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Das Leben spielt sich zwischen Himmel und Erde ab und nimmt so an beiden Polaritäten teil. Wie wir im nächsten Kapitel sehen werden, wurde die Verteilung der elektrischen Ladung in Lebewesen gemessen und extern abgebildet. Für Pflanzen wurde dies von Harold Saxton Burr, Professor für Anatomie an der Yale University, und für Tiere von Robert O. Becker, Orthopäde an der State University von New York im Upstate Medical Centre in Syracuse, durchgeführt. Bei Tieren sind die Bereiche mit der größten positiven Spannung die Kopfmitte, das Herz und der Unterbauch. Bei Bäumen ist es die Krone. Bei Bäumen sind die Bereiche mit der größten negativen Spannung die Wurzeln und bei Tieren die vier Pfoten und das Ende des Schwanzes. Dies sind die Stellen, an denen der globale Stromkreis auf seinem Weg zwischen Himmel und Erde in den Körper eintritt und ihn wieder verlässt. Die Kanäle, über die die Elektrizität in den Lebewesen fließt und die Elektrizität von Himmel und Erde auf jedes Organ verteilt, wurden vor mehreren Tausend Jahren genau kartiert. Sie gehörten zu einem Wissensfundus, den wir heute als chinesische Akupunktur kennen. Es wurde im Huángdì Nèijīng, dem Klassiker des Gelben Kaisers zur Inneren Medizin, zwischen 500 und 300 v. Chr. niedergeschrieben. Bereits die Namen der wichtigsten Akupunkturpunkte spiegeln das Verständnis wider, dass sich die Schaltkreise des Körpers in einem Kontinuum mit Erde und Himmel befinden. Niere 1 zum Beispiel, der Punkt in der Mitte der Fußsohle, ist auf Chinesisch als Yong Quan bekannt. Das bedeutet „sprudelnde Quelle“, weil Erdenergie durch diese Punkte in die Füße sprudelt und die Beine hinauf in den Rest des Körpers in Richtung Himmel steigt. Das Lenkergefäß 20, der Punkt oben auf der Mitte des Schädels, wird Baihue genannt oder „hundertfaches Zusammentreffen“. Dies ist auch der „tausendblättrige Lotus“ der indischen Traditionen, der Ort, an dem die Energie des Himmels in unseren Körper zur Erde hinabsteigt und an dem die Ströme unseres Körpers zusammenlaufen und sich zum Himmel erstrecken.

Aber erst in den Fünfzigerjahren begannen Wissenschaftler – angefangen mit Yoshio Nakatani in Japan und Reinhold Voll in Deutschland – die elektrische Leitfähigkeit von Akupunkturpunkten und Meridianen tatsächlich zu messen. Schließlich wurde auch das Wort „Qi“ (früher „Chi“ geschrieben) in den modernen Sprachgebrauch übersetzt: Es bedeutet schlicht „Elektrizität“.

Hsiao-Tsung Lin ist Professor für Chemie und Materialwissenschaften an der National Central University in Taiwan. Er sagt, dass das Qi, das durch unsere Meridiane fließt, ein elektrischer Strom ist, der unseren Zellen sowohl Energie als auch Informationen zuführt; ein Strom, dessen Quelle sowohl intern als auch extern liegt. Jeder Akupunkturpunkt hat eine doppelte Funktion: er dient als Verstärker für die internen elektrischen Signale auf ihrem Weg entlang der Meridiane, und als Antenne bzw. Empfänger für elektromagnetische Signale aus dem Umfeld. Die Dantian oder Energiezentren der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) befinden sich in Kopf, Herz und Bauch und damit entsprechen sie den Chakren der indischen Tradition. Sie sind elektromagnetische Oszillatoren, die bei bestimmten Frequenzen mitschwingen, mit den Meridianen kommunizieren und deren Fluss regulieren. Sie besitzen Kapazität und Induktivität – also die Fähigkeiten, elektrische Energie zu speichern sowie durch ein Magnetfeld eine Spannung zu erzeugen – wie Oszillatoren in jeder elektronischen Schaltung. Der Körper, sagt Lin, ist ein superkomplexes elektromagnetisches Schwingungsnetzwerk, enorm kompliziert und hochempfindlich.

