Читать книгу Blut fließt auf der Wall Street - Annette Meyers - Страница 16

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»Vergiss es!« sagte Wetzon zu Smith, die darauf bestand – welche Überraschung –, sie in Marks Zimmer einzuquartieren. Sie hinterließ auf Carlos’ Anrufbeantworter die Nachricht, daß sie einen Notfall habe und auf dem Weg zu ihm sei.

»Wir hätten soviel Spaß in der gemeinsamen Wohnung haben können. Gib dir einen Ruck, Zuckerstück.« Smith lechzte nach einer Gelegenheit, in Wetzons Leben einzugreifen.

»Auf keinen Fall.« Wetzon schüttelte entschieden den Kopf zu der mageren Schwarzen in schmutzigem Sweatshirt, zerlumpten Jeans und Gummisandalen an den Füßen hin, die ihr einen Papierbecher entgegenstreckte. Die Frau plapperte etwas durch schiefe Zähne, gab dann auf und kümmerte sich um eine stattliche alte Dame in einem phantastischen schwarzweißen Kostüm und einem schwarzen Hut mit flottem getupftem Band auf dem Kopf. Die Hände in weißen Handschuhen hielten keine Handtasche. Samstag morgen, der jüdische Sabbat, wahrscheinlich ging sie in eine der Synagogen im Viertel.

»Du könntest hierherkommen und den Rest des Wochenendes bei uns verbringen.« Sie rief Smith von einem Münztelefon an der Ecke per R-Gespräch in ihrem Haus in Connecticut an.

»Geht nicht. Ich habe hier einen Trümmerhaufen wegzuräumen.«

»Hm. Dann essen wir doch morgen abend zusammen. Dick Tracy ist doch noch in Washington?«

»Stimmt. Abendessen wäre schön – hoppla – nein, es paßt nicht… oh, Mann.« Ihr war gerade die Verabredung mit Alton Pinkus eingefallen. Sie mußte absagen. Nein. Warum eigentlich? Sie wollten sich sowieso im Restaurant treffen.

»Hallo? Wetzon? Bist du noch da?«

»Ich kann nicht, Smith. Ich habe … äh … hm … andere Pläne für abends.« Sie konnte geradezu hören, wie Smith darüber nachgrübelte.

»Du bist verabredet?« Es war eine Anklage.

»Nein!«

»Doch. Ich weiß es. Vor mir kannst du nichts verheimlichen. Das Tarock zeigte einen anderen Mann, einen älteren Mann. Wer ist es?«

»Mein Großvater. Ich muß gehen. Drei Leute drängeln sich vor dem Telefon.«

»Warte einen …«

Wetzon hängte ein. Niemand wollte das Telefon benutzen. Sie hätte Smith gern von Alton berichtet, aber Smith würde es gleich an die große Glocke hängen.

Sie schlenderte die 86. Street hinunter zum Broadway. Es war ein frischer trockener Herbsttag. An einem solchen Tag konnte man kaum deprimiert sein, nicht einmal, wenn die Wohnung unter Wasser stand und man ausziehen mußte. Viele Jogger waren unterwegs, ebenso junge Mütter mit Kindern in Sportwagen. Der Himmel zeigte sich in einem tiefen wolkenlosen Blau, nirgendwo ein Dunstschleier. Von der Ecke Broadway und 86. Street hatte sie einen klaren Blick auf den Hudson und die Klippen von New Jersey gegenüber.

Arthur Margolies, Esquire, besaß eine Fünfzimmerwohnung in einem eleganten Gebäude an der West End Avenue. Die Zimmer waren riesig, verglichen mit Wetzons, die Fenster breiter und höher, der Stil nobler. Das Haus verfügte über eine volle Besetzung an Portiers und Aufzugführern in Uniformen wie aus komischen Musicals.

»Sie sind eben zurückgekommen«, sagte der Aufzugführer, der sie in den zehnten Stock brachte.

