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VI. Kausalität

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Die Feststellung der Kausalität zwischen Handlung und Erfolg bereitet in Produkthaftungsfällen spezifische und erhebliche Schwierigkeiten. Das gilt für die zivilrechtliche wie für die strafrechtliche Produkthaftung und bildet einen Grund für die zunehmende praktische Bedeutsamkeit Letzterer, weil entsprechende Strafverfahren dem Beweisinteresse von Geschädigten auch im zivilrechtlichen Verfahren dienen können.[113] Der strafrechtlich erforderliche Kausalitätsnachweis ist freilich insgesamt schwerer zu führen als der zivilrechtlich genügende. So kommt die in der zivilrechtlichen Produkthaftung eingebürgerte Beweislastumkehr zu Lasten des Herstellers strafrechtlich wegen des Grundsatzes „in dubio pro reo“ nicht in Betracht.[114] Auch folgt der BGH nicht der Risikoerhöhungslehre, die ebenfalls eine erhebliche Beweiserleichterung zur Folge hätte (weil sie beim unechten Unterlassungsdelikt die Voraussetzung der Quasi-Kausalität durch die schwächere Bedingung ersetzt, das Verhalten müsse nur mit einem gegenüber dem pflichtgemäßen Handeln erhöhten Risiko der Erfolgsherbeiführung verbunden sein)[115], sondern hält am Erfordernis der Quasi-Kausalität fest.[116] Sodann fordert die Rechtsprechung für eine strafrechtliche Produkthaftung aus Erfolgsverletzungsdelikten bislang den Nachweis einer Verletzung bestimmter Personen, obwohl die Ratio derartiger Delikte eine solche Individualisierung des Opfers nicht gebietet.[117]

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Eine kausale Rückführung des Verletzungserfolges auf naturwissenschaftlich hinreichend spezifizierte Verletzungsursachen ist demgegenüber nicht erforderlich, da materiell-rechtlich für die Kausalität jede Art der Erfolgsherbeiführung genügt. Auch die hypothetische Erwägung, dass ein Verbraucher ohne Kontakt mit einem bestimmten Produkt dennoch verletzt worden wäre, weil er dann ein ebenso gefährliches Erzeugnis eines anderen Produzenten verwendet hätte, schließt die wirkliche Kausalität zwischen Produktverwendung und Verletzungserfolg nicht aus.[118] Damit verbleiben drei praktisch wichtige Probleme der (Quasi)Kausalitätsfeststellung in der strafrechtlichen Produkthaftung: die innerhalb der Naturwissenschaften strittige generelle Kausalität, die Quasi-Kausalität zwischen einem unterlassenen Rückruf und einer durch den Produktkontakt hervorgerufenen Verletzung sowie die Ursächlichkeit des Verhaltens einzelner bei Kollegialentscheidungen.

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Die generelle Kausalität ist fraglich, wenn zweifelhaft ist, ob die zur kausalen Rückführung des Erfolges auf eine Ursache (des Näheren: einer Verletzung auf den Kontakt mit einem Produkt) erforderlichen allgemeinen Gesetzesaussagen zutreffen oder nicht.[119] In wichtigen deutschen Verfahren der strafrechtlichen Produkthaftung (Contergan, Lederspray, Holzschutzmittel) spielte dieses Problem eine herausragende Rolle.[120] In all diesen Verfahren war nämlich zwischen den naturwissenschaftlichen Sachverständigen umstritten, ob überhaupt ein Kausalgesetz anzunehmen sei, nach dem sich die Körperverletzungen auf den Kontakt mit dem jeweiligen Produkt zurückführen ließen. Es ist strittig, ob in einer solchen Beweissituation der Strafrichter die Überzeugung bilden und seiner Entscheidung zugrunde legen darf, dass die Verletzungen durch den Kontakt mit dem Produkt verursacht wurden (unstrittig ist, dass ein Dissens der Naturwissenschaftler den Strafrichter nicht hindert, die Kausalität zu verneinen[121]). In der Literatur wird das mit unterschiedlichen Begründungen verneint[122], im Kern deshalb, weil ein Strafrichter sich in einer naturwissenschaftlichen Frage kein überlegenes Wissen gegenüber den Fachleuten anmaßen dürfe, die bereits das allgemeine Kausalgesetz anzweifeln, das für die Bejahung der Kausalität im Einzelfall vorausgesetzt ist. Die Praxis ist anderer Ansicht.[123]

