Читать книгу Abenteuer im Odenwald 1+2 - Birgid Windisch - Страница 20
Kapitel 17 Fremde Welt
ОглавлениеNach einer Stunde hatten sie den Main erreicht. Vertraute Gegend und doch ganz fremd. Ein Glück, dass Wernher dabei war. Wo war denn die Brücke? Lene sah mit panischem Blick nach links und rechts, vergeblich. Es gab keine Brücke über den Main. Wie sollten sie dann hinüberkommen? Erlenbach lag auf der anderen Mainseite! „Wernher, wie kommen wir da hinüber, es gibt ja gar keine Brücke hier?“ Wernher strich ihr beruhigend über den Handrücken. „Natürlich nicht. Es gab hier noch nie eine. Wir fahren mit der Fähre!“ „Mit der Fähre? Hast du denn Geld?“ „Nein, das habe ich nicht, aber der Fährmann ist mir noch etwas schuldig. Ich habe ihm letztes Jahr geholfen, als er nichts mehr zu essen hatte für seine Kinder, er wird uns sicher umsonst hinüberbringen.“ „Also gut.“ Lene folgte Wernher bis ans Mainufer, wo die lidschäftig aussehende Fähre an einem Strick am Ufer lag. „Oh je, sieht die wacklig aus!“ „Keine Angst!“ Wernher schob die widerstrebende Lene auf die Fähre und folgte ihr auf dem Fuße. „Wir werden sicher auf der anderen Seite ankommen, du wirst sehen!“ Der Fährmann hatte gedöst, schrak jedoch hoch beim Klang ihrer Stimmen und beim Schwanken der Fähre. „Wer seid ihr und was ist euer Begehr?“ „Ludwig, ich bin es, der Fronhof-Wernher“ „Ach du bist es!“ beruhigt sank der Fährmann zurück auf die Sitzbank. „Bitte seid so gut, bringt uns und auf die andere Seite hinüber, Ludwig.“ Dieser kratzte sich am Bart, legte den Kopf schief und kniff die Augen zusammen. „Und was bekomme ich dafür? Suchen sie dich etwa? Nicht, dass ich Schwierigkeiten bekomme!“ „Sie denken ich sei tot, Ludwig.“ Wernher klang bitter. „In ein Loch haben mich meine sauberen Brüder geworfen und meinem Schicksal überlassen. Dieses Mannsbild hat mich gerettet!“ Wernher hatte Lene eingeschärft, ihr Haar zu verstecken und hatte ihr seine Kappe zu tragen gegeben. Mit den Hosen würde sie jeder für ein Mannsbild halten. Es war sicherer so. Einem Weibsbild konnte alles Mögliche passieren. Als Mann war sie (hoffentlich) sicherer. Ludwig sah die beiden nachdenklich an. „Gut Wernher, weil du es bist. Du hast noch etwas gut bei mir. Wärst du nicht gewesen, hätte ich nun keine Frau und Kinder mehr. Sie wären elendiglich verhungert.“ Der Fährmann fing an, die Fähre vom Ufer los zu staken. Lene machte ängstlich die Augen zu. Da spürte sie, wie Wernher verstohlen nach ihrer Hand griff und sie beruhigend drückte. Sogleich fühlte sie sich sicherer und öffnete die Augen wieder. Der Fährmann sah arm aus, fand sie. Sein Hemd war vielmals geflickt, das sah sie sogar im Dunkeln und er war sehr dünn. Impulsiv nahm sie die Tafel Schokolade aus dem Rucksack und brach ihm eine kostbare Reihe davon ab. „Hier, Fährmann, habt ihr etwas für euere Kinder. Viel ist es nicht, aber ein wenig und besser als nichts. Sicher wird es ihnen schmecken.“ Neugierig leckte der Fährmann daran, bevor er die Reihe in seinem Säckel verschwinden ließ. Verzückt lächelte er Lene an. „Danke mein junger Herr! Meine Frau und die Kinder werden sich freuen und Gott wird es dir lohnen in der anderen Welt.“ Wie leicht man jemanden glücklich machen kann, dachte Lene verwundert. Und bei uns hat jeder so viel Schokolade wie er will, zu viel sogar, so dass wir krank davon werden können und dieser arme Mann hier ist halb verhungert und überglücklich, seinen Kindern und seiner Frau eine winzige Kleinigkeit schenken zu können. „Soll ich noch eine Reihe?“ flüsterte Lene. Wernher sah sie bedauernd an. „Lieber nicht, wer weiß, wann wir etwas zu essen bekommen. Die Schokolade wird uns bei Kräften halten, wenn wir nichts finden sollten.