Читать книгу Artemis - Charlotte Charonne - Страница 19

Kapitel 12

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Donnerstagabend

Mujahid lag kraftlos auf dem Rücken wie ein erlegtes Großwild. Sein Mund stand offen und entblößte die spitzen Reißzähne. Vom Mundwinkel zum Kinn lief ein Speichelfaden.

Emi wälzte ihn mühsam auf den Rücken und zerrte abwechselnd an seinen Armen und Beinen, bis sie ihn in die Mitte des Bettes bugsiert hatte. Dann fummelte sie mit dem Schlüssel im Schloss der Handschelle, befreite ihr Gelenk und befestigte die Fessel stattdessen an seinem. Das andere Ende ließ sie um einen goldenen Stab am Kopfende schnappen. Sie nahm die nächste Schelle vom Nachttisch und fixierte seinen zweiten Arm auf die gleiche Weise. Mit einem entschiedenen Ruck zog sie ihm die Sporthose aus. Es kostete Kraft, und sie war froh, ihn nicht aus einer Jeans oder anderen enganliegenden Hose befreien zu müssen.

Aus dem Bad holte sie ihre Umhängetasche und entnahm ihr zwei Kunststoff-Wäscheleinen, mit deren Hilfe sie seine Fußgelenke an den Pfosten am Fußende des Bettes befestigte. Zufrieden betrachtete sie ihr Werk. Falls er früher als erwartet erwachte, würde sie ihm eine weitere Dosis verabreichen, bevor es ihm möglich war, sich zu befreien.

Sie breitete den Inhalt ihrer Tasche auf dem Nachttisch aus. Sterile Einweghandschuhe, Desinfektionsmittel, Tupfer, das Skalpell-Set, eine Einweg-Nierenschale, Nähzeug und Klebeband. Geübt schlüpfte sie in die Handschuhe, desinfizierte den Operationsbereich und führte das Seziermesser zu der Eingriffsstelle.

Eine Maschinengewehrsalve flog durch den Raum.

Sie zuckte zusammen. Ihre Hand ruckte, und das Operationsmesser ritzte seine Haut an. Eine zarte, rote Spur bildete sich.

»Verdammt«, zischte sie und schaute sich erschrocken um.

Eine weitere Schussabfolge hallte.

Diesmal lokalisierte sie das Geräusch. Es drang aus der Sporthose, die einen Stoffhügel auf dem Boden bildete.

Sie zögerte. Würde es ihr gelingen, den abartigen Klingelton des Handys zu ignorieren und ihr Werk zu vollenden? Falls der Anrufer sein Glück weiterhin versuchen würde, könnte die Störung sie nervös machen und ihre Arbeit beeinträchtigen. Sie legte das Messer beiseite, angelte sich die Hose und durchsuchte die Taschen. Als sie den Störenfried gefunden hatte, schoss es wieder. Auf dem Display leuchtete Hakems Name. Sie stellte das Telefon leise und ließ es achtlos auf den Kleiderberg fallen. Konzentriert widmete sie sich wieder der Operation.

Mit ruhiger Hand machte sie einen sauberen Schnitt am Hodensack, drückte die Hoden heraus, band die Stränge ab, durchtrennte sie nahe den Hoden und beraubte Mujahid seiner Testikel. Selbst ohne Narkose war der Eingriff erträglich. Beim Nähen der Wunde gab sie sich nicht allzu viel Mühe. Die Naht sollte schlichtweg ihren Zweck erfüllen.

Mit steifer Miene betrachtete sie den Vergewaltiger, der vollkommen entspannt vor ihr auf dem Bett lag. Schließlich erhob sie sich, schnappte die Nierenschale, in der seine Männlichkeit lag, spülte sie in der Toilette hinunter, versenkte die Einwegschale samt Handschuhen in einer Mülltüte und stopfte diese in ihre Tasche.

