Читать книгу Lügner küssen besser - Birgit Kluger - Страница 13
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ОглавлениеFreitag
6 der Schwerter
Wissenschaft. Dieser Tag wird ganz dem Studium gewidmet sein. Toll.
"Du hast gestern einiges verpasst", begrüßte mich Vanessa, als ich mich fünf Minuten vor Beginn der Vorlesung neben sie setzte. Sie hatte mir zugewinkt, als ich den Hörsaal betrat. Ich war froh darüber, eine Leidensgenossin zu haben, mit der ich über meine Probleme reden konnte. Mittlerweile waren es nur noch etwa fünfzehn Studenten, die die Vorlesung besuchten. Was nicht gut war, denn so würde es auffallen, wenn ich vor Langeweile einschlief.
"Ich hatte einen wichtigen Termin", log ich, obwohl ich wusste, dass Vanessa mir die Wahrheit nicht übelgenommen hätte. Ich war noch nicht so weit, ihr von Lex zu erzählen. Zum einen, weil es nichts zu erzählen gab, und zum anderen, weil ich Vanessa mochte, sie aber kaum kannte.
"Hast du es gut." Vanessa musterte mich mit hochgezogenen Augenbrauen. "Bist du sicher, der wichtige Termin hatte nichts mit einem heißen Date zu tun?"
"Ähhhh."
Vanessa winkte mit einem Grinsen ab. "Schon gut. Dein Geheimnis ist bei mir bestens aufgehoben. Ich werde keiner Seele davon erzählen."
"Ich weiß nicht, wie es kam, aber statt zur Uni zu gehen, war ich auf dem Viktualienmarkt und dort habe ich meinen Nachbarn getroffen", gab ich zu.
"Ich wusste es." Vanessa hob ihre rechte Hand und gab mir einen High
five.
Ein Räuspern unterbrach uns. Professor Meinert stand neben unserer Bank und sah uns mit strengem Blick an. "Meine Damen, die Vorlesung hat bereits vor fünf Minuten begonnen. Es wäre nett, wenn Sie uns mit Ihrer Aufmerksamkeit beehrten." Ohne eine Antwort abzuwarten, ging er hinunter zum Podium.
"Er ist doch gerade erst gekommen", murmelte Vanessa, senkte dann aber brav ihren Kopf und begann eifrig mitzuschreiben, während ich dasaß und versuchte, zu verstehen, wovon der Meinert sprach.
"Erzähl. Ich habe über eine Stunde lang wie auf heißen Kohlen gesessen und die langweiligste Vorlesung der Welt über mich ergehen lassen, nur um zu hören, was mit dir und deinem Nachbarn ist."
"Nichts", sagte ich und zuckte mit den Schultern. "Wir haben uns unterhalten. Mehr ist nicht passiert."
„Er hat dich nicht nach einem Date gefragt?“
„Nein, warum sollte er?“
„Warum? Um dir näher zu kommen!“ Vanessa runzelte die Stirn. "Vielleicht hat er Bindungsängste", meinte sie dann.
"Eher Entscheidungsprobleme", murrte ich und rührte in meinem Kaffee, was vollkommen unnötig war, denn ich trank ihn weder mit Zucker noch mit Milch.
"Was? Er hat noch eine andere?"
Verdammt. Ich hatte mal wieder gesprochen, ohne vorher nachzudenken. Jetzt würde Vanessa wissen wollen, woher …
"Woher weißt du das?"
"Ich … also …"
"Jana. Spann mich nicht so auf die Folter."
"Ich weiß nicht, ob ich es dir erzählen soll", gab ich zu. "Vielleicht denkst du, ich bin verrückt oder eine von diesen verschrobenen Persönlichkeiten, die mit sich selbst reden und Engel sehen oder so."
"Bist du eine Stalkerin?" Vanessa beugte sich über den Tisch zu mir. Ihre Neugierde war ehrlich, stellte ich mit Überraschung fest. Sie verurteilte mich nicht und bewertete auch nicht, was ich sagte, sondern sie wollte erfahren, woher ich diese Information hatte.
"Nein. Ich lege Karten."
"Wow! Das ist ja so cool!"
"Meine Eltern finden das nicht."
