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b) Sachverhalte mit Teilnahmeproblemen

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Enthält der Sachverhalt Teilnahmeprobleme, so muss man sich allerdings entscheiden, ob man der Literatur (Grund- und Qualifikationstatbestand) oder der Rspr. (selbstständige Tatbestände) folgt.

Folgt man der Literatur, so ist nach dem subjektiven Tatbestand eine Tatbestandsverschiebung nach § 28 II StGB zu prüfen und in diesem Gliederungspunkt gleichzeitig die BGH-Auffassung abzulehnen, weil man zu einer Strafzumessungsverschiebung nach § 28 I StGB nicht mehr kommen kann.

Folgt man dem BGH, so ist nach dem subjektiven Tatbestand eine Tatbestandsverschiebung nach § 28 II StGB abzulehnen und nach der Schuld in der Strafzumessung eine Strafzumessungsverschiebung nach § 28 I StGB anzunehmen.

Die besseren Gründe dürften dabei für die Lit. sprechen: Denn dass die vom BGH befürwortete strikt akzessorische Betrachtung ungerecht ist, zeigt sich gerade, wenn täterbezogene Mordmerkmale in der Person des Anstifters erfüllt sind, während sie in der Person des Haupttäters fehlen. Dem Anstifter, der in seiner Person ein täterbezogenes Mordmerkmal (etwa einen niedrigen Beweggrund) erfüllt, gereicht nämlich nach der BGH-Auffassung das beim Haupttäter zu verzeichnende zufällige Fehlen persönlicher Mordmerkmale zum Vorteil. Da nämlich in einem derartigen Fall § 28 I StGB nicht anwendbar ist (das Merkmal fehlt beim Teilnehmer ja nicht, sondern es ist vorhanden), kann der Anstifter nur streng akzessorisch nach §§ 212, 26 StGB bestraft werden. In einem Schuldstrafrecht, in dem jeder Täter grundsätzlich nach seiner eigenen Schuld zu bestrafen ist, kann ein solches Ergebnis nicht akzeptiert werden. Denn anders als bei den objektiven Mordmerkmalen, die zu Recht rein akzessorisch behandelt werden, weil sie an der Tat anknüpfen, weisen die subjektiven Mordmerkmale zumindest auch einen an der Person orientierten Schuldbezug auf, der eine strikte tatbestandsakzessorische Behandlung zwingend ausschließen muss.

Aber auch im umgekehrten Fall führt die Auffassung des BGH von der Selbstständigkeit der Tatbestände zu unbilligen und unpraktischen Ergebnissen. Fehlt nämlich das täterbezogene Mordmerkmal (z. B. niedriger Beweggrund) beim Teilnehmer, während der Haupttäter ein solches aufzuweisen hat, so verurteilt der BGH im Falle der Kenntnis des Mordmerkmals akzessorisch wegen Teilnahme am Mord und mildert die Strafe nach §§ 28 I, 49 I StGB. Nach § 49 I Nr. 1 StGB würde dies dann für die Anstiftung zum Mord zu einem Strafrahmen von drei bis fünfzehn Jahren führen, während die Strafe für die eigentlich in der Person des Teilnehmers verwirklichte Anstiftung zum Totschlag bei fünf bis fünfzehn Jahren liegen würde. Zur Vermeidung dieses Wertungswiderspruchs ist der BGH in einer Entscheidung aus dem Jahre 2006[39] davon ausgegangen, dass die für eine Beteiligung am Totschlag zu verhängende Mindeststrafe eine „Sperrwirkung“ entfaltet, sodass diese Mindeststrafe nicht unterschritten werden kann. Man sieht hieran, dass der BGH durch seine Auffassung immer wieder zu neuen „Schönheitskorrekturen“ gezwungen ist, die bei einer Anwendung der Literaturauffassung nicht erforderlich sind. Immerhin hat der 5. Senat des BGH in einer aufsehenerregenden Entscheidung[40] selbst darauf hingewiesen, dass der Rspr. zum Verhältnis von Mord und Totschlag mit gewichtigen Argumenten entgegengehalten wird, dass sie zu unüberbrückbaren Wertungswidersprüchen führt und unnötig kompliziert sei. Zugrunde lag dieser beachtenswerten, aber leider vereinzelt gebliebenen Entscheidung folgender

