Читать книгу Artemis - Charlotte Charonne - Страница 15

Kapitel 8

Оглавление

Donnerstagabend

»Hi, ich bin zu Hause«, trällerte Ruby und ließ die Tür hinter sich ins Schloss fallen. Nach einem Tag mit Mord und Vergewaltigung freute sie sich auf den Abend mit Nele, Anna und Leonie.

Seit einem Jahr lebten die vier zusammen in der Wohngemeinschaft. Rubys Tochter Nele und Annas Tochter Leonie waren von klein auf beste Freundinnen. Nachdem Anna von ihrem Mann oft betrogen worden war, hatten sie und ihre Freundin zur Freude der Mädchen beschlossen, zusammenzuziehen. Da Ruby alleinerziehend war und Anna als Richterin amtierte, ließ sich dadurch der Tagesablauf wesentlich leichter organisieren.

Aus der Essküche erklang ein Wirrwarr aus Stimmen, Kichern und Klappern von Besteck. Die zehnjährige Nele kam aus dem Raum geschossen und griff ihre Hand. »Hallo, Mama, ich habe eine Überraschung für dich«, jubilierte sie. »Du musst die Augen zumachen.« Ihre Finger umklammerten Rubys Handgelenk und zogen sie hinter sich her.

Ruby folgte der Anweisung und realisierte die plötzliche Stille. Alle Geräusche waren verstummt, als hätte jemand den Lautstärkeregler eines Fernsehers auf null gedreht und damit dem Actionfilm die Spannung genommen. Der Duft von Zwiebeln, Knoblauch und Koriander intensivierte sich mit jedem Schritt, den sie der Küche näher kamen. Am liebsten hätte sie geschummelt, die Lider ein wenig geöffnet und hindurchgelugt. Sie riss sich jedoch zusammen, um ihrer Tochter den Spaß nicht zu nehmen. Wahrscheinlich hatte sie gemeinsam mit ihrer gleichaltrigen Freundin und Anna das Abendessen zubereitet und den Tisch gedeckt.

»Augen auf!«, kommandierte Nele, nachdem sie Ruby vor dem Tisch positioniert hatte.

Ruby erblickte einen Überfluss an fremdländischen Leckereien. Auf der Mitte des Küchentischs lockte eine Pfanne, die mit einem Fischgericht gefüllt war. Die cremig-rote Farbe ließ ihr das Wasser im Mund zusammenlaufen. Daneben hatte eine Schüssel mit Reis Stellung bezogen. Außerdem standen Platten mit Käsebällchen, Salat, Obst und ein Gebilde, das an Pudding erinnerte, auf der glatten Holzoberfläche. Grüne Papierservietten und gelbe Kerzen schufen eine brasilianische Stimmung.

»Wow!« Dieses Festmahl übertraf ihre Erwartungen vollkommen. »Das ist ja der Wahnsinn. Das habt ihr super gemacht.«

»Das war Oma.« Nele grinste von einem Ohr zum anderen.

»Oma?« Ruby runzelte die Stirn. »Sie ist doch am Amazonas!«

Nele und Leonie kicherten. Anna spielte verlegen an dem filigranen Anhänger ihres Goldkettchens.

»Überraschung!«, tönte es hinter Rubys Rücken.

Sie wirbelte herum und schnappte nach Luft.

»Hallo, Rubina Saphira, wie schön, dich zu sehen!«

Bevor Ruby sich sammeln konnte, hatte ihre Mutter sie an ihren Vollbusen gedrückt und ihre Wangen mit Küssen übersät. In Rubys Ohren nistete sich ein Hämmern ein. Ihre Hände ballten sich zu Fäusten. Sie hatte zwar im Laufe des letzten Jahres Nele zuliebe mit ihrer Mutter Kontakt aufgenommen, musste sich aber vor anstehenden Treffen stets seelisch vorbereiten und zur Ruhe mahnen. Immerhin hatten sie jahrzehntelang im Clinch gelegen, weil Ruby ihrer Mutter den Tod ihres Vaters zuschrieb.

»Du sollst mich nicht Rubina Saphira nennen.« Sie entwand sich der Umarmung.

»Aber warum denn nicht?« Hildegards Augen, katzengleich wie die von Tochter und Enkelin, funkelten überrascht, als würde sie diesen Einwand zum ersten Mal hören. »Die Namen haben eine wundervolle Bedeutung.« Sie schwenkte das Wasserglas in ihrer Hand. Die Heilsteine, die sich am Boden tummelten, klirrten. »Kann es sein, dass du etwas überspannt bist?« Sie trank einen Schluck.

»Kommst du bitte mal, Anna?« Ruby wirbelte auf dem Absatz herum und stürmte ins Badezimmer. Sie fühlte sich nicht nur etwas, sondern absolut überspannt, und das lag einzig und allein an der Gegenwart ihrer Mutter. »Warum hast du mich nicht vorgewarnt?«

»Ich bin auch eben erst nach Hause gekommen.« Annas Rücken ruhte am Türrahmen. »Es ist doch wundervoll, dass sie sich um die Mädchen und das Abendessen gekümmert hat.«

»Das macht sie nur, um ihr Gewissen zu erleichtern.« Ruby wusch sich die Hände und das Gesicht. »Weil sie mich nach dem Tod meines Vaters in ein Internat gesteckt und sich keinen Deut mehr um mich geschert hat.« Sie tupfte die Wassertropfen ab. Das Handtuch war weich und roch nach Lavendel. Die beruhigende Wirkung des ätherischen Öls blieb aber aus. »Und jetzt will sie sich lieb Kind bei Nele machen.«

»Du weißt, dass das so nicht stimmt.« Anna lächelte milde. »Wann wirst du deiner Mutter endlich verzeihen?«

Ruby schnaufte. »Nie! Wenn sie meinen Vater nicht mit ihren Wahrsagereien nervös gemacht hätte, wäre er nicht vom Hochseil gestürzt.«

Anna griff nach dem Lavendelöl für den Duftspender, drehte die Kappe ab und hielt es ihr unter die Nase.

Ruby schob die Flasche mit der Hand weg. »Fang du nicht auch noch mit dem Humbug an. Mir reicht schon, dass die bekannte Wahrsagerin Madame Sibylle hier rumschwirrt.«

»Gut.« Anna stellte das Öl zurück. »Dann mach Nele zuliebe gute Miene zum bösen Spiel.«

Der Rat brachte Ruby zur Räson. Neles Gesicht, das sie voller Freude im Flur angestrahlt hatte, verdrängte ihren Zorn. Sie gab sich einen Ruck und ging zurück in die Küche. Ihrer Tochter zuliebe würde sie diesen Abend irgendwie überstehen.

Artemis

Подняться наверх