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KAPITEL 3 Elektrosensibilität
Оглавление„Ich habe die elektrischen Experimente fast völlig aufgegeben.“ Der Verfasser dieser Worte bezog sich hier auf seine eigene Unfähigkeit, Elektrizität zu vertragen. Damit sind wir nicht etwa in der modernen Ära der Wechselströme und Radiowellen angelangt, sondern noch in der Mitte des 18. Jahrhunderts, als es nur statische Elektrizität gab. Der französische Botaniker Thomas-François Dalibard vertraute Benjamin Franklin seine Gründe erstmals in einem Brief vom Februar 1762 an. „Zum einen haben die verschiedenen Stromschläge mein Nervensystem so stark angegriffen, dass mein Arm krampfhaft zittert. Ich kann kaum ein Glas an den Mund führen. Und wenn ich jetzt einen elektrischen Funken berühren würde, könnte ich 24 Stunden lang nicht einmal meinen Namen schreiben. Zum anderen fällt mir auf, dass es mir nunmehr fast unmöglich ist, einen Brief zu versiegeln. Die Elektrizität des spanischen Harzes überträgt sich nämlich auf meinen Arm und verstärkt mein Zittern.“
Dalibard war nicht der Einzige mit diesem Problem. Das im Jahr 1752 von Benjamin Wilsons veröffentlichte Buch A Treatise on Electricity trug dazu bei, die Popularität von Elektrizität in England zu fördern; leider erging es ihm selbst nicht so gut dabei. „Nachdem ich diese Stromschläge oft mehrere Wochen lang wiederholt hatte“, schrieb er, „war ich letztendlich so geschwächt, dass mir bereits eine sehr geringe Ladung aus der Phiole große Schläge zuführte und außergewöhnlich starke Schmerzen auslöste. Deshalb musste ich weitere Versuche unterlassen.“ Selbst das Reiben einer Glaskugel mit der Hand – die allgemein übliche elektrische Maschine seiner Zeit – bereitete ihm „sehr heftige Kopfschmerzen“.1
Der Autor des ersten deutschsprachigen Buches, das ausschließlich der Elektrizität gewidmet war, des 1744 erschienenen Werkes Neu-Entdeckte Phaenomena von Bewunderns-würdigen Würckungen der Natur … wurde auf einer Seite seines Körpers allmählich gelähmt. Johann Doppelmayr, Professor für Mathematik in Nürnberg, den man den ersten elektrischen Märtyrer nennt, beharrte trotzdem hartnäckig auf seinen Forschungen. Er starb 1750 nach einem seiner elektrischen Experimente an einem Schlag.2
Diese Männer waren nur drei der frühesten Opfer – drei Wissenschaftler, die zur Entstehung einer elektrischen Revolution beigetragen haben, an der sie selbst nicht teilnehmen konnten.
Sogar Franklin entwickelte eine chronische neurologische Erkrankung, deren Beginn sich auf die Zeit seiner frühen elektrischen Forschungen zurückführen ließ. Sie trat für den Rest seines Lebens regelmäßig immer wieder auf. Obwohl er auch an der Gicht litt, machte ihm jenes Problem viel mehr zu schaffen. Am 15. März 1753 schrieb er über einen Schmerz in seinem Kopf: „Ich wünschte, er wäre in meinem Fuß; ich denke, ich könnte es besser ertragen.“ Als er 1757 in London war, erlitt er einen Rückfall, der fast fünf Monate andauerte. Er schrieb an seinen Arzt über „ein Schwindelgefühl und Schwimmen in meinem Kopf“, „einen Brummton“ und „kleine, schwache funkelnde Lichter“, die sein Sehvermögen störten. Mit einer häufig erwähnten „heftigen Erkältung“ ging in seiner Korrespondenz so gut wie immer eine Beschreibung desselben Schmerzes, eines Schwindelgefühls und von Sehstörungen einher.3 Im Gegensatz zu seinem Freund Dalibard erkannte Franklin jedoch nie eine Verbindung zur Elektrizität.
