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1. Sonderproblem 1: Schwere Folge als Konsequenz aus Handlung oder Erfolg?

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Umstritten und ungelöst ist die Frage, ob sich die schwere Folge aus dem Körperverletzungserfolg ergeben haben muss oder ob es genügt, dass die schwere Folge aus der Körperverletzungshandlung resultiert (s. schon soeben Bsp. 2-4).

Die Frage ist vor allem deshalb von Bedeutung, weil von ihr abhängt, inwieweit man den Versuch einer Körperverletzung mit Todesfolge zulassen will.

Nach der vom BGH vertretenen Auffassung genügt es, dass die schwere Folge aus der Handlungsgefahr des Grunddelikts resultiert.[68] Danach ist ohne Weiteres eine versuchte Körperverletzung mit Todesfolge möglich.

Nach einer starken Literaturauffassung ist dagegen erforderlich, dass die schwere Folge das Resultat des Körperverletzungserfolges ist (sog. Letalitätstheorie).[69] Danach ist eine Strafbarkeit wegen versuchter Körperverletzung mit Todesfolge ausgeschlossen.

Interessant ist in diesem Zusammenhang folgendes

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Beispiel: Die Skinheads A und B verfolgten den Ausländer C, um ihn zu verprügeln. C floh in Panik und konnte die Verfolger abhängen. In seiner Todesangst wollte C sich aber in ein Haus flüchten und trat deshalb eine Glastür ein, wobei er sich so schwer verletzte, dass er in kurzer Zeit verblutete. (Gubener Menschenjagd-Fall nach BGH NStZ 2003, 149[70])

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Lösung: A und B haben eine versuchte gefährliche Körperverletzung gem. §§ 223, 224 I Nr. 4, 22, 23 StGB verwirklicht, da A und B jeweils den Tatentschluss gefasst hatten, C „mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich“ zu verprügeln (vgl. § 224 I Nr. 4 StGB). Spätestens durch die Verfolgung hatten alle Beteiligten nach ihrer Vorstellung auch unmittelbar zur Tatbestandsverwirklichung angesetzt. Fraglich ist jedoch, ob auch eine Strafbarkeit aus § 227 StGB in Frage kommt, wenn als Grunddelikt nur eine versuchte Körperverletzung vorliegt. Die Antwort auf diese Frage hängt davon ab, wie man die Wendung „durch die Körperverletzung“ in § 227 StGB versteht: Versteht man hierunter mit einer Literaturauffassung die Notwendigkeit eines Körperverletzungserfolges, aus dem sich der spätere Todeserfolg ergeben haben muss (sog. Letalitätstheorie), so ist eine bloß versuchte Körperverletzung mit Todesfolge ausgeschlossen. Lässt man dagegen mit der Rspr. genügen, dass eine Körperverletzungshandlung vorliegt, so ist eine Strafbarkeit wegen versuchter Körperverletzung mit Todesfolge denkbar. Tatsächlich hat der BGH im vorliegenden Fall neuerlich bestätigt, dass es für eine Bestrafung aus § 227 StGB ausreiche, wenn sich die spezifische Gefahr der Grunddeliktshandlung verwirklicht hat, weil die auf den Angriff hin erfolgte Panikreaktion geradezu typisch gewesen sei. In der Literatur hat die Entscheidung des BGH Kritik ausgelöst, weil die Wendungen „durch die Körperverletzung“ und vor allem „der verletzten (!) Person“ in § 227 StGB ihrem Sinn nach doch einen Körperverletzungserfolg voraussetze.

Stellungnahme: Tatsächlich erscheint die Auslegung des BGH im Hinblick auf § 227 StGB mit dem Wortsinn „Körperverletzung“ und „verletzten Person“ nur schwer vereinbar. Auch dürfte die gesetzgeberische Intention bei der Schaffung dieser Vorschrift darin gelegen haben, tödliche Konsequenzen aus einem Körperverletzungserfolg zu verhindern. Die besseren Gründe sprechen daher wohl für die Literaturauffassung, sodass eine Strafbarkeit wegen versuchter Körperverletzung mit Todesfolge nach zutreffender Ansicht abzulehnen gewesen wäre (a. A. aber selbstverständlich mit dem BGH vertretbar). Neben der versuchten gefährlichen Körperverletzung haben sich aber A und B gem. § 222 wegen fahrlässiger Tötung und mittäterschaftlicher Nötigung gem. § 240 StGB in Tateinheit strafbar gemacht. Folgt man dagegen dem BGH, so liegt eine versuchte gefährliche Körperverletzung mit Todesfolge in Tateinheit mit mittäterschaftlicher Nötigung vor. § 222 tritt hinter §§ 227, 22, 23 StGB zurück. Vgl. im Übrigen näher zur Problematik des Versuchs einer Erfolgsqualifikation Jäger, AT, Rn. 568 ff.

