu ihrem Haus. Nachdem sie ihre Post geholt hatte, rief sie über die Sprechanlage in der Halle Roger Levines Wohnung an. »Ich gehe nach oben, um zu retten, was zu retten ist«, sagte sie ihm.
»Passen Sie auf. Die Decke im Schlafzimmer kann jeden Moment abstürzen. Ich komme hoch, um mit Ihnen zu reden. Wie lange werden Sie bleiben?«
»Eine Stunde ungefähr, vielleicht länger.« Sie rechnete sich aus, daß das genügen würde. Sie konnte einige Taschen in Smith’ Wohnung unterstellen und sie später abholen, ein Taxi zum Village nehmen, sich zum Abendessen umziehen und mit dem Taxi wieder herauf ins Café des Artistes fahren. Mann!
Sie bat Julio, den Sonntagsportier, Smith ohne Anmeldung hinaufzuschicken.
Die Times vom Sonntag lag auf der Matte. Sie hob sie auf, schloß die Tür auf und öffnete sie zögernd. Ein Geruch von Ammoniak vermischt mit Schimmel schlug ihr entgegen. Obwohl das Zerstörungswerk organisiert war, von Carlos’ Mitarbeitern nämlich, sah es schlimmer aus, als sie es in Erinnerung hatte.
Ihre Teppiche waren fort, so daß der Schaden an den Fußböden offenlag, weiße Flecken und verzogenes Parkett. Im Wohnzimmer waren die Möbel unter der einzigen Stelle zusammengeschoben, wo die Decke keine Blasen geworfen und Risse bekommen hatte. Alles war ordentlich mit Plastik bedeckt.
Auf der Küchentheke fand sie, unter einen Kaffeebecher gesteckt, den Reinigungsauftrag für die Teppiche. Sie setzte Kaffee auf, ehe sie sich weiter vorwagte.
Plastikbahnen verhüllten auch ihre Schlafzimmermöbel, und auch hier hatte sich der Eichenboden geworfen. Die Kosten für einen neuen Fußboden dürften schwindelerregend hoch werden.
Sie zog einen abgeschabten Koffer und eine gewaltige Einkaufstasche aus Segeltuch aus dem Flurschrank, nahm die alten Laken und Decken, die sie darin aufbewahrte, heraus und packte an Kleidung alles ein, was hineinpaßte. Ein halbes Dutzend Paar Schuhe kam in eine Zabar’s-Tasche zu den Sachen, die auf dem Schreibtisch lagen.
Es läutete an der Tür, und sie patschte über die aufgeweichten Bodendielen durch den Flur, um Roger hereinzulassen. Er schaute sich betrübt um. »Ah … Leslie … das Haus ist, wie Sie wissen, versichert, wenn es unsere Schuld ist, aber das ist nicht…«
»Was soll das nun heißen?« Sie stand da, die Hände auf die Hüften gestemmt, und ärgerte sich über die Wendung, die das Gespräch nahm.
»Na ja, das heißt, wir helfen Ihnen klarzukommen, Leslie, aber es ist eine Sache zwischen Ihnen und Mr. und Mrs. Muscat. Und auch zwischen mir und den Muscats. Sie und ich scheinen als einzige betroffen zu sein. Ich habe mit ihnen in Florida gesprochen, und sie haben eingewilligt, die Verantwortung zu übernehmen, das ist also schon etwas. Und sie sind versichert. Ich denke, wir können es zu unserer Zufriedenheit regeln. Ich meine allerdings, daß wir mit der Arbeit anfangen und sie ihnen dann entsprechend in Rechnung stellen sollten.«
Warum reden Anwälte soviel? Irgendwo in diesem ganzen Gerede versteckte sich eine Warnung; dessen war sich Wetzon sicher. »Hören Sie, Roger, möchten Sie darüber reden, was ein neuer Eichenholzboden kostet?«
Er zog die Schultern hoch.
»Muß ich vor Gericht gehen? Sie sind Anwalt. Sagen Sie mir die Wahrheit.«
»Ich weiß es nicht, und das ist die Wahrheit, Leslie.« Es gelang ihm, überall hinzuschauen, nur nicht auf sie. »Schließlich müssen wir hier miteinander auskommen. Wir möchten gute Nachbarn sein.«
»Was für ein Scheiß, Roger, und das wissen Sie auch. Die gute Nachbarschaft hört auf, wenn Ihr Nachbar Ihr Eigentum beschädigt und unbewohnbar gemacht hat. Na gut, ich besorge mir juristischen Rat. Und meine Versicherungsleute sind benachrichtigt. Sie schicken morgen jemand her, um es zu besichtigen.«
»Du lieber Gott!«
Wetzon warf sich herum, und Roger fuhr zusammen. »Du lieber Gott«, kam als Echo von ihm.
Smith stand in einem schwarzen einteiligen Stretchhosenanzug über einer goldenen hochgeschlossenen Seidenbluse in der Tür, groß, sexy und absolut phantastisch. Unter dem Arm hatte sie eine kurze Steppjacke von Calvin.
Levine hatte es die Sprache verschlagen. Sein Mund stand offen.
