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Wetterempfindlichkeit

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Im Gegensatz zur elektrischen Empfindlichkeit an sich, hat die Erforschung der menschlichen Sensitivität gegenüber dem Wetter eine lange und ehrwürdige Tradition. Sie reicht 5.000 Jahre zurück und begann in Mesopotamien sowie vor möglicherweise genauso langer Zeit in China und Ägypten. In seiner Abhandlung Über Luft, Wasser und Orte, die um 400 v. Chr. geschrieben wurde, sagte Hippokrates, dass das menschliche Befinden weitgehend vom Klima des Ortes, an dem man lebt, und seinen Nuancen bestimmt wird. Dieser Fachbereich – obgleich ignoriert und unterfinanziert – hat sich fest etabliert. Allerdings verbirgt der Name dieser Wissenschaft, „Biometeorologie“, ein offenes Geheimnis: Etwa 30 Prozent jeder Bevölkerung, unabhängig von ihrer ethnischen Herkunft, sind wetterempfindlich. In einigen Lehrbüchern dieses Faches werden sie deshalb als elektrisch empfindlich eingestuft.26

Die Internationale Gesellschaft für Biometeorologie wurde im Jahr 1956 vom niederländischen Geophysiker Solco Tromp mit Sitz in Leiden gegründet. Wie passend! Die Stadt also, die vor über zwei Jahrhunderten das elektrische Zeitalter einleitete. Und für die nächsten 40 Jahre – bis die Mobilfunkunternehmen Druck auf Forscher ausübten, einer gesamten, längst etablierten wissenschaftlichen Disziplin den Rücken zuzukehren27 – waren Bioelektrizität und Biomagnetismus Gegenstand intensiver Forschung. Beide Disziplinen standen im Mittelpunkt von einer der zehn ständigen Forschungsgruppen der Gesellschaft. Im Jahr 1972 fand in den Niederlanden ein internationales Symposium über die „biologischen Auswirkungen natürlicher elektrischer, magnetischer und elektromagnetischer Felder“ statt. Im Jahr 1985 widmete sich die Herbstausgabe des International Journal of Biometeorology ausschließlich den Auswirkungen von Luftionen und atmosphärischer Elektrizität.

„Wir tun den elektrosensitiven Patienten eine große Ungerechtigkeit an“, schrieb Felix Gad Sulman, „wenn wir sie als psychiatrische Patienten behandeln.“ Sulman war Arzt am Hadassah University Medical Center in Jerusalem und Vorsitzender der Abteilung für Bioklimatologie der Medizinischen Fakultät. Im Jahr 1980 veröffentlichte er eine 400-seitige Monografie über die Auswirkungen von Luftionisation, elektrischen Feldern, atmosphärischen Störungen und anderen elektrischen Phänomenen auf Mensch und Tier (The Effects of Air Ionization, Electric Fields, Atmospherics and Other Electric Phenomena on Man and Animal). Sulman hatte zusammen mit 15 Kollegen aus anderen medizinischen und technischen Bereichen über einen Zeitraum von 15 Jahren 935 wetterempfindliche Patienten untersucht. Eine ihrer faszinierendsten Erkenntnisse war, dass 80 Prozent dieser Patienten Wetteränderungen zwölf bis 48 Stunden vor ihrem Eintritt vorhersagen konnten. „Die ‚prophetischen, Patienten waren alle empfindlich gegenüber den elektrischen Veränderungen, die dem Eintreffen eines Wetterwechsels vorangehen“, schrieb Sulman. „Sie reagierten durch Serotoninfreisetzung auf Ione und atmosphärische Störungen, die von Natur aus mit der Geschwindigkeit von Elektrizität ankommen, und zwar vor dem schleppenden Tempo von Wetterwinden.“28

