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b) Sachlicher Schutzbereich aa) Begriff Arbeitnehmer

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Entscheidend für die Eröffnung des sachlichen Anwendungsbereiches der Arbeitnehmerfreizügigkeit ist der Begriff des Arbeitnehmers, der allerdings im AEU-Vertrag nicht definiert wird. Nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH muss der Begriff wegen der grundlegenden Bedeutung der Arbeitnehmerfreizügigkeit weit und im Einklang mit den Zielen der Unionsrechtsordnung ausgelegt werden. Arbeitnehmer ist danach jeder, „der eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausübt, wobei Tätigkeiten außer Betracht bleiben, die einen so geringen Umfang haben, dass sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellen. Das wesentliche Merkmal des Arbeitsverhältnisses besteht darin, dass jemand während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringt, für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhält“ (EuGH, Urt. v. 3.7.1986, 66/85 – Lawrie-Blum –, Rn. 16 f.; Urt. v. 8.6.1999, C-337/97 – Meeusen –, Rn. 13 ff.).

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Rechtsgrundlage des Arbeitsverhältnisses ist regelmäßig ein privatrechtlicher Arbeitsvertrag. Die rechtliche Natur des Beschäftigungsverhältnisses ist für die Anwendung der Arbeitnehmerfreizügigkeit allerdings nicht entscheidend. Dem Schutzbereich unterfallen auch Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung, selbst wenn sie in einem Beamtenverhältnis stehen oder das Beschäftigungsverhältnis nicht dem Privatrecht, sondern dem öffentlichen Recht zuzuordnen ist (EuGH, Urt. v. 26.4.2007, C-392/06 – Alevizos –, Rn. 68; Urt. v. 22.6.2017, C-20/16 – Bechtel –, Rn. 33). Für die Arbeitnehmereigenschaft i.S.d. Unionsrechts ist weiterhin ohne Bedeutung, ob die in Rede stehende Tätigkeit nach der nationalen Rechtsordnung der Mitgliedstaaten als Arbeitsverhältnis eingestuft wird. Andernfalls hätten es die Mitgliedstaaten selbst in der Hand, den Anwendungsbereich der Arbeitnehmerfreizügigkeit beliebig einzuschränken (EuGH, Urt. v. 23.3.1982, 53/81 – Levin –, Rn. 10 f.; Urt. v. 11.11.2010, C-232/09 – Danosa –, Rn. 39).

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Dem Schutzbereich der Arbeitnehmerfreizügigkeit unterliegen mithin sämtliche dem Wirtschaftsleben im Binnenmarkt zuzuordnende Leistungen, die für einen Auftraggeber nach dessen Weisung gegen Entgelt erbracht werden. Unerheblich ist dagegen, ob der Arbeitgeber als Unternehmer direkt am Wirtschaftsleben teilnimmt. Es können daher auch Tätigkeiten künstlerischer, sportlicher und sozialer Art vom Schutzbereich erfasst sein (EuGH, Urt. v. 16.3.2010, C-325/08 – Olympique Lyonnais –, Rn. 27 f.). Lediglich verbotene Tätigkeiten, wie der Verkauf von Betäubungsmitteln, sind vom Schutzbereich ausgenommen (EuGH, Urt. v. 16.12.2010, C-137/09 – Josemans –, Rn. 42). Die Prostitution ist vom Schutzbereich der Arbeitnehmerfreizügigkeit dagegen erfasst, da sie in den meisten Mitgliedstaaten zumindest geduldet und oft sogar reglementiert wird (EuGH, Urt. v. 20.11.2001, C-268/99 – Jany –, Rn. 49).

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Allerdings muss es sich um eine „tatsächliche und echte“ Tätigkeit handeln (EuGH, Urt. v. 20.11.2001, C-268/99 – Jany –, Rn. 33). Der EuGH versteht hierunter, dass aufgrund ihres geringen Umfangs völlig untergeordnete und unwesentliche Beschäftigungen vom Schutzbereich ausgenommen sind. Insofern ist bei Teilzeitbeschäftigungen oder Gelegenheitsarbeiten aufgrund einer Gesamtbewertung im Einzelfall zu prüfen, ob die tatsächlich erbrachten Arbeitsstunden bzw. die Dauer des Arbeitsverhältnisses die Anwendbarkeit der Arbeitnehmerfreizügigkeit noch rechtfertigen (EuGH, Urt. v. 26.2.1992, C-357/89 – Raulin –, Rn. 15). Eine Untergrenze hat der EuGH bislang allerdings nicht festgelegt. Selbst bei einer weniger als einen Monat dauernden Beschäftigung ist die Qualifizierung als Arbeitnehmer nicht ausgeschlossen (EuGH, Urt. v. 4.6.2009, C-22/08 – ARGE Nürnberg –, Rn. 29 f.).

