Читать книгу Liebe in der Hochtal-Heimat: 7 Bergromane - Cedric Balmore - Страница 29
22
ОглавлениеAls Veit mit Nagiller und dem Förster durch das Dunkel der Malosa-Schlucht auf das Kar hinaussteigt, kommt ihnen, bis auf die Haut nass, triefend und keuchend der Schäferhund entgegen. Tasso spürt mit seiner Schnauze auf dem Boden und stößt dazwischen immer wieder winselnde Laute aus.
„Tasso, da herein“, ruft der Förster den Hund an, den er seinerzeit an Peer verkauft hatte. Auch Tasso erkennt jetzt seinen früheren Herrn und springt schweifwedelnd an dem Förster hinauf, um gleich wieder eine Spur auf dem Boden zu suchen.
„Ob er wohl Dina sucht?“, meint der Förster. „Er begleitet sie oft bis zum Forsthaus, wenn sie auf der Trafon-Hütte war.“
Auch Veit fällt die Unruhe des Tieres auf. Die drei Männer treten aus dem Krummholz hervor und sehen hinüber zur Felsenwand, unter der sich der Eingang zur Malosa-Höhle befindet.
„Ich sehe keinen Menschen“, stellt der Förster verwundert fest. Dann hebt er sein Glas an die Augen.
„Der Höhleneingang ist mit Blöcken verrammelt.“
„Dann müssen wir hinüber“, ruft Veit. Noch dringt kein Wasser aus dem oberen Eingang. Eilen wir, ehe es zu spät ist.“
„Nur mit der Ruhe“, warnt ihn der Förster. Aber Veit beginnt schon über den Hang zu laufen.
„Es möchte mich sehr wundern, dass niemand von unten heraufgekommen ist“, sagt der Förster zu Nagiller. „Wo doch dieser Korbik den Androt erwartet hat und Blust nicht zurückkam!“
Heiße Glut steigt Nagiller in das Gesicht. „Wenn ich einen Stutzen haben könnte? Mit meiner Stange da kann ich doch nicht viel ausrichten.“ Verzweifelt blickt er auf den Förster.
„Nein, mein Lieber. Gesetze sind nicht dazu da, um umgangen zu werden. Sie gehen jetzt ebenfalls Veit nach.“
Nagiller packt stumm das Fuchseisen und beißt die Zähne zusammen. „Wenn mir der Androt in die Hände laufen tät …“
Gleich darauf knallt ein Schuss.
Der Hund stürzt wie besessen voraus. Nagiller und der Förster sehen, wie Veit stehen bleibt, sein Gewehr hebt und in die Richtung zum Kar feuert.
Um Nagiller dreht sich alles im Kreise. Ein Schrecken ohnegleichen durchzittert den großen, starken Mann. „Der Veit – und der Schuss! Da muss der Korbik irgendwo hinter den Felsblöcken sitzen und den Höhleneingang bewachen.“
„Zurück“, befielt der Förster, der die Lage erkannt hat. „Wir müssen in Deckung gehen.“
„Dort drüben – die Malefizkerle!“, schreit Nagiller und stürmt dem Hund nach. Schon sehen die beiden einen Mann quer über den Hang laufen. Bei seiner Flucht wirft der Verfolgte seinen Stutzen weg, den er in der Hand getragen hat.
„Tasso, pack an! Such, Tasso!“, schreit der Förster dem Hund zu. Aber Tasso kümmert sich nicht um den Befehl. Er stürmt zum Höhleneingang hinüber und bellt wie irrsinnig in die Felswand hinein.
Veit dreht sich den Nachkommenden zu und deutet mit der Hand gegen die Felsen.
Gleich darauf fällt noch ein Schuss. Veit schwankt ein wenig, dann entfällt das Gewehr seinen verkrampften Händen, er beugt sich langsam vor und sinkt in sich zusammen.
