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Korruption: Bedrohung der Macht

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Russland wird zuweilen als »Kleptokratie« bezeichnet. Damit ist ein System gemeint, das es Funktionären erlaubt, sich straffrei zu bereichern.[135] Doch ist damit die Rolle, die in Russland die Korruption spielt, vollständig beschrieben?

Korruption war ein zentraler Bestandteil des politischen Lebens im postsowjetischen Russland. Sie war auf mehreren Ebenen von Bedeutung. Die Privatisierung der sowjetischen Wirtschaft wurde auf eine Weise vollzogen, die Leute mit Verbindungen in politische Kreise bevorzugte. Sowjetische Fabrikdirektoren übernahmen noch während des Zusammenbruchs der UdSSR die Kontrolle in ihren Unternehmen – und machten sie anschließend mit Hilfe der Behörden zu ihrem persönlichen Eigentum. Ehrgeizige Individuen konnten mit allen nur erdenklichen Komplotten riesige Firmenimperien errichten.

In den neunziger Jahren bedrohte dies ernsthaft den Zusammenhalt des Staates: Oligarchen zwangen den schwachen – und armen – russischen Staat, das Staatsvermögen gegen bitter benötigte Kredite weit unter Marktwert zu veräußern. Auf diese Weise nahmen die Oligarchen Einfluss auf viele wichtige politische Entscheidungen. Dieses Vorgehen wird als »state capture«, die »Kaperung des Staates«, bezeichnet.[136]

Als Putin an die Macht kam, zeigte er sich entschlossen, die zentrale Staatskontrolle wiederzuerlangen, und gegen diese Oligarchen vorzugehen. Und vielen Russen gefiel das.

Ein entscheidender Augenblick dieser Entwicklung war im Februar 2003 gekommen, als Präsident Putin zu einem vom Fernsehen übertragenen Austausch mit Unternehmenseliten in den Kreml lud.[137] Unter ihnen befand sich Michail Chodorkowski, Miteigentümer von Jukos, Russlands größtem Erdölunternehmen. Mit der für ihn typischen Dreistigkeit brachte er Putin in Verlegenheit: Ob es nicht seltsam sei, fragte Chodorkowski, dass für junge Hochschulabsolventen offiziell schlecht bezahlte Stellen bei den Steuerbehörden höher im Kurs stünden als Arbeitsplätze in der freien Wirtschaft. Er beschuldigte Putin damit offen, über ein korruptes System zu herrschen.

Als Putin sich an Chodorkowski wandte, hätte man eine Stecknadel fallen hören können. Er wies den Vorwurf zurück und ging zum Gegenangriff über: Habe Jukos zuletzt nicht Probleme gehabt, seine Steuern zu bezahlen? Vielleicht hat Chodorkowski in diesem Moment verstanden, dass die Dinge sich geändert hatten. Er wurde am 25. Oktober 2003 festgenommen und wegen Steuerhinterziehung angeklagt.

Chodorkowski hatte Jukos 1995 im Rahmen einer umstrittenen Auktion erworben, bei der er von seinen Verbindungen zu Jelzin und seiner früheren Rolle als stellvertretender Minister für Brennstoffe und Energie profitierte.[138] In der Tat sagte er selbst, dass in »diesen Tagen [den neunziger Jahren] jeder in Russland mit der ursprünglichen Akkumulation von Kapital beschäftigt war. Selbst wo Gesetze existierten, folgte man ihnen nicht bis ins letzte Detail. Wer sich also zu sehr nach westlicher Manier benahm, wurde einfach in Stücke gerissen und vergessen.«[139]

Doch unabhängig von Chodorkowskis möglichen Vergehen war der Fall gegen ihn eindeutig politisch motiviert. Mit seinen politischen Ambitionen und der Finanzierung von Oppositionsgruppen überschritt er eine rote Linie. Und die Art und Weise, wie er Jukos leitete – wie einen Konzern in Privatbesitz, unabhängig vom Staat und bereit, ausländische Investoren zu akzeptieren –, tat ihr Übriges. Jukos wurde zerschlagen, und das staatliche Unternehmen Rosneft schnappte sich einen Großteil seiner Vermögenswerte. Chodorkowski verbrachte ein Jahrzehnt hinter Gittern.[140] Der Kreml hatte ein Exempel statuiert.

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