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„Istupidimento“

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Solche Beobachtungen tauchten jetzt in schneller Abfolge und in großer Zahl auf. Dadurch wurde bis zum Ende des 18. Jahrhunderts ein grundlegendes Wissen über die Auswirkungen des elektrischen Fluidums – normalerweise der positiven Sorte – auf den menschlichen Körper aufgebaut. Wie wir gesehen haben, erhöhte sie sowohl die Pulsfrequenz als auch die Stärke des Pulses. Sie vermehrte alle Sekretionen des Körpers. Elektrizität verursachte Speichelfluss, ließ Tränen fließen und Schweiß rinnen. Sie verursachte die Sekretion von Ohrenschmalz und Nasenschleim. Sie ließ die Magensäfte fließen und stimulierte den Appetit. Sie konnte den Milchflussreflex sowie die Menstruationsblutung auslösen. Sie verursachte ein verstärktes Urinieren bei Menschen und regte die Darmentleerung an.

Für die Elektrotherapie waren die meisten dieser Vorgänge nützlich und würden dies auch bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts bleiben. Andere Wirkungen waren jedoch völlig unerwünscht. Die Elektrifizierung verursachte fast immer ein Schwindelgefühl und manchmal eine Art geistige Verwirrung oder „istupidimento“, wie die Italiener es nannten.17 Sie erzeugte häufig Kopfschmerzen, Übelkeit, Schwäche, Müdigkeit und Herzklopfen. Manchmal verursachte sie Kurzatmigkeit, Husten oder asthmaähnliches Keuchen. Sie löste auch öfters Muskel- und Gelenkschmerzen und mitunter psychische Depressionen aus. Obwohl Elektrizität normalerweise dazu führte, dass sich der Darm – oft mit Durchfall verbunden – entleerte, konnte eine wiederholte Elektrifizierung zu Verstopfung führen.

Elektrizität verursachte sowohl Schläfrigkeit als auch Schlaflosigkeit.

Humboldt stellte in Experimenten an sich selbst fest, dass Elektrizität den Blutfluss aus Wunden erhöhte und verstärkt zur Entleerung von Blasenflüssigkeit führte.18 Gerhard teilte ein Pfund frisch entnommenes Blut in zwei gleiche Teile, stellte diese nebeneinander und elektrifizierte einen davon. Die Gerinnung des elektrifizierten Bluts dauerte länger.19 Antoine Thillaye-Platel, Apotheker im Hôtel-Dieu, dem berühmten Krankenhaus in Paris, bestätigte, dass Elektrizität bei Blutungen kontraindiziert sei.20 Zahlreiche Berichte über Nasenbluten durch Elektrifizierung decken sich mit diesen Beobachtungen. Winkler und seine Frau bekamen, wie bereits erwähnt, Nasenbluten durch den Stromschlag einer Leidener Flasche. Der schottische Arzt und Anatom Alexander Monro ist für die Entdeckung der Funktion des Lymphsystems bekannt. In den 1790er-Jahren bekam er Nasenbluten durch eine einzige Ein-Volt-Batterie, wann immer er versuchte, ein Empfinden von Licht in seinen Augen hervorzurufen. „Dr. Monro war vom Galvanismus so angeregt, dass er aus der Nase blutete, als er das Zinkstück sehr sanft in seine Nasenhöhlen einführte und es mit einem auf seine Zunge aufgebrachten Anker in Kontakt brachte. Die Blutung fand immer in dem Moment statt, in dem die Lichter auftauchten.“ So berichtete Humboldt.21 In den frühen 1800er-Jahren beobachtete Conrad Quensel in Stockholm, dass Galvanismus „häufig“ Nasenbluten verursachte.22


Liniengravur von Abbé Nollet, Recherches sur les Causes Particulières des Phénomènes Électriques, Paris: Frères Guérin, 1753

