Читать книгу Liebe in der Hochtal-Heimat: 7 Bergromane - Cedric Balmore - Страница 15

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Walch sitzt mit Nagiller auf einem Haufen welker Nadeln. Nebel und Tau haben den braun berieselten Waldboden feucht gemacht.

„Du bist wohl nicht aus dieser Gegend?“, fragt Nagiller, ein großer, stämmiger Mensch mit einer langen Narbe an der rechten Stirnseite. . .

„Es ist so“, erwidert Walch und zündet sich eine Zigarette an, indem er die Zündholzschachtel unter den Rock hält, um einen verdächtigen Lichtschein zu vermeiden.

„Ich bin erst vor drei Wochen nach Korins gekommen. Und ich wäre froh, wenn ich schon wieder fort wäre.“

„Bei dir kennt man sich nicht aus“, sagt der Nagiller. „Ich merke schon, dass du an irgend etwas herumbohrst!“

„Lass mich in Ruhe.“ Walch ist verdrießlich. Er macht einen tiefen Zug aus seiner Zigarette.

„Du kannst einen anstecken“, brummt Nagiller. „Alles Schwere kommt mir in den Kopf, wenn ich so neben dir einhergehe. Nur bei dir geht es mir so. Den anderen ist es gleich, wie so etwas ausgeht. Sie haben nichts zu verlieren. Ich könnte ums Leben nicht mehr lachen, wenn ich ins Gefängnis käme.“

„Ich komme aber von dort!“ Walch blickt auf. „Du hast recht, Nagiller, das Lachen verlernt man dort. Für immer. Warum machst du denn mit? Was wir treiben, weißt du doch?“

Nagiller senkt den Kopf. Eine Weile stochert er in seiner kalt gewordenen Pfeife herum. „Wenn du mich schon fragst: Meine Eltern hatten am Korinser Hochboden eine kleine Wirtschaft – arme Gebirgsbauern. Du weißt, wie das geht. Abgewirtschaftet, aber nicht aus eigener Schuld. Dreimal hat mir der Androt schon Geld gegeben. Es war aber nicht mehr aufzuhalten. Bei der Maulseuche im vorigen Jahr ging die letzte Kuh dahin. Die kleine Wirtschaft ist versteigert worden, der Vater gestorben! Die Mutter lebt im Armenhaus. Dann verlangte der Androt sein Geld zurück, wenn ich nicht für ihn Grenzgeher werde.“

„Und du? Musst du gehen? Was kann er dir noch tun?“

Nagiller lacht auf. „Natürlich muss ich nicht. Jetzt nicht mehr. Nur heute noch. Die kleine Wiese und die Ziegen, die mir geblieben sind, habe ich verkauft. Morgen haue ich ab. Zurück komme ich nicht mehr.“

„Und das soll der Androt nicht erfahren haben?“, meint Walch nachdenklich. „Wenn einer seine Sach’ verkauft?“

„Mir ist es gleich“, wehrt Nagiller ab. „Gehen wir jetzt.“ Nagiller steht langsam auf und dehnt sich. „Viel haben wir diesmal nicht zum Tragen“, meint er und zeigt auf die zwei leichten Rucksäcke, die sie aufnehmen.

Die beiden Männer schreiten jetzt in dem Hochtal bergan. Der Weg von Korins, das 1500 Meter hoch liegt, zum Larennjoch ist nicht weit. Kaum anderthalb Stunden auf dem Karrenweg. Wer aber auf Umwegen durch die Malosa-Schlucht muss, braucht die doppelte Zeit.

Das Wasser kleiner Wildbäche rieselt über glatt geschliffene Felswände, allmählich tritt der Wald zurück.

Nach einer halben Stunde bleiben die Männer stehen. Nagiller entnimmt seiner Tasche eine kleine Schachtel und hält sie Walch hin. Sie schütten sich schwarzen Ofenruß auf die hohlen Hände und reiben sich damit die Gesichter ein.

Nagiller hebt den Rucksack ab und zieht seinen zerlegbaren Stutzen hervor, den er sorgsam zusammensetzt.

„Alles in Ordnung“, meint er. „Für alle Fälle. Erwischen lasse ich mich nicht.“ Regungslos lauschen die beiden jetzt gegen das Joch zu.

Walch weiß, dass der Tod in dem Rohr sitzt, das Nagillers Hände umspannen. Seine Augen sind auf den schmalen Steig gerichtet, der sich wie ein zwei Fuß breiter Streifen an den steilen Felswänden hinschlängelt. Ab und zu bleiben die beiden stehen.

„In der Malosa-Schlucht sind die Grenzer heute nicht“, meint Nagiller.

Walch hört ein leises Knacken. Nagiller hat den Büchsenhahn gespannt.

„Hol es der Teufel“, sagt Nagiller leise. „Der Mond kommt hervor.“

Das fahle Licht des Halbmondes leuchtet über den wilden, zerrissenen Felsmassen, die ernst und schweigend gegen den Himmel starren.

„Hast du mir noch etwas zu sagen?“, fragt Nagiller leise.

„Wenn dir – wenn dir etwas zustoßen sollt’? Hast du wo ein Mädel?“

Walch blickt stumm vor sich hin. „Nichts weiter, Nagiller. Aber Botschaft kannst du schon einer sagen.“

„In Korins?“

Walch nickt. „Der Falk Dina. Kennst du das Haus, in dem die Auracher wohnt?“

„Ich kenne schon die Auracherin“, kommt es leise zurück. „Und auch die Dina. Ist schon recht, Walch. Und wenn es mich trifft, den Weg in das Armenhaus in Körtschach kennst du.“

Eine Zeitlang verbringen die beiden Männer noch lauernd in ihrer wartenden Stellung. Nirgends ist der Laut eines Lebewesens zu hören.