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Der Arbeitnehmer muss zudem als Gegenleistung eine Vergütung für seine Tätigkeit erhalten. Als Vergütung in diesem Sinne sind nicht nur Entgeltzahlungen anzusehen, sondern auch Naturalleistungen, wie z.B. Unterkunft und Verpflegung (EuGH, Urt. v. 7.9.2004, C-456/02 – Trojani –, Rn. 22). Die Höhe der Vergütung ist dabei unerheblich und kann unterhalb des Mindesteinkommens im jeweiligen Mitgliedstaat liegen. Es ist insbesondere nicht erforderlich, dass der Arbeitnehmer von seinem Einkommen seinen Lebensunterhalt bestreiten kann. Dies gilt selbst dann, wenn der Betroffene die Vergütung durch eine finanzielle Unterstützung des Aufnahmemitgliedstaates zu ergänzen sucht (EuGH, Urt. v. 23.3.1982, 53/81 – Levin –, Rn. 11 ff.; Urt. v. 4.6.2009, C-22/08 – ARGE Nürnberg –, Rn. 28).

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Erforderlich ist schließlich, dass die Tätigkeit in einem Unterordnungs- bzw. Abhängigkeitsverhältnis erbracht wird, in dem der Arbeitnehmer den Weisungen des Arbeitgebers unterliegt. Das Element der Weisungsunterworfenheit dient insoweit auch der Abgrenzung zur → Niederlassungsfreiheit, bei der es sich um eine selbständige Erwerbstätigkeit handelt. Die Qualifizierung der Tätigkeit ist in einer Gesamtschau aller relevanten Faktoren und Umstände vorzunehmen. Typische Merkmale für die Ausübung einer selbständigen Tätigkeit sind v.a. freie Wahlmöglichkeiten bezüglich der Art der auszuführenden Arbeiten und Aufgaben, die freie Bestimmung der Arbeitszeit und des Arbeitsortes sowie der Einsatz eigenen Personals. Die Beteiligung an den geschäftlichen Risiken des Unternehmens kann ebenfalls ein Indiz für eine selbständige Tätigkeit sein (EuGH, Urt. v. 14.12.1989, C-3/87 – Agegate –, Rn. 35 f.). Gesellschafter und sogar Mitglieder der Unternehmensleitung einer Kapitalgesellschaft können allerdings dennoch Arbeitnehmer sein, wenn sie im Übrigen hinsichtlich der Ausübung ihrer Tätigkeit den Weisungen des Arbeitgebers unterliegen (EuGH, Urt. v. 10.12.1991, C-179/90 – Merci –, Rn. 13; Urt. v. 11.11.2010, C-232/09 – Danosa –, Rn. 47).

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Der Status des Arbeitnehmers wird durch eine vorübergehende Arbeitsunfähigkeit nicht eingeschränkt (EuGH, Urt. v. 19.6.2014, C-507/12 – Saint Prix –, Rn. 27). Dagegen führt die Beendigung des Arbeitsverhältnisses grundsätzlich zu einem Verlust der Arbeitnehmereigenschaft, wobei dem Arbeitnehmer allerdings noch bestimmte Folgerechte zustehen, wie z.B. das Bleiberecht gem. Art. 45 Abs. 3 Buchst. d) AEUV. Zudem kann die Arbeitnehmereigenschaft trotz der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses weiterhin anzuerkennen sein, wenn sich der Arbeitnehmer umgehend um eine Folgeanstellung bemüht. Wie sich aus Art. 45 Abs. 3 Buchst. a) und b) AEUV ergibt, ist auch derjenige, der tatsächlich eine Arbeit sucht, als Arbeitnehmer zu qualifizieren (EuGH, Urt. v. 12.5.1998, C-85/96 – Martinez Sala –, Rn. 32; Urt. v. 13.12.2012, C-379/11 – Caves Krier –, Rn. 26).

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