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Kapitel 6

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Donnerstagmorgen

»Wenn Sie unbedingt wollen, dass wir ermitteln, dann spucken Sie erst mal die Pointe aus.« Ruby lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. »Sie halten doch mit etwas hinter dem Berg.«

Ihr Kollege Spike, der neben ihr saß, schien weniger Vorbehalte zu haben. Allerdings hatte er nie Bedenken, wenn ihm eine hübsche Frau über den Weg lief, und Franziska Neumann war nicht nur hübsch, sondern schön. Mit den hellblonden Haaren, die einen eleganten Chignon im Nacken formten, den klassischen Gesichtszügen, dunkel gefärbten Brauen und dem perfekten Make-up war es leichter, sie sich auf einer Leinwand vorzustellen als in einem Gerichtssaal.

Die Staatsanwältin erhob sich und öffnete das Fenster. Ihre Figur wurde von einem schwarzen Bleistiftrock und einer weißen Seidenbluse umschmeichelt.

Sie passt in ihr Büro wie die Faust aufs Auge, dachte Ruby. Auch hier fand sich diese Farbkombination in Schreibtisch, Stühlen, Regalen, Ordnern und in schwarz auf weiß gedruckten Paragrafen wieder. Ihre Aufmerksamkeit wanderte zu der Wand, die schwarze Wechselrahmen mit Schwarz-Weiß-Fotografien einer perfekten Familie zierten. Zwei glückliche Teenager strahlten um die Wette, teilweise eingerahmt von der Staatsanwältin, ihrem Mann und den Großeltern. Eine Idylle, die Ruby durch den frühen Tod ihres Vaters und den ständigen Krach mit ihrer Mutter nie erlebt hatte und als Alleinerziehende auch ihrer Tochter nie würde bieten können.

Spike hatte die Beine ausgestreckt, wippte auf dem Schwingstuhl und betrachtete die Fotografien ebenfalls mit gekräuselten Lippen.

Ruby merkte, wie sich ihre Muskeln verhärteten. »Sie haben uns noch nicht alles gesagt.« Sie fuhr mit der Hand unter die braunen Haare. Wenn sie den schulterlangen Bob hochsteckte, zeigte sich im Nacken eine helle Hautpartie. Als Teenager hatte an dieser Stelle eine Sonne geschienen. Das Tattoo war jedoch vor ihrem Eintritt in den öffentlichen Dienst mit einem Laser entfernt worden.

»Das ist korrekt.« Franziska Neumann nickte und platzierte sich wieder hinter den Schreibtisch.

Rubys Augenbrauen zogen sich zusammen.

Spike blickte von den Fotos zu der Staatsanwältin. Neugier erschien auf seinen ebenmäßigen Zügen.

Angespannte Stille stand im Raum. Kurz wurde sie von einem zwitschernden Vogel, der es sich auf dem Fliederbaum vor dem Fenster bequem gemacht hatte, unterbrochen.

»Der Generalstaatsanwalt«, fuhr Franziska endlich fort, »wünscht, dass die Ermittlungsarbeiten im Fall Paula fern der Öffentlichkeit erfolgen. Die Vergewaltigungen in unserer Region haben sich in letzter Zeit gehäuft, eine unnötige Beunruhigung der Bevölkerung soll vermieden werden.«

»Wie bitte?« Ruby schnaubte.

»Genau«, entgegnete ihre Gesprächspartnerin.

Spike richtete sich im Stuhl auf und strich mit den Fingern durch seine dunkelblonde Haarpracht. Ein paar Strähnen, die hell wie Weizengarben leuchteten, ließen sich nicht besänftigen und stellten sich alarmiert auf. Sein Blick huschte zu Ruby. Die andere Hand, die bisher auf seinem durchtrainierten Oberschenkel gelegen hatte, gab ihr ein Zeichen, ruhig zu bleiben.