Jetzt versteckte sich die Wetterempfindlichkeit nicht mehr hinter der jahrhundertealten Mauer, die aus nebulösem medizinischem Hörensagen gebaut worden war. Sie wurde nunmehr dem Licht strenger Laboranalysen ausgesetzt. Dies brachte das Gebiet der Biometeorologie jedoch auf einen Kollisionskurs mit dem aufkommenden technologischen Fortschritt. Wenn ein Drittel der Weltbevölkerung so empfindlich auf den sanften Ionenfluss und die subtilen elektromagnetischen Launen der Atmosphäre reagiert – was müssen uns dann erst die unaufhörlichen Ionenflüsse unserer Computerbildschirme und die turbulenten Emissionsstürme von unseren Handys, Funktürmen und Stromleitungen antun? Wir weigern uns, den Zusammenhang zu sehen. Der 19. Internationale Kongress für Biometeorologie fand im September 2008 in Tokio statt. Hier teilte Hans Richner, Professor für Physik an der Schweizer Eidgenössischen Technischen Hochschule, seinen Kollegen tatsächlich mit, dass – weil Mobiltelefone nicht gefährlich seien und ihre elektromagnetischen Felder so viel stärker wären als die aus der Atmosphäre – die jahrzehntelange Forschung falsch läge. Biometeorologen sollten die menschlichen Wechselwirkungen mit elektrischen Feldern nicht weiterverfolgen.29 Mit anderen Worten: Da wir alle Mobiltelefone verwenden, müssen wir davon ausgehen, dass sie sicher sind. Ergo konnten alle Wirkungen auf Menschen, Pflanzen und Tiere aus rein atmosphärischen Feldern, über die in Hunderten von Labors berichtet wurde, schlichtweg gar nicht passiert sein! Es ist kein Wunder, dass der langjährige biometeorologische Forscher Michael Persinger, Professor an der Laurentian University in Ontario, sagt, dass man sich offensichtlich von der wissenschaftlichen Methode abgewandt hat.30

Aber im 18. Jahrhundert stellten Elektropraktiker diesen Zusammenhang durchaus her. Die Reaktionen ihrer Patienten auf die Reibungsmaschine werfen ein neues Licht auf ein uraltes Rätsel. Das Problem wurde von Mauduyt formuliert. „Menschen und Tiere“, erklärte er, „fühlen sich an stürmischen Tagen schwächer und träger. Diese Niedergeschlagenheit erreicht ihren Höhepunkt direkt vor dem Sturm und nimmt kurz nach seinem Ausbruch wieder ab, insbesondere, wenn dabei eine bestimmte Menge Regen gefallen ist; sie löst sich auf und geht damit zu Ende. Diese Tatsache ist bekannt, absolut wichtig und hat Ärzte lange Zeit beschäftigt, ohne dass sie eine ausreichende Erklärung dafür finden konnten.“31

Die Antwort, sagte Bertholon, lag jetzt auf der Hand: „Atmosphärische Elektrizität und künstliche Elektrizität hängen von ein und demselben Fluidum ab, das verschiedene Auswirkungen auf die Tierwirtschaft hat. Eine durch das Bad isolierte und elektrisierte Person ist wie jemand, der auf der Erde steht, wenn diese übermäßig elektrifiziert ist. Beide sind bis an ihre Grenze mit dem elektrischen Fluidum gefüllt. Es sammelt sich auf gleiche Weise um sie herum an.“32 Der von einer Maschine erzeugte Stromkreis war ein Mikrokosmos des von Himmel und der Erde geschaffenen großen Stromkreises.

Der italienische Physiker Giambatista Beccaria beschrieb den globalen Stromkreis in überraschend moderner Ausdrucksweise (siehe KAPITEL 9). „Vor dem Regen“, schrieb er, „entweicht eine Menge elektrischer Materie an einer Stelle aus der Erde, an dem es eine Redundanz davon gab. Dann steigt sie in die höheren Regionen der Luft auf … Die Regen bringenden Wolken entleeren sich über jene Teile der Erde, die mit dem elektrischen Feuer überfüllt sind, hin zu jenen Teilen, die davon erschöpft sind. Indem sie ihren Regen fallen lassen, stellen sie das Gleichgewicht zwischen ihnen wieder her.“33

Wissenschaftler des 18. Jahrhunderts waren nicht die ersten, die dies entdeckten. Das chinesische Modell, das im Klassiker des Gelben Kaisers zur Inneren Medizin aus dem 4. Jahrhundert v. Chr. formuliert wurde, ist ganz ähnlich. Hierzu muss man sich nur vor Augen halten, dass „Qi“ die Elektrizität bedeutet und dass „Yin“ und „Yang“ negativ und positiv meinen – schon ist die Sprache fast identisch: „Das reine Yang bildet den Himmel und das trübe Yin bildet die Erde. Das Qi der Erde steigt auf und verwandelt sich in Wolken, während das Qi des Himmels herabsteigt und sich in Regen verwandelt.“34

Zu den berühmten wetterempfindlichen – und daher elektrisch empfindlichen Personen – gehörten Lord Byron, Christoph Kolumbus, Dante, Charles Darwin, Benjamin Franklin, Goethe, Victor Hugo, Leonardo da Vinci, Martin Luther, Michelangelo, Mozart, Napoleon, Rousseau und Voltaire.35

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