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Fall 2: Der dem kurdischen Raum entstammende D war ermordet worden. Seine Angehörigen A (Neffe des D, der den D jedoch nicht näher kannte), B (Sohn des D) und die C (Frau des D) beschlossen, sich deshalb an dem mutmaßlichen Täter (T) zu rächen, um die „Familienehre“ wieder herzustellen. Zu diesem Zwecke fuhr der B mit seinem Auto nach längerer – von T erkannter Verfolgung – an den in seinem Wagen sitzenden T heran, während die im Fond des Wagens sitzende C dem Beifahrer A die Pistole des B übergab. Mit dieser erschoss A den T in dessen Wagen. Strafbarkeit von A, B und C? (Blutrache-Fall nach BGH NStZ 2006, 286 ff.[41])

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Lösung:

A. Strafbarkeit des A

I. In Betracht kommt eine Strafbarkeit wegen Totschlags nach § 212 StGB.

1. Tatbestandsmäßigkeit Durch den mit Tötungsvorsatz auf T abgegebenen letalen Schuss hat A den objektiven und subjektiven Tatbestand des § 212 StGB erfüllt.

2. Rechtfertigungs- und Schuldausschließungsgründe sind nicht ersichtlich.

3. Ergebnis: A ist strafbar wegen Totschlags nach § 212 StGB.

II. Denkbar wäre darüber hinaus auch eine Strafbarkeit wegen Mordes nach § 211 StGB.

1. Zu prüfen ist zunächst das Vorliegen des objektiven Mordmerkmals der Heimtücke. Gegen dessen Vorliegen spricht aber, dass T angesichts der offensichtlich bereits stattgefundenen Verfolgung den auf ihn gerichteten Angriff erkannt hatte, sodass nicht mehr von einer auf Arglosigkeit beruhenden Wehrlosigkeit ausgegangen werden kann.

2. Als subjektives Mordmerkmal kommt das Vorliegen eines niedrigen Beweggrundes im Hinblick auf das Tötungsmotiv der „Blutrache“ in Betracht. Der BGH differenziert hier allerdings: Ein niedriger Beweggrund wird im Falle der „Blutrache“ in aller Regel in denjenigen Fällen ohne Weiteres anzunehmen sein, in denen allein die Verletzung eines Ehrenkodexes als todeswürdig angesehen wird oder in denen ein Angehöriger einer Sippe als Vergeltung für das Verhalten eines anderen Sippenangehörigen, an dem ihn keine persönliche Schuld trifft, getötet wird. Andererseits sei aber beim Verlust naher Angehöriger durch eine Gewalttat eine rachemotivierte Tötung nicht ohne Weiteres als Mord aus niedrigen Beweggründen zu bewerten, was insbesondere dann gelte, wenn der Täter aus einer besonderen Belastungssituation infolge des Verlustes einer wesentlichen Bezugsperson bzw. aus ähnlichen, nicht per se niedrigen Motiven heraus gehandelt hat. Da A vorliegend in einem weiteren Verwandtschaftsgrad zu seinem Onkel stand und diesen nicht einmal näher kannte, hat der BGH im vorliegenden Fall einen niedrigen Beweggrund bejaht.

3. Ergebnis: Folgt man dem BGH, so ist A wegen Mordes nach § 211 StGB strafbar.

III. Die gleichzeitig verwirklichte Körperverletzung nach §§ 223, 224 I Nr. 2 Alt. 1, 4 und 5 StGB tritt im Wege der Gesetzeskonkurrenz zurück.