“ Das sah Lene ein. Ohne dass sie es bemerkt hatte, waren sie schon auf der anderen Seite angekommen und stiegen vorsichtig aus. „Man könnte meinen, der junge Herr sei ein Weib, so ängstlich ist er“, brummelte der Alte. „Er hat noch nie einen so breiten Fluss gesehen Ludwig und deshalb gesunden Respekt davor“, rief Wernher und die beiden Männer lachten grölend. Ludwig war stolz auf „seinen“ Fluss und glaubte unbesehen, dass es Menschen gab, die noch nie einen solch breiten und prachtvollen Fluss gesehen hatten. Wernher zog Lene die Böschung hinauf und sie waren bald hinter den Büschen verschwunden, die den Flussrand säumten. „Komm Lene, es ist nicht mehr weit. In einer Stunde haben wir es geschafft.“ „Eine Stunde nur? Im Dunkeln? Das glaube ich nicht“, knotterte Lene. Doch Wernher gab nicht nach und zerrte sie weiter. Der Weg wurde breiter und man konnte durch den Vollmond einigermaßen sehen, wohin man trat. Sie kamen gut vorwärts. Wernher hatte recht gehabt. In der Ferne sah man bereits Erlenbach liegen. „Wir werden nicht gleich ins Ort gehen. Es wird schon hell. Ich kenne eine kleine Höhle, dort werden wir rasten. Ich werde später erst einmal alleine zu meinen Verwandten gehen und du bleibst in der Höhle versteckt.“ Lene nickte, was Wernher zwar nicht sehen, aber am Luftzug spüren konnte. So wanderten sie einträchtig weiter. In ruhigem Tempo, aber gleichmäßig, so dass sie gut vorankamen. Als sie fast dort waren, wollte Lene wissen, wo die Höhle sei und Wernher führte sie in einen kleinen Steinbruch. „Hier haben früher schon die Römer Steine geschlagen. Da hinten im Wald, ist unser Versteck, komm!“ „Ja, ich komme ja schon!“ Lene trottete weiter an Wernhers Hand hinter ihm her. Ihre Füße mochte sie gar nicht sehen. Die sahen sicher lustig aus. Mit Blasen und Schwielen vielleicht sogar schon. Hinkend ging sie weiter, sie konnte kaum noch laufen. Wernher nahm es gar nicht zur Kenntnis und zog sie in ein Dickicht, das auf den ersten Blick undurchdringlich wirkte. „Au, da sind Stacheln!“ schimpfte Lene leise. Wernher kam zu ihr, befreite Lene aus der Brombeerranke und zog sie vorsichtig um eine kleine Kurve. Schon standen sie auf einer kleinen Lichtung und sie sah, dass der Eingang der versprochenen Höhle direkt vor ihnen lag. „Ist da auch kein Viehzeug drin?“ wollte Lene mit ängstlichem Gesicht wissen. „Nein, es gibt keine Bären hier und Wölfe hat man auch schon länger keine mehr bei uns gesehen“, antwortete Wernher. „Was?“ Ich meinte doch Spinnen und Käfer! Gibt es hier etwa auch große, gefährliche Tiere? Dann gehe ich nicht hinein!“ „Wo willst du denn dann hin, Weib?“ Wernher war leicht ungeduldig. „Es gibt sonst nichts hier, wo du nur halbwegs sicher wärest, außer dieser Höhle und du wirst jetzt dort hineingehen und wenn ich dich hineintragen muss!“ Das wollte Lene nun überhaupt nicht, dass er sich auch noch mit ihrem Gewicht plagen müsste, wo er schon so weit gelaufen war mit ihr und morgen wieder weiterlaufen musste. Also trippelte sie gehorsam hinter ihm her, als er sie weiter voran zog, bis in die Höhle hinein. Vorsichtig sah sie sich um, die Arme ausgestreckt, um nicht in ein Spinnennetz zu laufen. Aber es war alles sauber. Sicher wurde diese Höhle öfter als Unterschlupf benutzt. Sie schüttelte sich - nur hoffentlich nicht heute Nacht und erst recht nicht von Räubern oder dergleichen Gesindel. Wernher öffnete den Rucksack und nahm die Decke heraus, die er am hinteren Rand ausbreitete. Dieser lag um eine kleine Biegung, so dass von draußen nichts zu sehen war. Sehr praktisch, dachte Lene und ließ sich sogleich darauf nieder. Wernher tat es ihr nach und stellte den Rucksack ab. Sie nahm die Flasche Wasser heraus und beide tranken nacheinander, mit durstigen Schlucken. Dann kramte sie im Rucksack herum und hielt kurz darauf die Schokolade in der Hand. „Wollen wir jeder ein Rippchen essen?