Читать книгу Handbuch Wirtschaftsstrafrecht - Udo Wackernagel, Axel Nordemann, Jurgen Brauer - Страница 191

VII. Sonstige Strafbarkeitsvoraussetzungen

Оглавление

61

Die verbleibenden materiell-rechtlichen Voraussetzungen[158] einer Strafbarkeit wegen Tötung oder Körperverletzung werfen soweit ersichtlich kaum produkthaftungsspezifische Probleme auf. Einige Hinweise, vor allem auf die Rechtsprechung, mögen daher genügen.

62

Die objektive Zurechnung eines tatbestandlichen Erfolges zur Handlung setzt insbesondere voraus, dass der Erfolg auf der Pflichtwidrigkeit der Handlung beruht (Pflichtwidrigkeitszusammenhang).[159] Obwohl die heute h.L. von der objektiven Zurechnung in der höchstrichterlichen Rechtsprechung dogmatisch noch nicht akzeptiert ist[160], fordert der Sache nach auch die Judikatur einen Pflichtwidrigkeitszusammenhang zwischen Handlung und Erfolg. Des Näheren bestimmt sie diesen, unter Ablehnung der Risikoerhöhungslehre, i.S.d. Vermeidbarkeitstheorie. Hiernach setzt das vollendete Erfolgsdelikt voraus, dass bei pflichtgemäßem Verhalten der Erfolgseintritt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vermieden worden wäre.[161]

63

Beim Unterlassungsdelikt wird diese Voraussetzung bereits im Rahmen der Quasi-Kausalität geprüft. Steht nicht mit ausreichender Sicherheit fest, dass z.B. durch einen pflichtwidrig unterlassenen Rückruf wirklich eingetretene Körperverletzungen vermieden worden wären, so fehlt es schon an der Quasi-Kausalität des Unterlassens. Beim aktiven Tun ist dagegen der Pflichtwidrigkeitszusammenhang neben der Kausalität zu prüfen. Vertreibt also etwa ein Hersteller ein Produkt ohne die erforderlichen Warnhinweise (und verletzt dadurch seine Instruktionspflicht), so ist das Inverkehrbringen der Produkte zweifellos ursächlich für Körperverletzungen von Verbrauchern, die durch Kontakt mit einem der Produkte entstehen. Zusätzlich muss aber feststehen, dass bei pflichtgemäßer Instruktion die Verletzungen vermieden worden wären. Lässt sich diese Feststellung nicht (mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit) treffen, so ist der Verletzungserfolg dem aktiven Tun (Inverkehrbringen der Produkte) nicht objektiv zurechenbar. Die zuvor angesprochenen produkthaftungsspezifischen Probleme bei der Feststellung der Quasi-Kausalität eines Unterlassens stellen sich also, der Sache nach unverändert, beim aktiven Tun im Rahmen der objektiven Zurechnung.[162]

64

Die objektive Zurechenbarkeit des Erfolges entfällt auch dann, wenn der Erfolgseintritt auf einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung des Opfers beruht[163]. Das kann zu einem Zurechnungsausschluss etwa dort führen, wo der Hersteller vor Produktgefahren zwar warnt, aber einen gebotenen Rückruf unterlässt und damit eine Garantenpflicht verletzt (s. Rn. 38–44).[164] Der Heimwerker etwa, der vom Hersteller über die Gefährlichkeit einer von ihm gelegentlich verwendeten Leiter aufgeklärt wird und, diese Warnung aus Sorglosigkeit ignorierend, die Leiter bei der Renovierung seiner Wohnung verwendet, handelt auf eigene Gefahr.[165] Allerdings wäre es strafrechtlich riskant, wenn sich ein Hersteller im Vertrauen auf diesen Zurechnungsausschluss mit einer bloßen Warnung anstelle eines Rückrufs begnügen würde. Denn zum einen ist angesichts der Üblichkeit von Rückrufaktionen fraglich, ob beispielsweise der bloße Hinweis auf eine möglicherweise defekte Bremsanlage bei Kraftfahrzeugen eines bestimmten Typs die Produktgefährlichkeit nicht unangemessen bagatellisiert[166]. Zum anderen ist keineswegs sicher, ob derjenige, der auf ein Produkt (etwa ein Kraftfahrzeug) angewiesen ist und dieses trotz einer Warnung über einen längeren Zeitraum weiterbenutzt, weil er mangels Organisation eines Rückrufs durch den Hersteller zunächst keine Reparaturmöglichkeit findet, eine eigenverantwortliche Entscheidung für die Selbstgefährdung trifft, die (auch nach Auffassung der Gerichte!) einen Zurechnungsausschluss zugunsten des Herstellers begründet. Und schließlich (und vor allem) kann das Unterlassen eines Rückrufs (trotz einer inhaltlich angemessenen Warnung) zur Schädigung von Personen führen, die von der Produktgefährlichkeit nichts wissen oder aus anderen Gründen keine eigenverantwortliche Entscheidung für die Selbstgefährdung treffen können („innocent bystander“). Nimmt also etwa der durch eine Warnung über einen möglichen Produktfehler informierte Fahrzeughalter seine nicht informierte Frau oder sein kleines Kind auf eine Fahrt mit und wird dabei in Folge des Produktfehlers die Frau, das Kind oder auch ein Passant verletzt, so scheidet hinsichtlich dieser Verletzungen ein Zurechnungsausschluss wegen eigenverantwortlicher Selbstgefährdung aus.[167]