B. Strafbarkeit des B

I. In Betracht kommt eine Strafbarkeit wegen mittäterschaftlicher Tötung nach §§ 212, 25 II StGB.

1. B hat den Schuss auf das Opfer nicht selbst abgegeben, sondern nur den Wagen bei der Tatausführung gesteuert. In Betracht kommt aber eine täterschaftliche Verwirklichung, wenn A und B in Mittäterschaft gehandelt haben (§ 25 II StGB). In diesem Fall müsste B sich auch den mittäterschaftlichen Anteil des A über die Zurechnungsnorm des § 25 II StGB zurechnen lassen. Voraussetzung für ein mittäterschaftliches Handeln ist jedoch neben einem gemeinsamen Tatplan auch eine gemeinsame Ausführungshandlung. Vorliegend beruhte das Vorgehen von A und B auf einem gemeinsamen Plan. Auch hat B im Zeitpunkt der Tat einen funktional wesentlichen Tatbeitrag durch das Steuern des Verfolgungsfahrzeugs geleistet, der über das Ob und Wie der Tat entschied. Nach der Tatherrschaftslehre ist daher von einem gemeinschaftlichen Zusammenwirken im Ausführungsstadium auszugehen. Aber selbst wenn man der eher subjektiv gefärbten Rspr. folgt, so hatte B als Sohn des Getöteten ein maßgebliches Interesse an der Tat, das ihn zum Mittäter erhebt.

2. Rechtfertigungs- und Schuldausschließungsgründe sind nicht ersichtlich.

3. Ergebnis: B ist wegen mittäterschaftlichen Totschlags nach §§ 212, 25 II StGB strafbar.

II. Zu prüfen ist, ob darüber hinaus auch eine Strafbarkeit wegen mittäterschaftlichen Mordes nach §§ 211, 25 II StGB in Betracht kommt.

1. Zur Heimtückefrage gilt das bereits unter Punkt A Gesagte (vgl. dazu oben).

2. Zu prüfen ist, ob der Beweggrund der „Blutrache“ auch bei B als niedrig anzusehen ist.

Im Unterschied zu A ist jedoch zugunsten des B davon auszugehen, dass dieser in einer festen Bindung zu seinem getöteten Vater stand und B daher unter dessen Tötung in besonderer Weise gelitten hat. Die Gesamtumstände der Tat geben daher keinen Anlass dazu, sie als besonders verwerflich und verachtenswert zu betrachten.

B wäre daher lediglich wegen mittäterschaftlichen Totschlags nach §§ 212, 25 II StGB zu bestrafen.

Fraglich ist allerdings, ob Mittäterschaft im Verhältnis von Mord und Totschlag überhaupt möglich ist. Nach der Lit., die zwischen Totschlag und Mord ein Verhältnis von Grundtatbestand und Qualifizierung sieht, ist diese Frage unzweifelhaft zu bejahen und § 28 II StGB anzuwenden, sodass je nach Vorliegen oder Fehlen eines besonderen persönlichen Merkmals § 211 StGB oder § 212 StGB in Betracht kommen.

Dagegen müsste der BGH aufgrund seines Verständnisses von Mord und Totschlag als selbstständige, völlig unterschiedliche Tatbestände an der Möglichkeit der Mittäterschaft zweifeln. Insbesondere kann er dann mangels Stufenverhältnis § 28 II StGB nicht anwenden und § 28 I StGB ist ebenfalls nicht einschlägig, da diese Vorschrift nur von Anstifter und Gehilfen, nicht aber von Mittätern spricht.

Dennoch hat der BGH eine Mittäterschaft für möglich erachtet (vgl. BGHSt 36, 231, der sogleich im Bleikristallvase-Fall, Rn. 23 f. noch ausführlich mit den Gründen besprochen wird).

3. Ergebnis: Nach allen Auffassungen hat sich B daher nach §§ 212, 25 II StGB wegen Totschlags in Mittäterschaft strafbar gemacht.

III. Die gleichzeitig verwirklichte mittäterschaftliche gefährliche Körperverletzung nach §§ 223, 224 I Nr. 2 Alt. 1, 4 und 5, 25 II StGB tritt dahinter zurück.

