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Mittwoch

Prinzessin der Schwerter

Eine Rebellin. Muss jemand anders sein. Jemand, der mehr Mut hat als ich.

Kein Problem. Ich war nur zehn Minuten zu spät. In dem riesigen Hörsaal würde das nicht auffallen, versuchte ich mich zu beruhigen. Ich hatte es schon in der Schule gehasst, zu spät zu kommen. Das Klassenzimmer zu betreten und von allen angestarrt zu werden. Zum Glück war es an der Universität anders. Mit fünfhundert Kommilitonen in einem Hörsaal zu sitzen, bedeutete, dass alle fünf Minuten ein weiterer Student zu spät kam.

Ich riss die Tür auf und betrat das Auditorium. Statt mehrerer Hundert Lernwilliger, die sich in die Sitze quetschten, waren hier nur etwa zwanzig zu sehen, die die ersten beiden Reihen besetzten. Alle drehten sich zu mir um.

Der Professor, der gerade dabei war, seltsame Symbole an die Tafel zu kritzeln, wandte sich ebenfalls zu mir.

"Wie schön. Sie haben aus dem Bett gefunden."

"Tut mir leid, ich … ich habe die Bahn verpasst", murmelte ich und merkte, wie rot ich wurde.

"Vielleicht sollten Sie noch Ihre Kleidung richten", sagte der Professor, was von einem Lachen meiner Kommilitonen quittiert wurde. Ich sah an mir hinab und spürte eine Hitze in meinem Gesicht, wie man sie sonst nur von Lavaströmen kennt. Mein kurzer Rock hatte sich in der Strumpfhose verfangen. Man konnte meine Unterwäsche sehen. Verdammt! Hastig zerrte ich den Stoff heraus, glättete ihn und ließ mich auf den ersten Platz fallen, der frei war.

Herr Meinert, so hieß der Professor, der die Vorlesung Volkswirtschaftslehre I hielt, drehte sich zurück zur Tafel. Mit einem Stöhnen verbarg ich den Kopf in den Händen. So viel zu meinem unauffälligen Auftritt in einem überfüllten Hörsaal.

"Hey, so etwas passiert mir ständig."

Ich hob den Kopf und bemerkte erst jetzt, wer neben mir saß. Meine Nachbarin lächelte mich freundlich an. Sie hat genauso wenig Lust hier zu sein wie ich und außerdem plant sie eine Rebellion.

"Das glaube ich nicht. Solche Peinlichkeiten passieren nur mir."

"Stimmt nicht." Sie grinste. "Ich bin perfekt darin, über meine eigenen Füße zu stolpern."

Professor Meinert warf uns einen strengen Blick zu.

"Ehrlich?"

"Ja. Ich erzähle dir alles über meine Missgeschicke bei einem Kaffee nach der Vorlesung", versprach meine Sitznachbarin.

"Okay."

"Das war die langweiligste Vorlesung aller Zeiten!" Meine Leidensgenossin, die sich mittlerweile als Vanessa vorgestellt hatte, lehnte sich in ihrem Stuhl nach vorne, umfasste ihre Kaffeetasse mit beiden Händen und blies auf die dunkle Oberfläche.

"Die Langweile war nicht schlimm, aber ich habe keine Ahnung, wovon der Mann gesprochen hat. Ich dachte, es sollte eine VWL-Vorlesung sein und nicht Mathe für Freaks."

"Der Meinert ist bekannt dafür, alles in Formeln zu verpacken. Was meinst du, warum der Hörsaal fast leer war? Du hättest in der ersten Vorlesung dabei sein sollen. Nach einer Viertelstunde waren von anfänglich fünfhundert Studenten noch etwa hundert übrig. Und wie viele heute in der zweiten Runde dort waren, hast du gesehen."

"Toll. Also habe ich den Mathe-Verrückten erwischt, vor dem mich alle gewarnt haben."

"Stimmt, aber dafür ist bei ihm die Durchfallquote wesentlich niedriger als bei Professor Ritter, zu dem alle anderen gehen."

"Kein Wunder, am Ende werden nur noch drei übrigbleiben." Ich seufzte. "Keine Ahnung, warum ich mir das antue. Betriebswirtschaftslehre, Volkswirtschaftslehre, eines ist so langweilig wie das andere."

"Ich weiß, warum ich hier bin. Meine Eltern möchten, dass ich etwas Solides lerne und irgendwann ihre Firmen übernehme." Man sah ihr an, dass sie aus der Münchner Oberschicht stammte. Mit ihrer blonden Mähne, der schlanken Figur, der Designerkleidung und dem Schmuck, den sie trug, passte sie genau in das Bild des Münchner Society-Girls. Aber unter der polierten Oberfläche befand sich eine Rebellin, ganz wie es meine Tarotkarte heute Morgen versprochen hatte. Ich spürte deutlich, dass sie innerlich bereits an den Gitterstäben ihres "goldenen Käfigs" rüttelte.