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So war es (auch) im Lederspray-Verfahren trotz intensiver Bemühungen nicht gelungen, „diejenige Substanz oder Kombination von Substanzen naturwissenschaftlich exakt zu identifizieren, die den Produkten ihre spezifische Eignung zur Verursachung gesundheitlicher Schäden verlieh“.[124] Dementsprechend wurde die Frage der generellen Kausalität von verschiedenen naturwissenschaftlichen Sachverständigen unterschiedlich beurteilt. Trotzdem durfte das LG Mainz diese Frage bejahen und darauf die Verurteilung wegen vollendeter Körperverletzung stützen. Denn materiellrechtlich kommt es nicht darauf an, wie im Einzelnen der Kontakt mit einem Produkt die Verletzungen bewirkt hat, sondern nur darauf, ob das der Fall ist. Das unterliegt gem. § 261 StPO der freien richterlichen Beweiswürdigung.[125] Diese darf zwar nicht gegen feststehende Erkenntnisse der Naturwissenschaften verstoßen, aber an solchen Erkenntnissen fehlt es beim Dissens verschiedener Fachwissenschaftler gerade.[126] Freilich darf die richterliche Überzeugung nicht willkürlich gebildet werden. Entscheidend wichtig ist insofern, dass bei fehlender naturwissenschaftlicher Spezifizierung des Kausalverlaufs die generelle Kausalität vom Strafrichter nur dann angenommen werden darf, wenn „alle anderen in Betracht kommenden Schadensursachen auf Grund einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung ausgeschlossen werden können“.[127] Diese Voraussetzung sah der BGH im Lederspray-Verfahren als erfüllt an[128], ebenso das LG Aachen im Contergan-Verfahren.[129] Die Bejahung der Kausalität im Holzschutzmittel-Urteil des LG Frankfurt/M.[130] wurde vom BGH beanstandet, weil sich die Kammer dabei auf ein Gutachten stützte, ohne sich ausreichend mit den gegen dieses vorgetragenen Einwänden auseinanderzusetzen.[131] Tatsächlich geht es hier um unterschiedliche Fallgruppen. So bildeten im Lederspray-Fall die aufgetretenen Gesundheitsbeeinträchtigungen ein wesentlich klarer abgegrenztes Krankheitssyndrom als im Holzschutzmittel-Fall, auch traten die Verletzungen unmittelbar nach Verwendung der Ledersprays auf, was den Kausalitätsnachweis gegenüber Fällen eines langfristigen Kontakts mit Produkten (wie Amalgamfüllungen oder in Wohnräumen verwendeten Holzschutzmitteln) erleichtert.[132]

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Unterlässt der Hersteller garantenpflichtwidrig einen Rückruf gefährlicher Produkte oder andere Handlungen wie z.B. gebotene Warnungen vor Produktgefahren (insofern ergeben sich ähnliche Probleme der Quasi-Kausalität wie beim unterlassenen Rückruf), so stellt sich die Frage, ob später durch Produktkontakt entstandene Verletzungen auf dieses Unterlassen quasi-kausal zurückzuführen sind. Das hängt davon ab, ob der gebotene Rückruf zur Vermeidung der Verletzungen geführt hätte.[133] Ist diese Frage und damit die Quasi-Kausalität zu verneinen, so kommt nur Versuchsstrafbarkeit in Betracht. Die genannte hypothetische Frage unterliegt der freien richterlichen Beweiswürdigung (§ 261 StPO) und lässt sich losgelöst vom Einzelfall nicht definitiv beantworten.[134]