C. Strafbarkeit der C

I. In Betracht kommt zunächst eine Strafbarkeit wegen mittäterschaftlichen Mordes nach §§ 211, 25 II StGB. Voraussetzung hierfür wäre jedoch nach der Tatherrschaftslehre, dass die C einen wesentlichen Tatbeitrag im Ausführungsstadium geleistet hat, der über das Ob und Wie der Tatverwirklichung entscheidet. Beim bloßen Reichen einer Pistole kann dies wohl nicht angenommen werden, da es sich dabei um einen Mitwirkungsbeitrag handelt, der die C lediglich zu einer Randfigur im Gesamtgeschehen machte. Anders könnte man allenfalls nach der subjektiven Theorie der Rspr. urteilen, wenn man davon ausgeht, dass die C ein eigenes besonderes Tatinteresse hatte. Der Sachverhalt gibt jedoch für derartige Erwägungen nur wenig her. Denkbar ist genauso gut, dass die C lediglich mehr oder weniger widerstrebend bei der Tatausführung mitgewirkt hat und sich gerade deshalb auf eine Randbeteiligung beschränkt hat.

II. In Betracht kommt daher lediglich eine Beihilfe zum Mord nach §§ 211, 27 StGB.

1. Eine vorsätzliche rechtswidrige Haupttat liegt vor.

2. Die C handelte auch vorsätzlich hinsichtlich der Gehilfenschaft und des Erfolges.

3. Fraglich ist, ob eine Tatbestandsverschiebung nach § 28 II StGB für die C in Betracht kommt. Dies wäre zumindest dann der Fall, wenn bei ihr ein strafschärfendes Merkmal, das beim Haupttäter gegeben ist, gefehlt hat. Denkbar wäre insoweit das Mordmerkmal des niedrigen Beweggrundes. Angesichts der intensiven Bindung zwischen Ehefrau und getötetem Ehemann kann bei ihr – ebenso wie bei B – nicht davon ausgegangen werden, dass es sich bei ihrem „Blutrache“-Motiv um einen niedrigen Beweggrund handelte. Fraglich ist dennoch, ob unter Zugrundelegung der BGH-Rspr. eine Anwendung des § 28 II StGB überhaupt in Betracht kommt. Dies wäre nämlich nicht der Fall, wenn man Mord und Totschlag nicht als Delikte im Verhältnis von Qualifikation und Grundtatbestand begreift, sondern als eigenständige Tatbestände. Anwendbar wäre dann nur § 28 I StGB, der zu einer strikt akzessorischen Strafbarkeit nach §§ 211, 27 StGB mit bloßer Strafmilderungsmöglichkeit nach § 49 I StGB führen würde. Geradezu bahnbrechend zweifelt der BGH erstmalig selbst an dieser von ihm bisher in st. Rspr. vertretenen Lösung und erkennt an, dass sie zu schwer überbrückbaren Wertungswidersprüchen und unausgewogenen Ergebnissen führt, die nicht nur der sonst üblichen Systematik widersprächen, sondern auch unnötig kompliziert seien.[42] Gerade im vorliegenden Fall kämen diese Wertungswidersprüche besonders anschaulich zur Geltung: Die gemeinschaftlich durch die Mittäter begangene Tötung kann schwerlich als Verwirklichung zweierlei verschiedenen Unrechts und zweier selbstständiger Tatbestände verstanden werden, sondern stellt sich als ein Tötungsunrecht i. S. v. § 212 StGB dar, zu dem lediglich bei einem der Täter mit dem Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe besonders schwerwiegende persönliche Umstände (vgl. § 28 II StGB) hinzukommen. Ein solches Verhältnis entspräche aber nach der üblichen Systematik demjenigen zwischen Grunddelikt und Qualifikation. Gerade bei der Beihilfehandlung der C werde dies besonders deutlich. Ihre Unterstützung der gemeinschaftlichen Tötung des T lasse sich nicht künstlich in eine objektive Beihilfe zum Mord einerseits und eine objektive Beihilfe zum Totschlag andererseits aufspalten. Am Ende hat der BGH die Frage aber dennoch offen gelassen und ist einer endgültigen Entscheidung ausgewichen, indem er davon ausgegangen ist, dass die C auch unter Zugrundelegung der bisherigen Rspr. nicht wegen Beihilfe zum Mord bestraft werden könne, weil das bei A vorliegende Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe nicht vom Vorsatz der C umfasst gewesen sei. Diese sei nämlich ihrem Kulturkreis so sehr verhaftet gewesen, dass sie nicht erkennen konnte, dass die bei A vorliegende Gesinnung eine Niedrigkeit des Beweggrundes begründete.