65

Strafrechtliche Produkthaftung wegen Körperverletzungen oder gar Tötungen wird meist Fahrlässigkeitshaftung sein.[168] Objektiv sorgfaltswidriges Handeln begründet i.d.R. auch den Schuldvorwurf der Fahrlässigkeit. An der individuellen Sorgfaltswidrigkeit (und damit nach h.M. an der Fahrlässigkeitsschuld)[169] fehlt es nur, wenn der Handelnde nach seinen individuellen Fähigkeiten nicht in der Lage war, das objektiv (durchschnittlich) gebotene Sorgfaltsmaß zu erreichen (und wenn ihm nicht gerade deswegen der Vorwurf einer pflichtwidrigen Übernahme von Aufgaben gemacht werden muss).[170]

66

Werden Produkte in Kenntnis eines damit verbundenen rechtlich missbilligten Risikos für Leib oder Leben von Kontaktpersonen in Verkehr gebracht, so ist die Annahme (bedingt) vorsätzlichen Handelns nicht zwingend – denn es kommt auch bewusst fahrlässiges Handeln in Betracht –, aber doch naheliegend. Bedingt vorsätzlich handelt nach der Rechtsprechung, wer „den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt und damit in der Weise einverstanden ist, dass er die Tatbestandsverwirklichung billigend in Kauf nimmt oder sich um des erstrebten Zieles willen wenigstens mit ihr abfindet, mag ihm auch der Erfolgseintritt an sich unerwünscht sein“.[171] Bewusst fahrlässig handelt demgegenüber, wer „mit der als möglich erkannten Tatbestandsverwirklichung nicht einverstanden ist und ernsthaft – nicht nur vage – darauf vertraut, der tatbestandliche Erfolg werde nicht eintreten.“[172]

67

Diese begriffliche Abgrenzung lässt der einzelfallbezogenen Sachverhaltswürdigung sicherlich einigen Spielraum. Wenn ein Hersteller (bzw. eine für sein Handeln verantwortliche Einzelperson) Produkte vertreibt (oder gebotene Maßnahmen der Gefahrabwendung unterlässt), obwohl er die rechtliche missbilligte Produktgefährlichkeit kennt (oder jedenfalls ernsthaft mit ihr rechnet), dürfte aber doch regelmäßig bedingt vorsätzliches Handeln anzunehmen sein. Denn angesichts der unbestimmten Vielzahl der potentiell gefährdeten Produktverwender ist dann die Annahme fernliegend, der Hersteller habe „ernsthaft – nicht nur vage – darauf vertraut“[173], dass schon nichts passieren werde. Näher liegt dann die Sachverhaltsinterpretation, der Hersteller habe, salopp gesprochen, nach der Devise „Augen zu und durch“ gehandelt, das heißt jedenfalls Körperverletzungen eines gewissen Grades bei einer Reihe von Verbrauchern hingenommen.[174] So interpretierte das LG Mainz, vom BGH gebilligt, den Sachverhalt im Lederspray-Fall, und das führte dazu, dass den Geschäftsführern für die Zeit nach der Krisensitzung vorsätzliche Körperverletzungen zur Last gelegt wurden.

