Читать книгу Liebe in der Hochtal-Heimat: 7 Bergromane - Cedric Balmore - Страница 33

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Im großen Magazin der Spinnerei und Weberei Josef Androt sind die Arbeiter und Arbeiterinnen auf Geheiß des Chefs versammelt.

Zur Trauerfeier für den verunglückten Buchhalter Blust.

Das Gemurmel in dem gewölbten Raum wird immer lauter. Man spricht weniger über den geheimnisvollen Tod des unbeliebten Buchhalters als über die Kündigungen, die Androt an diesem Morgen vorgenommen hat.

Auf einmal wird es still in dem Magazinsaal. Die Blicke der Arbeiter richten sich auf den Eingang. Man hat dort die Wollsäcke gegen die Wand gestapelt, um Platz zu schaffen. Androt bleibt in der Tür stehen, blickt einige Sekunden lang prüfend auf die versammelten Menschen, dann geht er rasch durch deren Mitte auf das schmale Podium zu, das man für heute gerichtet hat.

Er ist blasser als sonst, seine Augen kneifen sich zusammen, als ob sie besser den Saal durchdringen möchten.

„Meine lieben Mitarbeiter“, beginnt Androt mit lauter Stimme.

Irgendwo tuschelt jemand, wird aber sofort still, als er merkt, dass Androt nicht weiterspricht und wütend in die Ecke sieht, aus der ein unterdrücktes Lachen gekommen ist.

„Aus eurer Erregung habe ich den Eindruck“, setzt Androt fort, „dass ihr euch über das Schicksal meines treuen Mitarbeiters, des Oberbuchhalters Karl Blust nicht recht im Klaren seid, und dass euch diese Ungewissheit quält. Ich selbst habe alles versucht, um Licht in die letzten Stunden des verstorbenen Blust zu bringen. Vergeblich. So müssen wir uns der Meinung der Behörde und ihrer Organe anschließen, dass mein getreuer und alter Mitarbeiter einem Unfall zum Opfer fiel, als er, müde von der schweren Arbeit der letzten Wochen, einen Erholungsspaziergang durch die schöne Malosa-Schlucht machte.

Er war ja kein Bergsteiger und sicherlich auch nicht schwindelfrei. Wir konnten leider dem treuen Toten nicht die letzte Ehre geben. Der reißende Wildbach hat das, was von meinem lieben Blust sterblich war, nicht mehr herausgegeben. So bleibt mir nichts anderes übrig, als mein Haupt in Demut vor dem unerbittlichen Schicksal zu beugen und dir, mein lieber Blust, nachzurufen: Du hast deine Pflicht getan. Du warst ein treuer Arbeiter, und du warst ein guter Mensch.“

Androt macht eine Pause. Er merkt, dass seine Worte irgendwie gezündet haben. Nur weiß er nicht, nach welcher Richtung.

Androt atmet auf. Seine stechenden Augen schweifen rundum, bevor er fortfährt: „In einem gewissen Sinne hat es das Schicksal mit meinem armen Blust gut gemeint, hebe Freunde. Es hat ihn gerade zu einer Zeit abberufen, in der uns allen schwere Sorgen und Kümmernisse bevorstehen. Ich scheue mich nicht, Ihnen, meine lieben Freunde, einzugestehen, dass unsere Lage keine rosige ist. Finanzielle Schwierigkeiten werden mich hindern, die neuen Maschinen aufzustellen, oder, sofern dies noch möglich sein sollte, in absehbarer Zeit zu bezahlen. Ich sehe mich gezwungen, den Betrieb einzuschränken, sozusagen neu zu beginnen. Als anständiger, ehrenhafter Kaufmann und Fabrikant habe ich geradezu die Pflicht, diese Einschränkungen vorzunehmen.“

Androt macht eine Pause, er vernimmt sehr gut die Unruhe in dem Saal, das Scharren der Füße und das leise Sprechen. Von einer Ecke dringt Gelächter zu ihm. Wagt es jemand zu spotten?

Nun übertönt Androt mit lauter Stimme den aufkommenden Lärm: „Ich muss euch leider die Mitteilung machen, dass ich gezwungen bin, weitere Kündigungen vorzunehmen, die noch zu den heute morgen erfolgten hinzukommen. Dank der Spekulationen der Konkurrenz in Körtschach, die mich unterbietet, bin ich dazu gezwungen.“

Androts Stimme wird heiser, sein Kopf pendelt zwischen den Schultern.

„Den Gekündigten werden alle Rückstände ausbezahlt, dann können sie weiterwandern. Meine Wünsche begleiten sie. Ich bin überzeugt, sie werden bald Arbeit finden. Die anderen aber müssen mit verringerter Arbeitszeit und Lohn treu an meiner Seite durchhalten, bis wir wieder besseren Zeiten entgegengehen. Ich muss erst meine Finanzgeschäfte abwickeln, die mir leider solche Verluste gebracht haben.“

„Am Larennjoch!“, schreit eine raue Stimme. Man beginnt an mehreren Stellen zu lachen. Androt sieht den Zwischenrufer, den riesigen Nagiller, rückwärts an der Wand stehen.

