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3. Drittwirkung der Grundfreiheiten durch die Generalklauseln des nationalen Privatrechts, insbesondere § 307 BGB?
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Es wird diskutiert, ob die Grundfreiheiten noch in weiteren Bereichen auf das Verhältnis zwischen Privatpersonen einwirken.[154] Für den Bereich des Verbraucherschutzrechts ist die Drittwirkung der Grundfreiheiten über das Einfallstor der Generalklauseln von Interesse. Darüber ist bisher nur spekuliert worden.[155] Eine solche Drittwirkung würde sich auswirken, wenn in den AGB eines Unternehmers erschwerte Bedingungen für den grenzüberschreitenden Verkehr vorgesehen sind.[156] Als Beispiel werden erhöhte Gebühren für die Nutzung von Kreditkarten in anderen Mitgliedstaaten genannt.[157] Solche Klauseln wären dann schon wegen der Behinderung der Grundfreiheiten unwirksam.
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Letztlich kann diese Form der Drittwirkung der Grundfreiheiten nicht verneint werden. Es muss davon ausgegangen werden, dass sich die Grundfreiheiten im unionsrechtlichen Maßstab der Klauselkontrolle (zu diesem unten Rn. 407) wiederfinden. Will man dem Treuemaßstab der Klausel-RL überhaupt einen eigenständigen europäischen Charakter zugestehen, so ist es nicht vorstellbar, die Grundfreiheiten und andere wichtige Marktgebote und -verbote, wie z.B. das Diskriminierungsverbot, dabei unbeachtet zu lassen. Jedenfalls diskriminierende Klauseln können einem unionsrechtlichen Maßstab von Treu und Glauben nicht entsprechen.
Man kann hier gut überlegen, ob diese Wirkung der Grundfreiheiten ähnlich wie für die Grundrechte über die Schutzpflichtlehre begründet werden sollte,[158] oder ob man von einer unmittelbaren, freilich subsidiären und durch Verhältnismäßigkeitsgedanken stark abgeschwächten Drittwirkung sprechen sollte.[159] Die Frage mag praktisch recht geringe Auswirkungen haben, ist aber sowohl dogmatisch als auch gewissermaßen rechtspolitisch bedeutsam. Beides kann hier nur angedeutet werden. Dogmatisch wird die Schutzpflichtlehre im deutschen Recht von der h.M. deshalb für zutreffend gehalten, weil das Grundgesetz klar an den Staat gerichtet ist und mit Hilfe dieser Lehre die Aufgabe der Grundrechtswahrung auch ebenso klar dem Staat zugeordnet bleibt. Es sind die Richter, welchen die Pflicht auferlegt wird, die Bürger durch ihre Rechtsprechung vor Grundrechtsbeeinträchtigungen in privaten Rechtsverhältnissen zu schützen.[160] Diese dogmatische Bedeutung ist für die Grundfreiheiten weniger ausgeprägt, weil die Pflicht für deren Wahrung einzustehen, nicht so eindeutig allein den staatlichen Organen und Institutionen zugeordnet ist.[161]
Mit rechtspolitisch ist hier die Frage gemeint, ob es klug wäre, die für das deutsche Recht entwickelte Schutzpflichtlehre in die EU zu tragen und zu versuchen, sie auch dort zu verankern. Hierzu reicht es nicht aus, dass die Lehre in Deutschland für die Grundrechte anerkannt oder herrschend ist. Eine Einführung in das europäische Rechtsverständnis müsste auch passend und weiterführend sein. Bei der Schutzpflichtlehre sollte man hier vorsichtig sein. Sie ist für die deutschen Grundrechte, wie soeben erklärt, als eine Art Brücke entwickelt worden, um auch in privaten Rechtsverhältnissen einen gewissen Schutz vor einseitiger, dem Gehalt der Grundrechte widersprechender Machtausübung durch eine Vertragspartei gewähren zu können. Diese Brücke wird für die Grundfreiheiten gar nicht unbedingt benötigt. Die Schutzpflichtlehre hat außerdem eine Schwäche: Sie enthält nämlich als solche zunächst keinerlei Aussagen dazu, in welchem Maße der Richter in Privatrechtsverhältnisse eingreifen soll, um eine Partei zu schützen.[162] Vielmehr werden hier unter anderem Verhältnismäßigkeitsüberlegungen angestellt, die in einem anderen Kontext auch isoliert für sich stehen könnten.
Insofern erscheint es zumindest für die Grundfreiheiten einfacher – und damit EU-tauglicher – ohne den Umweg über die Schutzpflichtlehre sogleich von einer subsidiären, einem strengen Verhältnismäßigkeitsmaßstab unterliegenden Geltung zwischen Privaten auszugehen.