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Das Erwachen ist da

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Wenn wir uns unaufhörlich in die zahllosen Vorkommnisse unseres Lebens verwickeln lassen, werden wir zu Sklaven jeder Gefühlsregung und jedes Gedankens. In eine ähnliche Falle gehen wir, wenn wir uns unablässig mit Strategien beschäftigen, um exakt diese Gedanken und Gefühle zu vermeiden.

Die Dinge verändern sich, sobald die Seifenoper, die unser Leben umklammert hält, ihren Griff genügend lockert, sodass unsere Achtsamkeit im Augenblick verweilen kann. Wenn wir uns der Gegenwärtigkeit öffnen, weitet sich unser Gewahrsein, wodurch wir flüchtige Einblicke in die umfassendere Perspektive des Gesamtgeschehens erhaschen können. Dann begreifen wir, dass wir uns nur in einem winzigen Bruchteil der Existenz engagiert haben und dass dort eine Intelligenz zu Gange ist, die das Denken übersteigt. Nicht etwa der wirbelnde Tanz des Lebens hält inne – oder wird je enden; vielmehr verändert sich unser Bezug zu dem, was geschieht.

In dem Moment, wo die Vorherrschaft unserer Gedanken ein wenig ruht und wir vollständig im Hier und Jetzt sind, können wir das strahlende, alles durchdringende Bewusstsein entdecken und erkennen: Dies ist im Wesentlichen das, woraus wir geschaffen sind. Einige nennen es die Liebe selbst; andere nennen es das Leben, die Kraft oder Gott. Manche werfen einen kurzen Blick in diese Dimension der Wirklichkeit und heißen sie als leider flüchtige Erfahrung, die bald zur Erinnerung verblasst, willkommen – und leben ihr Leben wie gewohnt weiter. Andere werden von Grund auf aufgewühlt und erkennen darin die neue Grundlage für ihr Leben. Haben wir einmal die nachhaltige Freude und den Frieden dieser elementaren Natur entdeckt, erlangen unsere Gedankenwelt und unsere Gefühlsdramen nie wieder die gleiche Bedeutung wie zuvor. Diese fundamentale Einsicht wird häufig als „spirituelles Erwachen“ bezeichnet.

Das spirituelle Erwachen wird bisweilen als äußerst seltenes Vorkommnis angesehen. Es gilt als der Gipfel der spirituellen Suche, als etwas, das nur sehr wenigen östlichen Mönchen, Meistern oder Gurus widerfährt. Nachdem ich mittlerweile jedoch Tausenden von Menschen auf der ganzen Welt begegnet bin und mir ihre Erlebnisse angehört habe, hege ich keinen Zweifel mehr daran: Wir alle erleben kürzere oder längere Augenblicke, in denen unser IchEmpfinden in etwas Größeres eingeht. Häufig sind es gerade die Mythen in Bezug auf das spirituelle Erwachen, die uns jene gesegneten Einblicke in unser natürlichstes und unverfälschtes Wesen übersehen lassen. Vielleicht hast du dich von einer breiteren Lebensströmung aufgesogen gefühlt, während du maltest oder musiziertest, während du ergriffen vor einer majestätischen Naturlandschaft standest, während du im Meer tauchtest, während du im Liebesakt hinweg gespült wurdest oder während des Gebärens. Meine Freundin rang nach Luft, nachdem sie ihre Tochter geboren hatte: „Ich habe mich nie so eins mit der Unendlichkeit, mit dem Mysterium, gefühlt wie in jenem Augenblick, als sie so außerordentlich vollkommen aus meinem Körper herausschlüpfte.“

Vor vielen Jahren vermittelte mir das Leben eine frappierende Kostprobe dieser absoluten Gegenwärtigkeit; es war in einem überfüllten Bus in Indien. Ich war vierundzwanzig. Die Außentemperatur betrug beinahe 40 Grad Celsius, und die Geschwindigkeit, mit der dieses verrostete Gefährt fuhr, veranlasste mich, mich bei all meinen geliebten Mitmenschen und von meinem Leben zu verabschieden. Weder die scharfen Kurven noch die schlafenden Kühe mitten auf der Straße, noch die Schlaglöcher in der Straße, noch nicht einmal spielende Kinder bewegten den Fahrer dazu, das Tempo zu verringern. Überhaupt nichts. Ich war allein, mir war heiß, ich hatte Todesangst, als ich plötzlich, inmitten von all dem, fühlte, dass mein Bauch sich mit meinem Atem bewegte. Ich spürte, dass meine Füße den (mehr als schmutzigen) Fußboden berühren, und ich empfand Frieden. Ich war vollständig eins mit dem Augenblick; alle Widerstände waren verschwunden. Die Bewegungen meines Atems, das Chaos, der Lärm und die Hitze waren die wunderbarsten Darbietungen des Lebens. Mittendrin war absoluter Frieden, war Ruhe und innere Stille.

Wenngleich sich dieses Erlebnis der Gegenwärtigkeit spontan einstellte – wie ein Kuss der Gnade –, ist es möglich, Gegenwärtigkeit herbeizuführen, und zwar mittels der einfachen regelmäßigen Praxis, unser Augenmerk von unseren Gedanken in den Körper zu lenken. Es folgen nun einige Vorschläge, wie dies zu bewerkstelligen ist. Im Übungsteil am Ende des Kapitels findest du weitere Anwendungsmöglichkeiten.

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