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1. § 226 I Nr. 2 StGB

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Als Glied kommen alle Körperteile in Betracht, die eine besondere Funktion haben und mit dem Körper durch Gelenke verbunden sind, wie z. B. Arme, Beine, Finger etc.

Nach Teilen des Schrifttums soll sogar jeder Körperteil mit abgeschlossener Existenz und besonderer Funktion im Gesamtorganismus darunter fallen, das heißt auch innere Organe, wie z. B. Niere, Lunge etc.[51] Gegen diese Auffassung wird von der h. M. aber zu Recht das Analogieverbot ins Feld geführt. Denn das Gesetz spricht von „dauernd nicht mehr gebrauchen“; dies ist aber bei inneren Organen ohnehin nicht möglich, weil sie nicht benutzt werden, sondern auf vegetativer Basis funktionieren.[52]

Seit dem 6. StrRG ist das Herbeiführen der dauerhaften Unbrauchbarkeit eines Gliedes seinem Verlust gleichgestellt. Erfasst werden hiervon insbesondere Fälle der Lähmung.

Das Merkmal der Wichtigkeit bestimmt sich nach einem Teil der Lehre aus der Sicht des individuell Betroffenen (z. B. der kleine Finger des Konzertpianisten).[53] Nach h. M. ist die Wichtigkeit gemäß der objektiven Bedeutung im Gesamtorganismus zu bestimmen,[54] was freilich dem Opferschutz insbesondere bei der beabsichtigten schweren Körperverletzung nach § 226 II StGB nicht ohne Weiteres gerecht wird (z. B. wenn jemand dem Pianisten den kleinen Finger abhackt, um dessen Berufsausübung zu verhindern). Allerdings ist der h. M. dennoch zuzugeben, dass man das Körperverletzungsdelikt des § 226 StGB nicht einfach in ein Delikt zum Schutz bestimmter sozialer Rollen uminterpretieren darf. Der BGH verfolgt daher zu Recht eine differenzierende Auffassung, wonach zu unterscheiden ist „zwischen individuellen sozialen Bezügen, die vom Rechtsgüterschutz der §§ 223, 226 nicht erfasst sind (insb. Beruf), und der individuellen körperlichen Verfassung (z. B. Rechts- oder Linkshändigkeit; Vorschädigung)“[55], die in die Beurteilung der Wichtigkeit des Gliedes einfließen müssen. Die Gegenansicht, die selbst den letztgenannten Gesichtspunkt beim Wichtigkeitsurteil unberücksichtigt lässt, widerspreche dem heutigen Verständnis eines gleichberechtigten Zusammenlebens von Menschen unterschiedlicher körperlicher Beschaffenheit. Für einen Menschen ohne Hände, etwa in Folge einer körperlichen Behinderung, der gelernt hat, seine Zehen als Fingerersatz einzusetzen, seien diese Zehen für das Hantieren ebenso wichtig wie die Finger für einen nicht behinderten Menschen.[56] Der BGH machte anlässlich dieser Entscheidung deutlich, dass es nicht nur auf individuelle Körpereigenschaften, sondern auch auf dauerhafte körperliche Vorschädigungen des Verletzten ankomme. Der konkrete Fall zeigt im Übrigen, dass man bei der klausurmäßigen Bearbeitung von Fällen ggf. genau darauf zu achten hat, sämtliche beeinträchtigte Glieder einer Einzelbetrachtung zu unterziehen. Deshalb soll die Entscheidung hier kurz nachgezeichnet werden durch folgendes

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Beispiel: A und B überwältigten den C und hielten dessen Hand so am Boden fest, dass A ihm mit einem kleinen Beil zwei Glieder des rechten Mittelfingers vollständig und den Zeige- sowie Ringfinger der rechten Hand nahezu vollständig abtrennen konnte. Dabei forderten A und B den C auf, er solle künftig den Jungen J in Ruhe lassen (A und B gingen davon aus, dass C diesen misshandelt hatte). Während die Verletzung am Ringfinger durch chirurgisches „Wiederannähen“ folgenlos ausheilte, musste der Zeigefinger im Mittelgelenk versteift werden, sodass er dort ganz und gar unbeweglich wurde (Hackebeilchen- Fall nach BGHSt 51, 256 ff.[57]).