Nagiller stürmt jetzt allein weiter, an dem wie leblos am Boden liegenden Veit vorbei zu einem Felsblock, hinter dem eine dürre Rauchfahne weht. Nagiller nimmt die Hindernisse auf dem steilen Hang im Sturm. Der Schweiß tropft ihm von der Stirne. Die Wut über den Heckenschützen treibt ihn vorwärts. Seine Brust keucht, in der rechten Hand schwingt er das schwarze Fuchseisen. Wieder kracht ein Schuss durch die Schlucht, er rollt in langem Echo von Wand zu Wand. Nagiller hört die Kugel dicht neben sich in einen Stein schlagen.
Da sieht er endlich den Schützen knapp vor sich aufspringen. Es ist Korbik, der in Eile versucht, sein Gewehr von Neuem zu laden.
„Ergib dich!“, schreit Nagiller und droht in furchtbarer Wut mit seinem Eisen. „Ergib dich, oder es ist aus mit dir!“, wiederholt er.
Noch einmal zuckt ein Feuerstrahl gegen Nagiller. Aber auch diese Kugel verfehlt ihr Ziel. Jetzt wirft Korbik sein Gewehr weg und springt mit einem Wutschrei auf Nagiller zu.
„Verräter!“, schreit Korbik ihn an.
Dann verstummt er. Korbik merkt, dass er seine ganze Kraft einsetzen muss, um dem Angriff dieses Riesen standzuhalten.
Der Förster, der sich über den verletzten Veit gebeugt hat, reißt sein Gewehr hoch, kann aber aus Rücksicht auf Nagiller nicht zum Schuss kommen. Er verfolgt aus der Ferne den Kampf. Das Keuchen der beiden dringt an sein Ohr.
Korbik stürzt, er reißt seinen Verfolger mit sich. Nagiller beißt die Zähne zusammen und vermag seine rechte Hand freizubekommen. Finstere Entschlossenheit blitzt aus seinen Augen. Dann hebt er das Eisen zum Schlage. Korbik versucht mit dem Kopf auszuweichen, starr hängen seine Blicke an der Hand des Gegners. Da trifft ihn der Schlag. Korbik liegt blass, mit geschlossenen Augen und eingefallenen Zügen wie ein Toter vor Nagiller.
Der lässt sich nicht irre machen. Er knüpft dem Besinnungslosen den Leibriemen ab und bindet ihm die Hände auf dem Rücken fest.
Als Korbik die Augen öffnet, meint Nagiller leise: „Wer war der Schuft, der auf Veit aus dem Hinterhalt geschossen hat?
„Wer es war?“ Korbik presst den Mund zusammen.
„Wer war es?“, schreit Nagiller den Liegenden an und stellt den schwer genagelten Schuh auf seine Brust. „Sag es, du gemeiner Lump!“
Korbik weiß, dass der Riese unbedenklich zutreten wird, wenn er jetzt schweigt.
„Androt! Er wollte nach dem Warenlager sehen!“
„Androt also!“ Nagiller flucht vor sich hin. „Und dieser Schuft ist uns entkommen. Niemand kann an ihn heran!“
Korbik hebt mit matter Kraft die rechte Hand und zeigt nach dem Höhleneingang. „Dort, in der Malosa-Höhle. Ich schwöre es dir, Nagiller, ich wollte sie nur einsperren, bis Androt kommt.“
„Du Lügenhund – was sagst du da?“, keucht Nagiller in wildem Zorn.
„Ich glaubte ja Dina nicht, das mit dem steigenden Wasser! Aber Androt glaubte sofort daran, er wollte hier warten, bis der Fluss aus dem oberen Eingang floss, bis die Höhle ganz unter Wasser steht!“
„Das Vieh, das Mordvieh!“, stöhnt Nagiller auf. Dann lässt er den Gefesselten liegen und läuft zurück zum Förster, der Veit einen Verband um den Arm gelegt hat.
„Bist du schwer verletzt?“, fragt Nagiller den auf einem Felsblock Sitzenden. Er zeigt auf den Hund, der noch immer die Felswand wie wütend verbellt.