Abbé Nollet bewies, dass mindestens einer dieser Effekte – Schweiß – schon allein dadurch verursacht wurde, dass man sich in einem elektrischen Feld befand. Der tatsächliche Kontakt mit der Reibungsmaschine war nicht einmal notwendig. Er hatte Katzen, Tauben, verschiedene Arten von Singvögeln und schließlich auch Menschen elektrifiziert. Er führte sorgfältig kontrollierte, wiederholbare Experimente mit modern anmutenden Datentabellen durch. So konnte er bei all seinen elektrifizierten Probanden einen messbaren Gewichtsverlust aufgrund einer erhöhten Verdunstung über ihre Haut belegen. Er elektrifizierte sogar 400 Stubenfliegen vier Stunden lang in einem mit Gaze bedeckten Gefäß. Er stellte fest, dass auch sie Gewicht verloren hatten – 4 Korn (ca. 0,25 Gramm) mehr als ihre nicht elektrifizierten Gegenstücke in der gleichen Zeit.

Dann hatte Nollet die Idee, seine Probanden auf den Boden unter dem elektrifizierten Metallkäfig zu stellen, anstatt dort hinein. Sie verloren genauso so viel und sogar ein wenig mehr Gewicht als bei dem Versuch, in dem sie selbst elektrifiziert wurden. Nollet hatte auch eine Beschleunigung des Wachstums von Sämlingen beobachtet, die in elektrifizierten Töpfen keimten; dies geschah auch, wenn die Töpfe nur auf den Boden darunter gestellt wurden. „Schließlich“, schrieb Nollet, „ließ ich eine Person fünf Stunden lang auf einem Tisch in der Nähe des elektrifizierten Metallkäfigs sitzen.“ Die junge Frau dieses Versuches verlor 15 Gramm mehr Gewicht als in dem Versuch, in dem sie selbst elektrisiert worden war.23

Nollet war somit die erste Person, die 1753 über signifikante biologische Effekte der Exposition gegenüber einem elektrischen Gleichstromfeld berichtete – ein Feld, das laut der heutigen gängigen Wissenschaft keinerlei Auswirkungen hat. Sein Experiment wurde später von Steiglehner, Professor für Physik an der Universität Ingolstadt in Bayern, mit einem Vogel mit ähnlichen Ergebnissen wiederholt.24

In Tabelle 1 sind die Auswirkungen einer elektrischen Ladung oder kleiner Gleichstromströme auf den Menschen aufgeführt, die von den meisten frühen Elektropraktikern gemeldet wurden. Elektrisch sensible Menschen werden heute die meisten, wenn nicht alle, erkennen.

Tabelle 1 Auswirkungen der Elektrizität nach Berichten aus dem 18. Jahrhundert

Therapeutische und neutrale Auswirkungen Nichttherapeutische Auswirkungen
Änderung der Pulsfrequenz Schwindelgefühl
Geschmacks-, Licht- und Geräuschempfindungen Übelkeit Kopfschmerzen
Erhöhte Körpertemperatur Nervosität
Schmerzlinderung Reizbarkeit
Wiederherstellung des Muskeltonus Geistige Verwirrung
Appetitanregung Depression
Geistiges Hochgefühl Schlaflosigkeit
Sedierung Schläfrigkeit
Schwitzen Ermüdung
Speichelfluss Schwäche
Sekretion von Ohrenschmalz Gefühlstaubheit und Kribbeln
Schleimsekretion Muskel- und Gelenkschmerzen
Menstruation, Uteruskontraktion Muskelspasmen und -krämpfe, Rückenschmerzen
Laktation Herzklopfen
Tränensekretion Brustschmerzen
Urinieren Kolik
Defäkation Durchfall
Verstopfung
Nasenbluten, Blutung
Juckreiz
Zittern
Anfälle
Lähmung
Fieber
Infektionen der Atemwege
Atemnot
Husten
Keuchen und Asthmaanfälle
Augenschmerzen, Schwäche und Müdigkeit
Ohrgeräusche
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