"Klar." Vanessa machte eine wegwerfende Handbewegung. "Es ist der Job deiner Eltern, sich Sorgen zu machen. Außerdem klingt es natürlich besser, zu sagen 'meine Tochter studiert gerade BWL', als 'meine Tochter ist Kartenlegerin'."
"Zum Glück haben sie noch meine Schwester, die erfolgreiche Juristin." Ich schaufelte mir ein paar Löffel Zucker in den Kaffee und rührte. Wahrscheinlich würde ich keinen Schluck von dem Zeug hinunterkriegen.
"Hey, sie haben dich bestimmt genauso gerne. Du machst es ihnen nur schwieriger, es zu zeigen."
"Bestimmt. Aber wir haben genug über mich geredet."
"Richtig. Der Nachbar!"
Mist, ich hatte das Gespräch auf Vanessa lenken wollen, nicht auf mein nicht vorhandenes Liebesleben. "Ich habe dir schon alles erzählt. Mehr gibt es nicht dazu zu sagen. Was ist mit dir? Hast du einen Freund?"
"Nein. Vor zwei Wochen habe ich mit Daniel Schluss gemacht. Das ist ganz gut so, ich brauche Zeit für mich." Vanessa sah aus dem Fenster des Cadu auf die ummauerte Terrasse hinaus, als gäbe es dort etwas Interessantes zu sehen. "Vielleicht kannst du mir die Karten legen. Irgendwann. Und nachsehen, wann der Mann fürs Leben kommt", sagte sie und lächelte. "Wer weiß, vielleicht läuft dort draußen jemand herum, der nur auf mich wartet."
"Ganz bestimmt." Ich erwiderte ihr Lächeln. "Wenn es bei so einem hoffnungslosen Fall wie mir klappt, dann bei dir erst recht."
"Ich würde gerne einmal deine Tarotkarten sehen. Ich kenne so etwas nur aus dem Fernsehen."
"Wir können zu mir gehen, wenn du möchtest, dann zeige ich sie dir." Ich versuchte möglichst gelassen auszusehen und nicht so, als würde ich verzweifelt nach Gesellschaft hungern. Denn genau das war der Fall. Vanessa war meine erste und einzige Freundin in München. Die Einsamkeit, die mich umgab, sobald ich die Universität verließ, zehrte allmählich an meinen Nerven.
"Gute Idee." Vanessa winkte der Bedienung. "Ich lade dich ein", sagte sie. "Für zukünftige Informationen über mein Liebesleben", raunte sie mir zu, während sie auf ihr Wechselgeld wartete.
"Vielleicht ist mit dieser Karte gar keine andere Frau gemeint", sagte Vanessa und studierte die 8 der Schwerter, die mich in Zweifel gestürzt hatte.
"Bei dem Bild? Siehst du die beiden Frauen und den Typ, der nachdenklich zwischen ihnen sitzt?" Die Frage war überflüssig. Das Motiv war zentral auf der Karte abgebildet. Vanessa hätte blind sein müssen, um es nicht zu bemerken.
"Ja, aber der Titel lautet 'Unentschiedenheit', das deutet auf die Schwierigkeiten hin, eine Entscheidung zu treffen. Er könnte mit einem stressigen Beruf liiert sein, der kaum Zeit für eine Beziehung lässt. Oder es steht eine Versetzung in eine andere Stadt an."
"Hmmmm."
"Wie würdest du die Karte interpretieren, wenn du für mich fragen würdest? Wärest du dann auch sicher, dass es um eine andere Frau geht?"
Ich zögerte einen Augenblick. "Obwohl ich den Tarot benutze, gibt es neben den Karten noch andere Informationsquellen. Deshalb wüsste ich, worum es geht. Wenn ich für mich nachsehe, fehlt mir der Zugang zu diesen Quellen. Ich habe zu viele Vorurteile und Wünsche, was das Ergebnis betrifft, stehe mir selbst im Weg oder interpretiere das hinein, was ich gerne hätte."
"Interessant." Vanessa sah mich an, als sei ich eine neue Spezies Mensch, die sie nie zuvor gesehen hatte. "Ich wünschte, ich könnte das auch."
"Bei uns liegt es in der Familie, auch wenn meine Mutter es lieber hätte, wenn dem nicht so wäre."
"Wie kann deine Mutter nur so etwas ablehnen? Hat sie auch diese Gabe?"
