Читать книгу Lügner küssen besser - Birgit Kluger - Страница 10
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ОглавлениеDer Teufel
Angst. Möglicherweise ein Mensch, der einem nicht guttut, Dämonen, die uns quälen. Der ganz normale Alltag also.
"Ich möchte wissen, ob mein Exfreund zu mir zurückkommt", sagte die Stimme am anderen Ende der Leitung. Eine Welle der Trauer schwappte über mir zusammen. Susanna, wie die Anruferin hieß, war nicht nur verzweifelt, sondern an der Schwelle zum Selbstmord.
Ich bekam eine Gänsehaut. Ich hatte noch nie jemanden beraten, der so eine dunkle, verzweifelte Aura hatte. Die meisten Anrufer wollten wissen, wann die nächste Liebe in ihr Leben trat, wie es beruflich weiterging oder ob es noch eine Chance mit dem Ex gäbe. Susannas Frage passte in dieses Schema, aber die Verzweiflung und Trauer, die sie ausstrahlte, hatten eine beängstigende Intensität.
"Augenblick, Susanna. Ich mische die Karten für dich", sagte ich und griff zu dem Deck, das ich nur selten benutzte. Der Haindl-Tarot ging sehr in die Tiefe der menschlichen Psyche, normalerweise war er für oberflächliche Fragen, wie Susanna sie eben gestellt hatte, nicht geeignet, aber ich wollte sichergehen, eine Antwort zu geben, die sie aus ihrer Depression und Verzweiflung herausholen würde. Danach würde ich ihr raten, einen Therapeuten aufzusuchen. Falls sie mir die Chance dazu geben würde, denn viele Anrufer knallten den Hörer auf, sobald sie ihre Antwort erhalten hatten.
Ich legte die Karten zum keltischen Kreuz aus, ein Legesystem, das sich gut dazu eignet, eine einzelne, spezielle Frage zu beantworten. Ich ahnte schon, wie die Aussage ausfallen würde, trotzdem machte sich hohle Leere in meinem Magen breit, als ich die Auslage musterte.
Natürlich würde er nicht zurückkommen. Und was die Gefühle betraf, die ich von ihr aufgenommen hatte, so hatte ich recht. Susanna balancierte gefährlich nahe am Abgrund. Ich konnte nur hoffen, sie ein Stück von der Kante zurückzuholen und sie dazu zu bewegen, sich professioneller Hilfe anzuvertrauen.
Ich war in Schweiß gebadet, als das Gespräch nach etwa fünfzehn Minuten vorüber war. Normalerweise sagte ich geradeheraus, was ich sah, aber Susanna war emotional bereits so fragil, dass ich sehr vorsichtig war. Ich sandte ein Dankgebet zum Himmel, weil ich ihr das Versprechen abnehmen konnte, sich einen Therapeuten zu suchen.
Ich stand auf und ging in dem Zimmer auf und ab. Ich hätte sie nach ihrer Telefonnummer fragen sollen. Dann hätte ich sie anrufen können, um zu erfahren, wie es ihr ging. Ich sah zum Fenster hinaus, ohne wirklich etwas wahrzunehmen.
Ich könnte es öffnen und mich hinauslehnen. Vornüberbeugen. Der Fall wäre schnell vorüber und ich wäre tot. Alles hätte ein Ende. Die Trauer. Der Schmerz. Die Verzweiflung.
Whoa! Ich zuckte zurück, als hätte ich einen Stromschlag bekommen. Das waren nicht meine Gedanken, sondern Susannas.
Ich ging zum Computer und loggte mich mit zitternden Fingern ein. In meinem Nutzerkonto konnte ich die Namen der Anrufer sehen und ihnen über das System eine Mail senden.
"Hast du Lust zu skypen? Mein Skypename ist Shikara", schrieb ich und klickte auf "senden".
"Bitte antworte mir. Bitte sag, dass du dich gut fühlst und ich diejenige bin, die spinnt", murmelte ich und setzte mich.
Während ich auf Susannas Antwort wartete, surfte ich planlos durch das Netz. Verweilte ein paar Minuten auf Facebook, sah bei Twitter vorbei, las die Klatschnachrichten, ohne zu wissen, was ich da gelesen hatte.
Alle zwei Minuten klickte ich auf meinen Posteingang.
Nichts.
"Schreibe mir, Susanna", sagte ich beschwörend. Als hätten die Worte die Kraft, sie zu ihrem Computer zu führen.
Mein Skype-Telefon klingelte.
"Susanna, bist du es?", fragte ich, als ich das Gespräch von MiseryinGermany annahm.
"Ja. Warum wolltest du mit mir sprechen? Ich dachte, du lässt nur mit dir reden, wenn ich dafür bezahle."
"Ich habe mir Sorgen gemacht", gab ich zu. "Ich wollte dich an dein Versprechen erinnern. Außerdem kannst du mich jederzeit über Skype kontaktieren, wenn es dir schlecht geht."
"Das ist so lieb von dir." Susanna klang, als würde sie gleich in Tränen ausbrechen. "Du bist der einzige Mensch, der sich Sorgen um mich macht."
Für einen Augenblick wusste ich nicht, was ich sagen sollte. Klar, ich hätte mit Floskeln um mich werfen können. Ihr sagen, dass es bestimmt viele Menschen gab, die sie mochten und die um ihr Wohlergehen besorgt waren. Aber ich spürte die Ehrlichkeit hinter ihren Worten. Irgendwelche allgemeine Aussagen würden ihr nicht helfen.
"Ich habe im Internet recherchiert", sagte ich. "Es gibt Telefonhotlines für Menschen, die selbstmordgefährdet sind. Versprich mir, dort anzurufen, wenn du dich schlecht fühlst."
"Ich verspreche es", sagte Susanna leise.
"Kann ich mich darauf verlassen?"
"Ja."
"Gut." Ich lehnte mich in meinem Stuhl zurück und atmete erleichtert aus. Susanna klang aufrichtig, außerdem hatte ich so etwas wie aufkeimende Hoffnung von ihr empfangen. Der Drang, ihrem Leben ein Ende zu machen, war nicht mehr ganz so stark bei ihr. Falls sie bei einer Telefonhotline anrief, konnte man ihr bestimmt helfen. Dort arbeiteten Menschen, die wussten, wie man mit jemandem sprach, der selbstmordgefährdet war.