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Lösung: Zunächst ist eine mittäterschaftliche gefährliche Körperverletzung nach §§ 223 I, 224 I Nr. 2, 4 StGB gegeben. Darüber hinaus hat der BGH eine mittäterschaftliche absichtliche schwere Körperverletzung nach § 226 II i. V. m. §§ 226 I Nr. 2 Alt. 2, 25 II StGB angenommen. Zwar ist nicht die gesamte Hand des C dauernd unbrauchbar i. S. eines vollständigen Funktionsverlusts geworden. Auch werden Ring- und Mittelfinger vom BGH nicht als wichtige Körperglieder eingestuft. Jedoch sei in der Versteifung des rechten Zeigefingers eine dauerhafte Unbrauchbarkeit eines wichtigen Körpergliedes zu erblicken. Dabei sei nämlich auf die Besonderheit Bedacht zu nehmen, dass dem Opfer durch die Tat auch dessen rechter Mittelfinger teilweise abgetrennt wurde und daher die durch die Versteifung des Zeigefingers eingetretenen Funktionsverluste nicht einmal teilweise durch den Mittelfinger übernommen werden konnten. Die dauernde Gebrauchsunfähigkeit werde nicht etwa dadurch beseitigt, dass die „Zeigefunktion“ aufrecht erhalten geblieben sei. Entscheidend sei vielmehr die massive Einschränkung sowohl beim Greifen als auch beim Halten und Arbeiten.

Gegeben sind ferner eine mittäterschaftliche (versuchte) Nötigung nach §§ 240, 25 II StGB sowie in Idealkonkurrenz (vgl. Rn. 153) eine mittäterschaftliche Freiheitsberaubung nach §§ 239, 25 II StGB, die zu § 226 II StGB in Tateinheit treten. Eine Geiselnahme nach § 239b I Alt. 1 StGB kann dagegen nicht bejaht werden, da die Bemächtigung nicht in funktionalem und zeitlichem Zusammenhang dazu ausgenutzt werden sollte, das Opfer zu einem bestimmten Verhalten zu bewegen. Das Opfer sollte vielmehr nur in Zukunft ein bestimmtes Verhalten unterlassen.

Zur Problematik der dauernden Gebrauchsunfähigkeit noch folgendes aktuelles

Beispiel:[58] A stieß im Streit mit einem Messer auf B ein. B hob zur Abwehr seine Hände und wurde dort durch das Messer getroffen. Dadurch kam es unter anderem zu Schnittverletzungen an seiner linken Hand mit Durchtrennungen aller Beugesehnen von vier Fingern einschließlich der Nerven. Die linke Hand wurde infolgedessen weitgehend gebrauchsunfähig. Allerdings sind die Bewegungseinschränkungen der Finger zu einem Teil darauf zurückzuführen, dass N auf die erforderliche Nachsorge seiner Verletzungen verzichtete. Bei entsprechender Physiotherapie und Nachbehandlung wäre die Einschränkung der Bewegungsmöglichkeit deutlich geringer gewesen.

Lösung: Der BGH nimmt dazu Stellung, ob möglicherweise das Merkmal der „dauernden“ Gebrauchsunfähigkeit (normativ) zu verneinen sein könnte, weil das Opfer hier Behandlungsmöglichkeiten etwa durch Physiotherapie nicht wahrgenommen hat. Im Ergebnis verneint der BGH dies jedoch: Die erhöhte Strafdrohung des § 226 StGB sei an das Ausmaß der vom Täter schuldhaft hervorgerufenen Rechtsgutsverletzung geknüpft. Für dessen Beurteilung sei im Grundsatz der Zeitpunkt des Urteils maßgebend. Die dem A vorhersehbare Dauerhaftigkeit des Funktionsverlusts der linken Hand des Nebenklägers beruhe vorliegend auf seiner Verletzungshandlung. Dass der Verletzte eine medizinische Behandlung zur Beseitigung oder Abmilderung der eingetretenen Beeinträchtigungen unterlässt, könne nicht dazu führen, diese vom Täter herbeigeführte gravierende Folge als Gradmesser seiner Strafwürdigkeit auszugrenzen. Das im Anwendungsbereich des § 226 StGB ohnehin stets außerordentlich schwer getroffene Opfer wird – ausgenommen von einer hier nicht gegebenen extrem gelagerten Konstellation wie etwa der Böswilligkeit – in aller Regel aus Tätersicht nicht zu hinterfragende Gründe haben, weitere Behandlungen nicht auf sich zu nehmen, selbst wenn diese nach ärztlicher Beurteilung sinnvoll wären. Zu nennen sei insbesondere die Furcht vor den mit jeder (Folge-)Operation verbundenen Risiken und Leiden oder auch nur vor schmerzhaften Nachbehandlungen. Diese Begründung überzeugt wenig. Zum einen ist die Verweigerung der Inanspruchnahme von Physiotherapie, auch wenn sie mit Schmerzen verbunden ist, als ein äußerst unvernünftiges Verhalten des Opfers einzustufen, das dem Täter nicht ohne Weiteres angelastet werden kann. Zum anderen ist aber auch bei der Herbeiführung einer dauerhaften Entstellung anerkannt, dass mögliche Schönheitseingriffe, die kein besonderes Risiko bergen, zu einer Verneinung des § 226 I Nr. 3 StGB führen können. Anders ist es nur bei schwierigen, erfolgsunsicheren Schönheitsoperationen (s. sogleich Rn. 114). Diese Rechtsprechung sollte man auch auf § 226 I Nr. 2 übertragen.

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