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Die hier auftretenden Beweisprobleme sind jedoch auch in abstracto erkennbar. Sind gefährliche Produkte bereits zu den Endabnehmern gelangt und kennt der Hersteller diese nicht, so ist fraglich, ob ein bestimmter Produktverwender von der unterlassenen Rückrufaktion überhaupt erfahren und ggf. entsprechende Warnungen auch beherzigt hätte.[135] Man wird daher in dieser Fallkonstellation zwar sagen können, dass die Durchführung des unterlassenen Rückrufs das Verletzungsrisiko vermindert und insgesamt auch wirklich zu einer Verringerung eingetretener Verletzungen geführt hätte. Mit Blick auf bestimmte einzelne Verletzte dürfte es aber häufig schwerfallen, zu beweisen, dass gerade sie (mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit) eine Rückrufaktion vor der Verletzung bewahrt hätte. Freilich ist dieser Nachweis, wie das Holzschutzmittel-Urteil des LG Frankfurt/M. zeigt[136], in einzelnen Fällen durchaus möglich.[137] Gelingt er nicht und will man es nicht bei der Versuchsstrafbarkeit belassen (was angesichts wirklich verursachter Rechtsgutsverletzungen als wenig angemessen erscheint), so bleibt nur der bislang von der Judikatur nicht akzeptierte Rückgriff auf die Risikoerhöhungslehre[138] oder der Verzicht auf den Nachweis, dass der Eintritt der Verletzung bei einem bestimmten Opfer auf dem unterlassenen Rückruf beruht.[139]

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Weniger problematisch gestaltet sich die Feststellung der Quasi-Kausalität eines unterlassenen Rückrufes dort, wo die in den Verkehr gebrachten Produkte „zu dem für den Schuldvorwurf maßgeblichen Zeitpunkt zwar schon in den Handel gelangt war(en), den Verbraucher aber noch nicht erreicht hatte(n)“.[140] Angesichts eines überschaubaren Kreises ihm bekannter Händler, an die in diesem Fall der Hersteller seinen Rückruf adressieren kann, wird sich hier die hypothetische Schadensvermeidung häufig nachweisen lassen,[141] besonders dann, wenn man aus normativen Gründen ein pflichtgemäßes Verhalten der Händler „unterstellt“.[142]

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Die bisher erörterten Probleme betreffen die (Quasi)Kausalität zwischen dem Verhalten des Herstellers und dem Verletzungserfolg. Sie stellen sich, wenn der Hersteller eine natürliche Person ist, nicht anders als im Regelfall eines Herstellerunternehmens, für das natürliche Personen handeln. Nur im letztgenannten Fall tritt dagegen die Frage auf, ob sich Verletzungserfolge nicht nur auf das Handeln des Herstellerunternehmens, sondern auf das Verhalten einzelner Unternehmensmitarbeiter zurückführen lassen. Schwierigkeiten ergeben sich insofern vor allem bei der (Nicht)Mitwirkung einzelner Personen an Kollegialentscheidungen. Die Problematik wird seit der Lederspray-Entscheidung intensiv diskutiert.[143] Das hat zur Unterscheidung einer ganzen Reihe von Fallgestaltungen geführt, deren wichtigste in der Folge jedenfalls kurz angesprochen werden sollen.[144]

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Wer pflichtgemäß handelt, in aller Regel also etwa der Geschäftsführer einer GmbH, der für einen gebotenen Rückruf votiert (oben Rn. 46 f.), haftet für das Unterlassen des Rückrufs nicht[145], und das selbst dann, wenn er überstimmt wird und wenn ohne seine „dissentierende Mitwirkung“ der Beschluss verhindert worden wäre.[146] Entscheidet der Einzelne pflichtwidrig, ohne dass es zu einem entsprechenden Beschluss kommt, spricht sich also z.B. ein Mitglied des Vorstandes einer AG pflichtwidrig, aber erfolglos gegen die Durchführung einer gebotenen Rückrufaktion aus, so scheidet eine Deliktsvollendung von vornherein aus. Ist das pflichtwidrige Verhalten des Einzelnen notwendige Bedingung der entsprechenden Herstellerentscheidung, wird also etwa die Entscheidung gegen einen Rückruf nur mit der erforderlichen Mehrheit von einer Stimme getroffen, so dass jeder einzelne Zustimmende durch ein anderes Votum die Entscheidung verhindert hätte, ist die (Quasi)Kausalität dieses Verhaltens für die Entscheidung des Herstellers unproblematisch. Das gilt unabhängig davon, ob man auf ein positives Tun oder ein Unterlassen abstellt. Wie aber steht es, wenn der Einzelne pflichtwidrig für die fehlerhafte Entscheidung des Herstellers stimmt, aber sein Votum keine notwendige Bedingung für diese dann wirklich getroffene Entscheidung war? So verhält es sich, wenn eine dem Mehrheitsprinzip unterliegende Kollegialentscheidung einstimmig oder sonst mit einer größeren als der gerade erforderlichen, also mit „solider“ Mehrheit getroffen wird.