Jean Morin, Professor für Physik am Collège Royale de Chartres und Autor der Nouvelle Dissertation sur l’Électricité aus dem Jahr 1748, hielt es grundsätzlich für ungesund, sich der Elektrizität in irgendeiner Form auszusetzen. Um seinen Standpunkt zu veranschaulichen, beschrieb er ein Experiment, das er nicht mit einer Reibungsmaschine, sondern mit seiner Hauskatze durchgeführt hatte. „Ich streckte eine große Katze auf der Bettdecke aus“, berichtete er. „Ich rieb sie, und in der Dunkelheit sah ich Funken fliegen.“ Er machte damit mehr als eine halbe Stunde weiter. „Tausend winzige Feuerzungen flogen hin und her. Bei fortgesetzter Reibung wuchsen die Funken, bis sie wie haselnussgroße Kugeln oder Feuerkugeln aussahen … Als ich meine Augen etwas näher an eine der Kugeln führte, fühlte ich sofort ein lebhaftes und schmerzhaftes Stechen in meinen Augen. Obwohl der Rest meines Körpers den Stromschlag nicht verspürte, folgte dem Schmerz ein akutes Schwächegefühl. Ich fiel um, meine Kraft versagte, und – wenn man das so sagen kann – musste ich dagegen ankämpfen, in Ohnmacht zu fallen. Ich bekämpfte meine eigene Schwäche, von der ich mich einige Minuten lang nicht erholte.“4
Solche Reaktionen waren allerdings nicht allein Wissenschaftlern vorbehalten. Was heute nur wenigen Ärzten bekannt ist, war den Elektropraktikern des 18. Jahrhunderts und den ihnen folgenden Elektrotherapeuten des 19. Jahrhunderts geläufig: Die Elektrizität hatte Nebenwirkungen. Dabei zeigten einige Menschen eine ausgesprochen große elektrische Empfindlichkeit. Bei anderen wiederum war das unerklärlicherweise nicht der Fall. „Es gibt Personen“, schrieb der Physiker aus dem Languedoc, Pierre Bertholon, 1780, „die auf künstliche Elektrizität ausgesprochen stark reagieren. Ein kleiner Stromschlag, ein einfacher Funke, selbst das elektrische Bad – so schwach es auch sein mag – erzeugte tiefgreifende und dauerhafte Auswirkungen. Bei anderen wiederum stellte ich fest, dass sogar starke elektrische Vorgänge überhaupt keine Empfindung zu verursachen schienen … Zwischen diesen beiden Extremen gibt es entsprechend der individuellen Unterschiede der Menschen viele Nuancen.“5
Die zahlreichen Experimente von Sigaud de la Fond mit Menschenketten führten nie zweimal zum selben Ergebnis. „Es gibt Menschen, für die Elektrizität verhängnisvoll und sehr schädlich sein kann“, erklärte er. „Die Auswirkung hängt vom körperlichen Zustand derjenigen ab, die sie verspüren. Darüber hinaus spielt die Empfindlichkeit oder Reizbarkeit ihrer Nerven auch eine Rolle, so dass es in einer Kette aus vielen Personen mit großer Wahrscheinlichkeit nicht zwei gibt, die den Stromschlag mit genau derselben Intensität wahrnehmen.“6
Der Arzt Mauduyt befand 1776: „Die körperliche Verfassung hängt in hohem Maße von der Kommunikation zwischen Gehirn, Rückenmark und verschiedenen anderen Teilen über die Nerven ab. Diejenigen, bei denen diese Kommunikation beeinträchtigt ist oder die unter einer nervösen Krankheit leiden, sind dann stärker betroffen als andere.“7
Nur wenige andere Wissenschaftler haben versucht, diese Unterschiede zu erklären. Sie stellten sie einfach als Tatsache hin. So alltäglich wie die Tatsache, dass manche Menschen dick oder dünn und manche groß oder klein sind – aber dennoch eine Tatsache, die zu berücksichtigen war, wenn man Elektrizität als eine Behandlungsmethode anbieten oder Menschen ihr anderweitig aussetzen wollte.
