Читать книгу Blut fließt auf der Wall Street - Annette Meyers - Страница 7
Оглавление»Und außerdem sagte Cafferty, du hättest ihm schlechte Ware verkauft und er werde nicht mehr mit uns arbeiten.« Sie saßen in ihrem Garten und aßen zu Mittag, aber Smith war so wütend, daß sie auf den Salat im Plastikbehälter einstach.
»Ich? Ich dachte, wir wären Partner. Wie dumm von mir.« Wetzon leckte den Eiersalat, der aus ihrem Pitasandwich getropft war, von den Fingern ab. »Ich weiß nicht, wovon er redet. Evan war sauber, keine juristischen Probleme, kein freundlicher Eintrag auf seinen SEC-Akten.«
»Cafferty behauptet aber, er sei Alkoholiker. Hättest du das nicht bemerken müssen, als du mit ihm gesprochen hast? Verdammt, ich hasse es, heutzutage einen Kunden zu verlieren.« Smith betrachtete ihr Zerstörungswerk und klappte den Salatbehälter zu.
»Nein, ich habe es nicht bemerkt, als ich mit ihm sprach, und du hättest es genauso wenig bemerkt. Ich sprach mit ihm am Telefon. Ich bin ihm nie begegnet. Er lebt in Ohio, um Himmels willen. Hätte ich extra nach Ohio fahren sollen, bloß um einen Hunderttausend-Dollar-Produzenten zu treffen? Und wenn doch, hätte ich nach einem einzigen Treffen feststellen können, daß er ein Säufer ist?« Wetzon ließ den Rest vom Sandwich in das Einwickelpapier fallen. »Sag mir bitte nur eins: Macht er Umsatz?«
»Nein. Ich meine, ja, er macht Umsatz. Was Cafferty stört, ist, daß er durch die Bars in der Stadt zieht, tankt und dann jedem von der wunderbaren Firma erzählt, für die er arbeitet.«
Wie eine Karikatur aus dem New Yorker. Wetzon unterdrückte ein Kichern. Sie räusperte sich und versuchte, Smith’ Blick auf sich zu ziehen. »Ja und, was ist daran so schlimm, wenn ich fragen darf? Er ist stolz, dort zu sein.« Das Kichern kam wieder hoch. Sie schlug sich mit der Hand auf den Mund.
Smith’ Mundwinkel zuckten. »Sie meinen, es sei peinlich für die Firma. Nicht standesgemäß und so. Du kannst darüber lachen, soviel du willst, aber die Kunden sind heutzutage schwer zufriedenzustellen, das weißt du auch.« Sie sah Wetzon mit ihren haselnußbraunen Augen streng an. »Ich bin wirklich empört über dich.«
»Nun mal halblang. Wenn sie mit ihm unzufrieden sind, sollen sie ihn rauswerfen.« Sie schlürfte eisgekühlten koffeinfreien Kaffee durch einen Strohhalm.
Smith verzog das Gesicht. »Würde es dir sehr viel ausmachen, das zu unterlassen? Sie können ihn nicht rauswerfen. Das ist gegen das Gesetz.«
»Seit wann?«
»Ich glaube, es hat was mit Bürgerrechten zu tun. Alkoholismus ist eine Krankheit.« Smith schüttelte den Kopf. »Ich muß immer hinter dir her sein. In letzter Zeit wird jede verdammte Vermittlung zum Problem.«
»Ach, sei still, Smith.« Wetzon stieß mit der Plastikgabel nach ihrer Partnerin. »Du machst mich wütend, und der Tag ist viel zu schön, um wütend zu sein. Ich schlage dir etwas vor: Wollen wir tauschen? Ich befasse mich mit den Kundenfirmen, und du kannst die Makler übernehmen.«
»Hm.« Smith schraubte die Evianflasche auf und goß den Rest in ihr Glas.