In einer aktuellen Entscheidung hat der BGH jedenfalls für eine vollendete Körperverletzung Opferidentität von verletzter und verstorbener Person verlangt. Die Möglichkeit eines Versuchs bleibt allerdings für den BGH auch bei Auseinanderfallen der Opfer möglich. Dazu folgender

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Fall 9: A, B und C beschlossen D, E und F, die sich in einem auf einem Parkplatz abgestellten Pkw befanden und das Auto nicht verlassen wollten, gewaltsam aus dem Auto zu ziehen und ihnen eine körperliche Abreibung zu verpassen. D, E und F wollten mit ihrer Weigerung, den Pkw zu verlassen, einer ihnen nach ihrer Auffassung zustehenden Lohnforderung gegen ihren Arbeitgeber, eine Leiharbeitsfirma, für die auch A, B und C tätig waren, Nachdruck verleihen. Am Parkplatz angekommen begaben sich A, B und C zu dem Pkw. D ging davon aus, dass über die Lohnforderung gesprochen werden solle, und stieg auf der Beifahrerseite aus dem Fahrzeug. Er wurde sofort von einem der drei Täter mit einer Bierflasche attackiert und erhielt einen Schlag auf den Kopf sowie einen Faustschlag in das Gesicht. D gelangte sodann mit Hilfe des F, der sich im Auto hinten rechts auf der Rückbank befand, wieder vollständig in das Fahrzeug. E, der im Fahrzeug hinten links saß, bekam durch den Angriff auf D Angst, verließ das Auto und versuchte zu entkommen. Nach nur wenigen Metern Flucht fiel er zu Boden, wobei nicht festgestellt werden konnte, ob er ohne weiteres Zutun von A, B und C hinfiel, ihm bei der Flucht ein Bein gestellt wurde oder er durch einen oder mehrere Schläge von einem oder mehreren der drei Angreifer zu Fall gebracht wurde. Möglicherweise erhielt E nach dem Sturz weitere Schläge und/oder Tritte durch einen der Beteiligten. Er erlitt eine schwere Schädelbasis-Fraktur und verstarb auf Grund der Kopfverletzung, ohne das Bewusstsein wieder erlangt zu haben. Strafbarkeit von A, B und C? Das LG verurteilte die Angekl. jeweils wegen Körperverletzung mit Todesfolge in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Beteiligung an einer Schlägerei (Schläger-Fall nach BGH NStZ-RR 2019, 378[71]).

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Lösung:

I. Mit Blick auf das Opfer D haben sich A, B und C wegen mittäterschaftlicher gefährlicher Körperverletzung nach §§ 223, 224 I Nr. 2 Alt. 2, Nr. 4, Nr. 5 StGB strafbar gemacht. Dabei ist gleichgültig, wer von den dreien den Schlag mit der Bierflasche sowie die weiteren Schläge gegen den Kopf geführt hat, da die Tathandlungen des jeweils anderen den Mittätern auf der Grundlage des gemeinsamen Tatplans und des gemeinsam geführten Angriffs über § 25 II StGB zuzurechnen sind.

II. Fraglich ist, ob darüber hinaus auch eine mittäterschaftliche Körperverletzung mit Todesfolge nach § 227, 25 II StGB mit Blick auf E zu bejahen ist.

Nach Auffassung des ersten Senats kann dabei nicht auf die an D begangene vollendete gefährliche Körperverletzung abgestellt werden, weil diese nicht gegenüber dem Opfer E begangen wurde (zugunsten der Täter war zu unterstellen, dass das Opfer bei der Flucht selbst tödlich gestürzt war, da das LG diesbezüglich keine sicheren Feststellungen treffen konnte). Das einheitliche Angriffsgeschehen, das tateinheitlich auch eine Beteiligung an einer Schlägerei begründete, genüge dafür nicht. Dem ist zuzustimmen, da die Beteiligung an einer Schlägerei nach § 231 StGB nicht als Grundlage für eine Bestrafung nach § 227 StGB herangezogen werden kann, weil letzterer im Gesetzeswortlaut ausdrücklich auf einer Körperverletzung nach §§ 223 bis 226a StGB aufbaut. Dabei verlangt § 227 StGB auch den Tod der verletzten (!) Person, sodass schon danach ein Verletzungserfolg und ein darauf aufbauender Todeserfolg bei ein und derselben Person zu verlangen sind.[72]

III. Gegeben ist aber eine versuchte gemeinschaftliche Körperverletzung nach § 224 I Nr. 4, 22, 23, 25 II StGB gegenüber E und F.

Zu einer Vollendung ist es bezüglich dieser beiden nicht gekommen, da der Sachverhalt bei F nicht von tatsächlichen Schlägen spricht und mit Blick auf die Person des E davon auszugehen ist, dass dieser von selbst gestürzt ist, sodass die Verfolgung zwar der Verabreichung von Schlägen diente, diese aber nicht versetzt wurden.

IV. Verwirklicht sein könnte darüber hinaus eine versuchte gemeinschaftliche Körperverletzung mit Todesfolge nach §§ 227 I, 22, 23, 25 II StGB an E.