68

Die Rechtfertigung tatbestandsmäßigen Verhaltens spielt im Bereich der strafrechtlichen Produkthaftung keine bedeutende Rolle. Bestimmte Gefährdungen von Personen durch Kontakt mit Produkten sind wegen eines überwiegenden Interesses am Vertrieb dieser Produkte hinzunehmen. Das gilt z.B. für Gefahren, die sich durch nicht erwartbaren Fehlgebrauch von Produkten ergeben[175] oder für solche, die aus einer zwar technisch suboptimalen, aber vergleichsweise billigen und den Verbrauchererwartungen entsprechenden Produktkonstruktion resultieren.[176] In derartigen Fällen ist es dem Hersteller erlaubt, das Risiko einer Verletzung anderer einzugehen. Dieses erlaubte Risiko beim Inverkehrbringen von Produkten bildet jedoch keinen Rechtfertigungsgrund, sondern schließt schon die rechtliche Missbilligung und damit die Tatbestandsmäßigkeit des riskanten Verhaltens aus.[177] Das Interesse an einer Fortsetzung der Produktion und der damit verbundenen Erhaltung von (eigenen oder fremden) Arbeitsplätzen ist notstandsfähig[178], kann aber Körperverletzungen i.d.R. schon deshalb nicht rechtfertigen, weil es das Interesse am Schutz der Gesundheit nicht wesentlich überwiegt (wie § 34 Satz 1 StGB voraussetzt).

69

Die Schuld eines rechtswidrig Handelnden kann wegen eines unvermeidbaren Verbotsirrtums ausgeschlossen sein. Freilich dürfte schon ein Verbotsirrtum, d.h. die irrige Annahme, zu Körperverletzungen anderer (von Tötungen ganz zu schweigen) berechtigt zu sein, in produkthaftungsrechtlichen Konstellationen ausgesprochen selten auftreten. Im Kronenkorken-Urteil nahm zwar der BGH unvermeidbaren einen Verbotsirrtum eines Geschäftsführers an, der wegen Gesundheitsschädigungen von Anwohnern durch Emissionen des von ihm geleiteten Betriebes angeklagt war.[179] Das war aber schon deshalb verfehlt, weil nach den Feststellungen der Angeklagte das (Körperverletzungs)Unrecht seines Tuns kannte.[180]

70

An eine Entschuldigung wegen Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens[181] ist im Bereich der Produkthaftung dort zu denken, wo sich der Täter aus Sorge um seinen Arbeitsplatz rechtswidrig verhalten hat. So verhielt es sich im (1897 vom RG entschiedenen) Leinenfänger-Fall, wo das Durchgehen eines gefährlichen Pferdes (eines sog. Leinenfängers) zur Körperverletzung eines Passanten führte. Der Kutscher hätte bei pflichtgemäßer Weigerung, mit dem Pferd zu fahren, wohl seine Stellung verloren. Das RG nahm deshalb an, das pflichtgemäße Verhalten sei ihm nicht zumutbar, die von ihm begangene fahrlässige Körperverletzung entschuldigt gewesen (RGSt 30, 25, 28). Dem geltenden Recht entspricht eine derartige Entschuldigung nicht.[182] § 35 StGB enthält eine gesetzliche Regelung des entschuldigenden Notstandes, die wegen des begrenzten Kreises der notstandsfähigen Rechtsgüter (Leben, Leib oder Freiheit) in Fällen der erörterten Art nicht eingreift. Ein allgemeiner Entschuldigungsgrund der Unzumutbarkeit ist neben der gesetzlichen Regelung des entschuldigenden Notstandes jedenfalls mit Blick auf vorsätzliche Begehungstaten nicht anzuerkennen.[183] Aber auch beim Fahrlässigkeits- und beim Unterlassungsdelikt muss eine übergesetzliche Entschuldigung wegen Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens auf eng begrenzte Ausnahmesituationen beschränkt bleiben, zu denen der drohende Verlust des Arbeitsplatzes wegen eines pflichtgemäßen Verhaltens jedenfalls heute nicht gehört.

Handbuch Wirtschaftsstrafrecht

Подняться наверх