Читать книгу Lügner küssen besser - Birgit Kluger - Страница 16
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Ich lehnte mich in meinem Stuhl zurück und betrachtete fasziniert die Szene, die sich vor meinen Augen abspielte. Die Echtzeitübertragung meiner Kamera zeigte zwei Frauen, die im Hausflur standen. Streng genommen war daran nichts Ungewöhnliches. Meine Nachbarn unterhielten sich des Öfteren im Flur vor den Briefkästen.
Allerdings taten sie das selten über eine Stunde lang. Noch ungewöhnlicher war das Verhalten von Jana. Sobald jemand die Haustür öffnete, schoss sie zu ihrem Briefkasten und tat so, als würde sie die Post herausholen. Die andere Frau, wahrscheinlich ihre Freundin, stand währenddessen neben ihr und unterhielt sich mit ihr. Die beiden versuchten möglichst unauffällig Zeit zu vertrödeln, sodass der Hausbewohner, der hereinkam, vor ihnen in seiner Wohnung verschwand.
Ich beobachtete sie, seit ich Jana und die Andere auf meinem Bildschirm entdeckt hatte. Ein wohliges Gefühl breitete sich in mir aus, denn bald wurde eines klar. Sie warteten auf mich. Zum Glück sahen sie das Grinsen nicht, mit dem ich die leise geführte Unterhaltung über den Lautsprecher verfolgte.
Sie ist an mir interessiert!
Das war die beste Information seit Wochen.
Eine weitere Viertelstunde lang passierte nichts. Die beiden hatten aufgehört miteinander zu sprechen und lehnten nebeneinander an der Wand. Wahrscheinlich langweilten sie sich.
Um mich abzulenken, surfte ich durchs Internet und checkte meine E-Mails. Das Fenster der Überwachungskamera hatte ich etwas verkleinert, behielt es aber stets im Blick. Ich wollte wissen, was sie taten. Und vor allem, wie lange sie es im Flur aushalten würden, bis sie aufgaben. Kurz erwog ich, nach draußen zu gehen, entschied mich aber dagegen. Ich wollte nicht, dass Janas Freundin mich sah.
Also wartete ich.
Nach einer gefühlten Ewigkeit übertrug der Lautsprecher eine weitere Unterhaltung.
"Er hat mich auf einen Kaffee eingeladen, aber ich habe abgesagt", sagte Jana.
Ich drehte die Lautstärke höher und lehnte mich nach vorne, musterte ihre Gesichtszüge, als könne ich so herausfinden, weshalb Jana mich hatte abblitzen lassen. Zum Glück war ihre Freundin genauso neugierig wie ich.
"Warum?"
"Weil ich gespürt habe, dass er mit mir ins Bett will."
"Na und? Was ist falsch daran? Außerdem musst du nichts tun, was du nicht willst."
"Ich weiß, ich ärgere mich auch darüber."
"Vielleicht war das gar nicht so schlecht. Es ist besser, er merkt, dass du nicht so einfach zu haben bist."
"Ja, oder er redet nie wieder mit mir."
"Dann wollte er ohnehin nur Sex. Und du willst mehr, oder?"
"Ich weiß es nicht. Komm, lass uns nach oben gehen und einen Kaffee trinken. Das hier bringt sowieso nichts."
"Na gut, aber dann muss ich gehen. Ich will deine Chancen auf ein weiteres Treffen nicht ruinieren."
Ich sprang auf und ging zu dem Fenster hinüber, das von meinem Arbeitszimmer einen Ausblick auf den Hinterhof bot. Ich zog die Jalousie hoch, die meine Wohnung vor neugierigen Blicken schützte. Obwohl es dunkel war, konnte ich den Nieselregen sehen, der in langen, dünnen Fäden vom Himmel fiel.
"Kein One-Night-Stand", murmelte ich und schob die Hände in die Hosentaschen. "Schade."
Ich drehte mich um und ging zum Schreibtisch zurück.
Immerhin, ich war einen Schritt weiter. Ich wusste jetzt, warum sie mir eine Abfuhr erteilt hatte und dass sie das bereute.
Die Frage war nur: Wollte ich das Risiko eingehen, mit ihr etwas anzufangen?