Читать книгу Liebe in der Hochtal-Heimat: 7 Bergromane - Cedric Balmore - Страница 13

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Der Schlüssel zur Trafon-Hütte liegt unter einem Stein. Dina stellt ihren Tragkorb mit der Milchkanne und Butter sorgfältig an der Hauswand ab und sperrt auf. Sie weiß, dass Peer nicht weit sein kann. Er liest die Regenmesser ab, die unweit der Hütte auf dem Berggrat aufgestellt sind.

Bevor noch Dina ihren Korb ausgepackt hat, hört sie schon die schweren Schritte Peers im Vorraum und das Bellen des Hundes.

„Du bist ja heute früh daran“, meint Peer voller Freude und reicht Dina die Hand. „Ich dachte schon, Einbrecher hätten mich beehrt!“ Tasso, der graue Schäferhund, springt freudig an Dina hinauf, dass sie sich kaum wehren kann. Dann macht er es sich in seiner Ecke bequem, ohne Dina aus den Augen zu lassen, bis er sich endlich auf die Seite legt und einschläft. Peer schaltet ein Instrument ein, das auf seinem Arbeitstisch steht.

„Was ist das für ein neuer Apparat?“, fragt Dina.

„Er misst die elektrischen Spannungen in der Luft.“ Peer zeigt ihr, wie der Apparat funktioniert. Sie bestaunt die einzelnen Teile, die Peer mit geschickten Händen auseinander nimmt.

„Mit dieser Spule hier kenne ich mich nicht aus“, meint Peer nach einer Weile. „Ich zeichne all diese Kurven rein mechanisch. Ich habe ja schließlich nicht Meteorologie studiert. Was ich hier mache, kann jeder intelligente Bauernbursche auch, wenn man ihn dazu abgerichtet hat und er einige Bücher liest.“

„Nicht studiert? Ich denke doch, dass du ein Studierter bist?“, fragt Dina erstaunt. „Du hast doch öfter so etwas gesagt. Und nun soll es auf einmal nicht stimmen?“

Ein Sonnenstrahl stiehlt sich durch das Fenster und senkt sich wie ein goldener Streifen auf ihre Haare.

„Wollen wir auf das Hausdach gehen, wo wir die Berge vor uns und den Himmel über uns haben?“, fragt er leise. „Dann will ich dir auf deine Frage antworten.“

Dina ist so sonderbar erregt, sie hat noch die Bangigkeit der letzten Tage in sich, dass ihr Herz auch jetzt noch beengt ist und unruhig schlägt. Peer legt den Arm um ihre Schulter und zieht sie vorsichtig nach der Mitte des geländerlosen Turmes.

„Hier vorne geht es viele hundert Meter senkrecht hinunter“, mahnt er sie. „Es ist besser, du trittst nicht zu nahe an den Rand.“

„Ich bin ja schwindelfrei“, sagt Dina tapfer.

„Gewiss. Aber wir Menschen haben immer irgendeinen Abgrund neben uns, auf den wir achten müssen.“

„Warum so feierlich?“ Dina versucht ihre Beklommenheit durch leichten Spott zu verbergen.

„Weil ich dir in dieser Stunde etwas sagen muss, was kein Mensch in dieser Welt von mir wissen darf. Und ich will es dir sagen, damit du siehst, wie sehr ich dir vertraue. Und wie sehr lieb ich dich habe.“

Dina schweigt einige Herzschläge lang. Dann sagt sie leise und sehr weich: „Wenn es dir schwer fällt, Hannes, so schweige. Es genügt mir, dass du es tun wolltest. Ich will nicht, dass du dich dazu zwingst. Es hat mir oft sehr leid getan, dass ich etwas von dir haben wollte, das du mir nicht geben konntest. Dass ich dich vom Herzen lieb habe, weißt du ja.“

Eine Weile ist das Gespräch zwischen ihnen beengt wie von einem Druck, den beide fühlen. Kaum wagen sich die Stimmen von einem zum anderen.

„Du hast recht“, sagt er dann. „Etwas kann ich dir nicht geben. Dina! Eine sorglose, gesicherte Zukunft an meiner Seite. Deswegen muss meine Liebe schweigen. Meine Tätigkeit hier erfordert wirklich keinen Gelehrten. Ich bin ein einfacher Beobachter, bei dem es mehr auf die Fähigkeit ankommt, in Sturm und Winter die Einsamkeit zu ertragen, als auf Wissenschaft und Kenntnisse.

Mein Beruf ist das nicht. Meine Lebensart war eine andere!“

Dina schmiegt sich eng an Peer. Als ob das, was er ihr sagen wird, eine unüberbrückbare Kluft zwischen ihnen aufreißen müsste.

„Und einen Weg gibt es nicht von mir zu dir“, setzt er dann leise hinzu.

Ein tiefer, wilder Schmerz bricht in Dinas Herzen auf. Als ob die Welt, die hier unter ihnen liegt, in Trümmer stürzen würde.

Peer spürt ihr Weh, seine Hand fährt leicht über Dinas weich gewelltes Haar.

„Sei nicht traurig, du bist doch die kleine, immer so tapfere Dina!“

„Ob ich es wirklich bin?“ Dina blickt ihn nachdenklich an. „Ich weiß, dass etwas zwischen uns steht. Ich habe es seit jeher gefühlt. Du trägst einen Kummer mit dir herum, und du hast mir nie gesagt, was dich bedrückt, obwohl wir uns einmal das Versprechen gaben, immer treue Kameradschaft zu halten!“

„Du sollst es wissen, Dina. Ich heiße nicht Peer. Mein Name tut nichts zur Sache. Er ist durch den Schmutz gezogen worden. Ich war Arzt. Ein junger, mit Idealen erfüllter Arzt. Mein Beruf führte mich zu einer jungen Frau, ihr Mann hatte sie verlassen um einer anderen willen. Julia war krank, sehr krank. Sie war von jener Krankheit befallen, die leicht zu besiegen ist, wenn sie uns Ärzten frühzeitig unter die Hände kommt. Krebs! Erspare mir jetzt, die Leidensgeschichte der armen Julia zu erzählen. Meine Aufzeichnungen werden vielleicht einmal Wert für Ärzte haben.

