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Elektrizität sehen und schmecken

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Über den Versuch hinaus, Gehörlosigkeit, Blindheit und andere Krankheiten zu heilen, hatten die ersten Elektropraktiker ein intensives Interesse an der Frage, ob Elektrizität von den fünf Sinnen direkt wahrgenommen werden könnte. Auch das ist ein Phänomen, an dem Ingenieure heutzutage kein Interesse haben und über das unsere heutigen Ärzte nicht viel wissen. Eine Antwort darauf ist jedoch heute für alle, die an Elektrohypersensivität leiden, relevant.

Der spätere Entdecker Alexander von Humboldt stellte seinen eigenen Körper in seinen frühen 20er-Jahren zur Aufklärung dieses Geheimnisses zur Verfügung. Erst einige Jahre später verließ er Europa für eine langen Reise, die ihn weit den Orinoco hinauf und auf den Gipfel des Chimborazo treiben sollte. Entlang des Weges sammelte er Pflanzen und dokumentierte seine systematischen Beobachtungen der Sterne, der Erde und der Kulturen der amazonischen Völker. Ein halbes Jahrhundert verstrich, ehe er mit der Arbeit an seinem fünfbändigen Kosmos begann; ein Versuch, alle bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnisse zusammenzufassen. Aber als junger Mann, der den Bergbau im bayerischen Bayreuth beaufsichtigte, beschäftigte er sich in seiner Freizeit mit der zentralen Frage seiner Zeit.

Ist Elektrizität wirklich die allem zugrunde liegende Lebenskraft? Das fragten sich die Menschen. Diese Frage, die seit den Tagen von Isaac Newton leise an der Seele Europas nagte, wurde plötzlich sehr viel lauter. Sie verließ den hehren Bereich der Philosophie und wurde zum Tischgespräch der Allgemeinheit; ihre Kinder würden schließlich mit dem Ausgang dieser Gespräche leben müssen. Die elektrische Batterie, die durch den Kontakt unterschiedlicher Metalle Strom erzeugte, war gerade in Italien erfunden worden. Die Auswirkungen waren enorm: Reibungsmaschinen – sperrig, teuer, unzuverlässig und abhängig von atmosphärischen Bedingungen – waren jetzt möglicherweise nicht mehr nötig. Telegrafensysteme, die bereits von einigen Vordenkern entworfen wurden, könnten jetzt praktikabel werden. Und vielleicht kommen wir jetzt den Antworten auf Fragen über die Natur des elektrischen Fluidums näher.

In den frühen 1790er-Jahren stürzte sich Humboldt mit Begeisterung in diese Forschung. Er wollte unter anderem wissen, ob er diese neue Form der Elektrizität mit seinen eigenen Augen, Ohren, seiner Nase und den Geschmacksnerven wahrnehmen konnte. Andere führten ähnliche Experimente durch – Alessandro Volta in Italien, George Hunter und Richard Fowler in England, Christoph Pfaff in Deutschland, Peter Abilgaard in Dänemark – aber keiner so gründlich und sorgfältig wie Humboldt.

Bedenken Sie, dass wir heute, ohne weiter darüber nachzudenken, Neun-Volt-Batterien mit unseren Händen anfassen. Vergessen Sie auch nicht, dass Millionen von uns mit Zahnfüllungen aus Silber und Zink sowie Gold, Kupfer und anderen Metallen im Mund herumlaufen. Dann betrachten Sie folgendes Experiment von Humboldt mit einem Stück Zink und einem Stück Silber, das eine elektrische Spannung von etwa einem Volt erzeugte:

„Ein großer Jagdhund, von Natur aus faul, ließ sich sehr geduldig ein Stück Zink gegen seinen Gaumen legen. Er reagierte auch nicht, als ein weiteres Stück Zink mit dem ersten Stück und seiner Zunge in Kontakt gebracht wurde. Aber sobald man seine Zunge mit dem Silber berührte, zeigte er seine Abneigung auf komische Weise: Seine Oberlippe verkrampfte sich, und daraufhin leckte er sich für lange Zeit. Sobald man ihm nach dieser Erfahrung ein Stückchen Zink zeigte, erinnerte er sich an sein Erlebnis und wurde aggressiv.“

Die Leichtigkeit, mit der Elektrizität wahrgenommen werden kann, und die Vielfalt der Empfindungen wären heute für die meisten Ärzte eine Offenbarung. Als Humboldt mit dem Stück Zink die Oberseite seiner eigenen Zunge und mit dem Stück Silber die Zungenspitze berührte, war der Geschmack stark und bitter. Als er das Stück Silber unter die Zunge schob, brannte sie. Wenn er das Zink weiter nach hinten und das Silber nach vorne bewegte, fühlte sich seine Zunge kalt an. Und als er dann das Zinkstück noch weiter nach hinten schob, wurde ihm übel und manchmal erbrach er sich sogar. Das passierte nie, wenn die beiden Metallstücke aus demselben Material bestanden. Die Empfindungen traten immer dann auf, sobald die Zink- und Silberstücke in metallischen Kontakt miteinander gebracht wurden.3

Ein Sehgefühl ließ sich ebenso leicht mit vier verschiedenen Methoden unter Verwendung derselben Ein-Volt-Batterie auslösen: durch Anbringen des silbernen „Ankers“ auf einem angefeuchteten Augenlid und dem aus Zink auf dem anderen; oder einer in einem Nasenloch und der andere auf einem Auge; oder einer auf der Zunge und einer auf dem Auge; oder sogar einer auf der Zunge und einer gegen das obere Zahnfleisch. In dem Moment, in dem sich die beiden Metalle berührten, sah Humboldt jedes Mal einen Lichtblitz. Wenn er das Experiment zu oft wiederholte, entzündeten sich seine Augen.

In Italien gelang es Volta, dem Erfinder der elektrischen Batterie, ein Klanggefühl hervorzurufen. Dazu verwendete er nicht ein einziges Metallpaar, sondern 30, die an Elektroden in jedem Ohr angebracht wurden. Bei den Metallen, die er ursprünglich in seinem „Stapel“ verwendete und bei denen Wasser als Elektrolyt benutzt wurde, handelte es sich möglicherweise um eine Batterie von ca. 20 Volt. Volta hörte nur ein Knistern. Das hätte aber auch durch eine mechanische Wirkung auf seine Mittelohrknochen hervorgerufen werden können. Daraufhin wiederholte er das Experiment nicht mehr, weil er befürchtete, dass der Schock für sein Gehirn gefährlich sein könnte.4 Wie wir in Kapitel 15 sehen werden, blieb es dem deutschen Arzt Rudolf Brenner 70 Jahre später überlassen, mit verfeinerten Geräten und kleineren Stromstärken die tatsächlichen Auswirkungen auf den Hörnerv zu demonstrieren.

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