Читать книгу Liebe in der Hochtal-Heimat: 7 Bergromane - Cedric Balmore - Страница 25

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Dina schreitet mit ihrem Sammelkorb durch den Wald. Plötzlich schreckt sie zusammen. Vor ihr, aus dem Walddunkel, tritt ein großer Mann. Erst als er vor ihr steht, erkennt Dina Nagiller.

Sein bartloses Gesicht ist kaum gebräunt, obwohl er im Walde arbeitet. Auf seinem grünen Filzhut trägt er eine Spielhahnfeder.

Freudig streckt Nagiller Dina die Hand entgegen.

„Was machst du hier im Malosa-Wald?“, fragt Dina erstaunt. „Ihr schlagt doch nicht hier die Fichten aus?“

„Nein, ich habe heute meinen freien Tag“, erklärt Nagiller.

„Und da weißt du nichts anderes, als im Wald herumzugeistern? In dieser Wildnis.“

„Ist schon so“, sagt er und blickt sich vorsichtig nach allen Seiten um. Dina sieht, wie die Augen des Mannes glänzen, als ob er Fieber hätte. Er pafft den dichten Rauch aus seiner kleinen Holzpfeife. Dina denkt, so raucht nur einer, den große Aufregung gepackt hat.

„Heute sind sie fertig geworden“, meint er und deutet nach oben. „Bei der Malosa-Höhle. Jetzt ist es drinnen, das Schmuggelgut. Ich bin ihnen nach, schon zweimal in der Nacht. Zwischen dem oberen und dem unteren Eingang haben sie die kleinen Holzkisten mit dem weißen Pulver versteckt.“

„Was ist das?“ Dina spürt, wie das Herz zum Zerspringen klopft.

„Heron, oder wie das Zeug heißt.“

„Heroin meinst du wohl?“

Nagiller nickt. Er reckt seine Gestalt, die Dina um zwei Köpfe überragt. In seinem Gesicht glänzen zwei graue Augen wie die scharfen Augen eines Berggeiers.

„So hat es der Androt befohlen. Nun ist alles oben. Beim nächsten Wettersturz gehen sie dann über die Grenze. Drei Mann. In der Höhle ist die Ware sicher.“

Nagiller beißt zornig auf die Pfeife. „Wenn ich könnte, würde ich sie herausholen! Aber die Teufel haben sie unter Felsblöcken verborgen. Die Malosa ist groß – die hat hundert Gänge und Schächte. Dazu braucht es Fackeln und Seile. Wenn ich die hätte, würde das weiße Mehl im Wildbach enden.“

„Nagiller!“ Dina schreit es und fasst den großen Menschen an beiden Armen. „Weißt du, was das ist, dieses Heroin? Weißt du, dass es Zehntausende, Hunderttausende Menschen unglücklich macht? Dass Zehntausende an den Folgen dieses Rauschgiftes elend dahinsiechen werden?“

Nagillers Gesicht verdüstert sich bei jedem Wort, er beißt auf das Mundstück der Pfeile.

„Was können wir tun? Nichts! Gegen Androt kommt keiner an. Wenn ich es anzeige, sperren sie mich als Verleumder ein. Dort in den Höhlengängen kann niemand etwas finden. Man kann nicht tausend Felsblöcke umwenden. Und wenn sie hundert Gendarmen einsetzen.“

Dina hebt den Kopf zu ihm auf.

„Ich weiß, wie wir das Gift in den Waldbach bekommen. Willst du mir helfen, Nagiller?“

„Wollen schon. Ist aber Unsinn. Das Gift findet keiner. Eher eine Stecknadel im Heuhaufen!“

„Nagiller, ich weiß, wie die Wildbäche durch die Wände laufen. Wenn wir bei dem unteren Höhleneingang Steine in das unterirdische Bachbett schütten, staut es den Malosa-Bach an bis zum oberen Höhleneingang. Dann sind alle Gänge und Schächte unter Wasser!“

„Teufel!“

Dina sieht die wilde Freude und den Hass in Nagillers blitzenden Augen.

„Die Pappschachteln mit dem Pulver sind bloß in dünnen Holzkisten verpackt. Die sind nicht wasserdicht. Dann ist es hin!“

Dina zittert am ganzen Leib. „Gehst du mit mir, Nagiller?“

„Tausendmal gehe ich mit dir“, schreit er.

Während sie nebeneinander weitergehen, wird Nagiller ruhiger. Er horcht aufmerksam zu, wie ihm Dina ihren Plan auseinandersetzt.

„Eine Laterne habe ich bei mir und eine neue Kerze!“, frohlockt er. „Das wird wohl reichen. Und Blöcke kann ich heben wie Androts großer Bagger am Mühlbach. Da hat es keine Not.“ Aus Freude tut er einen grellen Pfiff.

Die beiden kommen immer näher zur Malosa-Höhle. Ausgebrochene Felsmassen liegen wie bleiche Riesenknochen am Boden des Waldes.

