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Warum der Fokus auf Nawalny?

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Einige russische Analytiker Russlands haben argumentiert, dass man Nawalny überhaupt nicht verstehen müsse. Was zähle, seien die strukturellen Bedingungen, und Nawalny sei nichts weiter als ihr Produkt.

Tatsächlich haben eine ganze Reihe von Aspekten eine wichtige Rolle dabei gespielt, wie aus Nawalny Nawalny werden konnte. Der erste Aspekt ist die Korruption. Macht und Geld ziehen sich überall auf der Welt an. Doch in Russland ist die Korruption der Eliten ein zentraler Punkt für die Machterhaltung Putins. Die »Oligarchen« der neunziger Jahre – Superreiche mit guten Beziehungen, die den russischen Staat beherrschten – sind nicht verschwunden. Sie fungieren heute nur nicht mehr als Bedrohungen der Macht, sondern als ihre Stabilisatoren.[67] Um es allgemeiner zu formulieren: Die Allgegenwart der Korruption bringt Leute wie Nawalny – die sowohl das Gesetz als auch die Finanzwelt kennen und imstande sind, komplexe Eigentumsstrukturen zu entwirren – in eine privilegierte Position, von der aus sie die Verantwortlichen herausfordern können.

Russland ist reich an Rohstoffen und besitzt eine gut ausgebildete Bevölkerung, doch die Gesellschaft ist auch von großer wirtschaftlicher Ungleichheit geprägt. Begünstigt durch steigende Ölpreise, verbesserten sich die Lebensbedingungen während Putins ersten beiden Amtszeiten als Präsident signifikant, stagnierten jedoch seit Mitte der zehner Jahre. Und doch zählt Russland mehr als 250000 Dollarmillionäre, während zig Millionen in Armut leben.[68] Die Aufdeckung eklatanter Fälle von Korruption – und des luxuriösen Lebensstils, dem viele Funktionäre frönen – erregt selbstverständlich große Aufmerksamkeit, wenn viele Bürger am Rande des Existenzminimums leben. Doch gibt es Grenzen, bis wie weit man in seiner Kritik gehen darf.

Denn zum einen regiert in Russland ein autoritäres politisches System. Oppositionelle Kräfte werden nicht völlig verboten. Die Parteien der sogenannten »systemischen Opposition« können neben Putins Partei »Einiges Russland« an Wahlen teilnehmen. Diese »Oppositionsparteien« kritisieren die Regierung – manchmal sogar Putin selbst. Sie ziehen unzufriedene Wähler an, aber stellen die Macht des Präsidenten nicht auf die Probe. Und wenn doch, müssen sie mit denselben Hürden und Schikanen rechnen, die die Behörden auch bei allen anderen potenziellen Herausforderern im Repertoire haben.

Für jemanden wie Nawalny kommt erschwerend hinzu, dass viele Russen gegenüber der Politik im Allgemeinen ein tiefes Misstrauen hegen – mehr noch als Menschen in westlichen Ländern. Dies ist zum Teil eine Folge der russischen Verhältnisse in den neunziger Jahren. Der politische Wettbewerb war damals oft aggressiv und destruktiv. Parteien und Politiker schienen eher mächtige Privatinteressen – darunter auch kriminelle – zu verfolgen, als sich um die Belange des Volkes zu kümmern. »Politik« ist deshalb für viele zu einem Schimpfwort verkommen. Und so ist es für den unwahrscheinlichen Fall, dass jemand alle Hürden überwinden sollte, die der Kreml ihm in den Weg stellt, immer noch schwierig, das Vertrauen der Wähler zu gewinnen, selbst wenn viele der Ansicht sind, dass ein Wandel dringend nötig sei.

Sollte es statt um Nawalny in diesem Buch daher nicht besser um die Themen Korruption und Ungleichheit in einem autoritären politischen System gehen? In gewisser Weise geht es das auch. Indem wir Nawalnys Laufbahn als Politiker und Aktivist in den Mittelpunkt stellen, können wir besser verstehen, was das heutige Russland zu dem macht, was es ist. Doch Nawalny ist gleichzeitig nicht nur ein Produkt der Geschichte seines Landes. Um in diesem Umfeld ein ernsthafter Herausforderer der Macht zu werden, benötigt es Mut, Kreativität und Witz. Nawalny besitzt alle diese Qualitäten – und genau deshalb sticht er hervor.

Auch der Kreml weiß das – und hat sich deshalb auf Nawalny eingestellt.

Begriffe wie »der Kreml« sind natürlich ziemlich allgemein und können leicht über die Komplexität politischer Institutionen hinwegtäuschen. Als Forscher sind wir uns der Probleme bewusst, die mit der Verwendung von Sammelbegriffen einhergehen, die wichtige Nuancen in den Hintergrund rücken. Und doch können diese Begriffe manchmal eine nützliche Kurzform sein, insbesondere in Fällen, in denen die Details, die sie glätten, für das jeweilige Thema nicht so wichtig sind.

Nawalny

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