Sie gönnte sich einen Blick in den Spiegel, befeuchtete ein Stück Toilettenpapier mit Wasser, wischte die verschmierte Mascara ab und stopfte das benutzte Papier ebenfalls in ihre Tasche. Glücklicherweise bemerkte sie die fehlende Perücke. Sie hechtete ins Zimmer, holte das Kunsthaar und korrigierte den Fehler. So würde sie als dieselbe Frau, die das Etablissement betreten hatte, dieses auch wieder verlassen.

Sie klebte einen breiten Streifen Klebeband über Mujahids Mund, damit er die anderen Hotelgäste nicht mit Schreien stören würde. Zuletzt zog sie ihre Rettungsanker unter der Matratze hervor und bunkerte diese inklusive Operationsaccessoires und Bibel ebenfalls in der Umhängetasche.

Zufällig erspähte sie das Handy. Einer Eingebung folgend nahm sie es auf und betätigte den Einschaltknopf.

Touch ID oder Code eingeben, verlangte das Gerät.

Sie überlegte kurz. Die Zahlenkombination würde sie nie herausfinden. Sie kannte weder sein Geburtsdatum noch seine Lieblingszahlen. Falls er den Fingerabdrucksensor aktiviert hatte, könnte sie das Handy öffnen. Sie versuchte, sich vorzustellen, wie er das Telefon normalerweise benutzte.

Mujahids Hände baumelten reglos in den Handfesseln.

Sie ging zum Bettende und presste den Daumen der rechten Hand auf den Erkennungsscanner.

Ein Surren.

Das Telefon öffnete sich nicht.

»Verdammt!«, stöhnte sie, zwang sich zur Geduld und drückte entschlossen einen Finger nach dem anderen auf die Home-Taste. Als sie bei der Kuppe des Zeigefingers der linken Hand angelangt war, akzeptierte das Gerät seinen Benutzer, gab die Anwendungsoberfläche frei und wies auf eine SMS von Hakem hin.

Nachdem sein Freund ihn telefonisch nicht erreichen konnte, hatte er Mujahid eine Textnachricht geschickt. Sie starrte auf die französischen Wörter, die über das Display liefen.

»Mist«, murmelte sie. Sie grübelte sekundenlang, kopierte die Nachricht, rief den Google-Übersetzer auf und fügte den Text ein.

Deal! Bank am Brunnen dreiundzwanzig Uhr, lautete die Botschaft.

Sie war sich sicher, der alte Brunnen im Park war gemeint. Einen anderen gab es weit und breit nicht. Zudem war der Ort als Drogenumschlagplatz bekannt. Garantiert hatte Hakem eine entsprechende Verabredung getroffen.

Jetzt war es erst 20:30 Uhr, Zeit genug, sich umzuziehen und dann Hakem zu treffen.

Für einen Moment wanderte Maria durch ihre Gedanken. Ihr würde dieses eigenständige Handeln nicht gefallen. Aber wie konnte sie eine solche Chance verstreichen lassen? Sie hatte Blut geleckt. Ihr Jagdinstinkt war geweckt. Sie würde nicht warten, bis Maria ihr den nächsten Auftrag fein säuberlich auf Papier ausgearbeitet übergeben und ihr erlauben würde, ins Rampenlicht zu treten. Es war ihre Aufgabe, die Frauen und Kinder zu schützen. Wer wusste schon, wen Hakem sich bei der nächsten Gelegenheit schnappen und quälen würde? Sie musste sofort handeln. Es wäre fatal, diesen Trumpf, den das Schicksal ihr in die Hand gespielt hatte, nicht zu nutzen.

Schnell scrollte sie den Bildschirm runter, kopierte verschiedene Textnachrichten von Mujahid an Hakem in den Online-Übersetzer und entschied sich für ein schlichtes Okay.

Mujahid schlummerte immer noch friedlich. Einer Intuition folgend, öffnete sie die Kontakte auf seinem Handy und fotografierte die kurze Liste mit ihrem eigenen Mobilgerät. Sie würde sie Maria geben. Vielleicht hatte sie eine Idee, was sie damit anfangen konnten.

Während sie die Tür hinter sich schloss und die schmuddelige Unterkunft verließ, überlegte sie, wie sie sich Hakem nähern würde.

Artemis

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