Sogar Abbé Nollet, der die menschliche Kette populär machte und einer der wichtigsten Vorreiter auf dem Gebiet der Elektrizität war, berichtete von Beginn seiner Aktionen an über die Unterschiede der menschlichen Verfassung. „Besonders schwangere Frauen und zarte Personen“, schrieb er im Jahr 1746, „sollten der Elektrizität nicht ausgesetzt werden.“ Und später: „Nicht alle Menschen sind gleichermaßen für Experimente mit der Elektrizität geeignet; es bestehen große Unterschiede, sei es, um ihre Kraft auszulösen, sie zu empfangen oder letztendlich ihre Wirkung zu spüren.“8
Der britische Arzt William Stukeley war bereits 1749 mit den Nebenwirkungen der Elektrizität so vertraut, dass er nach einem Erdbeben in London am 8. März desselben Jahres beobachtete: „Manche Menschen verspürten Gelenkschmerzen, Rheuma, Übelkeit, Kopfschmerzen, Rückenschmerzen, hysterische und nervöse Störungen … genau wie bei der Elektrifizierung; und für einige war es sogar tödlich.“9 Für ihn war damit klar, dass elektrische Phänomene bei Erdbeben eine wichtige Rolle spielten.
Und Humboldt war so erstaunt über die außergewöhnlich breite Vielfalt der menschlichen Reaktion, dass er im Jahr 1797 schrieb: „Es wird beobachtet, dass die Empfindlichkeit für elektrische Reizungen und die elektrische Leitfähigkeit individual genauso verschieden ist, wie die Phänomene der lebenden und toten Materie.“10
Obwohl der heute wieder verwendete Begriff „Elektrosensibilität“ eine glasklare Wahrheit offenbart, verbirgt er gleichzeitig eine andere Realität. Die Wahrheit ist, dass nicht jeder die Elektrizität in gleichem Maße fühlt oder leitet. In der Tat, wenn es allgemein bekannt wäre, wie groß das Spektrum der Empfindlichkeit tatsächlich ist, wären die meisten Menschen genauso erstaunt wie Humboldt seinerzeit und wie ich es heute noch bin. Aber die verborgene Realität ist, dass die Elektrizität, so groß die offensichtlichen Unterschiede zwischen uns auch sein mögen, immer noch ein unentbehrlicher Bestandteil unseres Selbst ist, so notwendig für das Leben wie Luft und Wasser. Der Gedanke, dass eine Person von Elektrizität nicht beeinflusst wird, nur weil sie sich dessen nicht bewusst ist, ist absurd. Genauso unsinnig, als würde man sagen, dass Blut nur dann durch unsere Adern fließt, wenn wir Durst verspüren.
Elektrisch empfindliche Menschen beschweren sich heutzutage über Stromleitungen, Computer und Mobiltelefone. Die Menge an elektrischer Energie, die durch all diese Technologien nebenbei zusätzlich in unserem Körper abgelagert wird, ist weitaus größer als die, die von den Elektropraktikern mit den Maschinen, die ihnen im 18. und frühen 19. Jahrhundert zur Verfügung standen, absichtlich verabreicht wurde. Das durchschnittliche Mobiltelefon beispielsweise lagert pro Sekunde etwa 0,1 Joule Energie in Ihrem Gehirn ab. Bei einem einstündigen Telefonat sind das 360 Joule. Vergleichen Sie dies mit einem Maximum von nur 0,1 Joule aus der vollständigen Entladung einer Leidener Halbliter-Flasche. Sogar der 30-Element-Elektrostapel, den Volta an seinen Gehörgängen befestigte, hätte in einer Stunde nicht mehr als 150 Joule liefern können, selbst wenn die gesamte Energie von seinem Körper absorbiert worden wäre.