Vor vier Jahren war aus Rubina Hiller und Simon Peick das Team Ruby und Spike geworden. Ihre Kollegen verglichen sie schmunzelnd mit dem Gangsterduo Bonnie und Clyde, da sie beide äußerst effizient arbeiteten, wenn auch beizeiten am Rande der Legalität, und sich perfekt ergänzten. Ruby besaß Talent und Tatendrang. Spike verschwendete zwar einen Großteil seiner Energie darauf, Herzen zu brechen, was ihm aufgrund seines Aussehens und Charmes mit Leichtigkeit gelang, unter seinen perfekten Gesichtszügen und knallblauen Augen verbargen sich aber Gaben, die ihnen schon oft bei der Aufklärung eines Falls geholfen hatten – unter anderem der Instinkt einer Raubkatze.

»Da sind Sie bei uns an der falschen Adresse«, zischte Ruby durch die Lücke zwischen ihren Schneidezähnen. »Mein Ziel ist es, Täter zu fassen und nicht irgendwelche politischen und bürokratischen Spielchen zu spielen.«

»Sehen Sie«, Neumann zog die Schultern zurück, »und genau deshalb bin ich bei Ihnen an der richtigen Adresse.« Sie schaute zu Spike. »An der besten.«

Sein rechter Mundwinkel schlüpfte nach oben und zauberte ein schräges Grinsen hervor. »Ich fasse es nicht.« Er schüttelte amüsiert den Kopf. »Da habe ich Sie wohl falsch eingeschätzt. Sie kennen das Mädchen.«

»Ich weiß nicht, wie Sie mich eingeschätzt haben, aber ich will, dass dieser Fall gelöst wird.« Franziskas Kinn hob sich.

»Sie sind also persönlich involviert.« Spike lächelte verständnisvoll. »Und Ihre Kollegen von der Staatsanwaltschaft haben davon keinen blassen Schimmer.«

Franziskas Miene war undurchdringlich wie ein tiefer Bergsee.

»Wir würden es eh herausfinden«, half er ihr auf die Sprünge.

Die Staatsanwältin betrachtete eins der Bilder an der Wand.

»Wissen Sie was?« Ruby erhob sich. »Wir verschwenden mit diesem Katz-und-Maus-Spiel nur unsere Zeit. Schieben Sie den Fall doch zu Fürstenberg und Schmalenbach.« Sie schüttelte einen Marienkäfer von ihrem T-Shirt in ihre Hand und trat ans Fenster. Dort prahlte der Fliederbaum mit seiner dunkelvioletten Farbe und verströmte seinen Duft. Auf einem Ast erspähte sie ein Rotkehlchen. Es hatte seinen Gesang beendet und gönnte sich ein Sonnenbad. Ruby pustete sacht. Der Käfer breitete die Flügel aus und flog in die Freiheit. »Komm, Spike!«

Neumanns Nasenflügel bebten. »Wollen Sie nicht, dass die Männer, die Paula dies angetan haben, eine gerechte Strafe bekommen?« Bevor Ruby sich über die rhetorische Frage ereifern konnte, fuhr sie fort: »Ja, ich bin persönlich betroffen, und nein, das ist niemandem bekannt.« Ihre Stimme wurde zu einem Flüstern. »Die Ärzte vermuten eine mehrfache Vergewaltigung. Bei Paula wurden zwei verschiedene Fremd-DNAs sichergestellt.« Sie fasste sich wieder und sagte lauter: »Ich brauche das beste Team!«

»Sie lehnen sich ganz schön weit aus dem Fenster.« Spike grinste. »Der Oberstaatsanwalt wird von unseren Ermittlungen Wind bekommen.«

»Das ist mir egal.« Die Staatsanwältin legte eine kurze Pause ein. »Sofern der Wind hinter Ihren Erkenntnissen weht.«

Überrascht von der plötzlichen Aufrichtigkeit ihrer Gesprächspartnerin nahm Ruby wieder Platz. »Also dann, Karten auf den Tisch – aber alle!«

Artemis

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