III. Gegeben ist aber jedenfalls eine Strafbarkeit wegen Beihilfe zum Totschlag nach §§ 212, 27 StGB.

Nur scheinbar um die Anwendungsabgrenzung von § 28 II und § 28 I StGB geht es in einem extrem examensgefährlichen aktuellen Fall des BGH. In Wahrheit stellt sich bei diesem Fall allerdings heraus, dass es nicht um das Fehlen von Mordmerkmalen, sondern um das Fehlen einer Garantenstellung geht. Dies kann aber allenfalls zu § 28 I StGB und nicht zu § 28 II StGB führen. Dazu folgender

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Fall 3: A und M fuhren nachts mit ihren Fahrzeugen alkoholisiert (aber unterhalb einer BAK von 1,1 Promille) und jeweils ohne Fahrerlaubnis nach Hause. M fuhr voran und übersah aufgrund einer überhöhten Geschwindigkeit an einer Kreuzung einen von rechts kommenden Fahrradfahrer, den er erfasste und schwer verletzte. A passierte die Unfallstelle kurz nach der Kollision und erkannte, was geschehen war. Dennoch setzte A die Fahrt fort, weil es ihm besser erschien, die Unfallstelle wegen seiner fehlenden Fahrerlaubnis und des Fahrens unter Alkoholeinfluss schnellstmöglich zu verlassen. M hielt sein Fahrzeug an, stieg aus und begab sich zur Unfallstelle. Dort sah er den Radfahrer regungslos am Straßenrand liegen. Er hielt es für möglich, dass dieser noch lebte und gerettet werden konnte, entschloss sich aber, keine Rettungsmaßnahmen einzuleiten und ebenfalls zu flüchten, um nicht wegen des Fahrens ohne Fahrerlaubnis und unter Alkoholeinfluss strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden zu können. Ein Versterben des Unfallopfers infolge unterlassener Rettungsmaßnahmen nahm er dabei billigend in Kauf. Da Ms Fahrzeug jedoch nicht ansprang, rief er A an, der zwischenzeitlich schon bei Ms Wohnung angekommen war, und bat ihn, mit einem Abschleppseil zur Unfallstelle zurückzukehren. A kam dem nach und schleppte das Fahrzeug des M mit diesem zu dessen Wohnung ab. Das Unfallopfer ließen beide an der Kreuzung zurück. Auch A ging davon aus, dass das Unfallopfer möglicherweise noch lebte und gerettet werden konnte, nahm aber dessen Versterben durch das Unterlassen von Rettungsmaßnahmen billigend in Kauf. Tatsächlich hätte der Radfahrer schon unmittelbar nach dem Unfall nicht mehr gerettet werden können, da die schweren Verletzungen zu einem raschen Tod führten. Wie haben sich die Beteiligten strafbar gemacht und was ist zur Strafzumessung bei A zu sagen? (Abschlepp-Fall nach BGH NJW 2021, 1767[43])

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Lösung:

1. Sachverhaltskomplex: Das Geschehen bis zum Unfall

A. Strafbarkeit des M

I. M ist hier jedenfalls wegen fahrlässiger Tötung nach § 222 StGB strafbar.

II. Die gleichzeitig verwirklichte fahrlässige Körperverletzung nach § 229 StGB tritt hinter § 222 StGB im Wege der Subsidiarität zurück.

III. Eine Strafbarkeit nach § 315c I ggfls. i.V.m. III Nr. 1 StGB scheidet aus, da keine absolute Fahruntauglichkeit (BAK unter 1,1 Promille) gegeben war und nicht einmal der Wert für eine mögliche relative Fahruntauglichkeit (0,3 Promille) festgestellt ist. Selbst wenn dieser Wert erreicht war, war der Unfall nach dem Sachverhalt nicht Folge der Alkoholisierung; vielmehr war dieser auf die überhöhte Geschwindigkeit zurückzuführen. Dass die zu hohe Geschwindigkeit ihrerseits auf die Alkoholisierung zurückzuführen gewesen wäre, ergibt sich ebenfalls nicht aus dem Sachverhalt. Damit scheidet eine Strafbarkeit nach § 315c StGB schon tatbestandlich mangels festgestellter Fahruntauglichkeit aus.

