Читать книгу Liebe in der Hochtal-Heimat: 7 Bergromane - Cedric Balmore - Страница 19
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ОглавлениеNach einem halbstündigen Weg erreicht Veit die Trafon-Hütte. Die Tür ist unversperrt, der Hund bellt wütend. Veit wartet, bis er von seinem Herrn zur Ruhe verwiesen wird und tritt dann ein.
„Das ist aber eine seltene Freude“, sagt Peer und schiebt Veit einen Stuhl hin.
„Dienstgang mit dem Patscheider“, erklärt Veit kurz. „Wegen der gestrigen Schießerei.“
„Und?“, fragt Peer aufmerksam geworden.
„Natürlich nichts herauszukriegen. Geschossen haben vier oder fünf Grenzer. Nachdem sie angeschossen wurden, aber nicht von der Seite her, von der die Schmuggler kamen! Das ist das Merkwürdige an der Sache. Hast du jemals gehört, dass ein Schmuggler nächtlicherweise auf die Grenzer knallt? Das müssten doch Kindsköpfe sein. Am frühen Morgen ist einer auf der Landstraße verblutet. Ein gewisser Walch. An einer inneren Gehirnblutung.“
Peer hört Veit aufmerksam zu, seine ruhigen Augen fest auf ihn geheftet. Als Veit stockt, sagt er nur: „Erzähle ruhig weiter.“
Peer lässt seinen Besucher zu Ende erzählen. Dann blickt er nachdenklich dem Rauch seiner Pfeife nach.
„Mir scheint, dass dir die Sache irgendwie nahe geht? Nicht nur als Amtsperson. Soviel ich in den zwei Jahren, die ich hier am Trafon bin, weiß, ereignet sich derartiges alle paar Monate. Du sprichst so erregt, ich möchte fast sagen, bedrückt. Die Sache hängt also irgendwie mit dir persönlich zusammen? Sage mir, was dich drückt, Veit! Vielleicht kann ich dir helfen! Ich habe doch sonst keinen Freund. Ich werde ja hier von Jahr zu Jahr immer einsamer!“
Veit starrt durch das Fenster in die Weite.
„In mir ist alles so freudlos, schwermütig geworden“, sagt Veit endlich. „Du hast natürlich recht gesehen, Hannes. Oder recht gefühlt. Mir ging es so wie den Bergen dort drüben. Sieh doch nur hin!“
Peer folgt den Blicken seines Besuchers. Die Glut auf den Bergen verblasst eben. Tiefviolette Schatten legen sich über das farbige Bild. Es dauert nur wenige Sekunden, bis die Felsgewände grau und düster dastehen, tot nach dem glühenden Leben, das sie eben noch übergossen hatte. Auch der seltsame gold-violette Glanz am Himmel verschwindet.
„Was ist also wirklich geschehen? Dir geschehen?“
„Wir haben uns lange nicht ausgesprochen“, beginnt Veit. „Du weißt, dass ich Gertrud geliebt habe, mit der ruhigen, aufrichtigen Liebe, die ein einfacher Mensch wie ich zu einem Mädchen haben kann. Ich habe nicht viel erlebt, Hannes. Die zwei Jahre auf der landwirtschaftlichen Schule in der Stadt zählen da wohl nicht. Da war man wie ein junger, dummer Hund. Aber Gertrud habe ich trotzdem immer die Treue gehalten. Bis …“
„Bis?“ Erstaunt fragt es Peer.
„Bis Dina Falk nach Korins gekommen ist, die Nichte der Auracherin. Da kam die große Unruhe über mich. Ich stand zwischen den beiden – es war fast wie ein Rausch, der über mich kam. Aber glücklich bin ich nicht geworden. Und weiß erst recht nicht, wohin ich gehöre.“
„Dina also“, sagt Peer und blickt durch das Fenster. Die ersten Sterne am Himmel blitzen auf. Im Tal unten liegen schon finstere Schatten.
„Ja, Dina. Ich dachte mir dies alles so einfach, wenn ich mit Gertrud beisammen war, konnte ich fast die Dina vergessen. Und wenn ich Dina sah, versank die ganze Welt für mich. Aber das ist es nicht, was ich erzählen will. Das muss ich mit mir allein abmachen. Aus dieser Wirrnis muss mich irgend etwas erlösen. So dachte ich immer. Und jetzt …“
Veit stockt. Er blickt dein Rauch seiner Zigarette nach.
„Was ist also geschehen?“, fragt Peer ungeduldig.
