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Meine Reise zu einer weiblicheren Spiritualität

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Ich hatte mich jahrelang mit östlichen spirituellen Lehren beschäftigt, die viele der oben aufgelisteten Werte hervorhoben. In meinem leidenschaftlichen Sehnen nach dem Göttlichen unterwarf ich mich – ebenso nachdrücklich wie entschlossen – den spirituellen Dogmen, die ich mittlerweile als unausgewogen männlich wahrnehme. Nicht nur, dass all unsere größeren Religionen von Männern gegründet wurden – sie wurden auch meist von Männern ausgeübt und daher durch sie gestaltet. Obwohl diese Religionen und spirituellen Lehren außerordentliche Klarheit und Weisheit bergen, sind die weiblichen Prinzipien in ihnen noch nicht integriert beziehungsweise nicht einmal gern gesehen; deshalb sind ihre Lehrinhalte unausgewogen. Als Frau habe ich das als Kampf gegen meine eigene Natur erlebt. Doch aus Mangel an irgendwelchen Alternativen übernahm ich diese Werte im Interesse einer spirituellen Reife; ich ignorierte einfach die schlichte Weisheit meiner ursprünglichen Sehnsucht.

Meine Lebensweise war zielorientiert und zurückgezogen. Gefühle oder gar Kinder zu haben, galt als hinderlich auf dem Weg zur Wahrheit. Das ging soweit, dass ich schließlich glaubte, das Göttliche sei nur dann zu verwirklichen, wenn man sich vom gewöhnlichen Leben abspalte. Über viele Jahre zog ich nicht einmal die Tatsache in Betracht, all diese spirituellen Konzepte könnten überwiegend männlich geprägte Deutungen unseres Verhältnisses zum Göttlichen sein. Ich glaubte an diese Denkmodelle, als seien sie die göttliche Wahrheit – statt innezuhalten, um darüber nachzudenken, dass Männer und Frauen ihrem Wesen nach verschiedene Ansätze haben, um Spiritualität zu erfahren, und dass wir, wenn wir sowohl das Weibliche als auch das Männliche ehren, in eine Spiritualität hineinwachsen können, die gesünder, ganzheitlicher und einbeziehender ist, als wir sie seit sehr langer Zeit auf der Erde gesehen haben.

Über eine einbeziehendere Spiritualität begann ich nachzusinnen, als ich zum ersten Mal einer weiblichen spirituellen Lehrerin, ShantiMayi, begegnete. Eines Wintermorgens, während eines Zusammenstoßes mit ihrem radikalen, doch ganz schlichten Verständnis von Liebe, küsste mich die wundersame Einfachheit des Lebens sanft auf die Stirn, und ich purzelte aus jenem Hamsterrad, in dem ich permanent nach einer in der Zukunft liegenden Erleuchtung suchte. Es war ein klarer Tag, und ein warmer Wind zog ins Tal herauf. Die Silhouette des Gebirges zeichnete sich scharf gegen den Himmel ab, nachdem der Nachtregen die Luft gereinigt hatte. Der Ganges war über seine Ufer getreten. Ich saß mit ShantiMayi und ungefähr zwanzig anderen Schülern in einem kleinen Tempel mit großen Fenstern, die den Blick auf die großartige Natur freigaben. Die Luft war mit Räucherduft und dem Klang des Gayatri-Mantras geschwängert – ein Gebet für das Erwachen aller zu ihrem wahren Wesen jenseits des persönlichen Ichs.

Als ich mich vollständig in diesem Lied, in diesem Chant, in diesem Gebet für uns alle auflöste, hatte ich wahrlich kein Empfinden eines getrennten Ichs mehr; ich wurde das Gebet, ein Gebet für jeden. Es fehlte an nichts.

Auf meiner Suche nach Erleuchtung war ich im Gefolge von verschiedenen Lehrern nach Indien und an andere Orte gereist und hatte allerlei Methoden praktiziert. Ich hatte zahlreiche spirituelle Erfahrungen gemacht und Öffnungen des Geistes erlebt, doch da ich gebannt war von der Vorstellung, wie die Erleuchtung auszusehen hatte, war ich bereit, erneut den anstrengenden Aufstieg zu etwas mehr anzutreten. Ich war entschlossen, das endgültige Gefühl der Leere zu erlangen – jenen Zustand, in dem jedweder menschliche Ausdruck schwinden würde. Diese Suche hatte mich letztlich dazu geführt, mich den ganzen Tag mit meinem Prozess, mit meinem persönlichen Wachstum, mit meiner eigenen Erleuchtung zu beschäftigen.

Einfach am Fuß des Himalaya zu sitzen und für das Erwachen aller Menschen zu singen, war die schiere Freiheit. Ich kümmerte mich nicht mehr darum, irgendetwas loszuwerden oder irgendein Ziel zu erreichen. Es war eine reine Liebesäußerung, die meine Identifikation mit mir selbst vollständig auflöste. Ich erkannte: Der Vorsatz, etwas zu erreichen, unterschied sich gänzlich von der tiefen Gegenwärtigkeit, die ich nun erlebte. Und ich erkannte: Der weibliche Aspekt der Empfänglichkeit ist entscheidend dafür, das Geschenk zu erhalten, zu erfahren, wer wir bereits sind.

Seit jenem Tag habe ich nie bezweifelt, dass ich Liebe bin, dass wir Liebe sind, zu jeder Zeit, und dass es in der Gesamtheit der Existenz nichts Wichtigeres für mich gibt, als dem Leben die Gelegenheit zu bieten, ein Ausdruck von Liebe zu sein. Ich habe eine greifbare Intuition von der Möglichkeit, diese Liebe vollständig zu verkörpern und auf bodenständige, praktische Art ein wahres Geschenk für die Erde zu sein. Nicht im Sinne eines Konzepts, sondern als Liebe, welche die Menschen für sich selbst empfinden können. Nicht um dem Leben zu entfliehen, sondern um ganz darin aufzugehen und der Liebe zu ermöglichen, sich konkret – durch diesen Körper und diese Gefühle – im Alltag, im täglichen Leben zum Ausdruck zu bringen.

Um diese Erkenntnis unverfälscht zu verwirklichen, zu erhalten und zu vertiefen, ist es mir ein Bedürfnis, sie in einer Weise anzuwenden, die mir hilft, jene Mechanismen zu erkennen, die der Liebe entgegenwirken, und jene Punkte wahrzunehmen, wo ich mich mit Unwesentlichem identifiziere und mich aufreibe. In diesem Buch werde ich die Anwendungen beschreiben, die mich und andere Frauen dabei unterstützt haben, ein Leben zu erkunden, das auf Spontaneität und Kreativität beruht und dem Körper ermöglicht, ein größeres Maß dieser Präsenz, dieser tieferen Liebe, auszustrahlen.

Die von mir entdeckten Praktiken unterscheiden sich beträchtlich von jenen, die meine männlichen Lehrer aus dem Osten mir beibrachten. Obgleich ich immer noch täglich eine Weile lang still dasitze, ruht das Hauptgewicht meiner spirituellen Praxis heute auf dem Ausdruck, dem Gebet und der Vertiefung mit anderen Frauen, auf meiner Ehe und Familie, darauf, dass ich mich mit liebevoller Präsenz rückhaltlos ins Leben einbringe. Ich praktiziere nicht, um in der Zukunft eine Auszeichnung dafür zu erhalten. Ich praktiziere, um im Hier und Jetzt für eine noch größere Liebe empfänglich zu werden.

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