Als junger Assistent tat ich alles, um diesen Erzfeind der Menschheit zu besiegen. Wäre Julia ein Jahr früher in meine Behandlung gekommen! Ob ich Julia liebte? Du darfst mich nicht fragen, Dina! Ich weiß es nicht. Wenn aus Mitleid, aus überquellendem, unendlichem Mitleid Liebe entsteht, dann habe ich sie vielleicht geliebt. Wie man einen kranken, dem Tod verfallenen Menschen lieben kann, selbstlos! Ihre Liebe zu mir war aber ehrlich und wahr. Wenn es wirkliche Liebe wahr, die Julia an mich band, so war sie durch das Vertrauen geboren, dass ich sie retten würde. Da ich wusste, dass Julia verloren war, belog ich sie. Versprach ihr Rettung. Mag alles gewesen sein, wie es will. Niemand hat ein Recht, mich deswegen zu verdammen. Ich hoffte auf das gütige Schicksal, das Julia frühzeitig in den Tod führen musste, bevor meine Lüge offenkundig wurde. So waren die letzten Monate von einem Glück verklärt.

Ich verstand es, ihre Angstfalten von der bleichen Stirn zu verjagen, in dem ich ihre Befürchtungen kurzerhand abtat. Was mir als Arzt zu tun übrig blieb? Nichts, als ihr die Schmerzen zu nehmen. Und welche Schmerzen!

Ich besiegte auch den Schmerz. Das können wir Ärzte, wenn es keine Rettung mehr gibt. Morphium!

Nie im Leben werde ich den Augenblick vergessen, in dem ich Julia zum ersten Male von ihrem Schmerz befreit hatte. Da schlang sie die Arme um mich. Ich küsste Juli, aus mitleidiger Liebe küsste ich sie. Ich hatte natürlich auch andere Kranke. Ich arbeitete Tag und Nacht. Aber immer stand Julias leidendes Antlitz vor meinem Auge. Ein engelhaftes Antlitz, von goldblonden Haaren umrahmt. Ich konnte sie trotzdem nicht so lieben, wie sie mich. Ich wusste, dass der Verfall immer näher kam.“

Peer schweigt eine Weile, reglos neben Dina sitzend und an alles zurückdenkend, was gewesen. „Nach meiner Rechnung, nach aller ärztlichen Voraussicht, hatte Julia noch vier bis fünf Monate zu leben. Dass Julia starb, dass ihr Herz versagte, als ich gerade drei Tage verreisen musste … Ich verstehe es heute noch nicht. Wenige Stunden nach meinem letzten Besuch erlosch ihr zerstörtes Leben. Unvorhergesehen, unfassbar. Ich wusste es nicht, erfuhr es nicht. Ich saß nachts im Zuge.

Was dann alles kam, erspare mir zu erzählen. Anfeindungen Schmutz und Tratsch. Mord aus Mitleid? Irgend ein Reporter fand diesen Titel für seinen Bericht. Diese Frau Pongraz hatte höchst übel gegen mich ausgesagt. Sie will gehört haben, wie ich Julia versprach, sie von ihrem Leiden zu erlösen.

Als ich in die Stadt zurückkehrte, ging ich zu einem Anwalt. Er riet mir, mich den Behörden zu stellen, hielt meine Lage für aussichtslos. Natürlich würde es mich nicht den Kopf kosten, meinte er abschließend. Seiner Geschicklichkeit würde es gelingen, dass ich mit einer kurzen Freiheitsstrafe davonkäme. Mord aus Mitleid! Es gab Berufung und Nichtigkeitsbeschwerden; man würde die Presse für mich in Bewegung setzen, für meine lauteren Motive. Ich aber dachte an meine blinde Mutter. Wenn ich verschwand, konnte ich ihr weiter helfen. Heimlich! Meine ärztliche Laufbahn war auf jeden Fall zu Ende. Zerstört! Auch wenn ich nur wenige Monate erhielt! So ging ich weit fort. Meinen Namen änderte ich mit Hilfe eines guten Freundes und seiner Papiere. Dass ich unschuldig war, weiß nur meine Mutter. Und jetzt du, Dina. Ich war machtlos gegen die Härte meines Schicksals. Ein Zufall kam mir zu Hilfe. Jemand berichtete, dass er mich in Südamerika gesehen hätte. Irgendwo in dem argentinischen Hochgebirge. Niemand suchte nach mir.

Nun habe ich es dir gesagt, Dina. An dem Tag, an dem ich dir gestand, wie lieb ich dich habe, weil es zugleich der Tag ist, an dem es für uns beide feststehen muss, dass nie etwas zwischen uns sein kann.“

Peer sagt es so hart und unerbittlich, dass Dina es fühlt: Dagegen gibt es keinen Einwand. Wird es nie geben!

Sie leidet an der Not, die über Peer gekommen war. Ihr Rechtssinn und ihre Güte lehnen sich gegen diese Härte auf, der Peer erlegen ist.

Peer steht jetzt auf und zieht Dina an der Hand hoch.

„Wir müssen hinunter“, sagt er mahnend. „Es wird kalt, der Wind hat gedreht. Wir werden Schnee bekommen.“

Liebe in der Hochtal-Heimat: 7 Bergromane

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