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c) Habgier

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Diese liegt vor, wenn der Täter bei seiner Tötungshandlung von einem Streben nach Gewinn um jeden Preis beherrscht ist.[85] Nicht maßgeblich ist, ob der Täter in Gewinnerzielungsabsicht oder in der Absicht der Ersparung von Aufwendungen handelt.[86] Habgier ist daher auch dann anzunehmen, wenn der Täter eine Befreiung von seiner Unterhaltspflicht erreichen will.[87]

Habgier soll aber nach umstrittener Auffassung fehlen, wenn der Täter einen Anspruch auf den Vermögensvorteil hat.[88]

Achtung Klausur: Habgier ist nur dann gegeben, wenn der Täter tötet, um die Vermögensmehrung durch den Tod herbeiführen zu können. Nicht ausreichend ist dagegen, wenn der Täter erst nach dem Tod des Opfers den Entschluss fasst, sich zu bereichern. [89]

Ein das Habgiermerkmal betreffender eigentümlicher, aber durchaus examensrelevanter Sachverhalt liegt einem aktuellen Urteil des BGH zugrunde. Dazu folgender

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Fall 5: Der bis auf rund 225 € in Eigen- und Fremdwährung kapitallose und nicht krankenversicherte A konnte seine Medikamente nicht mehr bezahlen und erwog deshalb zu betteln, Sozialleistungen zu beantragen oder sich selbst das Leben zu nehmen. Aus verschiedenen Gründen verwarf er diese Optionen jedoch und entschied sich, eine schwere Straftat zu begehen, um im Strafvollzug Versorgung und Behandlung zu erhalten. Daher beschloss er, eine Person mit seinem Fahrzeug anzufahren, wobei er Kinder, Frauen und Menschenmengen ausschloss, da er Repressionen seiner späteren Mitgefangenen befürchtete, sollten diese erfahren, dass er wegen der Tötung einer Frau oder eines Kindes in Haft sei. Nach mehreren aufgrund untauglicher Opfer verworfenen Gelegenheiten, fuhr A den fahrradfahrenden Küster K gezielt von hinten mit seinem Auto (Geschwindigkeit mindestens 80 km/h) an und verletzte diesen lebensgefährlich, wobei er den Tod des Opfers billigend in Kauf nahm. Strafbarkeit des A? (Knastsehnsucht-Fall nach BGH NStZ 2020, 733[90])

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Lösung:

I. A könnte sich wegen versuchten Mordes nach §§ 211, 212, 22, 23 StGB strafbar gemacht haben.

1. Der Erfolg, Tod des K, ist nicht eingetreten. Die Tat ist daher nicht vollendet.

2. Die Strafbarkeit des Versuchs ergibt sich aus dem Verbrechenscharakter des Mordes (§§ 23 I, 12 I StGB).

3. A müssste auch Tatentschluss gehabt haben.

a) A hielt den Tod des K ernsthaft für möglich und nahm ihn billigend in Kauf, sodass bedingter Vorsatz hinsichtlich einer Tötung nach § 212 StGB gegeben war.

b) Fraglich ist, ob A darüber hinaus auch Tatentschluss hinsichtlich eines Mordes nach § 211 StGB hatte.

aa) In Betracht kommt Tatentschluss hinsichtlich einer heimtückischen Tötung. Sofern man mit einem Teil der Literatur für Heimtücke einen besonders verwerflichen Vertrauensbruch verlangen würde, wäre ein solcher Tatentschluss hier zu verneinen. Die Rechtsprechung lässt es jedoch seit jeher genügen, dass der Täter die auf Arglosigkeit beruhende Wehrlosigkeit des Opfers in feindlicher Willensrichtung ausnutzt.[91] Tatsächlich gibt der Wortlaut der Heimtücke für Beschränkungen auf besonders verwerfliche Vertrauensbrüche nichts her, zumal dann die Heimtücketötung auf Taten im Nahbereich beschränkt wäre. Folgt man daher der Rechtsprechung, wäre ein Tatentschluss bezüglich einer heimtückischen Tötung zu bejahen.