Bedenken Sie auch, dass sich auf der Oberfläche von Computerbildschirmen – sowohl bei klassischen Desktop-Computern als auch bei drahtlosen Laptops jüngeren Datums – bei jedem Gebrauch eine statische Ladung von Tausenden von Volt ansammelt und sich ein Teil dieser Ladung auf die Oberfläche Ihres Körpers überträgt, wenn Sie davorsitzen. Dies ist wahrscheinlich eine geringere Aufladung als die, die mit dem elektrischen Bad bereitgestellt wurde. Niemand jedoch wurde im 18. Jahrhundert vierzig Stunden pro Woche elektrisch gebadet.
So gesehen ist die Elektrotherapie in der Tat ein Anachronismus. Im 21. Jahrhundert sind wir alle betroffen, ob es uns gefällt oder nicht. Selbst wenn der gelegentliche Gebrauch für einige einstmals von Vorteil war, ist es unwahrscheinlich, dass ein ständiges Bombardement dies auch ist. Und moderne Forscher, die bestrebt sind, die biologischen Auswirkungen von Elektrizität zu ermitteln, sind in gewisser Weise wie Fische, die die Effekte von Wasser bestimmen wollen. Ihre Vorgänger im 18. Jahrhundert waren in einer viel besseren Position, die Wirkungen aufzuzeichnen, weil damals die Welt noch nicht davon überflutet war.
Das zweite von Humboldt aufgezeigte Phänomen hat tiefgreifende Auswirkungen sowohl auf die moderne Technologie als auch auf die moderne Medizin: Einige Menschen waren gegenüber der Auswirkung der Elektrizität empfindlicher als andere. Aber das war nicht alles. Sie unterschieden sich auch individuell extrem stark in ihrer Fähigkeit, diese zu leiten, und auch in ihrer Tendenz, eine Ladung auf der Oberfläche ihres Körpers anzusammeln. Für manche Menschen war es sogar unvermeidbar, überall eine Ladung aufzunehmen – allein schon dadurch, dass sie sich bewegten und atmeten. Sie waren sprichwörtliche Funkenerzeuger, wie jene Frau aus der Schweiz, von der der schottische Schriftsteller Patrick Brydone auf seinen Reisen hörte. Ihre Funken und Stromschläge, schrieb er, waren „an einem klaren Tag oder während des Durchzugs von Gewitterwolken am stärksten, wenn die Luft bekanntermaßen mit diesem Fluidum angereichert ist“.11 Solche Personen unterschieden sich physiologisch von anderen.
Und umgekehrt wurden menschliche Nichtleiter entdeckt, d. h. Menschen, die auch bei angefeuchteten Händen die Elektrizität so schlecht leiteten, dass ihre Anwesenheit in einer Menschenkette den Stromfluss regelrecht unterbrach. Humboldt führte viele Experimente dieser Art mit sogenannten „präparierten Fröschen“ durch. In einer Kette aus acht Personen ergriff die Person an einem Ende einen Draht, der mit dem Ischiasnerv eines Frosches verbunden war. Gleichzeitig ergriff die Person am anderen Ende den Draht, der mit dem Oberschenkelmuskel des Frosches verbunden war. Damit war der Schaltkreis geschlossen und brachte den Muskel zum Zucken. Das geschah jedoch nicht, wenn eine der Personen in der Kette ein menschlicher Nichtleiter war. Humboldt selbst unterbrach eines Tages die Kette, als er Fieber hatte und so vorübergehend ein Nichtleiter war. Er konnte an diesem Tag auch nicht den Lichtblitz in seinen Augen mit Strom auslösen.12
Die Transactions of the American Philosophical Society für das Jahr 1786 enthalten einen ähnlich lautenden Bericht von Henry Flagg über Experimente in Rio Essequibo (heute Guyana). Hier ergriff eine aus vielen Personen bestehende Kette die beiden Enden eines elektrischen Aals. „Wenn jemand anwesend war, der grundsätzlich körperlich nicht dazu geeignet war, die Wirkung des elektrischen Fluidums zu empfangen“, schrieb Flagg, „so bekam diese Person im Moment des Kontakts mit dem Fisch keinen Stromschlag.“ In diesem Zusammenhang erwähnte Flagg eine Frau, die genau wie Humboldt zum Zeitpunkt des Experiments leichtes Fieber hatte.
