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4. Keine Notwendigkeit einer objekts- und handlungsbezogenen Konkretisierung des Vorsatzes

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Geht es dem Täter nicht um die Schädigung eines bestimmten Objekts, sondern nur um die Schädigung irgendeines Objekts bzw. einer unbestimmten Vielzahl von Objekten oder weiß der Täter, dass eine von mehreren Handlungen den Erfolg herbeiführt, so ist dies als dolus generalis für die kognitive Seite des Vorsatzes ausreichend.

Beispiel: A schießt auf der Autobahn auf Autofahrer in der Hoffnung, dass es zu einem unüberschaubaren Massenunfall kommen könnte. Tatsächlich sterben 24 Personen. A hat §§ 212, 211 StGB in Bezug auf alle Personen verwirklicht.

Vom dolus generalis zu unterscheiden ist der sog. dolus alternativus. Mit dieser Bezeichnung sind Fälle gemeint, in denen der Täter nach seiner Vorstellung von zwei in Betracht kommenden Straftatbeständen bzw. Erfolgen nur den einen oder den anderen verwirklichen kann, wobei er wenigstens damit rechnet, dass sich die eine oder aber auch die andere Erfolgsverwirklichung einstellt. Bedeutsam ist in Fällen eines alternativen Vorsatzes, zunächst stets festzustellen, dass keine aberratio ictus vorliegt. Denn Letztere zeichnet sich dadurch aus, dass der Täter auf ein bestimmtes Objekt zielt und unvorsätzlich ein anderes Objekt trifft. Dagegen verhält es sich beim dolus alternativus so, dass der Täter bedingt vorsätzlich die Verletzung des einen sowie alternativ ebenfalls bedingt vorsätzlich die Verletzung des anderen Rechtsgutsobjekts in Kauf nimmt.

Beispiel 1: A schießt auf B. Er rechnet damit, dass er entweder den B oder das daneben stehende Pferd des B trifft. Tatsächlich trifft er das Pferd. Hier liegt keine aberratio ictus vor, da sich der Vorsatz des A sowohl auf die mögliche Tötung des B als auch auf die mögliche Tötung des Pferdes bezogen hat.

Beispiel 2: A findet am Flussufer eine in ein Handtuch eingewickelte Geldbörse. A nimmt das Portemonnaie mit, wobei er sich denkt, dass dieses möglicherweise lediglich von einem Schwimmer dort abgelegt wurde oder das Handtuch samt Börse dort vergessen wurden.

Beispiel 3:[14] Als A nachts erwacht, sieht er, wie seine Ehefrau E und sein bester Freund F halbnackt auf dem Sofa im Wohnzimmer liegen. In der Überzeugung, dass diese einvernehmlichen Geschlechtsverkehr ausüben, holt er ein Beil, mit dem er in einem spontanen Wutausbruch in Richtung des Kopfes des auf der E liegenden F schlägt. Dabei ist er sich bewusst, dass er statt des F die unter diesem liegende E am Kopf treffen und dass ein wuchtiger Schlag mit dem Beil lebensgefährliche Verletzungen verursachen kann. Tatsächlich verfehlt der Schlag den F und trifft die E, die in Verkennung der Schwere der Verletzungen keinen Arzt aufsucht und daher am nächsten Morgen in Folge der Verletzung verstirbt. F kann dagegen unverletzt fliehen. Auch hier ist eine aberratio ictus zu verneinen, weil dolus eventualis sowohl bezüglich E als auch bezüglich F gegeben war. A sah alternativ die Möglichkeit, E oder F zu treffen.