»Und erzähle mir nicht, daß die Leute in dieser Kleinstadt in Ohio nicht wissen, was los ist. Cafferty wollte Evan nicht einmal einstellen, bevor Evan nicht alle in dem Büro kennengelernt hätte – alle fünf. Er meinte, das Büro wäre zu klein, falls der Typ nicht zu den andern paßt. Also verbrachte Evan den Nachmittag dort und aß später mit ihnen zu Abend. Und keiner will gemerkt haben, daß er Alkoholiker ist?«
»Dich mag das kaltlassen, aber sie werden nie wieder mit uns arbeiten.«
»Dann soll sie der Teufel holen. Sie verlieren dabei. Sag mir nur, ob sie bezahlen, was sie uns schulden.«
»Ja.« – »Alles andere ist mir schnuppe.«
»Ich hätte es selbst nicht besser ausdrücken können.« Smith gab es ungern zu. »Aber ich meine, du solltest Evan anrufen und ihm eine Heidenangst einjagen. Wir wollen schließlich die nächsten sechs Monate noch bei ihm abkassieren.«
Wetzon stöhnte. »Ich weiß nicht, was es bringen soll, wenn ich mit ihm rede. Wie sagt man diplomatisch, ›Evan, altes Haus, haben Sie ein klitzekleines Alkoholproblem? Wenn ja, würden Sie es freundlicherweise sechs Monate lang abstellen, Sie Schluckspecht?‹«
Smith grinste sie plötzlich an. »Siehst du, ich wußte, du kannst es. Wie dem auch sei, ich arbeite an etwas wirklich Großem.« Sie hielt abwehrend eine Hand hoch. »Nein, frag mich nicht. Wenn ich diesen Kunden an Land ziehe, fahren wir im Rolls durch die ganze Rezession.«
»Das will ich hoffen. Die Telefone sind in letzter Zeit so still.« Sie lächelte und lehnte sich auf dem Gartenstuhl zurück, wobei sie das schmiedeeiserne viktorianische Blumenmuster durch die Bluse im Rücken spürte. »Auf der anderen Seite werden die Langfords wohl bei Shields Kaufmann zusagen, und Brian Middleton fängt heute bei Loeb Dawkins an.«
»Wie schön«, murmelte Smith.
Sie wurden von einem sehr brav aussehenden jungen Mann mit Bürstenschnitt unterbrochen. Ihr Assistent B.B., kurz für Bailey Balaban, machte die Tür auf und sagte: »Twoey für dich, Smith.«
»Für Sie ist das Mr. Barnes« fuhr Smith ihn an. »Ein bißchen Respekt, bitte.«
»Aber er hat selbst gesagt, ich soll ihn Twoey nennen.«
Smith’ Blick war vernichtend, und er flüchtete ins Büro, als habe er Angst, ihr den Rücken zu kehren.
»Meine Güte, Smith, willst du B.B. auch Tom Keegen in die Arme treiben?«
Tom Keegen, ihr Hauptkonkurrent, hatte ihnen ihren früheren Juniorpartner, Harold Alpert, abspenstig gemacht, und Wetzon war davon überzeugt, daß Harold nicht gegangen wäre, wenn Smith ihn besser behandelt hätte. Smith ging nicht darauf ein und trank einen letzten Schluck Wasser. Sie stand träge auf und fuhr sich mit den Fingern durch die kurzen dunklen Locken. Sie hatte die Figur eines Models, groß und schlank, olivenfarbene Haut und hohe Backenknochen, die die mandelförmigen Augen betonten, dazu einen phantastischen Stoffwechsel, was ein Glücksfall war, da sie nichts von sportlicher Betätigung hielt.
Was Smith und Wetzon taten, war mysteriös, im besten Sinne des Wortes, und deshalb war es zauberhaft. Sie verstanden sich als Detektive, die die besten Kandidaten für die Stellen suchten, die ihre Kunden zu besetzen hatten. So schien es nur angemessen, daß auch die Kurzbiographien, die sie für jeden möglichen Kandidaten ausfüllten, bei ihnen ›Fahndungsbogen‹ hießen.
Wall Street nannte sie und ihre Kollegen Headhunter, und sie hatten nichts dagegen einzuwenden. Abseits von Wall Street wurden diejenigen, die Fachkräfte suchten und vermittelten, als Personalberater bezeichnet, und Headhunter – »Kopfjäger« – galt dort als abfälliger Begriff. Doch Wall Street bewunderte eine gewisse Aggressivität und belohnte Piraterie. Jeder, der »ungestraft davonkommen« konnte, wurde respektiert.
Und ihre Kunden waren keine gewöhnlichen Geschäftsleute; sie waren die treibenden Kräfte und Macher der allmächtigen Finanzgemeinde – der STREET.
Smith und Wetzon waren zwar keine richtigen Insider, aber sie standen auch nicht außerhalb.
Sie befanden sich in der hervorragenden Position, jedes Problem objektiv zu sehen und dem Kunden einen Überblick zu verschaffen.
Sie waren wahrhaftig ein seltsames Gespann. Smith war aus einer Personalabteilung gekommen, und Wetzon war Gruppentänzerin am Broadway gewesen. Daß ihre Namen zusammen dem Firmennamen der Büchsenmacher einprägsam ähnlich waren, fanden sie nur lustig, doch sie nutzten sie, um ihre Einzigartigkeit herauszustreichen. Sie waren Frauen in einer Männerwelt.