Dies veranlasste einige Wissenschaftler des 18. Jahrhunderts zu der Annahme, dass sowohl die elektrische Empfindlichkeit als auch die elektrische Leitfähigkeit Indikatoren für den allgemeinen Gesundheitszustand eines Menschen sind. Bertholon beobachtete, dass eine Leidener Flasche bei einem Patienten mit Fieber, schwächere Funken langsamer erzeugte als eine identische Flasche bei einer gesunden Person. Bei Schüttelfrost-Anfällen war genau das Gegenteil der Fall: Der Patient schien dann eine Art Supraleiter zu sein und die von ihm oder ihr erzeugten Funken waren stärker als normal.
Laut Benjamin Martin kann „eine Person, die Pocken hat, kein bisschen elektrifiziert werden“.13
Trotz der obigen Beobachtungen waren weder die elektrische Empfindlichkeit noch die elektrische Leitfähigkeit zuverlässige Indikatoren für eine gute oder schlechte Gesundheit. Meistens schien es sich hierbei um willkürliche Eigenschaften zu handeln. Musschenbroek beispielsweise erwähnte in seinem Cours de Physique drei Personen, bei denen es ihm niemals gelang, egal wann, sie zu elektrifizieren. Dabei handelte es sich um einen kräftigen, gesunden 50-jährigen Mann; eine gesunde, gut aussehende 40-jährige Mutter von zwei Kindern und einen 23-jährigen gelähmten Mann.14
Das Alter und Geschlecht schienen eine Rolle zu spielen. Bertholon glaubte, dass Elektrizität einen größeren Einfluss auf reife junge Männer hatte als auf Säuglinge oder ältere Menschen.15 Der französische Chirurg Antoine Louis stimmte dem zu. „Ein Mann von 25 Jahren“, schrieb er, „ist leichter zu elektrifizieren als ein Kind oder eine alte Person.“16 Laut Sguario „lassen sich Frauen im Allgemeinen leichter und besser elektrifizieren als Männer. Bei beiden Geschlechtern ist das feurige und schwefelhaltige Temperament jedoch besser geeignet als andere Wesensarten und Jugendliche besser als alte Menschen.“17 Laut Morin sind „Erwachsene und Personen mit einem robusteren, heißblütigeren und feurigeren Temperament auch empfänglicher für das Leiten dieser Substanz“.18 Diese frühen Beobachtungen, dass kräftige junge Erwachsene in gewisser Weise empfänglicher für Elektrizität sind als andere, mögen überraschend erscheinen. Aber wir werden später die Bedeutung dieser Beobachtung in Bezug auf Probleme des öffentlichen Gesundheitswesens der Neuzeit erkennen, insbesondere auf die Influenza.
Um die typischen Reaktionen elektrisch empfindlicher Menschen detailliert zu veranschaulichen, habe ich Benjamin Wilsons Bericht über die Erfahrungen seines Dieners ausgewählt, der sich im Jahr 1748, als er 25 Jahre alt war, freiwillig zur Elektrifizierung bereit erklärte. Wilson, der selbst elektrisch empfindlich war, schenkte diesen Effekten selbstverständlich mehr Aufmerksamkeit als einige seiner Kollegen. Elektrisch empfindliche Menschen von heute werden die meisten Auswirkungen wiedererkennen, einschließlich der tagelang andauernden Nachwirkungen.
