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Verkörperte Spiritualität

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Es klingt großartig: bloß präsent sein. Wer würde sich nicht dafür entscheiden? Betrachtet man es ein wenig näher, wird ersichtlich, dass wir, um es zu leben, im Körper sein und die Fähigkeit entwickeln müssen, in der Gegenwart und für das Unvorhersehbare offen zu sein. Der folgende Dialog fand in einem Seminar statt, das ich zusammen mit meinem Mann Arjuna in Kalifornien leitete. Ich hatte soeben eine Gruppenmeditation angeleitet, um gegenwärtig im Augenblick zu sein. Als wir eine Fragen- und Mitteilungsrunde eröffneten, hob eine spirituell Suchende mit gelangweiltem Gesichtsausdruck – vom Typus „Kenn-ich-schon-hab-ich-schon-gemacht“ – die Hand; sie sagte: „Na ja, ich habe über das Gegenwärtigsein im Augenblick gelesen. Ich wusste schon vor zehn Jahren, wie man im Augenblick ist.“

Wie wär’s jetzt damit?“, fragte Arjuna sie.

Sie sah ihn verdutzt an und antwortete: „Ich verstehe nicht, wozu es gut sein soll, es immer wieder zu wiederholen.“

Jeder Augenblick ist neugeboren. Er kann nicht aufbewahrt werden. Unsere Gedanken sind nützliche Werkzeuge, um sich zu erinnern, etwas zu beschreiben, sich etwas vorzustellen und die Zukunft zu planen. Versuchen wir allerdings, den Augenblick mit dem Erinnerungsvermögen festzuhalten und ihn intellektuell zu erfassen, verkommt die Redewendung „im Augenblick sein“ leicht zu einer unbedeutenden Worthülse. Selbst freundliche spirituelle Gedanken sind auch nur Gedanken.

Im Körper und empfangsbereit zu sein und Ja dazu zu sagen, das Leben in seiner Ganzheit willkommen zu heißen, ist nicht immer angenehm. Es kostet einen hohen Einsatz, sich fortwährend auf das Unbekannte einzulassen, es tief zu fühlen und ihm in jedem Augenblick neu zu begegnen. Die Hingabe an den Augenblick entscheidet darüber, ob man sich verletzt fühlt oder die kalten Lippen der gestrigen Glückseligkeit küsst. Es ist verlockend zu versuchen, in einer Welt aus Tagträumen und wohlgeordneten Gedanken zu verweilen, statt im gegenwärtigen Augenblick zu leben. Viele von uns nutzen den Intellekt und selbst die Spiritualität (was ich gewiss getan habe) beim Unterfangen, diesem wilden, kunterbunten Durcheinander, das wir menschliches Leben nennen, zu entfliehen.

Für das Weibliche (sowohl in Männern als auch Frauen) ist es indes zu zaghaft, in diesen erhabenen Sphären goldenen Glanzes zu verweilen. Es sehnt sich danach, rückhaltlos ins Leben einzutauchen. Es erkennt mit seinem ganzen Wesen, dass es den Geist nicht von der Materie trennen kann und dass das Göttliche sich eben nicht irgendwo anders aufhält. Mit seiner Bereitschaft, vollständig präsent zu sein, ermöglicht es dem Geist, Gestalt anzunehmen. Die weibliche Spiritualität, auf die wir angewiesen sind, ist eine verkörperte Spiritualität. Unsere Vorgehensweise ist, das Leben zu umfangen, indem wir die Umklammerung des Verstandes und der Gefühlsdramen hinreichend lockern, sodass wir die Welt mit einer greifbaren Verkörperung der Gegenwärtigkeit und Liebe beschenken können.

Komm dir näher

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