Sie arbeiteten von einem kleinen Büro aus, das einmal eine Zweizimmerwohnung in einem umgebauten Sandsteinhaus in der 49. Street zwischen Second und First Avenue gewesen war. Es befand sich parterre, und die Hintertür ging auf einen bescheidenen Garten.
Sie waren schon fast acht Jahre zusammen, und es war ungewöhnlich gut gelaufen, durch Hochs und Tiefs an der Wall Street. Smith konzentrierte sich auf Unternehmensausbau – sie tat Kundenfirmen auf –, und Wetzon rekrutierte Börsenmakler, eine Aufgabenverteilung, die hauptsächlich auf Smith zurückging, weil Smith Makler verabscheute. »Abschaum« und »Widerling« waren ihre freundlichsten Bezeichnungen für sie.
Zur Zeit des Crashs auf dem Aktienmarkt im Oktober 1987 und zwei Jahre danach war das Geschäft unglaublich gewesen. Dann machten sich allmählich die wirklichen Auswirkungen des Verlusts der Kleinanleger an der Wall Street bemerkbar, und in der Abwärtsbewegung der Kapitalbasis folgten Konkurse, Fusionen und Aufkäufe. Der Refrain »der Scheck ist unterwegs« war überall zu hören.
Die Form von Smith’ und Wetzons Unternehmen hatte sich allmählich verändert. Sie stellten fest, daß ein recht großer Bedarf an Managementberatung bestand, wo die Honorare zum Glück mit etwas größerer Regelmäßigkeit bezahlt wurden als beim Headhunting. Wetzon seufzte und blickte hinaus in ihren Garten. Er war vollkommen neu bepflanzt und gepflastert worden und nach der Explosion, die ihn im vergangenen Sommer zerstört hatte, wie der Phönix aus der Asche in voller Pracht wiedererstanden. Sie sammelte die Reste und den Abfall vom Mittagessen ein und warf alles in den Plastikmüllsack im Bad.
»Selbstverständlich, Abe«, sagte Smith gerade ins Telefon in dem professionellen Tonfall, den sie nur bei den erlesensten Kunden anwandte. »Ich lasse Ihnen unseren Vorschlag bis Ende der Woche zukommen.« Sie zwinkerte Wetzon zu und zeigte mit dem Daumen nach oben.
Bei Abe konnte es sich nur um Abe Bloom handeln, den Vorsitzenden von Cooperman Bloom Securities. War das der große neue Kunde?
Wetzon sah auf die Uhr, dann auf Andy Warhols Bleistiftzeichnung von einer Rolle Dollarnoten, die sie und Smith von ihrem ersten Honorar bezahlt hatten. Sie salutierte davor. Höchste Zeit, um die Dollars zu telefonieren. Sie nahm den Hörer ab und rief Brian Middleton bei Bliss Norderman an.
»Büro Mr. Middleton.«
»Mr. Middleton bitte.«
»Er ist heute nicht im Haus. Kann ich etwas für Sie tun?« Die Stimme der Frau verriet nichts.
»Nein, danke. Ich versuche es morgen.« So weit, so gut, dachte Wetzon. Diese Auskunft bekam man normalerweise, wenn jemand ausgeschieden war. Ein Geschäftsführer gab die Kundenkonten eines aus der Firma ausgeschiedenen Börsenmaklers im allgemeinen an seine bevorzugten Angestellten im Büro und behielt einige für sich. Wenn er also nicht die Wahrheit sagte – daß der Makler nicht mehr bei ihm war –, gewann er Zeit.
Mit dem Radierende des Bleistifts tippte sie die Nummer von Simon Loveman, dem Geschäftsführer des Loeb Dawkins Büros, wo Brian Middleton sich jetzt einrichten würde.
»Büro Simon Loveman.«
»Tag, Joyce, Wetzon hier. Ich wollte nur mal nachfragen, ob mit Brian alles glattgegangen ist.« Die Leitung schien plötzlich tot. »Hallo, Joyce?« Irgend etwas stimmte nicht – Wetzons Verstand schlug Alarm: Fehler, Fehler, Fehler.
»Ich stelle zu Simon durch.«
Oje. Wetzons innere Alarmanlage schrillte noch lauter.
»Ja.« Simons Stimme klang kalt und wütend.
»Simon, hier ist Wetzon. Ist etwas mit Brian nicht in Ordnung?«
»Das möchte ich Sie fragen.«
Was für eine eigenartige Reaktion. »Okay, verbinden Sie mich mit ihm.«
»Ich glaube nicht, daß das viel nutzt.«
»Warum?« Was war bloß mit allen los?
»Weil Ihre Primadonna ihren Auftritt heute morgen vergessen hat.«