„Nach dem ersten und zweiten Experiment“, schrieb Wilson, „beklagte er sich über seine depressive Stimmung, und dass er sich ein wenig unwohl fühlte. Beim vierten Experiment wurde ihm sehr warm und die Venen in seinen Händen und seinem Gesicht schwollen stark an. Der Puls schlug schneller als gewöhnlich und er klagte über einen heftigen Druck auf seinem Herzen (wie er es nannte), was zusammen mit den anderen Symptomen fast vier Stunden andauerte. Als er seine Brust entblößte, schien sie stark entzündet zu sein. Er sagte, dass sein Kopf heftig schmerzte und dass er einen stechenden Schmerz in seinen Augen und seinem Herzen spürte; außerdem schmerzten all seine Gelenke. Als die Venen anschwollen, klagte er über ein Gefühl, das er mit dem des Erwürgens oder einer zu engen Krawatte um den Hals verglich. Die meisten dieser Beschwerden ließen sechs Stunden nach Durchführung der Experimente nach. Die Schmerzen in seinen Gelenken hielten bis zum nächsten Tag an. Zu diesem Zeitpunkt klagte er über Schwäche und war bedacht, sich nicht zu erkälten. Am dritten Tag war er dann fast ganz genesen.
„Die Stromschläge, die er erhielt, waren unbedeutend“, fügte Wilson hinzu, „im Vergleich zu denen, die die meisten Menschen normalerweise bekommen, wenn sie sich an den Händen halten, um aus Neugier den Schaltkreis zu vervollständigen.“19
Auch Morin, der vor 1748 damit aufgehört hatte, sich der Elektrizität auszusetzen, hob die negativen Auswirkungen ausführlich hervor. „Personen, die auf einem Harzkuchen oder auf einem Wollkissen elektrifiziert werden, verhalten sich oft wie Asthmatiker“, stellte er fest. Er berichtete über den Fall eines jungen 30-jährigen Mannes, der nach seiner Elektrifizierung 36 Stunden lang an Fieber und acht Tage lang an Kopfschmerzen litt. Er prangerte die medizinische Elektrizität an und schloss aus seinen eigenen Experimenten mit an Rheuma und Gicht erkrankten Menschen, dass „alle viel mehr als zuvor leiden mussten“. „Die Elektrizität ruft Symptome hervor, denen sich auszusetzen nicht ratsam ist“, sagte er, „weil es nicht immer einfach ist, den Schaden zu reparieren.“ Er missbilligte besonders die medizinische Verwendung der Leidener Flasche. Er erzählte die Geschichte eines Mannes mit einem Ekzem an der Hand, der einen Stromschlag von einer kleinen Flasche mit nur zwei Unzen Wasser erhielt. Zu allem Übel kam daraufhin auch noch ein Schmerz in der Hand dazu, der länger als einen Monat anhielt. „Danach war er nicht mehr so eifrig bestrebt“, sagte Morin, „der Prügelknabe für die elektrischen Phänomene zu sein.“20
Ob die Elektrizität mehr Nutzen als Schaden hatte, war für die Menschen, die zu dieser Zeit lebten, keine unbedeutende Frage.
Morin, der elektrisch empfindlich war, und Nollet, der es nicht war, gerieten zu Beginn des elektrischen Zeitalters in einen Konflikt über die Zukunft unserer Welt. Ihre Debatte trugen die beiden öffentlich in zeitgenössischen Büchern und Zeitschriften aus. Die Elektrizität wurde ja in erster Linie als eine Kraft angesehen, die allen Lebewesen innewohnte, und sie wurde dementsprechend als lebensnotwendig erachtet. In diesem Fahrwasser befand sich Morin. Er betrachtete die Elektrizität als eine Art Atmosphäre, eine Ausströmung, die materielle Körper – einschließlich lebender Körper – umgab und sich anderen in der näheren Umgebung mitteilte.
Er war erschrocken über Nollets Vorstellung, dass Elektrizität stattdessen eine Substanz sein sollte, die in eine Richtung von einem Ort zum anderen fließt. Die, um herauszufließen, von irgendwo anders hereinfließen muss. Eine Substanz, die die Menschheit jetzt eingefangen hatte und die sie nach Belieben überallhin in der Welt senden konnte. Diese Debatte begann im Jahr 1748, nur zwei Jahre nach der Erfindung der Leidener Flasche.