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Nach der (abgewandelten) conditio sine qua non-Formel der Rechtsprechung müsste man in diesem Fall die (Quasi)Kausalität der einzelnen Verhaltensbeiträge für die entsprechende Kollegialentscheidung verneinen, da jedes einzelne pflichtwidrige Votum hinweggedacht (bzw. ein pflichtgemäßes Votum hinzugedacht) werden kann, ohne dass sich an der Kollegialentscheidung etwas ändern würde. „Dass dies nicht rechtens sein kann, liegt auf der Hand“.[147] Der BGH hat demgemäß im Lederspray-Fall (wo die Geschäftsleitung einstimmig gegen den gebotenen Rückruf votiert hatte) die Kausalität der Einzelvoten für die Entscheidung der Hersteller-GmbH (und damit letztlich für die Verletzung der betroffenen Produktverwender) bejaht. „Jeder Geschäftsführer, der es trotz seiner Mitwirkungskompetenz unterlässt, seinen Beitrag zum Zustandekommen der gebotenen Rückrufentscheidung zu leisten, setzt damit eine Ursache für das Unterbleiben der Maßnahme. Dies begründet seine strafrechtliche Haftung auch dann, wenn er mit seinem Verlangen, die Rückrufentscheidung zu treffen, am Widerstand der anderen Geschäftsführer gescheitert wäre“.[148] Soweit es um vorsätzliche Körperverletzung ging, wurde das auf die Annahme von Mittäterschaft gestützt, die zur Folge habe, dass sich jeder Mittäter „die Unterlassungsbeiträge aller anderen zurechnen lassen muss und mithin für das Unterbleiben des gebotenen Rückrufs insgesamt haftet“.[149] Auch eine fahrlässige Körperverletzung, und damit die dafür vorausgesetzte Kausalität der Einzelvoten für den Beschluss der Geschäftsleitung, bejahte der BGH.[150]

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Im Ergebnis hat das weitgehende Zustimmung erfahren.[151] Verschiedentlich wird freilich die Annahme von Mittäterschaft verworfen (weil sie die Kausalität der Einzelbeiträge nicht ersetze, sondern voraussetze) und stattdessen auf der Grundlage eines von der Äquivalenztheorie abweichenden Kausalverständnisses die (Quasi-)Kausalität der einzelnen Voten bejaht.[152] Beim Fahrlässigkeitsdelikt scheidet nach wohl noch h.M. die Annahme einer Mittäterschaft aus.[153] Überwiegend bejaht man jedoch die hiernach erforderliche Kausalität der Einzelvoten für die pflichtwidrige Kollegialentscheidung[154], sei es, dass man eine Ausnahme von der conditio sine qua non-Formel postuliert, sei es, dass man einer anderen Kausalitätsauffassung folgt.[155]

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Die im Lederspray-Urteil getroffene Annahme von Mittäterschaft zwischen den Geschäftsführern hat die Beteiligungsproblematik nur z.T. gelöst. Unerörtert blieb die Beziehung der Geschäftsführer zu den Arbeitnehmern, die eigenhändig an Herstellung und Vertrieb des Sprays mitwirkten. Diese Begründungslücke ist von der neueren Rechtsprechung des BGH mittlerweile geschlossen worden. Sie nimmt dort, wo „der Hintermann durch Organisationsstrukturen bestimmte Rahmenbedingungen ausnutzt, innerhalb derer sein Tatbeitrag regelhafte Abläufe auslöst“, was auch bei „unternehmerischen oder geschäftsähnlichen Organisationsstrukturen“ der Fall sein könne, mittelbare Täterschaft an.[156] Die Annahme einer auf die Organisationsherrschaft gegründeten mittelbaren Täterschaft ist in der Literatur vielfach erörtert und überwiegend abgelehnt worden, hat freilich auch Zustimmung gefunden.[157] Trotz aller dogmatischen Einwände gegen diese Rechtsfigur wird sie die Praxis wohl auch zukünftig bestimmen, insbesondere weil sie zu einer plausiblen und dem organisationsbezogenen Ansatz der Judikatur entsprechenden Bewertung der Verantwortlichkeit von Entscheidungsträgern einerseits, untergeordneten Organisationsmitgliedern andererseits führt.

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