Читать книгу Liebe in der Hochtal-Heimat: 7 Bergromane - Cedric Balmore - Страница 20
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ОглавлениеZwei Tage sind vergangen, zwei endlos lange Tage, in denen Dina an nichts anderes denken konnte als an die furchtbare Nacht, in der ein zum Tode Verurteilter in ihrer Kammer gelegen hatte. Einer, den sie bei der Morgendämmerung gehen ließ – seinem Schicksal entgegen.
Die Sirene der Spinnerei heult auf. Zwölf Uhr!
Die Nachmittagsschicht tritt an, ein Dutzend Halbtagsarbeiterinnen.
Dina begibt sich in das Magazin. Große Haufen Wolle harren noch darauf, in den Krempelraum gebracht zu werden.
In Androts Privatkontor steht Blust und hält ein Kontobuch in der Hand.
„Was haben Sie über den Nagiller in Erfahrung gebracht?“, fragt Androt.
„Nichts Gutes und nichts Schlechtes. Gestern war er in Körtschach, seine Mutter besuchen. Und abends im Wirtshaus. Den Gendarmen hält er sich allerdings fern. Ich denke, der Nagiller hat genug auf dem Kerbholz. Korbik hat deutlich gesehen, wie der Nagiller auf die Grenzer geschossen hat. Der Nagiller hat gerade in einem Streifen Mondlicht gestanden. Der wird sich jetzt nicht rühren, den haben Sie in der Hand, Chef!“
„Und der Walch?“
„Den haben sie gestern in Körtschach begraben. Der plaudert nicht mehr. Das Geschoss hat man ihm noch aus der Schulter herausgenommen, bei der Obduktion. Es stammt einwandfrei aus einem Gewehr der Grenzer, weshalb man jedes Verfahren gegen unbekannte Täter eingestellt hat. Es ist alles in bester Ordnung, Chef. Wie immer! Bleibt nur die Dina Falk. Jetzt wäre die beste Gelegenheit, sie unschädlich zu machen. Die Person, in deren Haus die Schmuggler ein und aus gehen.“
„Sie sind ein Dummkopf“, fährt Androt den kleinen Mann an. „Das wäre so ziemlich das Dümmste, das wir machen könnten. Die Falk wird froh sein, wenn man sie jetzt in Ruhe lässt. Wenn ich sie den Gendarmen ausliefere, wird sie nur auspacken. Sie können Gift darauf nehmen, dass dieser Walch ihr alles von uns erzählt, vielleicht auch verraten hat, wo wir unser Warenlager haben. Ihre sonstigen Methoden in allen Ehren. Mit Weibern verstehe ich besser umzugehen. Schicken Sie mir die Dina jetzt ins Kontor.“
Androt steht wenige Minuten später am Fenster und sieht, wie Blust mit Dina über den Hof geht. Seine Augen schließen sich ein wenig, als sie die über den Hof Schreitende verschlingen.
Wenig später ist Dina bei ihm, allein.
„Sie haben mich rufen lassen, Herr Androt?“
Androt geht zur Tür und dreht den Schlüssel im Schloss. Dinas Augen weiten sich vor Schreck.
„Was tun Sie? Was wollen Sie?“, fragt sie angstvoll.
„Ungestört mit dir reden, Dina. Nach all dem, was vorgefallen ist, spielen wir uns jetzt gegenseitig keine Komödie vor. Ich weiß ja doch, dass Walch dein Geliebter war. Soll man dich mit Spott und Schande aus dem Dorf jagen? Das Bräutchen des Schmugglers? Oder hast du es mit Nagiller gehalten, damit er den Walch aus dem Hinterhalt niederknallt? Soll es zu einer widerlichen Gerichtsverhandlung kommen? Soll man dein hübsches Lärvchen durch den Schmutz ziehen?“
Dina starrt Androt fassungslos an. In ihren Augen stehen Tränen der Scham und des Entsetzens. Sie weiß, dass Androt imstande ist, sie in solch einen Skandal zu verwickeln.
Da fühlt sie den Arm Androts an ihrer Seite, mit einem harten Griff zieht er das Mädchen an sich.
„Ich werde dich vor all dem bewahren“, flüsterte er heiß. „Dina, du weißt doch, dass ich dich liebe. Dina, hörst du … ich liebe dich!“
Dina fühlt, wie ihre Knie zittern. Sie will Atem schöpfen, sie hebt den Kopf und wendet ihn ab, sie lässt ihn hilflos in den Nacken fallen, bis sie mit einem dumpfen Seufzer wieder atmen kann.
„Ich liebe Sie nicht, Herr Androt. Ich will nicht … ich kann nicht – bitte, lassen Sie mich doch.“
Androt presst Dina an sich. Sie versucht den halb Wahnsinnigen von sich zu schieben, sie sieht, wie seine Augen hervorquellen, wie sich das Blut durch die Stränge seiner Stirnadern presst.
Dann fühlt Dina seine widerlichen Küsse auf ihren Lippen brennen, auf Wange, Stirn und Hals.
Sie spürt nichts als ihr Herz, das in rasenden Schlägen pocht. Sie fühlt, wie aus den Tiefen ihres Wesens etwas Unfassbares emporsteigt, gebieterischer als alles andere: Der Hass! Der grenzenlose Hass gegen diesen Menschen.
Androt fühlt undeutlich, dass sich irgend etwas im Wesen Dinas gewandelt hat. Er will sie freigeben.
Da greift Dina nach dem Briefbeschwerer. Sie packt den harten, glatt geschliffenen Stein und schlägt damit auf Androt los. Blindlings, auf seine Schulter, auf den Kopf, auf seinen Arm, der hilflos hinabfällt.
Da stürzt Androt zur Tür, sperrt sie auf. Seine Schreie rufen einige Leute herbei, unter ihnen auch Blust, der schreckensbleich in das Zimmer starrt.
„Entlassen! Sie sind entlassen!“, schreit Androt. Gleich darauf hat er sich wieder in der Gewalt. Er weiß, dass er über das alles schweigen muss, schweigen wird. Sein Blick fällt auf die Einkaufslisten.
„Die Falk hat betrogen, andauernd betrogen! Beim Wollabwiegen. Ich werde alles ersetzen. Aber diese Person muss hinaus. Verlassen Sie sofort das Werk – sofort!“
„Schert euch an die Arbeit!“, schreit Blust die zusammengelaufenen Arbeiterinnen an. Dann führt er Dina selbst zum Gittertor.