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Der Fluch des Spaghetti-Verstandes
ОглавлениеHin und wieder treffe ich eine Frau, die den erschöpften Blick eines Menschen hat, der sich in den endlosen Schlingen des Spaghetti-Verstandes verheddert hat. (Stell dir deinen Kopf als eine Schüssel Spaghetti vor – Mamma mia!) Ihre Augen sind matt, sie kaut sorgenvoll an ihren Fingernägeln. Ihr Atem reicht nur bis zum Brustkorb, ihr Gesichtsausdruck ist starr. „Was soll ich tun?“, fragt sie. „Soll ich bleiben oder gehen?“ (Obwohl dieses Beispiel von einem Beziehungsproblem handelt, taucht dieses Syndrom auch überaus häufig in Bezug auf die Situation am Arbeitsplatz oder gar im Fall eines anstehenden Wohnungswechsels auf.)
Diese Frau hat vermutlich jede verfügbare Quelle um Rat gebeten. Ihre beste Freundin empfiehlt ihr täglich übers Telefon, „sich endlich von dem Lumpen zu trennen!“ Im Meditationszentrum empfiehlt man ihr: „Bearbeite deine Themen, sonst wirst du nie erleuchtet.“ „Welche Beziehung hast du zu deinem Vater?“, fragt ihre Friseuse und Möchtegern-Psychologin, und ihre Mutter stimmt mit ein in den Chor jener heiteren Stimmen, die da sagen: „Alle Männer sind so, man kann ihnen nicht vertrauen.“ All diese Stimmen geben sich ein Stelldichein in ihrem Kopf, der sich mittlerweile in einen italienischen Marktplatz verwandelt hat. Nun steht sie hier vor mir, und es ist augenfällig: Sie denkt, sie braucht bloß noch eine weitere Antwort, und zwar dieses Mal die richtige, dann wird sie wissen, was zu tun ist. Ihr ganzer Körper fleht: „Bitte, ich kann diese Qual nicht mehr ertragen. Sag mir, was ich tun soll!“
Wir alle standen schon einmal – so oder anders – in den Schuhen dieser Frau, oder wir haben zumindest jemanden in dieser Situation gekannt. Es ist natürlich offensichtlich, dass ein weiterer Beitrag in dem Durcheinander kein Wunder vollbringen kann. Noch ein Ratschlag wird die Kakophonie ihres Verstandes lediglich um noch eine Stimme bereichern. Wenn wir uns in dieser Konstellation vorfinden, ist das ein Zeichen, dass uns die Verbindung zur eigenen Essenz abhandengekommen ist. Wir fühlen uns wie eine abgelegene Insel in einem Meer aus Gefahren und Fehlentscheidungen. Wir neigen dazu, uns auf unsere Gedanken zu verlassen; wir hoffen, „die richtige Antwort“ zu finden – und wir verirren uns in dem endlosen Gewirr des Spaghetti-Verstandes.
Das nächste Mal, wenn du eine Freundin (oder dich im Spiegel) mit diesem grauen Ausdruck und jener tiefen Stirnfalte zwischen den Augenbrauen siehst, weißt du: Das Heilmittel ist ein „kalter Entzug“ von gedanklicher Entscheidungsfindung und eine Menge Zeit, sich wieder mit dem eigenen Inneren zu verbinden. Die Verwirrung ist lediglich ein Symptom; uns ist daran gelegen, die Hauptursache dieser Krankheit einzukreisen: Die Abkoppelung von ihrem Körper und ihrer inneren Weisheit und die Trennung vom Ganzen sind zwei tödliche Übel für die sterbende weibliche Seele. Das Problem, das sie mit dem Verstand zu lösen versucht hat, muss augenblicklich zur Seite gelegt werden, damit sich die Frau auf den unumgänglichen Heilungsprozess konzentrieren kann. Das Problem ist zweitrangig – und es verliert seine Brisanz, sobald sie sich wieder mit ihrem Körper, mit ihrer Essenz, verbindet.
Einige Frauen werfen ihre Schuhe fort, lassen die Haare herunter und laufen hinaus in den Wald. Einige setzen sich einfach an einen abgelegenen Strand und lassen ihren Blick über den Horizont schweifen, während andere nur beharrlich in ihrem Zimmer bleiben. Sie nisten sich im Inneren ein, indem sie einfach Zeit mit sich allein verbringen. Wenn jedoch die Isolation über einen langen Zeitraum gediehen und erstarrt ist, wird Zurückgezogenheit mehr schaden als nutzen. In diesem Fall benötigt die Frau Anleitung von jemandem, dem sie vertraut. Das kann ein Therapeut, eine weise Frau, ein Freund, ein Mentor oder ein Frauenkreis sein – Menschen, die ihre Hand fassen und mit ihr den manchmal holprigen Heimweg antreten können.