„Nein, lass mich hier“, bittet Veit. „Erst Dina befreien – erst Dina befreien!“
„Die Blutung habe ich abgebunden“, meint der Förster und richtet sich auf. „Wenn mich nicht alles täuscht, hat es eine Ader erwischt. Gut, dass ich einen Gummiring mit hatte.“ Große Schweißtropfen stehen dem Förster auf der Stirne.
Veits Arm hängt in der Binde, seine blutleere Hand hält müde einen Rockknopf umkrampft.
„Eilt euch“, bittet Veit.
Nagiller steigt mit dem Förster zur Felswand, sie räumen die Blöcke vom oberen Eingang der Höhle weg. Der Hund arbeitet wie wild mit den Pfoten. Er winselt und bellt dabei und beißt vor lauter Wut in die Steine. Das Poltern und Krachen der den Hang hinabstürzenden Steine nimmt kein Ende. Korbik hatte ganze Arbeit geleistet!
Endlich klafft ein schmaler Spalt, erweitert sich immer mehr, das letzte Hindernis ist rasch beiseite geschafft. Der Hund schießt als erster in den freien Eingang, fährt aber gleich darauf wieder mit Schaum im Maul zurück.
„Eine Schlange!“ Nagiller zeigt auf den Boden und hebt sein Fuchseisen, mit dem er die Viper erschlägt.
Die beiden Männer rufen in die Finsternis hinein. Ein verdächtiges Rauschen erfüllt das Innere der Höhle.
„Such, Tasso!“, befiehlt der Förster dem winselnden Hund. Dann schaltet er seine Taschenlampe ein. „Such, Tasso, such!“
Plötzlich erfüllt ein furchtbares Pfeifen und Heulen den Höhlengang. Die Rufe der Männer werden von einem dumpfen Brummen verschlungen. Ein beklemmender Druck umklammert die Köpfe der Männer. Der Hund heult auf und sucht sich gegen die Wand zu drücken. Der Luftstoß braust durch den Gang.
„Der Wildbach muss irgendwo durchgebrochen sein“, schreit Nagiller dem Förster ins Ohr.
„Hauptsache ist, dass wir jetzt nicht den Kopf verlieren“, schreit dieser zurück. „Wenn wir nur wüssten, wohin sich Dina geflüchtet hat. „Such, Tasso! Such!“
Der Förster dringt weiter vor. Bis sie vor einer dunklen Schlammasse stehen, die sich im Gang langsam vorwärts schiebt.
„Hier geht es nicht weiter!“ Die Stimme des Försters klingt dumpf. „Der Schlamm füllt den Gang fast bis zur Decke.“
Nagiller packt den Förster am Arm. Mit der Rechten zeigt er auf den Hund. Das Tier kriecht jetzt in einen Seitengang, der schräg nach abwärts führt.
„Schau den Hund an!“, sagt der Förster mit zitternder Stimme.
Tasso bellt laut auf. Dann verschwindet er in der Finsternis.
So rasch die beiden Männer können, kriechen sie dem Tiere nach.
Nagiller ist der erste, der bei Dina ankommt. Als der Förster ihn erreicht, findet er den großen Mann am Boden vor Dina knien, die mit dem Gesicht nach unten auf einer Felsplatte liegt.
„Dina!“
Der Förster versucht das ohnmächtige Mädchen aufzuheben. Vorsichtig dreht er das Mädchen um. Er kann nirgends eine Verletzung entdecken.
Endlich schlägt Dina die Augen auf.
Sie blickt angstvoll um sich. Im Schein der Taschenlampe erkennt sie Nagiller. Ihre Hände hält sie krampfhaft gegen die Brust gedrückt, wie um sie zu schützen.
„Wo ist Peer?“, fragt sie.
„Peer? Hier ist Peer nicht“, erwidert der Förster beklommen.
„Doch, ich sah ihn, er wollte mir helfen.“
„Ist das wahr?“ Die beiden Männer sehen einander ernst an.