"Dann geht es dir wie mir. Ich soll einmal die Steuerberaterkanzlei meiner Eltern übernehmen. Ich kann mir nichts Langweiligeres vorstellen."

"Vielleicht sollten wir das Ganze hinschmeißen und zu dem stehen, was wir wirklich wollen", meinte Vanessa.

"Wenn ich das wüsste, würde ich es tun", sagte ich und verschwieg meinen Nebenberuf als Kartenlegerin. Diese Information würde ich erst dann preisgeben, wenn ich Vanessa besser kannte. Zu oft war ich in der Vergangenheit mit abfälligen Bemerkungen konfrontiert worden und der Frage: "Du glaubst an so etwas?"

"Geht mir genauso. Ich weiß auch nicht, was ich beruflich machen soll. Bisher habe ich nur herausgefunden, wozu ich keine Lust habe." Vanessa nahm einen Schluck von ihrem Kaffee und zog eine Grimasse. "Das Zeug ist fast so schlimm wie die Vorlesung."

Eine Stunde später schleppte ich mich zur Eingangstür des Apartmenthauses hinein, in dem ich wohnte. Die Einkaufstüten hatten mittlerweile ihr Gewicht verdoppelt, dabei hatte ich nur Obst, Gemüse und Müsli gekauft. Mein Versuch, gesünder zu essen. Das Gemüse würde ich in einer Woche in der Biomülltonne entsorgen. Trotzdem gab ich die Hoffnung nicht auf, zur fröhlich vor mich hin schnippelnden Hausfrau zu mutieren.

Ich holte tief Luft, um mich für den Aufstieg in den fünften Stock zu wappnen. Das Gebäude verfügte über einen Aufzug, aber ich benutzte ihn nie. Das Ächzen und Stöhnen, das jedes Mal erklang, wenn ich in der winzigen Kabine stand, reichte, um mich die Stufen freiwillig hinauf zu scheuchen.

"Kann ich dir helfen?", fragte eine männliche Stimme.

Ich sah vom Fußboden auf, den ich gemustert hatte, als gelte es, einen verborgenen Schatz zu heben. Vor mir stand ein verdammt gut aussehender Typ.

Tiefschwarze Haare, dunkelblaue Augen, durchtrainierte Figur, muskulöse Oberarme. Wow! Obwohl ich normalerweise nicht so sehr das Äußere, sondern eher die innere Verfassung eines Menschen erfasste, haute mich die Erscheinung des Mannes fast um. Mein innerer Radar schwieg, was die mentale und psychische Verfassung meines Gegenübers betraf. Ich war vollauf damit beschäftigt, seinen Anblick aufzusaugen.

"Klar. Warum nicht? Das wäre toll. Danke. Wirklich nett von dir", brabbelte ich wie eine Idiotin drauflos. Halt die Klappe, Jana, ermahnte ich mich in Gedanken.

"Kein Problem." Er packte die beiden Tüten, die ich auf den Boden gestellt hatte, und ging neben mir die Stufen hinauf. "Warum nimmst du nicht den Aufzug?"

"Ich hasse die Dinger", murmelte ich und versuchte ruhig und gleichmäßig zu atmen, anstatt nach Luft japsend neben ihm her zu keuchen.

"Kann ich verstehen." Er grinste. "Der Aufzug gibt Laute von sich, als stünde er kurz davor, in die Tiefe zu krachen."

"Genau!" Ich sah ihn an, als hätte er mir mitgeteilt, er wäre mein Seelenpartner. "Jedes Mal, wenn ich in der Kabine stehe, fange ich an zu beten."

"Ich bin übrigens Alexander, aber meine Freunde nennen mich Lex."

"Ich heiße Jana."

"Jana, schön, dich kennenzulernen."

Mir wurde heiß. Das musste an den vielen Treppen liegen. Mit Sicherheit hatte es nichts damit zu tun, dass dieser Lex mit mir flirtete.

Diese Woche triffst du deine große Liebe, flüsterte eine Stimme in meinem Kopf. Und verlierst sie gleich wieder, konterte eine andere Stimme.

"Alles in Ordnung mit dir? Du bist so ruhig."

"Oh! Nein, alles in Ordnung. Ich bin nur etwas außer Atem." Ich kramte meinen Schlüssel aus der Hosentasche und deutete auf die Tür, die links von den Treppen war. "Hier wohne ich. Danke für deine Hilfe."

Lex stellte die Einkaufstüten auf dem Boden ab und trat einen Schritt zurück. "Hab ich gern getan. Man sieht sich."

"Bis bald", sagte ich und sah ihm hinterher.

Lügner küssen besser

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