Читать книгу Artemis - Charlotte Charonne - Страница 10
Kapitel 3
Оглавление28. April, 22:18 Uhr
Dunkelheit überwucherte den Park wie Efeu ein altes Gemäuer und bildete eine dichte Decke für Bäume, Büsche und Beete. Der Wind zerzauste die Baumkronen und entriss ihnen rauschende Schluchzer.
Paula konnte kaum etwas erkennen. Sie konzentrierte sich auf den Lichtkegel ihrer Fahrradlampe, um nicht von einem abgebrochenen Ast, einem spitzen Stein oder einem am Tage verloren gegangenen Spielzeug überrascht zu werden.
Der Kies unter den Reifen knirschte.
Mit jedem Meter, der sie in das noch düster werdende Innere des Parks führte, wuchs ihre Beklemmung. Obwohl die Frühlingsluft lauwarm war, strömte eine Kältewelle durch ihren Körper und umhüllte ihn mit einer unangenehmen Gänsehaut.
Ein Schrei durchschnitt die Finsternis und fuhr ihr durch Mark und Bein. Die Härchen auf ihren Armen und in ihrem Nacken vibrierten alarmiert.
Zwei Katzen schossen aus einem Gebüsch hervor und kreuzten ihren Lichtkegel.
Sie bremste hart und wäre fast gestürzt, während die Tiere mit der Schwärze verschmolzen. Unwillkürlich erinnerte sie sich an den Horrorfilm Friedhof der Kuscheltiere. Sie hatte den Film vor knapp zwei Jahren mit ihrer Freundin gesehen und daraufhin nächtelang nur schwer einschlafen können. Ihr Herz trommelte in ihrer Brust. Ihre Fantasie begann, ihr Streiche zu spielen. Duckte sich dort nicht jemand ins Gras? War es Gage? Der niedliche Junge aus dem Horrorfilm, der sich als mordendes Monster entpuppte?
»Reiß dich zusammen«, schimpfte sie mit sich selbst zwischen zusammengebissenen Zähnen. Sie schnaubte, wütend über ihre kindische Reaktion auf zwei rollige Katzen, und beschleunigte ihr Tempo, soweit es der unebene Weg zuließ.
Sie passierte eine Wiese, auf der Magnolienbäume standen. Der Fahrtwind mischte sich mit dem cremig süßen Geruch der weißen Blüten, die dicht an dicht auf dem Geäst hockten. Sie zwang sich, tief durchzuatmen. Der Duft besänftigte ihre stärker werdende Furcht.
Plötzlich zeichnete sich ein schwarzer Schatten auf dem Weg ab.
Ein weiteres Fantasiegebilde?, meldete sich ihre innere Stimme. Nein!, schrie alles in ihr. Nein! Der Mann ist echt!
Das Grauen packte sie, während sie an den Handbremsen zog und auf die Batman-Maske starrte. Ihr Mund verzerrte sich zu einem Schrei. Er wuchs in ihrer Kehle, löste sich jedoch nicht.
Ihre Panik schien ihn zu freuen. Zwar bewegte er sich nicht, aber er bleckte die Zähne zu einem teuflischen Grinsen.
Für einen Moment hielt Paula die Luft an und fühlte eine bleierne Lähmung. Dann schaltete ihr Körper automatisch auf Fluchtmodus. Ein Adrenalinstoß durchflutete ihren Organismus, ihr Herz raste, ihr Atem überschlug sich. In einer fließenden Bewegung sprang sie vom Sattel, wuchtete das Fahrrad herum, fand die Pedale und nahm im Stehen Fahrt auf.
Bloß weg hier!
Ein brutaler Ruck durchfuhr ihren Körper, als das Rad am Gepäckträger festgehalten wurde.
Paula schnappte überrascht nach Luft. Sie verlor das Gleichgewicht und schwankte. Nach links. Nach rechts. Wieder nach links. Eine Panikwelle ergriff sie und raubte ihr den Atem. Es flimmerte vor ihren Augen.
Dann wurde das Fahrrad am Gepäckträger wie eine Flagge gehisst.
Paula stürzte kopfüber über den Lenker. Reflexartig warf sie die Arme nach vorn, um den Sturz mit den Händen abzufangen. Trotzdem knallte sie hart mit dem Kinn auf den Boden.
Jähe Schmerzen überschwemmten ihren Körper. Ein Stechen im Unterkiefer, ein Ziehen in den Handgelenken, ein Brennen in den Handflächen, ein Klopfen in den Knien. Noch bevor sie die Verletzungen spezifizieren konnte, wurde ihr Kopf an ihrem honigblonden Pferdeschwanz in den Nacken gerissen. Der Schrei in Paulas Kehle explodierte, gezündet von Angst und Schmerz.
»Halt die Klappe und knie dich hin, Schlampe!«, herrschte eine Stimme sie an.
Die Worte prasselten auf sie nieder wie ein eisiger Platzregen und durchnässten sie bis ins Knochenmark. Paula wurde schwindelig. Ihr Magen rebellierte. Sein Inhalt versuchte, sich nach oben zu drängen.
Die Hand klammerte sich in ihr Haar und zerrte ihren Kopf weiter nach hinten. Um dem Schmerz zu entgehen, folgte Paula der Bewegungsrichtung und kniete schließlich auf den Steinen.
»Hilfe!«, schrie sie, sobald der Zug am Kopf etwas nachließ.
Eine Hand schlug ihr ins Gesicht.
Ihre Lippe platzte auf. Ihr Ruf verstummte. Sie schmeckte Blut.
Jetzt stand Batman vor ihr, doch die Hand drangsalierte immer noch ihr Haar. Wie kann das sein? Es sind zwei, schlussfolgerte sie panisch. Es sind zwei. Du musst hier weg. Du musst dich wehren, warnte ihr Verstand. »Ich habe Geld dabei. Hier«, stammelte sie und steckte die Hand in die Jackentasche. Ihre Finger umschlossen das Pfefferspray. Sie riss es aus der Tasche.
Noch bevor sie den Nebel versprühen konnte, umkrallten Finger ihr Handgelenk und drehten den Arm brutal auf den Rücken.
»Das wirst du büßen«, zischte es hinter ihr. »Haltet sie fest.«
Vor ihr bauten sich zwei weitere Männer auf. Ebenfalls mit Batman-Masken.
Das waren mindestens vier, realisierte Paula. Sie hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Sie hyperventilierte, atmete schneller und schneller.
Ihre Oberarme wurden von zwei der Angreifer gequetscht, als wären sie in einem Schraubstock gespannt. Brutal wurde sie auf die Füße gezerrt. Warmer Urin durchtränkte ihre Jeans. »Hilfe!«, schrie sie aus Leibeskräften.
Ein Batman holte kraftvoll aus und feuerte ihr die flache Hand gegen das Ohr.
Ihr Kopf flog zur Seite. Flackernde Lichtblitze sausten an ihr vorbei. Danach sah sie die Angreifer doppelt. Es wurden immer mehr.
Es war eine wilde Meute.
Eine Meute von Masken.