„Wenn nur keiner von den Kerlen jetzt zur Höhle heraufkommt“, sagt Nagiller plötzlich. Dina, die niemals Furcht und Schrecken gekannt hat, schauert zusammen bei dem Gedanken, dass sich einer von Androts Leuten in der Gegend herumtreibt.

„Ich sollte meinen Stutzen mithaben“, brummt er.

„Nein, Nagiller.“ Dina schüttelt den Kopf. „Gemordet wird nicht mehr. Das, was wir jetzt vorhaben, tun wir für die armen Menschen, die sonst ein Opfer dieses Rauschgiftes würden. Nicht Hass soll uns leiten. Sieh mich an – ich habe meinen Hass begraben und alle bösen Gedanken. Und ich habe mehr Grund zum Hass gehabt als du!“

„Wahr ist’s“, sagt Nagiller und blickt Dina scheu von der Seite an. Er denkt an Walch und an dessen letzte Lebensstunden.

Dinas feucht schimmernde Augen verraten ihm, dass in ihrer Brust jetzt dieselben Gedanken wohnen.

Eine Zeitlang gehen sie stumm nebeneinander. Dann wird der Weg schmaler, steiler. Dina geht hinter Nagiller. Endlos kommt ihr heute der Weg vor, obwohl sie vom Wald bis hier herauf kaum länger als eine halbe Stunde gehen.

Endlich sind sie vor dem Eingang der Höhle. Dina blickt sich noch einmal in der Runde um. Sie atmet tief die würzige Luft ein. Nagiller zündet die Laterne an.

„Wenn nur das verfluchte Eis nicht wäre“, meint er nach den ersten hundert Metern. „Von hier an beginnt es.“ Er zeigt auf einen runden, abgeschliffenen Felsblock. Von allen Seiten rinnt das Wasser an den Wänden.

„Hier habe ich Walch den ersten Verband angelegt. Dort an dem Felsvorsprung hing meine Laterne.“

Dina betrachtet die Stelle. Es ist ihr, als würde der Fels dort rötlich gefärbt sein. Ob es wohl Blut ist, denkt sie, verwirft aber gleich wieder den Gedanken. Der Stein ist von Moos überwuchert, das im Licht der Laterne rötlich glänzt.

Sorgsam führt Nagiller sie an der Hand weiter. Immer steiler geht es bergab. Links und rechts münden Seitengänge in den schräg geneigten Stollen. Eine eisige Kälte umfängt die beiden. Die Höhlengänge, die sie jetzt durchwandern, sind der vielen Windungen und der hervorspringenden Felsen wegen nicht zu übersehen. Im Lichtschein der Laterne glitzert das Eis an den Wänden in violetten und roten Farben auf. Gleich Gespenstern flattern matt schimmernde Wassertropfen von den Eiszapfen durch die Höhle und fallen auf das spiegelnde Eis des Bodens. Aus der Tiefe des Schachtes kommt ein Rauschen.

„Dort unten fließt der Malosa-Bach“, sagt Dina.

Ab und zu werden sie von einem feinen Wasserstaub besprüht. Einige Wassergerinnsel sind so stark, dass sie wie breite, weiß schimmernde Wasserfälle die Höhlenwände hinabschießen.

Dina meint, dass dieser Abstieg nie ein Ende nehmen würde. Sie ist durchnässt, als sie mit Nagiller den unteren Höhleneingang erreicht.

Hier rauscht dicht unter ihren Füßen der Höhlenfluss einem schmalen Spalt zu, dem unteren Ausgang der Malosa-Höhle. Das Wasser füllt den Spalt völlig aus. Staunend blickt sich Dina um. Nagiller hebt die Laterne, laut brüllend wälzt sich das Wasser heran, glitzert auf im Licht und stürmt in ungeschwächter Kraft durch den Spalt nach außen.

„Es ist schaurig“, sagt Dina, ohne dass sie ihre eigenen Worte hört. In allen Farben glänzen Eiszapfen an den Wänden und unter der Decke. Überall, wo Dina hinsieht, sprüht und rauscht, tropft und rieselt es.

Jetzt aber hat sie keine Zeit zum Staunen und Bewundern. Dina zeigt auf den steilen Uferrand des unterirdischen Wildbaches. Dort liegen Blöcke und Steine zu Tausenden.

Nagiller packt die ersten großen Blöcke, rollt sie gegen das Wasser zu, dass sie hinein klatschen. Dina stürzt sich gleichfalls auf die nasse Arbeit. Ein Stein nach dem anderen rollt, von festen Händen geschoben, in das schmale Wasserbett. Je mehr Steine den Weg des Wassers versperren, desto höher steigt es. Während Nagiller die großen Blöcke stürzt, schüttet Dina die Zwischenräume mit kleineren Steinen an.