1975 stellten Becker und seine Kollegen vom Upstate Medical Center fest, dass Akupunkturpunkte im Allgemeinen nicht nur Stellen mit geringem Widerstand, sondern auch mit hohem Potenzial sind, und durchschnittlich fünf Millivolt mehr anzeigen als die Haut um sie herum. Sie fanden auch heraus, dass der Weg eines Meridians, zumindest auf der Oberfläche des Körpers, eine signifikant höhere Leitfähigkeit und einen geringeren elektrischen Widerstand hat als die Haut, die ihn umgibt.

Als Ergebnis der Arbeit von Nakatani, Voll, Becker und anderen hat die Elektroakupunktur unter Verwendung von Mikroampere-Strömen ihren Platz neben der traditionellen Akupunktur eingenommen. Darauf aufbauend verwenden nicht-traditionell Praktizierende hier im Westen oft kommerzielle Punktsucher, die Akupunkturpunkte durch ein Messen der elektrischen Leitfähigkeit der Haut finden.8 In China werden seit 1934 Elektroakupunkturgeräte eingesetzt. Damit wird stillschweigend anerkannt, dass der Körper ein elektrisches Instrument ist und dass die richtige Verteilung und das Gleichgewicht der ständig um und durch uns fließenden elektrischen Energien bestimmen, ob er krank oder gesund ist. Ironischerweise verhindern sie aber auch, dass wissenschaftliche Erkenntnisse zu wahren Erkenntnissen führen. Wenn nämlich atmosphärische Elektrizität durch künstliche Elektrizität ersetzt wird, um den Körper zu regenerieren, vergisst man dabei leicht, dass Elektrizität ja ohnehin in der Luft ist, die uns nährt und uns Leben gibt.

An der Shanghai University of Traditional Chinese Medicine, dem Fujian Institute of Traditional Chinese Medicine und anderswo in China bestätigen Wissenschaftler weiterhin, dass die Substanz, die in unseren Meridianen fließt, Elektrizität ist und weiter, dass Elektrizität nicht nur eine Kraft ist, die Lokomotiven bewegt, sondern auch ein unglaublich komplexer und hochempfindlicher Lebensstoff ist. Typischerweise ist der elektrische Widerstand eines Akupunkturpunktes zwei- bis sechsmal niedriger als der Widerstand der Haut um ihn herum, und seine Kapazität oder Speicherfähigkeit ist fünfmal so groß.9 Kommerzielle Punktsucher funktionieren nicht immer, da ein Akupunkturpunkt manchmal – abhängig vom inneren Zustand des Individuums – einen höheren Widerstand als seine Umgebung haben kann. Aber die Meridiane reagieren immer aktiv und nichtlinear auf elektrische Stimulation und laut zeitgenössischen Forschern verhalten sie sich genau wie ein Stromkreis.10