»Meine Teilhaberin, Xenia Smith«, murmelte Wetzon.
»Ich bin entzückt«, sagte Smith gedehnt wie eine Gestalt aus Private Lives. Sie klapperte mit den Lidern und reichte Roger die Hand.
»Sehr erfreut.« Roger schien genauso in Private Lives versetzt. Er nahm ihre Hand und hielt sie eine Spur zu lange, dann räusperte er sich und versuchte halbherzig, den Blick von ihr loszureißen.
»Oh, verdammt.« Wetzon verzog sich in die Küche und goß sich eine Tasse Kaffee ein. Während sie die Croissants auf einen Teller legte, hörte sie, daß die Flurtür geschlossen wurde.
Smith kam mit einem »Was für ein reizender Mann« in die Küche geeilt.
»Er ist mit einer Analytikerin bei Smith Barney verheiratet, und sie ist schwanger.« Wetzon holte noch eine Tasse aus dem Schrank, knallte sie hin und goß Smith Kaffee ein. Sie fühlte sich streitlustig und klein. Manchmal dachte sie’, wenn sie nur fünf Zentimeter größer wäre, hätte sie alles in der Hand …
»Wofür hältst du mich?« Smith nahm sich ein Croissant. »Mmm.«
Wetzon trank einen Schluck Kaffee. »Ich lasse die Finger davon.« Sie bedachte Smith mit einem strengen Blick. »Was ist mit dir und Twoey?«
Smith grinste sie an. »Ich muß im Spiel bleiben, an meinen Talenten feilen sozusagen. Man kann nie wissen. Ein kleiner Flirt ab und zu hat außerdem noch keinem geschadet.«
»Ich gebe auf.«
»Was du nie verstehen wirst, Kleines, ist, daß wir Frauen alle Mittel einsetzen müssen, und ich meine alle, über die wir verfügen, um in ihrer Welt mitzuhalten.«
»Das ist so deprimierend. Ich möchte zum Theater zurück.«
»Es gibt kein Zurück.«
»Oh, Smith, das klingt so endgültig.« Wetzon schniefte. Smith hatte recht.
»Seien wir realistisch, Liebes. Möchtest du wissen, warum wir bisher so erfolgreich gewesen sind?«
»Irgendwie bin ich sicher, daß du es mir sagen wirst.«
Smith hörte nicht hin. »Weil wir gut sind, aber auch, weil wir Frauen sind und weil wir ein Beweis sind. Sie können uns den Leuten, die sich für die Gleichberechtigung einsetzen, vorzeigen und verkünden, ›Seht her, wie geschlechtsblind wir sind. Wir machen mit einer Firma Geschäfte, die Frauen gehört und von ihnen geleitet wird.‹«
»Jetzt hast du mich gehörig deprimiert. Und übrigens weißt du genau, daß ich diese Anmache nicht ausstehen kann.«
»So?« Smith lachte affektiert. »Deine Wohnung ist deprimierend, aber unsere Lage ist es keineswegs. Wir können auf ihrem Spielfeld nicht gewinnen, wenn wir nach ihren Regeln spielen, also stelle ich meine eigenen auf und zwinge sie, danach zu spielen. Mein Motto lautet: Mach sie mit Sex kirre und dann einen Endspurt zum Ziel. Halte dich an mich.« Sie zwinkerte Wetzon zu und biß in ihr Croissant.
Wetzon goß sich Kaffee nach. Sie war zwar nicht mit Smith’ Taktik einverstanden, aber konnte sie behaupten, Smith liege völlig falsch? Frauen in der Wall Street hatten kein Netz von Beziehungen, tauschten keine Vertraulichkeiten an Urinbecken aus und schlossen keine Geschäfte in Clubhäusern und auf Golfplätzen ab. Was blieb dann also?
Sie verstauten Wetzons Taschen im Kofferraum von Smith’ Jaguar und fuhren zum The Mark rüber, wo Smith fast sofort eine Parklücke an der 77. Street fand. Um zehn vor vier saßen sie an einem Tisch in Mark’s Bar; Smith bei ihrem Lillet und Wetzon bei Pellegrino.
»Etwas Stärkeres wäre vielleicht angebracht«, bemerkte Smith.
»Ich trinke später ein Bier.«
»Ach ja. Der geheimnisvolle Begleiter zum Abendessen.« Smith langte in ihren Stiefel und zog eine Tarockkarte vor. »Der Pokalkönig.« Sie hielt ihn Wetzon vor die Nase.
»Was zum Teufel bedeutet das angeblich?« brummte Wetzon.
Smith bedachte sie mit einem nachsichtigen Blick. »Dein Abendbegleiter. Ein freundlicher Mann, ein intelligenter Mann, ein Führer von Männern – und Frauen -hochgeachtet.« Sie machte eine Pause und verdrehte die Augen. »Ein älterer Mann.«
»Steck diese blöde Karte weg, Smith« Wetzon spürte, daß sie bis über die Ohren rot wurde. »Dort kommt Rona.«
Und in der Tat schritt eine sehr entschlossene Rona Middleton auf sie zu, und sie war nicht allein.