“ Sie hielt Wernher eines hin. „Ja, eins für die Nacht, dass der Magen nicht so laut knurrt!“ Wernher ließ das Rippchen im Mund zergehen und Lene tat es ihm nach. Wortlos genossen sie die Süße und ließen sie noch, so lange es ging, nachwirken. Dann tranken sie noch einen Schluck Wasser und legten sich nieder. Ihre Notdurft hatten sie bereits draußen erledigt. Lene kuschelte sich wohlig brummend in Wernhers Arme und dieser meinte belustigt: „Ich glaube ich werde dich mein Kätzchen nennen, so wie du dich schnurrend in meine Arme schmiegst!“ „Von mir aus“, meinte Lene schläfrig und war auch schon eingeschlafen. „Nun denn“, meinte Wernher und suchte sich eine bequeme Lage. Lene hatte ihr Bein über seine Hüfte gelegt und er registrierte im Halbschlaf, dass es sich gar nicht schlecht anfühlte. Ein Gefühl, an das er sich glatt gewöhnen konnte. Eng umschlungen schliefen sie ein und erwachten erst, als ein Vogel genau vor der Höhle sein Morgenlied anstimmte. Schön, aber laut! Sicher eine Amsel. Die konnten sehr laut singen. Lene sah Wernhers Gesicht direkt vor sich und seine geschlossenen Augen, die entspannten Gesichtszüge. Er gefiel ihr immer besser. Sein Gesicht war ihr inzwischen fast so vertraut wie ihr eigenes. Sie folgte zärtlich mit ihrem Finger den Konturen seiner Nase, seiner Augen und der Lippen und hörte ihn müde murmeln: „Was ist, mein Kätzchen? Schlaf doch noch ein wenig, es ist noch früh und ich bin müde.“ „Ja, Wernher, ich versuche es.“ Lene legte sich bequemer hin, doch sie spürte, dass sie nicht mehr würde schlafen können. Egal, dann würde sie eben ruhig liegen bleiben. Das war so eine Sache bei ihr. Wenn sie ruhig liegen bleiben wollte, strengte sie sich so an, ruhig zu liegen, dass alles an ihr angespannt war. „Was ist los Weib?“, brummte Wernher schläfrig. „Du bist so steif wie ein Stecken, wie soll ich da schlafen? Oder soll ich etwa nicht schlafen und du möchtest etwas anderes?“ Prüfend fuhr seine Hand über ihre Brust und zwischen ihre Schenkel. „Ah, mein Täubchen, das ist noch besser als schlafen“ und schon konnten die beiden wieder die Hände nicht voneinander lassen, genossen die gegenseitige Nähe und liebten sich mit vollem Herzen. Danach sah Lene ihn liebevoll an. „Dass ich dich gefunden habe! Dafür musste ich durch Raum und Zeit reisen, ich habe keine Mühen gescheut - aber ich habe dich gefunden!“ Wernher grinste selbstgefällig. „Ja so etwas wie mich findest du nicht an jeder Ecke und erst recht nicht bei euch in der Zukunft.“ Lachend kuschelten sie sich wieder aneinander und kitzelten sich gegenseitig, bis sie es nicht mehr aushielten. „Jetzt habe ich einen Bärenhunger“, rief Lene erstaunt. „Ach, du auch?“ Wernher strich über seinen knurrenden Bauch. „Ich könnte einen ganzen Ochsen vertilgen!“ „Der arme Ochse. Ich habe noch einen Apfel gefunden. Tut er es auch?“ Lene zog den Apfel aus dem Rucksack und sie aßen ihn brüderlich teilend bis zum Stiel auf. So schön saftig und süß, er machte Lust auf mehr. „Gibt es hier irgendwo Apfelbäume?“ Lene sah Wernher hungrig an. „Es gibt schon welche, aber stehlen ist streng verboten und außerdem sind sie noch nicht reif. Es ist noch zu früh. Und meine Hand möchte ich eigentlich auch nicht so gern hergeben. Auf Stehlen steht Hand abhacken oder Kopf, wenn sie schlecht gelaunt sind.“ „Was?“ entsetzte Lene sich. „Dann will ich lieber keine Äpfel!“