IV. Aus dem gleichen Grund ist auch eine Strafbarkeit wegen Trunkenheit im Verkehr nach § 316 StGB zu verneinen.

V. Gegeben ist aber eine Strafbarkeit des M wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis nach § 21 I StVG.

B. Strafbarkeit des A

I. Eine Strafbarkeit wegen fahrlässiger Tötung nach § 222 StGB scheidet aus, da der Sachverhalt nicht einmal einen entsprechenden Kausalbeitrag des A schildert.

II. Wie bei M scheidet auch bei A eine Strafbarkeit nach §§ 315c, 316 StGB mangels festgestellter Fahruntauglichkeit aus.

III. Gegeben ist aber auch bei A eine Strafbarkeit wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis nach § 21 I StVG.

2. Sachverhaltskomplex: Das Geschehen nach dem Unfall

A. Strafbarkeit des M

I. Eine vollendete Tötung oder sogar ein vollendeter Mord durch Unterlassen nach §§ 211, 212, 13 StGB scheidet aus, da das Opfer laut Sachverhalt ohnehin nicht mehr gerettet werden konnte. Die beim Unterlassungsdelikt erforderliche Quasikausalität ist nämlich nur gegeben, wenn das gebotene Handeln nicht hinzugedacht werden kann, ohne dass der Erfolg mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit entfiele. Das Unterlassen des M war daher schon nicht kausal für den Erfolgseintritt, weil der Radfahrer laut Sachverhalt bereits unmittelbar nach dem Unfall nicht mehr hätte gerettet werden können.

II. Gegeben sein könnte aber eine Strafbarkeit wegen versuchten Mordes durch Unterlassen nach §§ 212, 211, 13, 22, 23 StGB. Voraussetzung dafür wäre, dass M Tatentschluss hinsichtlich der Begehung eines Mordes hatte. Insoweit war Ms Vorstellung darauf gerichtet, den Tod des Radfahrers durch sein Unterlassen bewirken zu können, da er davon ausging, dass dieser möglicherweise noch zu retten sei. Er nahm dies aber billigend in Kauf, sodass von einem bedingten Tötungsvorsatz auszugehen ist. Dabei müsste M auch Umstände angenommen haben, die seine Garantenstellung begründen. M hatte den Radfahrer aufgrund überhöhter Geschwindigkeit angefahren. Es lag damit ein unerlaubtes gefährliches vorangegangenes Tun vor, sodass eine Garantenstellung aus Ingerenz zu bejahen war. Da M diese Umstände erkannt hatte, ist ein diesbezüglicher Tatentschluss gegeben. Fraglich ist, ob auch ein Tatentschluss mit Bezug auf § 211 StGB zu bejahen ist. Aus dem Sachverhalt ergibt sich insoweit, dass M auch mit Verdeckungsabsicht handelte, da er sich vom Unfallort entfernen wollte, um nicht wegen des Fahrens ohne Fahrerlaubnis und unter Alkoholeinfluss strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden zu können. Maßgeblich ist nicht nur bezüglich des Fahrens ohne Fahrerlaubnis, sondern auch bezüglich des Fahrens unter Alkoholeinfluss nicht, ob er tatsächlich strafbar war, sondern ob er sich diesbezüglich für strafbar hielt. Dies war hier der Fall. Fraglich ist aber, ob Verdeckungsabsicht auch bei einem bloßen Unterlassen in Frage kommt. Der BGH bejaht dies in ständiger Rechtsprechung, indem er für das Vorliegen von Verdeckungsabsicht jede Verbindung von Unrecht mit weiterem Unrecht genügen lässt. In der Literatur wird dagegen zum Teil die Modalitätenäquivalenz verneint, da der Täter bei einem Unterlassen nichts aktiv zudecken, sondern lediglich nichts aufdecken wolle. Nur wenn man daher dem BGH folgt, war hier Verdeckungsabsicht zu bejahen. Auch hat M spätestens mit dem Verlassen des Unfallorts zur Tötung unmittelbar angesetzt, da er damit die Herrschaft über das weitere Geschehen nach seiner Vorstellung aus der Hand gegeben hat.