„Glaubt mir“, schreit Androt jetzt, während seine Stirne feuerrot wird vor Zorn und Anstrengung, „unsere ehrliche, redliche Arbeit hier liegt der Konkurrenz am meisten im Magen. Und dass ihr einen Chef habt, der mit den Arbeitern durch dick und dünn geht und lieber Verluste auf sich nimmt als das Werk stillzulegen, was für mich, finanziell gesehen, das Beste wäre. Denn ohne die neuen Maschinen müssen wir passiv arbeiten. Gewiss, ich bin vor Jahren mit einer Handtasche in der Hand hierher gekommen. Was ich besitze, habe ich mir ehrlich erworben. Ich musste mich hart durchsetzen … gegen die heimische Bevölkerung durchsetzen! Sie hat kein Wohlwollen gegen aufwärts strebende Menschen, und sie respektiert niemanden, der nicht aus ihrer bäuerlichen Umgebung stammt. Ich habe mir noch bis vor wenigen Tagen nicht träumen lassen, dass ich die neuen Maschinen nicht bezahlen könnte. Ich habe über Nacht durch die halsabschneiderischen Manipulationen meiner Konkurrenz alles verloren. Aber das macht nichts. Mit euch, meinen letzten treuen Arbeiterinnen und Arbeitern, fange ich unverdrossen von vorne an. Von ganz unten.“

„Auch mit den Löhnen?“, ruft einer dazwischen.

„Ihr, meine lieben Mitarbeiter“, setzt Androt fort und wischt sich den Schweiß von der Stirne, „ihr seid aus diesem Boden hier erwachsen, dem kärglichen, harten Boden und ihr wisst, was Arbeit heißt.“

„Jawohl“, rufen einige.

„Seht ihr! So müssen wir jetzt weiter zusammenarbeiten, und ich verspreche euch, in wenigen Monaten werde ich die Schlappe ausgewetzt haben, die mir meine Feinde beigebracht haben. Ich werde meine Handelsbeziehungen nach dem Süden weiter ausbauen. Dann werden die neuen Maschinen blitzblank in dieser Halle stehen, in der jetzt einige wenige boshafte Stänkerer der Meinung sind, dass sie Zwietracht säen können zwischen mir und meinen treuen alten Arbeitern und Arbeiterinnen.“

Androts weitere Worte gehen jetzt in dem Lärm unter, der am Ausgang des Magazins entstanden ist.

„Was ist dort los? Ich bitte um Ruhe!“, ruft er.

„Die wirst du bald zur Genüge haben, du Halunke!“, schreit Nagiller von seinem Wandplatz.

Der Postenkommandant geht mit zwei bis an die Zähne bewaffneten Gendarmen durch die Mitte des Magazins auf Androt zu.

„Was gibt es, Herr Postenkommandant?“, ruft Androt. „Suchen Sie hier einen Verbrecher?“

„Ja!“

Von Androts Gesicht fällt plötzlich die Maske. Patscheider prallt beinahe zurück vor dem verbrecherischen Ausdruck in dessen Zügen.

„Im Namen des Gesetzes! Sie sind verhaftet, Josef Androt!“

„Ich – was sagen Sie da?“

„Keine Widerrede. Sie kommen sofort mit!“

„Ich muss erst – ich, ich will erst meine Sachen im Kontor – ich – muss …“

Der Postenkommandant gibt den Gendarmen einen Wink. Sie springen auf das Podium und nehmen Androt in ihre Mitte. Um seine Gelenke schnappen die Handschellen ein.

Im Saal beginnt ein Tumult, von dem niemand weiß, ob er für oder gegen den Verhafteten losgebrochen ist. Viele Arbeiter haben Angst, dass nun die Spinnerei und Weberei völlig lahmgelegt würde.

„Was wollen Sie denn? Was wollen Sie von mir?“, brüllt Androt. „Ich habe nichts damit zu tun! Blust war es – Blust steckte hinter dem Schmuggel. Ich bin erst in diesen Tagen darauf gekommen. Blust war der Schurke und Verbrecher, der seit Jahren sein Doppelspiel trieb. Sie können mich nicht verhaften, Herr Postenkommandant. Wegen Schmuggel überhaupt nicht. Wer nicht auf frischer Tat ertappt wird …“

„Mordversuch an Dina Falk“, sagt Patscheider ruhig. „Und jetzt vorwärts. Was Sie zu sagen haben, können Sie ja später vorbringen.“

Androt stolpert keuchend zwischen den Gendarmen und der johlenden Menge. Es brennt ihm in der Kehle, die wie ausgedörrt ist. Fort, nur fort, denkt er. Die Handschellen schneiden in seine Gelenke ein. Geisterbleich schleppt er sich vor den Augen dieser Menschen dahin, die in ihrem ganzen Leben nur schwere, ehrliche Arbeit gekannt haben.

Immer näher kommen die Gendarmen dem Ausgang. Androt stolpert weiter, mit hervorquellenden Augen, von Angst gepeitscht, zusammenbrechend und sich wieder aufraffend.

Das Schreien und Johlen dröhnt in seinen Ohren. Jetzt erst sieht Androt, wie kalt, wie gnadenlos die Welt Verbrechern gegenüber ist.

Liebe in der Hochtal-Heimat: 7 Bergromane

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