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Korruption: eine Stütze der Macht

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Die Korruption verschwand unter Putin jedoch nicht. Sie wandelte sich nur: von einer Gefahr für die zentrale Staatsmacht hin zu ihrer Stütze.

Es war ein Paradigmenwechsel. Die Oligarchen mussten sich an eine neue Wirklichkeit anpassen. Chodorkowski war im Gefängnis, andere wurden ins Exil getrieben und einige ihrer Vermögenswerte gingen in staatlichen Unternehmen auf. Gleichzeitig war es anderen reichen Unternehmensführern gegönnt weiterzuwachsen. Unter Putin ging die Zahl der Dollar-Milliardäre steil nach oben. Zwar folgte dies einem globalen Trend, doch zeigen Analysen, dass Russland bei weitem mehr Milliardäre hat, als man dies angesichts seiner relativ schwachen Wirtschaft erwarten würde.[141]

Dies ist die gängige Praxis autoritärer Politik. Ein neuer Anführer stellt sicher, dass die Wirtschaftselite nicht auf falsche Gedanken kommt, indem er einige wenige bestraft – vielen anderen jedoch die Möglichkeit gibt, extrem reich zu werden.[142] Es handelt sich um eine Art Gesellschaftsvertrag mit den Eliten: Du darfst dich persönlich bereichern, manchmal auch auf Kosten des Staates, solange du dein Geld und deinen Einfluss nicht dafür benutzt, die politische Ordnung herauszufordern. Und ein Großteil der wirtschaftlichen Eliten fügen sich in dieses Arrangement.

Einer der bekanntesten Slogans Nawalnys, den er erstmals 2011 verwendete, verunglimpft »Einiges Russland« als die »Partei der Gauner und Diebe«. Damit machte er die Ansicht deutlich, dass Politiker – vor allem jene der Regierungspartei – weit entfernt sind von dem Anspruch, »Diener des Volkes« zu sein. Zudem wird aber das Verhältnis von Macht und Korruption in Russland deutlich: Funktionäre bleiben so lange loyal wie sie ihre persönliche Habsucht befriedigen können. Auf diese Weise ist die Korruption zu einem Werkzeug geworden, das Putins Herrschaft stützt, statt sie zu gefährden.

Und die Korruption stützt noch auf andere Weise Putins Macht: Sie ist nicht nur Zuckerbrot, sondern auch Peitsche.

Die Regierung hat mehrfach öffentlich Maßnahmen gegen die Korruption ergriffen. So verlangte sie etwa, dass Funktionäre ihre Einkommen und Vermögenswerte offenlegten und bestrafte sie manchmal, wenn formale Erklärungen und tatsächlicher Reichtum nicht übereinstimmten.[143] Jedes Jahr werden Tausende Fälle von Bestechung, Günstlingswirtschaft und Veruntreuung vor russischen Gerichten verhandelt, und das Justizsystem verhängt Hunderte von Gefängnisstrafen.[144]

Nicht alle diese Fälle sind politisch motiviert. Doch ist eine Anklage wegen Korruption immer sehr glaubhaft, eben weil die Korruption so allgegenwärtig ist. Dies macht sie zu einem idealen Werkzeug, um »Eliten zu disziplinieren«.[145] Über die Medien, die Gerichte und die Sicherheitsbehörden können der Kreml und untergeordnete Behörden den Korruptionsvorwurf benutzen, um die Opposition und Gegner aus privilegierten Schichten zu erpressen oder zu ruinieren.

Zum Beispiel sahen sich mehrere der ohnehin sehr wenigen oppositionellen Bürgermeister, die seit 2000 tatsächlich gewählt wurden, kurz nach Amtseinführung dem Vorwurf der Korruption ausgesetzt. Als im Jahr 2021 ein populärer kommunistischer Abgeordneter aus Saratow, einer Stadt an der Wolga, öffentlich die Proteste zur Haftentlassung Nawalnys unterstützte, eröffnete die Prokuratura einen Korruptionsprozess gegen ihn. Ein sehr ominöser Vorgang.[146]

Nicht einmal Spitzenpolitiker der Regierung sind vor solchen Maßnahmen gefeit. Im Jahr 2016 wurde der Minister für wirtschaftliche Entwicklung, Alexej Uljukajew festgenommen. Man beschuldigte ihn der Annahme von Bestechungsgeldern in Höhe von zwei Millionen US-Dollar und verurteilte ihn zu acht Jahren Lagerhaft.[147]

Beide Funktionen – Belohnung und Bestrafung der Eliten – ergänzen sich, um Putins Herrschaft zu stützen. Die Vorstellung, wonach Russland eine »Kleptokratie« ist – Macht also lediglich ein Werkzeug ist, um Wohlstand für die herrschende Elite zu schaffen –, ist deshalb zu einfach gedacht. Die Politik zieht viele Menschen an, die nur wegen des Geldes mitmischen wollen. Doch statt die Macht dergestalt zu organisieren, dass das Stehlen erleichtert wird, wird das Stehlen dergestalt organisiert, dass die Macht gefestigt wird.

Russische Politiker auf höchster Ebene werden oft von der Absicht getrieben, Ziele von der Art zu erreichen, die Russen im Allgemeinen gutheißen: den Staat zu stärken, die Macht des Landes auch international auszustellen und das Wohl der Menschen zu mehren.

Um all das zu verwirklichen, muss Putin – so seine Überzeugung – praktisch auf Lebenszeit an der Macht bleiben. Die Korruption dient diesem Ziel und wird in den Dienst des Machterhalts gestellt. Sie ist eher ein Werkzeug als die Raison d’Être des Systems.

Nawalny

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