Nach einer Weile fröstelt es Walch, die Nachtluft ist kalt hier in zweitausend Meter Höhe.

Dann gehen sie weiter. Um die Bergschuhe haben sie jetzt alte Säcke gebunden. Manchmal fährt Walch zusammen, als schüttle er ein hässliches Bild ab, das sich vor seine Seele drängt!

„Horch – was ist das?“

Ein Schuss rollt durch die Nacht, es donnert in wiederholtem Echo von Wand zu Wand.

Nagiller bleibt stehen. Seine Augen suchen die Schattenseite des Kars zu durchdringen.

„Verdammt“, flucht er vor sich hin. „Welcher Dummkopf schießt hier unter dem Joch und macht die Grenzer wie die Hummeln auffahren? Jetzt in der Nacht gibt es keine Wildschützen.“

„Halt, ihr dort unten!“, schreit auf einmal eine Stimme vom Larennjoch herab. „Halt, oder ich schieße!“

Walch und Nagiller wissen, dass sie im fahlen Licht des Mondes zu sehen sind.

„Mir nach!“, ruft Nagiller leise Walch zu. „Lauf nur immer mir nach. Über die Grenze können wir nicht mehr.“

Walch läuft hinter Nagiller. Wie zwei Urmenschen mit schwarzen Gesichtern und Säcken an den Füßen eilen sie dahin.

„Dort zum Wildbach!“, flüstert Nagiller. „Wir müssen durch die Malosa-Schlucht.“

Jetzt schießt es noch einmal vom Kamm her, gegen den Weg, der hier zur meteorologischen Station abzweigt.

„Welcher Narr schießt hier auf die Grenzer?“ Voller Wut sagte es Nagiller. „Sie werden gleich feuern. Wir müssen unter der Wasserwand durch. Halte dich dicht hinter mir.“

Die beiden schwarzen Männer laufen jetzt so rasch auf dem schmalen Steig, als sie ihre sackverbundenen Füße tragen.

Dann donnert es vom Joch her aus tödlichen Gewehren.

„Das sind Grenzerstutzen“, keucht Nagiller. Zwischen den hohen Blöcken im Kar erscheinen die Gestalten zweier Grenzer.

„Nur mehr hundert Meter“, ruft Nagiller. „Dann haben wir die Schlucht. Dort hinein traut sich kein Grenzer, wo ich sie aus dem Hinterhalt abknallen kann. Lauf voran, ich decke dich hier bei der Wettertanne.“

Während Walch weiterhastet, nimmt Nagiller hinter der Tanne Deckung.

„Ergib dich, oder du bist hin!“, schreit jetzt einer der Grenzer Walch zu. Keine zwanzig Meter hat er noch bis zur schützenden Klamm.

Hinter der Tanne fährt ein Feuerstrahl hervor. Nagiller hat geschossen. Fast in demselben Augenblick zuckt ein zweiter Blitz durch die Nacht.

Walch sinkt zu Boden.

Schon will sich einer der Grenzer dem Getroffenen nähern, als wie aus der Erde gestampft Nagiller aufspringt. Mit seinem geschwärzten Gesicht gleicht er einem rasenden Teufel.

Der Grenzer prallt zurück.

Ein anderer Grenzer schießt jetzt auf Nagiller, der Schuss geht fehl. Nagiller ist schon bei dem am Boden liegenden, der laut aufstöhnt, und hilft ihm auf.

Noch einmal blitzt ein Schuss. Nagiller feuert blindlings in das Kar hinauf, lädt wieder seinen Stutzen, schießt noch einmal.

„Wir müssen in die Höhle“, raunt Nagiller dem Verletzten zu. „Kannst du gehen?“

„Ja.“

Der Mond leuchtet ihnen auf ihrer Flucht, die an der steilen Felswand vorbeiführt, bis endlich die finstere Schlucht beide aufnimmt.

„Die Grenzer stehen oben!“ Nagiller keucht vor Anstrengung.

Gleich darauf hüllt Walch eine undurchdringliche Finsternis ein. Nagiller hat den Eingang zur Malosa-Höhle erreicht. Dort zündet er seine Laterne an. Walch beißt die Zähne zusammen, um nicht vor Schmerzen zu stöhnen. „Der Kopf schmerzt so.“

„Wir müssen noch ein Stück weiter, damit uns das Licht nicht verrät“, erklärt Nagiller.

Es geht jetzt um Leben und Tod, denkt er. Wenn der Walch verloren ist, soll er wenigstens seine Ruhe zum Sterben haben!

Die Höhle ist in der Tiefe von einem dumpfen Brausen erfüllt. Dort kommt irgendwo der Malosa-Bach aus der Felswand hervor. Nagiller bleibt stehen. Er bettet Walch vorsichtig an einer trockenen Stelle. Überall fließt an den Wänden das Wasser herab. Nagiller tränkt sein Sacktuch mit kaltem Wasser und drückt es Walch an die Schulter. Dann hängt er die Laterne an einen vorspringenden Felsen. Jetzt erst macht sich Nagiller daran, die Wunde des Kameraden zu untersuchen.

„Ich meine, die Wunde ist ungefährlich“, sagt er zufrieden. „Schulterschuss ganz oben. Drei Finger breit, und die Kugel wäre ins Gesicht gegangen.“

Nagiller reißt sein eigenes Hemd herunter und verfertigt daraus einen kunstgerechten Verband. Dann reicht er Walch die Schnapsflasche. „Trink, das gibt Kraft! Wenn es oben ruhig geworden ist, bringe ich dich hinunter nach Korins.“

„Zu Dina“, sagt Walch leise.

Liebe in der Hochtal-Heimat: 7 Bergromane

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