Während sie über den Flur ging, flog die Tür zu Arthurs Wohnung auf. »Häschen!« Und der liebe, wunderbare Carlos zog sie herein. Er trug einen weißen Pullover mit Zopfmuster lässig um die Schultern, die Ärmel vorn locker verknotet, und sah aus, als wäre er einer Modezeitschrift entsprungen. »Was ist passiert?« Er hielt sie auf Armeslänge von sich und musterte ihr Gesicht.

Sie waren gleich groß, beide schlank, doch er war dunkel, schwarzes Haar, schelmische jettschwarze Augen. Der Diamantknopf an seinem linken Ohrläppchen glitzerte auf bronzefarbener Haut.

Sie spürte seinen prüfenden Blick, senkte den Blick und faßte die Tennisschläger ins Auge, die an dem großen Schirmständer aus Eiche lehnten. Sie sah Arthurs besorgtes Gesicht hinter Carlos auftauchen, und sie brachte kein Wort heraus.

»Komm, Kleines, sag Carlos bitte, was passiert ist. Ist jemand gestorben? Deine Partnerin vielleicht?« Er sagte es hoffnungsvoll. Smith und Carlos haßten sich.

Sie knuffte ihn im Spaß und plapperte, halb lachend, halb weinend, ihre Geschichte stückweise zwischen Schluchzern heraus und fand sich bald in der geräumigen Küche bei heißer Schokolade sitzend wieder.

Während Carlos diktierte, grübelte Arthur über einem gelben Formular. »Erstens«, verkündete Carlos, »schickt Princely Service zwei Mitarbeiter um zwölf in deine Wohnung rüber. Die bringen einen Leihwagen mit. Sie packen deine Sachen zusammen und machen deinen Umzug runter in die 10. Street.«

»10. Street? Zu dir?«

Er nickte. »Mein Untermieter ist letzten Monat an die Westküste gezogen. Er glaubt, er wird der nächste Rock Hudson. Gott schütze uns.« Carlos klapperte mit seinen langen dunklen Wimpern und verdrehte die Augen gen Himmel. »Ich habe sie renovieren lassen und wollte sie gerade wieder anbieten, Häschen, sie gehört also dir, solange du sie brauchst.«

»Oh, Carlos, du bist der Beste.« Sie umarmte ihn.

»Als ob ich das nicht wüßte.«

»Versicherung«, sagte Arthur.

»Ich habe eine Hausratversicherung. Habt ihr einen Fotoapparat? Ich soll Aufnahmen machen.«

»Meine Mitarbeiter übernehmen das. Keine Sorge. Schreib es dazu, Arthur.«

»Das Telefon. Was soll ich damit machen?«

»Wir lassen es reparieren. Fürs erste lassen wir Anrufe an meine Nummer in der 10. Street gehen, und mein Anrufbeantworter dort ist noch angeschlossen.«

Carlos hatte seine Wohnung in einem ehemaligen Speichergeschoß im Village gekauft, als sich Princely Service zu rentieren begann. Es war eine geräumige Zweizimmerwohnung in der von Bäumen gesäumten 10. Street, westlich der Hudson. Sie bestand aus einer großen offenen Küche mit einem langen Ahorntisch auf Böcken, an dem zwanzig Personen Platz fanden, in der Mitte. Das Schlafzimmer war riesig und besaß bequemerweise ein französisches Bett mit einer Fülle von Kissen und von Ralph Lauren entworfenen Bezügen, einen Kleiderschrank für Riesen und einen Doppelschreibtisch, ein Herman-Miller-Modell aus den fünfziger Jahren. Den Boden bedeckte ein Plüschteppich in heller Tonfarbe von Wand zu Wand. Ein geräumiges Ankleidezimmer mit einem Hartholzboden bot Platz für eine Barre, die frei vor einer Spiegelwand stand.