Körperverletzungsversuch und Todesfolge seien so gesehen gegenüber ein und derselben Person E verwirklicht worden. Insoweit hätten die Mittäter A, B und C bereits durch das Zulaufen auf den Pkw aufgrund gemeinsamen Tatplans versucht, die Insassen, darunter auch E, zu verletzen, wobei es für die mittäterschaftliche Zurechnung genüge, dass sie auf Grund gemeinsamen Tatentschlusses einen Beitrag leisteten, der in die Verletzung umschlagen sollte. Diese Voraussetzung sieht der BGH hier als gegeben, da die Handlungen zumindest im stillschweigenden Einverständnis aller bewirkt wurden.

Damit vertritt der 1. Senat den Standpunkt, den der 5. Senat bereits im Fall der sog. Gubener Menschenjagd (vgl. Rn. 117 f.) vertreten hatte:[73] Eine versuchte Körperverletzung mit Todesfolge ist möglich, da es genügt, wenn sich das Handlungsunrecht des Körperverletzungsdelikts im Erfolg niederschlägt. Dieser Standpunkt hat auch in der Literatur zahlreiche Anhänger gefunden[74] und wird vor allem mit dem Wortlaut des § 227 StGB begründet. Die Vorschrift nehme mit einem Klammerzusatz ausdrücklich auf §§ 223 bis 226a StGB Bezug und schließe damit auch den Versuch der Körperverletzung nach §§ 223 II, 224 II, 225 II StGB mit ein.[75] Dagegen spricht aber auch hier (siehe schon soeben bei I. bezüglich des vollendeten Delikts), dass § 227 I StGB „bloße vier Worte weiter… unmissverständlich vom Tod der verletzten (!) Person“ spricht und den Versuch dieser Delikte damit heraushält.[76] Richtiger ist es daher je nach Wortlaut und Struktur eines erfolgsqualifizierten Delikts die Entscheidung zu treffen, ob es genügt, dass sich der Erfolg aus dem Handlungsunrecht ergibt oder ob ein Erfolg vorauszusetzen ist, aus dem sich die schwere Folge ergibt.[77] Gerade bei § 227 StGB spricht daher vieles dafür, der Letalitätsthese zu folgen, da das Erfolgsunrecht in dieser Vorschrift schon nach dem Wortlaut entgegen der Rechtsprechung[78] keine untergeordnete Bedeutung hat. Zu einer solchen vollendeten Verletzung des E ist es vorliegend jedoch gerade nicht gekommen (vgl. soeben I.), sodass eine Anwendung des § 227 StGB richtigerweise hätte ausscheiden müssen.

VI. Gegeben wäre nach der hier vertretenen Ansicht nur eine fahrlässige Tötung nach § 222 StGB. § 229 StGB tritt im Durchgangsstadium zurück.

VII. Auch ist eine Teilnahme an einer Schlägerei nach § 231 StGB gegeben, da als objektive Bedingung der Strafbarkeit der Tod einer Person eingetreten ist. § 231 StGB steht zu §§ 222, 224 (22, 23) StGB ebenfalls in Tateinheit.

VIII. Gesamtergebnis und Konkurrenzen: Die vollendete gefährliche Körperverletzung an D und die versuchte gefährliche Körperverletzung an E und F sowie die fahrlässige Tötung nach § 222 StGB und Schlägerei nach § 231 StGB stehen zueinander in Tateinheit. Wenn man dem BGH folgt, wäre auch eine versuchte Körperverletzung mit Todesfolge gegeben, die § 222 StGB verdrängen würde.

Achtung Klausur: Zu achten ist bei § 227 StGB darauf, dass sich die Todesfolge stets aus einer vorsätzlich verwirklichten Körperverletzung ergeben muss. Dies war auch das Kernproblem in dem sog. Psycholyse-Fall.[79] Dort hatte der Arzt in einer psychotherapeutischen Sitzung bewusstseinserweiternde Drogen vergeben. Da ihm ein Wiegefehler unterlaufen war, verstarben zwei Patienten und weitere fünf Gruppenmitglieder wurden verletzt. Der BGH hat hier angenommen, dass die von A gewollte Drogenvergabe wegen freiverantwortlicher Selbstgefährdung der Patienten objektiv nicht zurechenbar sei (die Patienten wussten um die Gefährlichkeit und Unzulässigkeit der Einnahme). Die darüber hinausgehende – durch den Wiegefehler erfolgte – Überdosierung der Drogen stellt aber nur eine fahrlässige Körperverletzung dar, sodass hieran die Todesfolge nach § 227 StGB nicht anknüpfen kann. Der BGH bejahte daher lediglich eine Strafbarkeit nach § 222 StGB hinsichtlich der verstorbenen Patienten sowie nach § 229 StGB hinsichtlich der im Übrigen geschädigten Patienten (näher zu diesem Fall Jäger, AT, Rn. 53 f.).

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