bb) Nicht gegeben ist dagegen ein Tatentschluss hinsichtlich einer Tötung mit gemeingefährlichen Mitteln. Zwar kann die Benutzung eines Fahrzeugs ein gemeingefährliches Mittel sein, wenn die Folgen seines Einsatzes vom Täter nicht beherrschbar sind (etwa beim Fahren in eine Menschenmenge). Vorliegend beschränkte sich die Tat, wie A wusste, jedoch auf den Küster K, sodass nicht von einer Gemeingefährlichkeit ausgegangen werden kann.

cc) Fraglich ist, ob A darüber hinaus aus Habgier handelte. Habgier bedeutet ein Streben nach materiellen Gütern oder Vorteilen, das in seiner Hemmungslosigkeit und Rücksichtslosigkeit das erträgliche Maß weit übersteigt und das in der Regel durch eine ungehemmte triebhafte Eigensucht bestimmt ist.

(1) Der BGH hat im vorliegenden Fall dieses Mordmerkmal bejaht: Nach dem Vorstellungsbild des A sei die Tatbegehung allein auf eine langfristige Versorgung durch eine staatliche Einrichtung und damit auf eine Verbesserung seiner Vermögenslage im Sinne eines rücksichtslosen Gewinnstrebens ausgerichtet gewesen. Der Annahme der Habgier stehe die mit der erstrebten Inhaftierung verbundenen persönlichen Einschränkungen des Angeklagten nicht entgegen, weil diese in seiner Vorstellung nur eine untergeordnete Rolle spielten und der angestrebte Vermögensvorteil für den Angeklagten das maßgebliche Tatmotiv war. Für die Annahme einer Tötung aus Habgier sei ferner unerheblich, dass der erstrebte Vermögensvorteil nicht unmittelbar aus dem Vermögen des Opfers stammen sollte. Ebenso stehe einem Mordversuch aus Habgier nicht entgegen, dass der Angeklagte eine staatliche Versorgung auch auf legale Weise durch Beantragung von Sozialleistungen hätte erreichen können. Einen funktionalen Zusammenhang zwischen Tötung und Vermögensvermehrung in dem Sinne, dass der Angriff auf das Leben aus Sicht des Täters unerlässliches Mittel zur Zielerreichung ist, setze das Mordmerkmal nicht voraus; entscheidend sei vielmehr die Motivation des Täters.