„Ja. So sagen Sie mir doch. Haben Sie Peer gefunden?“
Der Förster hört das Schluchzen, das aus Dinas gequälter Brust aufsteigt. Er sieht, wie Dina sich jetzt mit aller Gewalt aufrecht hält.
Da kommt dem Förster ein Einfall. „Ja, Dina. Peer ist wieder auf seiner Hütte. Es ist alles in Ordnung. Nur Veit ist verletzt. Wir müssen ihn ins Tal bringen. Es eilt. Ich habe seinen Arm abgebunden.“
„Veit verletzt?“ Dina starrt den Förster erschrocken an. „Nicht ins Tal! Das ist zu weit. Bringt ihn zur Trafon-Hütte, zu Peer – rasch.“
„Zur Hütte? Das ist unmöglich“, wirft der Förster ein. „Veit muss so rasch wie möglich zu einem Arzt.“
Dina sieht den Förster an und richtet sich mit seiner Hilfe auf. Die beiden Männer führen Dina aus der Höhle. Mit tiefen Zügen atmet sie die würzige, frische Luft in sich ein. Sie gehen hinüber zu der Stelle, an der Veit auf einem Stein sitzt. Sie neigt ihren Kopf und streicht ihm mit der Hand über die Haare.
„Wo hat dich die Kugel getroffen?“, fragt sie.
Veit macht nur eine abwehrende Handbewegung. „Sag lieber, wie geht es dir?“
„Ich habe mich schon erholt“, sagt sie mühsam. „Es war nur die schlechte Luft und die Todesangst.“
Wie schön sie ist, denkt Veit, trotz des ausgestandenen Grauens. Der Blick, mit dem er sie ansieht, muss wohl seine Gedanken verraten haben. Eine Röte flammt über ihre Wangen.
„Kannst du gehen?“, fragt sie Veit.
„Warum nicht? Es ist doch nur mein Arm.“ Veit stützt sich auf Nagiller. Die ersten Schritte gehen schwer, erst allmählich streckt Veit seinen Oberkörper. „Es geht – nur in der Achsel schmerzt es. Ob ich es bis Korins durchhalte?“
„In einer halben Stunde sind wir bei der Trafon-Hütte“, sagt Dina. Sie blickt dabei Nagiller bedeutungsvoll an. „Wir gehen zu Peer.“
„Was soll der Unsinn?“, fragt der Förster verärgert.
„Lassen Sie nur“, unterstützt jetzt auch Nagiller das Mädchen. „Der Peer hat schon manch einem von uns geholfen!“
„So?“ Der Förster nimmt sein Gewehr nach vorne. „Ist das wahr, Dina?“
„Ja!“
„Also gut. Ich treibe diesen Schurken von Korbik hinunter ins Tal. Auf dieses Geschäft verstehe ich mich. Morgen früh schicke ich zwei Knechte mit einer Tragbahre auf die Trafon-Hütte. In der Nacht geht es nicht mehr. Wenn nur Peer wirklich dem Verletzten helfen kann!“
„Ich weiß es“, sagt Dina kurz.
Sie ruft den Hund an ihre Seite und folgt Nagiller, der Veit stützt.
Der Förster ist inzwischen bei Korbik angekommen, der mit finsterem Gesicht am Boden sitzt.
„Steh auf!“, schreit ihn der Förster an und lockert ein wenig die Fesseln. „Vorwärts! Immer drei Meter vor mir. Wenn zu zu fliehen versuchst, knallt es scharf. Hast du mich verstanden?“
Der Gefangene stößt einen undeutlichen Laut aus und erhebt sich mit schmerzenden Knochen. Dann geht er langsam voraus, die Hände immer noch gebunden.
So ist das Leben, denkt der Förster und hält die Waffe schussbereit. Immer treibt einer den anderen. Einmal ist der eine der Treiber, einmal der andere. Und in Frieden kann keiner leben.