„Es wäre einfach“, prophezeite Nollet mit erstaunlicher Genauigkeit, „eine große Anzahl von Körpern gleichzeitig die Auswirkungen von Elektrizität spüren zu lassen, ohne sie zu bewegen, ohne sie zu stören, selbst wenn sie weit voneinander entfernt sind. Wir wissen nämlich, dass sich diese Kraft durch Ketten oder andere zusammenhängende Körper ganz leicht über die Distanz übertragen lässt. Durch ein paar Metallrohre, einige über große Entfernung gespannte Eisendrähte … tausend andere noch einfachere Mittel, die die gängige Industrie erfinden könnte, würde es gelingen, diese Effekte für die ganze Welt zugänglich zu machen. Und damit auch ihre Verwendung so weit wie gewünscht auszudehnen.“21
Morin war geschockt. Was würde aus denen werden, die in der Nähe einer solchen Stromübertragung wären, dachte er sofort?
„Die lebenden Organismen, die Zuschauer, würden schnell den Geist des Lebens, das Prinzip des Lichts und des Feuers, das sie belebt, verlieren … Das gesamte Universum oder zumindest eine Sphäre von immenser Größe ins Spiel zu bringen, in Aktion zu setzen, in Bewegung zu bringen, nur um einen kleinen elektrischen Funken knistern zu hören oder einen zwölf bis 15 Zentimeter langen strahlenden Heiligenschein am Ende einer Eisenstange zu erzeugen? Das würde wirklich bedeuten, wegen nichts für große Aufregung zu sorgen. Das elektrische Material in das Innere der dichtesten Metalle eindringen zu lassen und es dann ohne einen ersichtlichen Grund ausstrahlen zu lassen? Vielleicht wird sich das letztendlich als etwas Gutes herausstellen, aber die ganze Welt wird dem nicht unbedingt zustimmen.“22
Nollet antwortete mit Sarkasmus: „Wirklich, ich weiß nicht, ob das ganze Universum unbedingt die Experimente fühlen muss, die ich in einer kleinen Ecke der Welt durchführe. Dieses fließende Material beispielsweise, das ich hier aus der Nähe zu meinem Fleckchen auf der Erde führe – wie sollte man denn davon etwas in China spüren? Hey, das wäre allerdings tatsächlich von entscheidender Tragweite! Was würde dann – wie Herr Morin so schön bemerkt – aus den lebenden Organismen, aus den Zuschauern werden!“23 Wie andere Schwarzseher, die vor neuen Technologien warnten, anstatt mit dem Strom mitzuschwimmen, war Morin nicht gerade der beliebteste Wissenschaftler seiner Zeit. Ich habe sogar gelesen, dass ein moderner Historiker ihn als „pompösen Kritiker“ verurteilte, als einen „Gladiator“, der sich gegen den elektrischen Visionär Nollet „erhob“.24 Aber die Unterschiede zwischen den beiden Forschern lagen in ihren Theorien und Schlussfolgerungen, nicht in den Tatsachen, die ihnen als Ausgangsbasis dienten. Die Nebenwirkungen von Elektrizität waren jedem bekannt – das änderte sich erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts.
