Читать книгу Liebe in der Hochtal-Heimat: 7 Bergromane - Cedric Balmore - Страница 27

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Die Berge schlafen! Schwarze, graue, nebelige Massen sind sie geworden.

Es nützt Gertrud nichts, dass sie sich töricht schilt, während sie den Weg ins Dorf hinabläuft und sich immer wieder sagt: Das ist alles nur ein Traum, eine Fieberfantasie!

Der Wind peitscht ihr den Regen ins Gesicht. Es prasselt gegen den Boden wie in einer Schlacht.

Als Gertrud jetzt ins Tal kommt, die ersten Häuser von Korins sie aufnehmen, verwandelt sich der Regen in Hagel. Sie sucht Veits Haus auf. Im Eingang reißt sie sich den Sack vom Kopf, mit dem sie ihre Haare bedeckt hatte.

In der Stube starrt Veit sie erschrocken an. „Gertrud, wie siehst du aus? Ist etwas geschehen? Mit deinem Vater?“

Veit blickt aus dem Fenster gegen den Berg hinauf. Dort wo das Forsthaus liegt, sieht alles grau und düster aus. Nur der Wald steht in einem weißlichen, vom Sturm über die Wipfel gewehten Nebel.

„Nicht mit dem Vater. Ein Verbrechen ist geschehen. An Dina! Sie halten sie in der Malosa-Höhle gefangen.“

„Wer?“

„Die Schmuggler. Wer noch oben ist, weiß ich nicht. Einer, der Korbik heißt, saß vor der Höhle, mit einer Pistole bewaffnet. Der Ausgang ist mit Felsblöcken verrammelt.“

„Von wem weißt du das?“

„Von Nagiller. Er war oben. Er hat Dina geholfen, den unteren Höhleneingang zu verschließen. Der Wildbach staut sich in der Höhle auf. Dina schwebt in Lebensgefahr!“

„Warum taten sie das? Ist Dina wahnsinnig geworden?“

„Um das Rauschgift zu vernichten, um viele Menschen zu retten … Sie haben auf Nagiller geschossen, aber nicht getroffen. Er ist im Forsthaus. Man soll ihn hier im Dorf nicht sehen. Androt ist auf dem Weg hinauf. So hat es Korbik dem Nagiller gesagt. Er will mit dir sofort wieder hinauf, du sollst mit den Gendarmen kommen.“

Veit ist blass geworden, die kräftigen Finger vor Erregung ineinander verschlungen, steht er da und kann kaum an das Wichtigste denken.

„Warum ist der Nagiller nicht zum Larennjoch hinüber? Das ist doch in der Nähe? Er hätte die Grenzposten verständigen müssen!“

„Eine Mauer hat den Steg zum Larennjoch verschüttet. Er hat daran gedacht, er konnte nicht hinüber.“

Veit fährt sich mit der Hand über die feuchte Stirne. „Was sagtest du vorhin? Der Wildbach staut sich auf? Der untere Höhleneingang ist verlegt? Dann ist Dina verloren.“

„Ja, Veit, wenn ihr keine Hilfe kommt…“ Veit springt an das Telephon. Es ist ein alter Wandapparat, er dreht die Kurbel. Die Glocke schrillt an der Wand. Veit hebt den Hörer ab, hängt ihn wieder ein, dreht weiter. Die Glocke schlägt erneut an, setzt aus. Läutet wieder zerhackte Signale. Dann schweigt die Klingel. Veit lauscht. Unendlich lange kommt es Gertrud in ihrer Qual vor. Jetzt ruft Veit etwas in die Sprechmuschel hinein. Horcht, er redet weiter. Dann hängt er auf, verzweifelt.

„Der Postenkommandant ist mit beiden Gendarmen hinunter nach Unterachen. Sie haben die Einbrecher von der Sagmühle gefangen. Es wird Stunden dauern, bis wir ihn in Körtschach erreichen können.“

„Du gehst hinauf?“, fragt Gertrud voll Zuversicht?

„Gewiss, Gertrud. Der Nagiller muss mit. Ich kann jetzt nicht erst Leute suchen gehen. Die Jungen arbeiten alle im Holz.“

„Mein Vater muss dem Nagiller ein Gewehr geben.“

„Nein, Gertrud, das darf nicht sein. Ich nehme meinen Stutzen. Dein Vater wird sicher mit uns gehen. Hat Nagiller gesagt, wer der Anführer der Schmuggler ist?“

„Ja. Blust war auch oben. Er hat auf den Nagiller geschossen und ist bei der Flucht in die Malosa-Schlucht gestürzt.“

„Blust?“ Veit reißt den schweren Lodenmantel von seinem Haken und wirft ihn über. Dann hängt er das Gewehr um. „Der kleine schwache Kerl? Das ist unglaublich. Aus eigenem tut der Blust das nicht!“

„Der Mann, der hinter allem steht, ist Androt.“

„Hat Nagiller Beweise?“

Gertrud nickt. „Ich glaube schon. Und Dina – wenn wir sie retten …“

Die beiden hasten jetzt durch den Regen bergan. „Der Malosa-Bach ist angeschwollen“, sagt Veit voll dumpfer Angst. „Ich hoffe, dass nur ein Teil des Wassers die Höhleneingänge anfüllen wird. So dicke kann der Ausgang doch nicht verkeilt sein, dass zwischen den Blöcken kein Wasser ins Freie dringt?“

„Nagiller befürchtet es! Sie haben kleines Geröll und Lehm dazugestopft.“

Veit beißt die Zähne auf die Unterlippe. So rasch strebt er vorwärts, dass Gertrud kaum folgen kann.