(2) In der Literatur ist diese Ansicht des BGH zu Recht auf Kritik gestoßen. So hat Mitsch zu Recht gegen den Beschluss eingewandt, dass die Bejahung von Habgier nicht mit der Rechtsprechung zur „Ersparung“ von finanziellen Sanktionen übereinstimme. Bei ihm heißt es dazu: „Vorenthaltung von Geldstrafen und Geldbußen kombiniert mit Täuschung oder Erpressung sei kein Betrug und keine Erpressung, weil der Anspruch des Staates auf die Geldbeträge kein Vermögensgut sei und die Nichterfüllung des Anspruchs somit keinen Vermögensnachteil verursache. Wenn das richtig ist, sollten auch alle sonstigen Belastungen des Staatshaushalts durch Aufwendungen für Strafvollstreckung und Strafvollzug als nichtvermögensrechtlich qualifiziert werden. Vortäuschen einer freiheitsstraffähigen Straftat (§ 145d StGB) oder Strafvollstreckungsvereitelung (§ 258 II StGB) durch stellvertretende Strafverbüßung für den zu Freiheitsstrafe Verurteilten sind danach keine Betrugstaten zum Nachteil des Staates.“[92] Daran ist richtig, dass der BGH in ständiger Rechtsprechung und mit ihm auch die h.L. davon ausgehen, dass die Ersparung von Geldstrafen durch Täuschung oder Nötigung mangels Vermögensschadens keine Strafbarkeit nach §§ 263, 253 StGB nach sich zieht, weil bei Geldstrafen und Geldbußen der Pönalisierungseffekt im Vordergrund stehe.[93] Tatsächlich lassen sich bei der staatlichen Strafe die Aufwendungen des Staates nicht in punitiven Freiheitsentzug und nicht-punitiven Versorgungsvorteil zerlegen. Besonders anschaulich zeigt sich dies bei den Unterhaltskosten für die Gefängnisräumlichkeiten. Hier würde niemand auf die Idee verfallen, einen Obdachlosen, der sich für eine andere Person einsperren lässt, um in den kalten Wintermonaten kostenlos eine staatliche Unterkunft zu erhalten, wegen Betruges durch Ersparen von Aufwendungen für die Kosten der Unterbringung zu verurteilen. Der BGH bejaht dagegen das Habgiermerkmal, weil der Vorteil nicht unmittelbar aus der Tat stammen müsse und auch kein funktionaler Zusammenhang im Sinne einer unerlässlichen Voraussetzung bestehen muss. Es sei daher unschädlich, dass der Täter den Vorteil nicht aus dem Vermögen des Opfers, sondern aus dem des Staates erlange, und ebenso sei es irrelevant, dass er sich die Versorgung hypothetisch auch aus der Beantragung von Sozialleistungen hätte verschaffen können. Beides ist sicherlich korrekt. Denn auch derjenige, der durch Tötung seiner Ehefrau an die Lebensversicherungsprämie gelangen möchte,[94] erlangt den Vorteil aus Drittvermögen und es wird bei ihm Habgier selbstverständlich auch dann bejaht, wenn er sich das Geld aus ehrlicher Arbeit hätte verdienen können. Aber der vom BGH in den Blick genommene Bezugspunkt der Funktionalität trifft nicht zu. Entscheidend ist vielmehr, dass in allen bislang entschiedenen Fällen der Habgier der Vorteil als unmittelbare Folge der Tatbegehung erlangt wird, sodass zumindest eine Konnexität zu verzeichnen sein muss. Der Täter der Habgier erlangt in diesem Sinn nämlich doch funktional den Vermögenswert als Vorteil im Gegenzug für die Tötung. Der Staat gewährt die Versorgung im Vollzug aber nicht für die Tötung, sondern aus einem davon unabhängigen Rechtsgrund, der vor allem den Notwendigkeiten eines humanen Strafvollzugs geschuldet ist.[95] Dies zeigt sich schon daran, dass jeder Strafgefangene in den Vorzug der im Strafvollzug üblichen Versorgung gelangt, gleichgültig, welche Straftat er begangen hat. Daraus ergibt sich aber, dass dieser Vorteil keinerlei Konnexität mit der Tötung aufweist, sondern vielmehr nur eine Strafvollzugskonnexität zu verzeichnen ist. Dies aber genügt für die Bejahung der Habgier nicht. Es handelt sich hier um die Gewährung aus eigenem Rechtsgrund auf der Grundlage eines rechtsstaatlichen Strafvollzugs, der mit der Straftat als solcher in keinem Zusammenhang steht. Dabei muss man nicht einmal die Frage entscheiden, ob Habgier einen Vermögensvorteil voraussetzt, auf den der Täter keinen Anspruch hat (soeben Rn. 37). Verlangt man dies, so wäre schon aus diesem Grund Habgier zu verneinen, weil jeder Täter nach der Straftatbegehung einen Anspruch auf den üblichen Vollzug hat und die Vorzüge des Strafvollzugs daher nicht ohne Anspruch gewährt werden. Unabhängig davon ist aber das mindeste, was man voraussetzen sollte, dass der Vorteil seinen Grund in der Tötung hat. Zur abschließenden Erläuterung: Wer einen Menschen tötet, um an das Erbe zu gelangen, der geht davon aus, dass er an das Vermögen gelangen wird, weil er die Person tötet. Wer eine Person tötet, um eine Belohnung zu erhalten, nimmt Umstände an, wonach er das Honorar erlangt, weil er die Person tötet. Wer einen Menschen tötet, um in den Genuss einer Strafvollzugsversorgung zu gelangen, nimmt dagegen keine Umstände an, bei denen diese Versorgung wegen der Tötung geleistet wird. Überspitzt könnte man sogar formulieren, dass der Staat die Vollzugsleistungen nicht wegen, sondern trotz der Tötung erbringt.