George Beard und Alphonso Rockwells maßgebliches Lehrbuch Medical and Surgical Electricity über medizinische und chirurgische Elektrizität aus dem Jahr 1881 widmete diesen Phänomenen zehn Seiten. Die Begriffe, die sie verwendeten, waren „Elektroempfänglichkeit“, bezogen auf diejenigen, die leicht durch Elektrizität verletzt werden konnten, und „Elektrosensibilität“ für diejenigen, die Elektrizität in einem ungewöhnlich starken Ausmaß wahrnahmen. 130 Jahre nach Morins ersten Warnungen sagten diese Ärzte: „Es gibt Personen, die durch Elektrizität immer verletzt werden. Der einzige Unterschied in der Auswirkung zwischen einer schwächeren und einer stärkeren Anwendung besteht darin, dass die Erstere weniger verletzend ist als die Letztere. Es gibt Patienten, bei denen jegliche elektrotherapeutischen Fähigkeiten und Erfahrungen erfolglos sind. Ihre Temperamente sind unvereinbar mit Elektrizität, sie stehen einfach nicht im Einklang mit ihr. Es spielt keine Rolle, welche spezielle Krankheit oder Symptome einer Krankheit sie haben – Lähmungen oder Neuralgien oder Neurasthenien oder Hysterie oder Erkrankungen bestimmter Organe – die unmittelbaren und dauerhaften Auswirkungen einer Galvanisierung oder Faradisierung, ob allgemein oder lokalisiert, sind schlimm – und zwar uneingeschränkt schlimm.“ Die Symptome, auf die man achten sollte, waren die gleichen wie im vorigen Jahrhundert: Kopf- und Rückenschmerzen; Reizbarkeit und Schlaflosigkeit; allgemeines Unwohlsein; Erregung oder Verschlimmerung von Schmerzen; gefährliche Erhöhung des Pulses; Frösteln wie zu Beginn einer Erkältung; Schmerzen, Steifheit und dumpfer Schmerz; starke Schweißausbrüche; Taubheit; Muskelkrämpfe; Licht- oder Geräuschempfindlichkeit; metallischer Geschmack und Ohrengeräusche.
Die Elektroanfälligkeit komme verstärkt in Familien vor, sagten Beard und Rockwell, und sie machten die gleichen Beobachtungen hinsichtlich Geschlecht und Alter, die die ersten Elektropraktiker gemacht hatten: Frauen waren im Durchschnitt etwas empfänglicher für Elektrizität als Männer und aktive Erwachsene zwischen zwanzig und fünfzig Jahren kamen mit der Elektrizität schlechter zurecht als andere Altersgruppen.
Wie bereits Humboldt waren auch sie über die Menschen erstaunt, die gegenüber elektrischer Energie unempfindlich waren. „Es sollte hinzugefügt werden“, sagten sie, „dass manche Menschen von Elektrizität unberührt bleiben – sie können sehr häufig und für lange Anwendungen fast jede Stromstärke aushalten, ohne dass dadurch weder eine gute noch eine schlimme Reaktion ausgelöst wird. Sie können der Elektrizität in unbegrenztem Maße ausgesetzt werden. Sie können förmlich damit durchtränkt werden, ohne dass es ihnen nach den Anwendungen in irgendeiner Weise besser oder schlechter geht. Sie waren frustriert darüber, dass es keine Möglichkeit gab, vorherzusagen, ob eine Person mit Elektrizität im Einklang stand oder nicht. „Einige Frauen“, stellten sie fest, „selbst diejenigen, die außerordentlich feingliedrig sind, können enorme Mengen an Elektrizität ertragen, während einige Männer, die sehr robust sind, überhaupt keine ertragen können.“25
Offensichtlich ist Elektrizität kein gewöhnlicher Stressfaktor, obgleich viele moderne Ärzte – sofern sie überhaupt anerkennen, dass die Elektrizität unsere Gesundheit beeinträchtigt – dies glauben. Wir würden einen Fehler machen, wenn wir von der Anfälligkeit für Elektrizität auf den Gesundheitszustand einer Person schließen würden.
Beard und Rockwell gaben noch keine Schätzungen über die Anzahl der Menschen ab, die nicht im Einklang mit Elektrizität stehen. Im Jahr 1892 berichtete der Ohrenarzt Auguste Morel jedoch, dass bei zwölf Prozent der gesunden Probanden die Wahrnehmungsschwelle zumindest für den hörbaren Effekt von Elektrizität sehr niedrig wäre. Mit anderen Worten: Zwölf Prozent der Bevölkerung waren und sind vermutlich immer noch in der Lage, ungewöhnlich niedrige elektrische Ströme zu hören.