Die physikalischen Strukturen der leitenden Punkte und Meridiane wurden provisorisch identifiziert. In den 1960er Jahren veröffentlichte ein nordkoreanischer Arzt, Bong Han Kim, detaillierte Fotografien eines ganzen Netzwerks winziger Körperchen und fadenförmiger Strukturen, die sie verbinden. Diese existieren überall im Körper, in unserer Haut, in unseren inneren Organen und im Nervensystem sowie in und um unsere Blutgefäße. Er fand heraus, dass diese Kanäle elektrisch leitend waren und das Fluidum in ihnen überraschenderweise große Mengen an DNS enthielt. Ihre elektrischen Pulsationen waren erheblich langsamer als der Herzschlag: In der Haut eines Kaninchens lag die Pulsationsrate zwischen 10 und 20 pro Minute. Die Bahnen der oberflächlichen Kanäle in der Haut stimmten mit den klassischen Bahnen der Akupunkturmeridiane überein. Kim gelang es, dieses System zu identifizieren, weil er nur an lebenden Tieren arbeitete, denn die zunächst fast durchsichtigen Kanäle und Körperchen verschwinden kurz nach dem Tod. Er färbte das lebende Gewebe mit einem nicht näher bezeichneten blauen Farbstoff, der nur von diesem Netzwerk von Kanälen und Körperchen absorbiert wurde. Kims Buch über das Kyungrak-System (On the Kyungrak System) wurde 1963 in Pjöngjang veröffentlicht. Der Grund, warum seine Arbeit so grundsätzlich ignoriert wurde, hatte teilweise mit seinen Beziehungen zur nordkoreanischen Regierung zu tun – Kim wurde 1966 aus offiziellen Aufzeichnungen gestrichen, und Gerüchten zufolge beging er Selbstmord – und zum Teil mit der Tatsache, dass die Welt außerhalb Nordkoreas keinen physischen Beweis für unsere elektrische Natur finden wollte. Aber Mitte der Achtzigerjahre wiederholte Jean-Claude Darras, ein französischer Arzt, der in der nuklearmedizinischen Abteilung des Necker-Krankenhauses in Paris arbeitete, einige von Kims Experimenten. Er injizierte einen radioaktiven Farbstoff, der Technetium-99 enthielt, in verschiedene Akupunkturpunkte an den Füßen von Freiwilligen und stellte fest, dass der Farbstoff genau entlang der Meridiane der klassischen Akupunktur wanderte – so wie Kim es auch erkannt hatte.11

Im Jahr 2002 leitete Kwang-Sup Soh, der bereits die elektromagnetischen Eigenschaften von Akupunkturmeridianen untersucht hatte, ein Team an der Seoul National University in Südkorea, das den größten Teil des von Kim beschriebenen fadenförmigen Kanalsystems suchte und fand. Ein Durchbruch gelang im November 2008 mit der Entdeckung, dass Trypanblau – ein Farbstoff, von dem zuvor bekannt war, dass er nur tote Zellen färbt – in lebendes Gewebe injiziert ausschließlich die nahezu unsichtbaren Fäden und Körperchen, die das Team sehr mühselig identifiziert hatte, färbte. Das „Primo-Gefäßsystem“, wie es jetzt genannt wurde, wurde plötzlich Gegenstand von Forschungen in anderen Zentren in Süd- und Nordkorea sowie in China, Europa, Japan und den Vereinigten Staaten. Die Kanäle und Körperchen dieses Systems wurden ausfindig gemacht, genau wie Kim es beschrieben hatte. Sie ruhten auf der Oberfläche der inneren Organe und drangen in diese ein, schwammen in den großen Blut- und Lymphgefäßen, schlängelten sich entlang der Außenseite der großen Blutgefäße und Nerven, wanderten in das Gehirn und das Rückenmark und folgten den Leitbahnen der bekannten Meridiane in den tiefen Hautschichten.12 Beim Anfärben der Hautoberfläche mit dem Farbstoff wurde er nur von den Punkten entlang der Meridiane absorbiert.13 Im September 2010 berichtete Satoru Fujiwara, ein pensionierter Professor für Anatomie an der Osaka City University in Japan, auf dem ersten internationalen Symposium des Primo-Gefäßsystems in Jecheon, Korea, über vorläufige Erfolge bei der chirurgischen Identifizierung eines oberflächlichen Primoknotens – eines Akupunkturpunkts – in der Bauchhaut von einem Kaninchen.14 Und im Jahr 2015 verwendeten Forscher der Seoul National University ein im Handel erhältliches Färbeset, um ein fadenförmiges Gefäß aufzuzeigen, das direkt unter der Bauchhaut lebender anästhesierter Ratten verlief.15 Das vom Farbmittel dunkelblau gefärbte Gefäß folgte der Bahn des Akupunkturmeridians, der als Konzeptionsgefäß bezeichnet wird. Er verband einzelne Körperchen, deren Position den bekannten Akupunkturpunkten auf diesem Meridian entsprach. Die Feinstruktur dieses Systems von Knoten und Kanälen wurde durch Elektronenmikroskopie entdeckt. Die Forscher vermerkten, dass der Färbevorgang weniger als zehn Minuten in Anspruch nahm.

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