Читать книгу Liebe in der Hochtal-Heimat: 7 Bergromane - Cedric Balmore - Страница 11
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ОглавлениеDie Sonne steht schon tief und neigt sich über das Rothorn.
Auf das kleine Haus der Frau Auracher fällt das Abendlicht schon fast purpurrot. Über das Dach fliegen die Krähen, jagen, kreisen und rufen ihre kurzen, heiseren Schreie einander zu.
Jetzt beginnt das Licht der Sonne unruhig zu werden, flimmert und erlischt hinter einem Bergkamm. Androt beschattet seine Augen mit der Hand, um den Weg besser sehen zu können, der zu dem Hause führt, in dem Dina wohnt.
Er denkt an nichts anderes, als dass er jetzt am Abend, wenn die Auracherin im Stall ist, Gelegenheit hat, mit Dina allein zu sein. Und dass er diese Gelegenheit nützen wird, endlich!
Vor dem Hause trifft Androt die Auracherin.
„Ihr seid wohl die Tante Lena?“, fragt er und denkt daran, dass Dina die Auracherin so nennt. „Und hier wohnt wohl auch die Dina Falk?“
„Diese Tante Lena bin ich schon, und die Dina wohnt bei mir. Aber wer seid Ihr denn, Herr?“
„Der Androt!“
Der Schreck fährt der Auracherin in die Glieder. Wenn der große Werksbesitzer selbst hier herauf kam, musste es etwas Besonderes zu bedeuten haben.
Die Auracherin wischt mit der Schürze den Tisch vor Androt ab, obwohl er blank und sauber ist.
„Was kann ich dem Herrn bieten? Ein Gläschen Heidelbeerschnaps?“
„Nichts, nichts, liebe Frau Auracher“, wehrt Androt ab. „Ich wollte nur Dina sprechen. Sie ist doch zu Hause?“
Der Auracherin gibt es einen Stich ins Herz.
„Dina kann nicht weit sein“, beteuert die Tante. Nur hier auf dem Waldweg. Sie bleibt nie lange aus. Höchstens eine halbe Stunde. Wenn der Herr selbst dort hinübergehen möchte, gegen den Lungbühl zu …“
„Ist gut, Frau Auracher.“ Androt macht jedoch keine Anstalten, sich zu erheben. „Es ist ganz gut, dass wir beide ein Wort allein miteinander reden können. Hat Ihnen Dina nicht erzählt, welche Stellung sie bekommen soll?“
„Kein Wort!“ Die Auracherin vergisst in ihrer Bestürzung, dass sie noch immer die Schürze erhoben hat, als ob sie die ganze Stube mit ihr reinfegen wollte.
„Wir bauen doch jetzt das neue Werk. Neue Maschinen kommen. Und Dina soll Leiterin der Woll- und Flachseinkaufsabteilung werden, mit Jahresgehalt und fester Stellung.“
„Das Glück! Das große Glück!“ In den Augen der Auracherin stehen Tränen. „Nun ist es mir klar, warum Dina so verändert ist! Das Mädel hat zu viel im Kopf. Wird sie das auch leisten können?“
„Dina schon“, gibt Androt mit gleichgültiger Stimme zu. „Nur ob sie es wollen wird? Was sagen Sie dazu, Frau Auracher! Überlegen wird sie es sich noch!“
„Überlegen?“ Die Auracherin lässt sich jetzt auf den wackligen Sessel fallen. „Das ist doch nicht möglich, du lieber Gott, das ist doch wirklich nicht möglich! Dieses Glück! Dina hat keine Eltern mehr. Und hier heroben bei mir … die kleine Wirtschaft mit den paar Ziegen und Schafen und der einen Kuh …“
„Ja, es ist aber doch so“, brummte Androt. Dann neigt er sich ein wenig über den Tisch und legt seine fleischige Hand auf den Arm der Auracherin. „Auch sonst könnte Dina ihr Glück machen, liebe Frau. Bei mir könnte Dina ihr Glück machen. Aber die jungen Mädchen haben immer ihre Flausen im Kopf. Denken an irgendwelche junge Burschen. Die Dina wohl auch?“
„Die Dina nicht – die Dina wirklich nicht!“ Die Auracherin greift sich wie beschwörend ans Herz. „Die Dina ist immer zu Hause. Die geht nirgends hin.“
Androt hebt abwehrend die Hand und steht auf. „Lassen Sie nur, Frau Auracher. Es hat alles seine Richtigkeit. Wohin, haben Sie gesagt, pflegt Dina am Abend zu gehen? Den Waldweg entlang?“
„Den oberen Weg“, fällt die Auracherin erfreut ein. „Ich werde Ihnen zeigen, wo er abbiegt. Man sieht es von der Haustür.“
Dann begleitet sie Androt hinaus.
„Dort rechts, bei der großen Lärche, dort zweigt der Weg von dem unteren Wiesenweg ab. Diesen Weg gehen Sie weiter, durch schütteren Wald. Dann kommen zwei Bänke. Sie können nicht fehlgehen.“
Androt reicht der alten Frau die Hand. „Vergessen Sie nicht, was ich Ihnen gesagt habe, Frau Auracher. Treiben Sie dem Mädel die Flausen aus dem Kopf. Dann wird schon alles gut werden. Für euch alle gut werden.“