Das Wohnzimmer hatte olympische Maße und war im gemütlichen englischen Stil möbliert: flacher Webteppich, große, dick gepolsterte Sessel mit rötlichen Chintzbezügen und zwei voluminöse granatrote Sofas. Ein schimmernder Stutzflügel war mit einem buntgemusterten Läufer bedeckt. Auf Tischplatten überall befanden sich Carlos’ chotchkas, wie er sie nannte, Erinnerungen an Shows, Tourneen, Fotografien, Premierengeschenke.

Als sie die Wohnung betrat, hingen ihre Kleider bereits in den Schränken. Der Koffer stand neben dem Bett. Sie würde sich ihn später vornehmen. Sie zog schwarze lederne Hosen und ein rotes Seidenhemd an, steckte die Füße in Schnürstiefel und widmete sich Carlos und Arthur.

Sie führten sie zum Essen zu John Clancy’s aus und nötigten sie zu Austern auf der halben Schale. Sie saßen in dem tiefgelegenen Speiseraum mitten in dem fröhlichen Lärm zufriedener Gäste, ließen sich den über Mesquitholz gegrillten Schwertfisch schmecken und teilten sich die Schokoladenmoussetorte, die selbst für zwei Personen viel zu üppig war. Und Carlos überreichte ihr einen Satz Hausschlüssel in einem Gucci-Etui.

Auf ihr Drängen hin setzten sie sie nach dem Abendessen mit der Sonntagsnummer der Times im Vorraum ihres neuen Zuhauses ab, und sie fuhr in dem Aufzug zum vierten Stock hinauf und schloß die Wohnungstür auf. Licht aus einem kleinen Artdeco-Kronleuchter erfüllte die breite schiefergrau gekachelte Diele. Die Zimmer dufteten nach einem Potpourri aus Zimt und Vanille.

Auf dem Küchentisch lehnten an einer großen Laliqueschale ein Umschlag mit Fotos und eine Notiz von Carlos, der sie dringend bat, sie nicht an diesem Abend noch zu betrachten. Sie nahm den Umschlag in die Hand, doch dann legte sie ihn ungeöffnet zurück. Sie war erschöpft. Sie ließ ihre Sachen im Schlafzimmer auf dem Boden liegen und nahm ein Bad in Carlos’ herrschaftlichem, mit schwarzem Marmor und Spiegeln ausgestattetem Badezimmer, um sich vom Jacuzzi die schmerzenden Muskeln lockern zu lassen.

Wie neugeboren fühlte sie sich, als sie, in ein Badetuch gewickelt, herauskam. Sie streckte sich auf dem Bett aus und schaute zur Decke hoch. Ganz oben liefen die Rohre und die ausgedehnte Sprinkleranlage, die den ehemaligen Lagerraum von einer Wohnung unterschieden.

Irgend etwas blitzte am Rand ihres Blickfeldes. Sie wandte den Kopf und sah den Anrufbeantworter auf dem mit gerafftem Stoff umgebenen Tisch neben dem Bett blinken. Anrufe für Carlos, seinen weggezogenen Mieter, vielleicht für sie. Sie setzte sich auf, krabbelte auf die andere Bettseite und drückte auf die Wiedergabe taste.

Liebes, wo bist du? Smith, außer Atem. Ich versuche den ganzen Tag, dich zu erreichen. Ich muß mit dir reden.

Piep.

Leslie, hier ist Roger Levine. Rufen Sie mich bitte an, wenn es Ihnen paßt. Er nannte seine Nummer. Sie würde ihn morgen anrufen.

Piep.

Schatz, ich finde das nicht komisch. Ruf mich an. Ich mache mir Sorgen um dich. Die Stimme verklang, doch Wetzon hörte Smith noch sagen, Das ist so typisch egoistisch von ihr.

Wetzon stieß die Luft aus. »Dich anrufen? Im Traum nicht, Liebes.«

Piep.

Wetzon, hier ist Rona. Ronas Stimme klang nervös. Eis klirrte gegen Glas. Rufen Sie mich bitte heute abend an, wenn es möglich ist, sonst morgen. Es hat sich etwas Unerwartetes ergeben.

Blut fließt auf der Wall Street

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