"Ich weiß es nicht. Vielleicht. Aber wenn, dann verdrängt sie diese Talente. Es ist ihre Schwester, die mich zum Tarot gebracht hat und auch Karten legt, allerdings nicht professionell."
"Cool!"
"Ich weiß nicht." Ich seufzte. "Manchmal bin ich mir nicht sicher, ob es nicht besser wäre, so wie jeder andere zu sein."
"Hey, wer will schon sein wie jeder andere? Das ist langweilig! Außerdem habe ich jetzt eine Freundin, die in die Zukunft sehen kann." Vanessa grinste. "Das ist toll. Aber ich werde es nicht ausnutzen, ich verspreche es dir."
"Kein Problem. Das mache ich gerne."
Vanessa knuffte mich in die Seite. "Dann hätten wir mein zukünftiges Liebesleben so gut wie geregelt. Jetzt müssen wir deines in Gang kriegen."
"Da gibt es nichts in Gang zu setzen", murmelte ich und ordnete die Karten.
"Doch. Du musst herausfinden, ob es eine andere Frau gibt oder ob meine Vermutung stimmt."
"Wie soll ich das anstellen? Den Tarot brauche ich nicht zu befragen. Der zeigt mir nur meine Hoffnungen und Ängste."
"Hast du es schon mit Observieren versucht?"
"Observieren?"
"Ja, wie im Krimi, wenn ein Privatdetektiv eine andere Person beschattet. Du könntest dich unten im Hof an den Gartentisch setzen und so tun, als würdest du an deinem Laptop arbeiten. Da siehst du genau, wer das Haus betritt und wieder verlässt. Falls dein Lex etwas mit einer anderen hat, bekommst du das heraus."
"Ich weiß nicht."
"Was hast du zu verlieren?"
"Meinen Stolz?"
Vanessa winkte ab. "Stolz ist überbewertet. Glaube mir. Also, was ist? Wollen wir die Observation starten? Wenn du Glück hast, gibt es keine andere Frau und du kommst mit Lex ins Gespräch."
Zwei Stunden später beendeten wir das Unterfangen. Zum einen, weil Vanessa noch eine Verabredung hatte, zum anderen, was weitaus entscheidender war, weil es anfing zu regnen.
"Das ist das Dumme an dieser Idee. Du brauchst gutes Wetter", sagte meine Freundin und umarmte mich zum Abschied. "Nicht aufgeben. Ich zähle auf dich", rief sie über ihre Schulter und trat auf die Straße.
Ich schloss die Eingangstür und begann den Aufstieg in den fünften Stock.
"Hallo!", ertönte eine Stimme in meinem Rücken.
"Hallo, Lex." Ich drehte mich um und versuchte meine Gesichtszüge unter Kontrolle zu bekommen, die kurz davor waren, in ein breites Grinsen zu entgleisen.
Lex sah die beiden Kaffeetassen an, die ich trug, und zog die Augenbrauen hoch. "Du warst wohl ziemlich durstig heute?"
"Nein, meine Freundin war hier. Ich wollte ihr nicht zumuten, noch einmal in den fünften Stock hinaufzugehen. Mit ihren Absätzen hat sie es nicht leicht."
"Schade, ich wollte dich gerade auf einen Kaffee zu mir einladen." Er lehnte sich gegen die Hauswand und sah mich lächelnd an. "Vielleicht kann ich dich für ein Bier begeistern?"
"Das ist nett von dir, aber heute nicht. Morgen habe ich eine Vorlesung, für die ich noch lernen muss", log ich.
"Schade." Lex stieß sich von der Wand ab und ging zu seiner Wohnung. "Vielleicht ein anderes Mal."
Ich biss mir auf die Lippen und drehte mich um. Beinahe hätte ich ihm "Super!" hinterhergerufen, aber ich konnte es mir gerade noch verkneifen.
Ich hätte seine Einladung annehmen sollen, ging es mir durch den Kopf, während ich die Stufen hinaufging.
Er hatte nichts als Sex im Sinn und das ist mir zu früh, hielt ich dagegen. Die andere Stimme verstummte, denn es stimmte. Gestern war ich nicht in der Lage gewesen, Lex zu "lesen", aber heute war die Absicht hinter seiner Einladung so deutlich gewesen, als hätte er sie laut ausgesprochen.