„Es ist in wenigen Worten erzählt, Hannes. Dina traf sich öfters mit einem Mann, den mir die Gendarmen als entlassenen Sträfling zur besonderen Beobachtung empfohlen hatten. Ludwig Walch heißt er. Man hinterbrachte es mir, und Dina konnte es kaum leugnen.“
„Traf sich? Was heißt das? Und ist das alles?“
„Nein, es ist nicht alles. Noch lange nicht. Dieser Walch gehört zu den Schmugglern, die gestern dabei waren. Er wurde dabei schwer verletzt. Natürlich muss er irgendwo die Nacht in Korins verbracht haben. Der Patscheider behauptet, dass die Spuren in Dinas Haus führen. Er sagte es Dina auf den Kopf zu. Sie leugnete und bezeichnete die Blutflecken als von einem Hasen stammend. Patscheider kann solche Spuren hier nicht chemisch untersuchen. Es war ihm auch ziemlich gleichgültig, wo der Schmuggler die Nacht zubrachte. Wenn Schmuggel feststeht, geht es auch mehr die Grenzwache an. Heute morgen fand man diesen Walch tot an der Straße nach Unterachen. Gehirnblutung! Ich musste mit dem Patscheider heute morgen bei Dina eine Hausdurchsuchung machen.“
„Und was kam dabei heraus?“
„Nichts. Eben der blutige Hase, den Dina von Gertruds Vater bekommen hatte, wie Gertrud mir auch bestätigte, als ich sie fragte.“
„Und dieser arme Hase schreckt dich jetzt so sehr, dass du mir das alles erzählen musst?“
„Nicht, der Hase, Hannes. Eine Frage habe ich an dich: Hast du Dina eine Zigarette geschenkt?“
„Dina eine Zigarette?“ Peer denkt eine Weile nach. Seine Lippen sind fest zusammengepresst. Dann sieht er Veit unsicher an.
„Ja – vor einigen Tagen. Sie nahm sie mit.“
„Welche Marke, Hannes?“
„Das weiß ich nicht mehr. Ich rauche meist nur Pfeife. Wenn ich Zigaretten bekomme, hebe ich sie auf. Übrigens lehne ich ein Verhör solcher Art ab, wenn du mich als Amtsperson befragst!“
Irgendeine Stimme sagt Veit, dass Peer gelogen hat, gelogen haben muss. Nun kommt eine merkwürdige Ruhe über Veit. Eine Ruhe, die alles vergessen macht, was er gelitten hat unter seinem Verdacht.
„Hannes, liebst du Dina? Du musst es mir sagen.“
„Das sind große Worte“, lenkt Peer ab. „Ich bin kein Jüngling mehr. Ich pflege in derlei Dingen meine Vernunft zu bewahren und auch nicht davon zu plaudern. Ich möchte dir nur vorschlagen, dass sich auch wenn es so wäre, nichts zwischen uns ändern soll.“
„Und liebt Dina dich?“ Veit richtet sich auf, seine Finger zerreißen vor Erregung die Zigarette. „Darf ich dich das fragen?“
„Ich verstehe, dass du hierzu das Recht hast. Ich kann diese Frage aber nicht beantworten. Junge Mädchen täuschen sich oft selbst über ihre Gefühle. Es ist auch gleichgültig. Ich glaube nicht, dass ich mit dir in einen Wettbewerb treten werde.“
„Warum nicht?“
„Das gehört auf ein anderes Blatt. Diese Dinge gehen nur mich allein an. Ich werde dir nicht im Wege stehen, wenn Dina dich liebt, Veit. Ich werde auch Dina nicht für mich zu gewinnen suchen, auch wenn sie mich lieben sollte. Ich kann nicht die Schleier zerreißen, die über meinem Schicksal liegen.“
„Und dieser Walch? Hältst du Dina für ein reines Mädchen?“
„Ich weiß nicht, was du damit bezeichnest!“ Peer sagt es mit harter Stimme. „Ich weiß nur, dass Dina ein Mädchen mit reinem Herzen ist.“
„Wenn der Walch ihr Geliebter war? Früher einmal? Ein Verbrecher!“
„Wenn er das war, muss man doppelt gütig zu Dina sein. Dann ist sie ärmer als wir beide, Veit.“
„Und was rätst du mir? Als mein Freund?“
„Dass du die Gertrud nehmen sollst: Ich hoffe, du wirst mir keine falschen Beweggründe für diesen Rat unterschieben! Ich werde trotzdem nicht um Dina werben. Im Übrigen denke ich, dass es allein auf Dina ankommt! Ob sie für dich Liebe empfinden kann – später einmal – weiß ich nicht. Dass sie es jetzt nicht tut, steht für mich fest. Ich sehe, dass du jedes Wort, das von Glück und Hoffnung spricht, durstig in dein Herz aufsaugst. Ich will dir daher nicht die Hoffnung nehmen. Und nun leb wohl, du kannst meine Laterne nehmen. Schicke sie mit Dina zurück, wenn sie mir Butter und Milch bringt. Ich muss jetzt die letzten Abendablesungen machen.“
Peers Finger umschließen kräftig Veits Hand. „Leb wohl, Veit. Und grüße mir Dina.“
„Leb wohl, Hannes. Zwischen uns soll nie etwas stehen. Auch Dina nicht. Mein Wort darauf.“