Immer gefährlicher wird diese Arbeit. Der unterirdische Flusslauf selbst kommt ihnen zu Hilfe. Der Druck der Wassermassen dreht die großen Blöcke, schiebt sie dem Höhleneingang zu und verkeilt die Zwischenräume mit dem nachschiebenden Geröll. Das Rauschen des Wassers verebbt allmählich und weicht einem dumpfen Murmeln. Je höher das Wasser aufgestaut ist, desto leiser und ruhiger wird dessen Oberfläche. Nagillers Arme sind von der schweren Holzarbeit gestählt, bei den letzten großen Felsblöcken setzt er sich über seine Kraft ein. Der Schweiß rinnt ihm von der Stirne, seine Brust keucht, die Füße zittern, wenn er sich mit der ganzen Wucht seines großen Körpers gegen einen Felsblock stemmt.

Nun beginnt das Wasser rascher zu steigen. Der Gewölbespalt am Höhleneingang wird immer kleiner, versinkt im Wasserspiegel. Nur einige wenige Luftblasen steigen auf und verraten die Stelle, an welcher der Wildbach einst in die Schlucht hinausströmte.

„Fertig!“ Nagiller lacht und streicht das Wasser aus seinen nassen Haaren. „Jetzt müssen wir nach oben steigen!“

„Wie lange wird das Wasser brauchen, bis es den oberen Ausgang erreicht?“ Dina blickt nachdenklich in den finsteren Gang.

„Das kann viele Stunden dauern, vielleicht einen ganzen Tag“, meint Nagiller. Für uns besteht keine Gefahr. Wir haben Zeit.“

Langsam steigen die beiden jetzt den schrägen Gang empor. Wenn Dina rutscht, zieht Nagiller sie kurzerhand an der Hand empor. Er hat Kräfte wie ein Bär, denkt Dina.

„Dort ist schon der Ausgang.“ Dina ruft es erleichtert, als sie den oberen Ausgang erreichen.

Sie hält sich an Nagiller fest, das plötzliche Licht blendet die beiden so sehr, dass sie sich an den nassen Wänden entlangtasten müssen.

Endlich stehen sie draußen. Dina hält die Hand vor die Augen. Auch Nagiller muss gegen den Boden blicken, so sehr schmerzt das wiedergewonnene Tageslicht.

„Ein schönes Pärchen! Patschnass wie die Pudel“, lacht eine rohe Stimme.

Nagiller fährt herum und reißt seine schmerzenden Augen auf. Erst allmählich erkennt er in dem Mann den Schmuggler Korbik, einen von Androts Leuten. Der kleine Zwerg neben ihm ist Blust.

„Ihr habt wohl ein wenig von dem weißen Mehl naschen wollen?“ Blust bricht in ein meckerndes Gelächter aus. „Damit wird nichts, liebe Dina! Diesmal nicht. Ein wenig stehlen, nicht wahr?“

Endlich kann Nagiller wieder sehen, haben sich seine Augen an das Licht gewöhnt. „Hund, du verfluchter“, brüllt er auf.

„Gib auf die Falk Acht“, befielt Blust dem anderen Mann. „Sie darf nicht entkommen, sie weiß jetzt zu viel. Androt kommt heute selbst herauf. Er wird dann bestimmen, was mit ihr zu geschehen hat.“ Dann zieht Blust einen Revolver aus der Tasche und legt ihn auf Nagiller an.

Blust erkennt das wutverzerrte Gesicht des waffenlosen Mannes vor sich, dann kracht es aus seinem Revolver. Der Schuss geht fehl. Nagiller ergreift einen Stein und stürzt sich auf Blust, der, so rasch ihn seine Beine tragen, den schmalen Steig hinabläuft.

Nagiller ruft Dina im Laufen keuchend zu. „Warte, der Korbik tut dir nichts! Ich muss den Blust festnehmen. Der schießt nimmer auf uns!“

Blust stürzt weiter den schmalen Steig hinunter. Sich von diesem Riesen gefangennehmen lassen, gebunden nach Korins hinabgeschleppt werden – das wäre sein Ende. Er weiß, dass ihn Androt fallen lassen würde. Er keucht in seiner Todesangst immer rascher, läuft den Hang hinab. Nagiller dicht hinter ihm. Mit unglaublicher Behändigkeit springt Blust über Krummholz und Felsblöcke. Seine zitternden Finger können die Pistole nicht mehr halten, sie entgleitet seiner Hand.

In seinen Augen ist der Ausdruck eines zu Tode gehetzten Wildes. Jetzt hört er den Verfolger dicht hinter sich.

„Gib dich, dann geschieht dir nichts“, schreit ihm Nagiller nach. Blust gleitet aus, für den Bruchteil einer Sekunde sucht er sich zu halten, seine Hände greifen in die Luft, dann stürzt Blust mit einem gellenden Aufschrei hinab in die Tiefe. Die senkrechten Wände der Malosa-Schlucht ersticken seinen Todesschrei.

Liebe in der Hochtal-Heimat: 7 Bergromane

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