III. Gegeben ist auch eine Strafbarkeit wegen unterlassener Hilfeleistung nach § 323c StGB. Nach h.M. ist auch einem Sterbenden noch Hilfe zu leisten und sei es auch nur zur Schmerzlinderung.[44] Ob dies hier noch möglich war ist zweifelhaft, jedoch tritt § 323c StGB ohnehin im Wege der Subsidiarität hinter §§ 211, 212, 22, 23, 13 StGB zurück.

IV. Auch ist eine Strafbarkeit wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort nach § 142 I Nr. 2 StGB zu bejahen (nicht nach § 142 I Nr. 1 StGB, da keine feststellungsbereite Person am Unfallort anwesend war).

B. Strafbarkeit des A

I. A könnte strafbar sein wegen Beihilfe zum versuchten Mord durch Unterlassen nach §§ 212, 211, 13, 22, 23 StGB.

1. Eine vorsätzliche rechtswidrige Haupttat liegt in Form des versuchten Mordes durch Unterlassen vor.

2. A ging davon aus, dass das Unfallopfer möglicherweise noch lebte und gerettet werden konnte, nahm aber dessen Versterben durch das Unterlassen des M billigend in Kauf. Darüber hinaus wollte A dem M auch Hilfe zu diesem Unterlassen leisten. Er hatte daher den notwendigen doppelten Gehilfenvorsatz.

3. Fraglich ist, ob eine Tatbestandsverschiebung nach § 28 II StGB in Frage kommt. Dies könnte von vornherein nur der Fall sein, wenn A ohne Verdeckungsabsicht gehandelt hat. Verdeckungsabsicht kann dabei auch gegeben sein, wenn ein Dritter der Strafverfolgung entzogen werden soll.[45] Der Sachverhalt äußert sich hierzu nicht, jedoch ist naheliegend, dass A dem M dabei helfen wollte, sich der Strafe – jedenfalls bezüglich § 229 StGB – zu entziehen. Damit würde eine Tatbestandsverschiebung hin zu einer Beihilfe zu einem bloßen versuchten Totschlag durch Unterlassen ausscheiden, weil auch in der Person des A das Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht erfüllt wäre.

4. Fraglich ist, ob eine Strafzumessungsverschiebung in Betracht kommt.

a) Der BGH würde die von der Lit. befürwortete Tatbestandsverschiebung (s. soeben) ohnehin nicht zulassen, da er § 211 StGB als eigenständiges Delikt gegenüber § 212 StGB betrachtet, sodass die Mordmerkmale für ihn strafbegründend sind und daher im Falle des Fehlens eines subjektiven Mordmerkmals beim Teilnehmer allenfalls § 28 I StGB zur Anwendung kommen könnte. Sofern aber – was hier angenommen werden kann – auch A in Verdeckungsabsicht handelte, käme für den BGH unter diesem Gesichtspunkt keine Strafzumessungsverschiebung zugunsten des A in Betracht.

b) Fraglich ist aber, ob eine Strafrahmenverschiebung nach § 28 I StGB für A deshalb in Betracht kommt, weil er den Unfall nicht verursacht hat und ihn daher keine Garantenstellung aus Ingerenz trifft. Zu prüfen ist daher, ob die Garantenstellung aus Ingerenz als besonderes persönliches strafbegründendes Merkmal aufzufassen ist.