dd) Mangels Konnexität von Tötung und Vorteil wäre daher vorliegend keine Habgier in Betracht gekommen, sondern es wäre zu prüfen gewesen, ob ein sonstiger niedriger Beweggrund gegeben war. Dieses Mordmerkmal liegt nach allgemeiner Auffassung vor, wenn die Motivation des Täters sich nicht nur als verwerflich darstellt, sondern sittlich auf tiefster Stufe stehend und als besonders verachtenswert erscheint.[96] Hier könnte die danach erforderliche Würdigung der Gesamtumstände zu einer Verneinung niedriger Beweggründe führen, weil sich A in einer desolaten finanziellen Situation befunden hat und auch sonst mit seinem Leben einfach nicht mehr zurecht kam.[97] Ob man in einem solchen Fall davon sprechen kann, dass die Tat des A von hemmungsloser triebhafter Eigensucht geprägt war, wird man bezweifeln können.

ee) Zwischenergebnis: Nach der hier vertretenen Auffassung ist lediglich Tatentschluss hinsichtlich einer Heimtücketötung gegeben.

4. Durch das Anfahren des K hat A auch unproblematisch zum Versuch des Mordes angesetzt.

5. Rechtfertigungs- und Schuldausschließungsgründe sind nicht ersichtlich.

Hinweis: Für die Frage eines Rücktritts vom Versuch gibt der Sachverhalt keine genügenden Anhaltspunkte. Sofern A gesehen haben sollte, dass K noch lebt und nicht noch einmal über ihn gefahren ist, könnte der BGH sogar einen strafbefreienen Rücktritt annehmen. Die Literatur würde dies zu einem Großteil verneinen, sofern A sein Ziel einer langen Haftstrafe nach der letzten Ausführungshandlung schon errreicht gesehen hat. Der vorliegende Fall zeigt, wie problematisch die Bejahung einer Rücktrittsmöglichkeit trotz außertatbestandlicher Zielerreichung ist (näher dazu Jäger, AT, Rn. 442). Sollte A nach dem Anfahren allerdings davon ausgegangen sein, dass K schon tot ist, so wäre überhaupt kein Rücktrittshorizont entstanden, sodass dann auch ohnehin kein strafbefreiender Rücktritt stattgefunden haben könnte (näher Jäger, AT, Rn. 441).

6. Ergebnis: A hat sich wegen versuchten Mordes nach §§ 211, 212, 22, 23 StGB strafbar gemacht, da sein Tatentschluss jedenfalls auf die Verwirklichung einer heimtückischen Tötung gerichtet war. Folgt man dem BGH liegt zusätzlich Habgier vor. Verneint man dies mit der hier vertretenen Auffassung, so lässt sich ein niedriger Beweggrund diskutieren, der aber wohl im konkreten Fall wegen der besonderen Umstände, in denen sich A befand, abzulehnen wäre.

II. Darüber hinaus wäre vorliegend auch eine Strafbarkeit wegen gefährlicher Körperverletzung nach §§ 223, 224 I Nr. 2 und 5 StGB gegeben. Diese steht zum versuchten Mord in Tateinheit.[98]

III. Schließlich ist auch eine Strafbarkeit wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr nach § 315b I Nr. 3 StGB gegeben.

Hinweis: Zwar erfasst § 315b StGB nur gefährliche Eingriffe in den Straßenverkehr von außen. Ausnahmsweise ist dieser aber auch bei Inneneingriffen erfüllt, sofern eine sog. Pervertierung des Straßenverkehrs in Form eines Einsatzes des Fahrzeugs zu verkehrsfremden Zwecken vorliegt. Dies ist hier eindeutig der Fall, da A seinen Wagen als Angriffswerkzeug gegen den K eingesetzt hat. Auch war der von der Rechtsprechung in diesen Fällen zur Restriktion verlangte Schädigungsvorsatz gegeben. § 315b I Nr. 3 StGB tritt zu §§ 211, 224 StGB ebenfalls in Tateinheit.

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