Der Heilungsprozess mag viele Jahre andauern oder möglicherweise im Bruchteil einer Sekunde stattfinden, je nachdem, wie ausgeprägt die Entfremdung ist. Wir erleben ständig flüchtige Phasen der Unverbundenheit, und im gesunden Zustand kehren wir fortwährend zu dem zurück, was wirklich ist. Wir erkennen einfach: Ah, hier sind Gefühle, dort sind Gedanken, und da ist die leuchtende Gegenwärtigkeit, in der all das geschieht. Augenblicklich sind wir zu Hause angekommen, wenn wir mit den Füßen fest auf der Erde stehen und mit dem Herzen die Stille umarmen, die uns alle verbindet. Ist die Abspaltung hingegen zur Angewohnheit geworden und wurde ihr gestattet, wild zu wuchern und viele Aspekte des Lebens anzustecken, nimmt der Prozess der Rückverbindung vielleicht längere Zeit in Anspruch. Ein erster Schritt ist, sich selbst die erforderliche Zeit einzuräumen – wie lange es auch dauern mag.
Wenn du die Gelegenheit hast, täglich Zeit in der Natur zu verbringen, bist du in den allerbesten Händen. (Alle Übungen in Kapitel 4 bieten großartige Unterstützung, um für die Heilung durch die Natur empfänglich zu werden.) Ob die Natur für dich nun verfügbar ist oder nicht, die Reise beginnt, wenn du dich mit den Füßen auf dem Boden mit deinem Körper und deinen Gefühlen verbindest und darauf achtest, tief hinunter in den Bauch zu atmen.
Fällt es dir schwer, das Geschnatter des Verstandes abzustellen – da er fortwährend an dem „Problem“ tüftelt –, tausche dich mit einer Freundin darüber aus oder ergründe auf einem Blatt Papier all die Annahmen und Überzeugungen, die du hinsichtlich dieses Themas in dir trägst. Du kannst einen deiner Glaubenssätze ausmachen und dich fragen: Ist er absolut wahr? Würde jeder Körper zustimmen, dass er wahr ist? Wenn wir diese Überzeugungen laut aussprechen oder sie auf einem Notizblock festhalten, wird normalerweise offensichtlich, wie überspannt es ist, sich der Tortur des endlosen Gedankenkarussells auszuliefern. Sobald du eine Glaubensüberzeugung gesichtet hast, wirst du die nächste entdecken, die das Gegenteil besagt. Und höchstwahrscheinlich wird es Situationen geben, in denen sich beide wahr anfühlen. Es folgen einige Beispiele von Glaubenssätzen einer Frau, die nicht von einer vergifteten Beziehung loskam: Eines Tages wird er einsehen, dass wir füreinander geschaffen sind. Ich verhalte mich so, dass es ihn verärgert; kein Wunder, wenn er mich schlecht behandelt. Wenn ich nur einen anderen Mann hätte, dann könnte ich mein Herz öffnen. Er wird unter die Räder kommen, wenn ich gehe.
Spirituelle Begründungen hören sich so an: Wenn ich eifersüchtig werde, wenn er mit anderen Frauen unterwegs ist, ist das mein Problem, das ich anschauen muss. Wenn ich ihn verlasse, muss ich die gleiche Thematik wieder durchleben, nur mit einem anderen Mann. Wir sind auf der Seelenebene miteinander verbunden. Ich lebe im Augenblick, wer bin ich denn, um irgendetwas zu entscheiden? Ich sollte mein Herz offenhalten und lieben, wie dem auch immer sei.
Wir untersuchen unsere Glaubensüberzeugungen nicht etwa, um auszuknobeln, welche die besten sind! Es geht darum, gewahr zu werden, wie ermüdend sie sind, und einzusehen, wie absurd es ist, diesem Endlosgeschnatter die Oberaufsicht anzuvertrauen. Es gibt vielerlei Wege, Überzeugungen aufzulösen, sie als das zu sehen, was sie sind, und unsere Identifikation mit ihnen zu lockern. (Wir bieten die Living Essence-Seminare2 und Byron Katie bietet The Work3 an – um nur zwei kraftvolle methodische Ansätze zu erwähnen.)
Mit der schlichten Erkenntnis: „Du bist nicht deine Gedanken“, kannst du dich entspannen und in der natürlichen Gegenwärtigkeit verweilen, in der du das Leben unmittelbar erlebst. Die Gedanken werden dabei zu nützlichen Werkzeugen, die bei Bedarf genutzt werden, statt unsere Wahrnehmung zu verdunkeln. Dann können wir den Duft einer Lilie wieder schnuppern, ohne ihn zu analysieren; wir können eine bittersüße Traurigkeit in der Brust spüren, ohne sie rational zu begründen. Wenn wir uns der Gegenwärtigkeit nachhaltig verpflichten, werden wir die nötigen Schritte ganz selbstverständlich gehen. Es übersteigt das Richtig-oder-falsch-Denken zweifellos – denn es ist einfach.
In dem Film A Beautiful Mind – Genie und Wahnsinn ist John Nash in seiner imaginären Welt in Verschwörungstheorien und Spionage verstrickt; bei uns – gewöhnlich geistig gesunden – Frauen agieren zwei andere „Zwillingsdämonen“ Hand in Hand, die uns mit Inbrunst davon abhalten, im Körper zu sein: das Bewerten und das Vergleichen.