„Gertrud!“, sagt er keuchend vor Anstrengung. „Wenn wir Dina retten, werde ich dir das nie vergessen.“

Nach einer halben Stunde haben die beiden das Forsthaus erreicht. In der Stube sitzt Nagiller neben dem Förster. Sie studieren die Landkarte.

„Habt ihr den Patscheider mitgebracht?“, fragt der Förster.

„Er ist mit den Gendarmen nach Körtschach. Sie eskortieren die Einbrecher.“

„Dann gehe i c h mit“, erklärt der Förster. Er beachtet Gertruds angstvollen Blick nicht.

Nagiller hebt langsam sein Gesicht gegen das Licht. Dann richtet er sich auf, zu seiner ganzen Größe, dass sein Kopf sogar den Förster überragt. Er räuspert sich.

„Ich gehe doch auch! Geben Sie mir ein Gewehr, Herr Förster. Sie werden mich doch nicht zurücklassen? Oder halten Sie mich für unzuverlässig?“

„Nein, aber ein Gewehr dürfen Sie nicht tragen.“ Der Förster blickt sich in der Stube um. „Ein Fuchseisen werde ich Ihnen geben. In Ihrer Faust ist das soviel wert wie ein Stutzen.“

„Vater!“ Gertrud packt jetzt den Förster am Arm. „Hat es dir der Nagiller schon gesagt? Der Androt ist der Mann, der hinter allem steht!“

Der Förster rümpft die Nase, ein tiefer Ekel furcht sein rotes Gesicht. „Ich dachte es fast, dass dieser Schuft der Schmugglerkönig ist, von dem selbst die härtesten Wildschützen nur heimlich sprechen. Die Rechnung wird schon aufgehen. Wenn man ihm nur etwas nachweisen kann – Hauptsache, dass wir die Dina herausholen.“

Nun gehen die drei Männer.

Veit bleibt noch einmal stehen und dreht sich um. Er drückt Gertrud die Hand, so fest, als wolle er sie nie mehr auslassen.

Dann wendet er sich ab und geht zu den anderen. Gertrud blickt den drei Männern von der Türe aus nach, die Tränen rinnen ihr langsam über die roten Wangen. Wie sehr hatte sie sich nach Veit gesehnt in all diesen Tagen, und nun ist es sie selbst, die ihn in Gefahr schickt.

Gertrud hatte ihm noch etwas sagen wollen. Ihr Herz hätte ihm weit mehr zu geben als Wegzehrung für diesen gefahrvollen Weg. Aber kein Wort kam über ihre Lippen. Sie weiß, dass sie nicht in dieser Weise für ihn fühlen darf. Jetzt nicht mehr, wo er sein Leben für Dina einsetzen wird. Das alles muss zutiefst in ihrem Herzen ruhen.

Nachdem die Männer im Wald verschwunden sind, eilt Gertrud die Treppe zu ihrer Kammer hinauf. Auf dem Weg dorthin begegnet sie der Mutter.

„Sei doch vernünftig, mein Kind“, tröstet die Förstersfrau das junge Mädchen. „Eine Frau darf sich nie gehenlassen, nie! Wie willst du einmal einen Jäger heiraten? Habe ich nicht den Vater hundertmal, ja, tausendmal weggehen gesehen in eine Gefahr? Ob Wilderer oder jetzt die Schmuggler – das ist gleich! Sie tragen alle dieselben Stutzen. Die einen können das Schwärzen nicht lassen, die anderen nicht das Wild. Und wir Frauen können nichts anderes tun, als still sein und warten – immer nur warten.“

Gertruds schlanke Gestalt flieht in die Kammer. Sie ist bis auf die Haut nass, ein Zittern liegt in ihren Gliedern. Ihre Träume haben sie nicht betrogen. Veit ist bereit, sein Leben für Dina einzusetzen.

In Gertrud erwacht trotzdem ein tiefes Mitleid mit der unglücklichen Dina. Was mochte sie jetzt in der finsteren, unheimlichen Höhle erdulden. Wie mochte ihr Herz leiden, ohne Hoffnung auf die nahe Rettung! Das Grauen, das Gertrud befallen hat, weicht einem tiefen Erbarmen mit Dina, die einsam und allein ihrem Schicksal überlassen ist.

Liebe in der Hochtal-Heimat: 7 Bergromane

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