aa) Nach einem Teil der Literatur ist die die Handlungspflicht des Täters und seine Strafbarkeit wegen eines unechten Unterlassungsdelikts begründende Garantenstellung generell ein besonderes persönliches Merkmal im Sinne von § 28 I StGB.[46] Sie charakterisiere den Täter und sei dessen besondere persönliche Verpflichtung zur Erfolgsabwendung. Die Garantenstellung unterscheide sich strukturell nicht von den Pflichten des Amtsträgers oder des Täters der Untreue, die im Rahmen ihrer Aufgaben in gleicher Weise wie der Unterlassungstäter Garanten der ihnen anvertrauten Güter seien. Der Gehilfe habe eine solche täterbezogene Schutzpflicht dagegen nicht, weshalb eine Strafrahmenverschiebung angemessen sei.

bb) Die Gegenauffassung lehnt eine Anwendung des § 28 I StGB auf Garantenstellungen ab.[47] Diese hätten lediglich die Funktion, positives Tun und Unterlassen bei der Zurechnung des tatbestandsmäßigen Erfolgs gleichzustellen. Die Begehungstat und die unechte Unterlassungstat hätten denselben Strafrahmen, weshalb die Garantenstellung das Tatunrecht nicht erhöhe. Wenn dem Täter beide Varianten zur Verfügung stünden, erscheine es nicht sachgerecht, dem nicht garantenpflichtigen Teilnehmer eines unechten Unterlassungsdelikts eine Strafmilderung zuzugestehen, dem Teilnehmer an einem durch aktives Tun verwirklichten Tatbestand hingegen nicht.

cc) Eine differenzierende Meinung hält jedenfalls die Garantenstellung aus Ingerenz bzw. die Stellung als Überwachungsgarant für kein besonderes persönliches Merkmal.[48] Die Garantenstellung aus Ingerenz sei von der Person des Handelnden losgelöst, weil die Überwachungspflicht an ein pflichtwidriges Vorverhalten anknüpfe. Anders als die anderen Garantenstellungen entstehe sie erst kurz vor der Tat durch situative – also tatbezogene – Umstände.

dd) Da die unterschiedlichen Auffassungen zu unterschiedlichen Ergebnissen hinsichtlich der Möglichkeit einer Strafrahmenverschiebung gelangen, ist ein Streitentscheid notwendig. Dabei ist ein Garant aus Ingerenz, wie der BGH im konkreten Fall entschieden hat, aufgrund seines pflichtwidrigen Vorverhaltens, das die nahe Gefahr des tatbestandsmäßigen Erfolgs verursacht hat, zur Erfolgsabwendung verpflichtet. Diese Verpflichtung ist, wie der 4. Senat zu Recht betont hat, eine Sonderpflicht mit starkem persönlichen Einschlag. Sie richtet sich nicht an jedermann, sondern nur an denjenigen, der sich vor der Tat pflichtwidrig verhalten und die Gefahr geschaffen hat. Nur der Garant trägt persönlich die Verantwortung für die Abwendung des tatbestandsmäßigen Erfolges. Die Garantenstellung ist ausschließlich in seiner Person verankert und kennzeichnet damit die Persönlichkeit des Unterlassungstäters. Damit ist hier die Strafrahmenverschiebung nach § 28 I StGB anwendbar, die zu den beiden Verschiebungen nach § 27 II S. 2 und § 23 II StGB hinzutritt.

Ergebnis: A ist strafbar wegen Beihilfe zum versuchten Mord durch Unterlassen nach §§ 212, 211, 13, 22, 23, 27 StGB, wobei zu den beiden Verschiebungen nach § 27 II S. 2 und § 23 II StGB eine Strafrahmenverschiebung nach § 28 I StGB wegen Fehlens der Ingerenzgarantenstellung in der Person des A hinzutritt (Hinweis: Nach Ansicht des BGH käme bei fehlender Verdeckungsabsicht und fehlender Garantenstellung nur einmal § 28 I StGB in Betracht;[49] diese Frage stellt sich aber nicht, wenn man bei A Verdeckungsabsicht bejaht, wie dies oben geschehen ist).

II. Die bei A gleichzeitig verwirklichte unterlassene Hilfeleistung nach § 323c StGB tritt hinter der Beihilfe zum versuchten Mord durch Unterlassen nach §§ 212, 211, 13, 22, 23 StGB zurück.

Näher zur Verortung von § 28 II StGB einerseits und § 28 I StGB andererseits Jäger, AT, Rn. 360, 372.

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