In diesen Beispielsfällen ist daher eine aberratio ictus zu verneinen und ein dolus alternativus zu bejahen. Die Lösung dieser dolus alternativus-Fälle ist hoch umstritten:

Eine erste Auffassung bestraft nur wegen eines Delikts und stellt diesbezüglich auf die schwerste Tat ab. Im Beispielfall 1 ist A danach gem. §§ 212, 22, 23 I StGB wegen Tötungsversuchs an B strafbar, nicht aber wegen der Sachbeschädigung am Pferd. Gegen diese Auffassung spricht freilich, dass sie das Vollendungsunrecht überhaupt nicht erfasst. Im zweiten Bsp. wäre A selbst dann wegen versuchten Diebstahls strafbar (die Strafandrohung des Versuchs ist höher als die der vollendeten Unterschlagung), wenn er tatsächlich eine Unterschlagung begeht, bezüglich derer er ebenfalls Vorsatz hatte. Auch dies erscheint seltsam.

Eine zweite Auffassung geht davon aus, dass alle Delikte erfasst werden müssen. Danach wäre A im ersten Bsp. wegen versuchten Totschlags und wegen vollendeter Sachbeschädigung zu bestrafen und im dritten Bsp. läge ein versuchter Totschlag sowohl hinsichtlich des F als auch ein vollendeter Totschlag (zur Zurechnung siehe sogleich) bzgl. der E vor.

Eine dritte Auffassung will dagegen bei vergleichbarem Unrechtsgehalt nur aus einem vollendeten Delikt bestrafen (im zweiten Bsp. läge daher nur das Delikt vor, das tatsächlich begangen wurde, also etwa ein Diebstahl, sofern tatsächlich ein Schwimmer die Geldbörse dort abgelegt hatte; im dritten Bsp. eine vollendete Tötung an der E), anderenfalls wegen Vollendung und Versuchs (im ersten Bsp. läge danach eine vollendete Sachbeschädigung und ein versuchter Totschlag vor; allerdings gehen hier manche in der Literatur davon aus, dass bei höchstpersönlichen Rechtsgütern unterschiedlicher Rechtsgutsträger Tateinheit bestehe, was im dritten Bsp. anders als im zweiten Bsp. zu Idealkonkurrenz führen würde).

Die besten Gründe dürften für die letztgenannte Auffassung sprechen, da allein sie dem Unrechtsgehalt derartiger alternativer Tatentschlüsse gerecht wird und eine Verdoppelung des Vorsatzes bei vergleichbarem Unrechtsgehalt vermieden wird. Dies sollte auch bei höchstpersönlichen Rechtsgütern unterschiedlicher Rechtsgutsträger entgegen einer in der Literatur zum Teil vertretenen Ansicht anders sein, weil durch die Vollendungsbestrafung der verbrecherische Wille bezüglich des Umfangs der Rechtsgutsverletzung hinreichend zum Ausdruck kommt und eine konkurrenzrechtliche Bestätigung der Vorsatzverdoppelung daher nicht erforderlich ist (vgl. aber auch u. Rn. 115, Fn. 114). Anders ließe sich nur bei einem Versuch hinsichtlich beider höchstpersönlichen Rechtsgüter urteilen, wenn A also weder E noch F getroffen hätte. In diesem Fall wäre Tateinheit tatsächlich die plausibelste Lösung.[15]

Das aus der Rechtsprechung stammende Beispiel 3 ist daher wie folgt zu lösen:

A hat hier einen Totschlag, § 212 StGB, an der E begangen. Die Zurechnung wurde nicht etwa dadurch unterbrochen, dass diese keinen Arzt aufsuchte, da von einer freiverantwortlichen Selbstgefährdung mangels Kenntnis von der Schwere der Verletzungen nicht ausgegangen werden kann. Auch hatte A Vorsatz hinsichtlich der Tötung der E, da es sich nicht um einen Fall einer aberratio ictus handelte, sodass es auf die Unterschiede zwischen Gleichwertigkeits- und Konkretisierungstheorie nicht ankommt. Vielmehr wusste A, dass der Schlag sein primäres Ziel (F) verfehlen konnte und nahm ein Fehlgehen des Schlages in Bezug auf die E billigend in Kauf. Infolgedessen hat A bezüglich der E vorsätzlich, rechtswidrig und schuldhaft einen Totschlag verwirklicht. Dagegen scheidet die Annahme eines Mordes nach § 211 StGB wegen Heimtücke aus, weil A aus einer affektiv-spontanen Motivation heraus gehandelt hat (vgl. Jäger, BT, Rn. 23 f., 41). Die im Durchgangsstadium verwirklichten §§ 223 I, 224 I Nr. 2, 5 StGB treten hinter § 212 I StGB als subsidiär zurück. Strukturell liegt auch ein versuchter Totschlag an F nach §§ 212 I, 22, 23 I StGB vor. Diesbezüglich hatte A auch einen Tatentschluss i. S. eines dolus alternativus und A hat zu dieser Tat auch unmittelbar durch den Schlag angesetzt. Da auch Rechtfertigungs- sowie Schuldausschließungsgründe nicht ersichtlich sind und auch ein strafbefreiender Rücktritt nach § 24 I S. 1 Alt. 1 StGB ausscheidet, weil durch die Flucht des F ein Fehlschlag des Versuchs anzunehmen ist, stellt sich die Frage, wie dieser versuchte Totschlag an F im Verhältnis zum vollendeten Totschlag an E zu beurteilen ist. Nur nach der zweiten Auffassung lägen hier eine tateinheitliche vollendete Tötung und ein versuchter Totschlag vor. Der BGH hat hier tatsächlich Tateinheit angenommen. Folgt man dagegen der ersten oder der dritten Auffassung, so wird der Unrechtsgehalt durch die vollendete Tötung bereits vollständig erfasst, sodass der Tötungsversuch dahinter zurücktritt.

Wie der dolus alternativus in der Klausur zu behandeln wäre, soll hier veranschaulicht werden durch das aus der neuesten Rechtsprechung stammende und hier nur zur Veranschaulichung nach dem BGH gelöste

Beispiel 4: A schlug mit einem Hammer ohne Tötungsvorsatz in Richtung der C und des unmittelbar hinter ihr stehenden Bruders B. A hielt es für möglich und billigte, mit dem Hammer entweder C oder B zu verletzen. C und B gelang es, den Schlag so abzulenken, dass dieser nicht C, sondern B traf. (Hammerschlag-Fall nach BeckRS 2021, 541[16])

Lösung: I. Hier wäre zunächst eine Strafbarkeit des A wegen gefährlicher Körperverletzung nach §§ 223 I, 224 I Nr. 2 Alt. 2, Nr. 5 StGB gegenüber B zu prüfen. Der objektive Tatbestand ist dabei gegeben, insbesondere handelt es sich bei dem Hammer um ein gefährliches Werkzeug und es ist zumindest eine abstrakt lebensgefährdende Behandlung anzunehmen, die die Rechtsprechung für § 224 I Nr. 5 StGB genügen lässt (für eine konkrete Lebensgefahr liefert der Sachverhalt nicht genügend Anhaltspunkte). Was den Vorsatz anbelangt, so wäre auch hier wiederum keine aberratio ictus anzunehmen, da diese nur gegeben ist, wenn der Täter den Eintritt eines Körperverletzungserfolges bei nur einem der Tatopfer für möglich hält, nicht aber bei beiden (sogenannter Alternativvorsatz). Da Rechtfertigungs- und Schuldausschließungsgründe nicht ersichtlich sind, ist eine Strafbarkeit wegen vollendeter gefährlicher Körperverletzung gegenüber B zu bejahen.

II. Fraglich ist, ob darüber hinaus auch eine versuchte gefährliche Körperverletzung nach §§ 223, 224 I Nr. 2 Alt. 2, Nr. 5, 22, 23 StGB gegenüber C zu bejahen ist. Nichtvollendung sowie Strafbarkeit des Versuchs liegen vor (vgl. §§ 12 I, 224 II StGB). Fraglich ist allerdings, ob A auch Tatentschluss bezüglich einer Verletzung der C hatte. Zum Teil wird dies verneint, da es anderenfalls zu einer Verdoppelung des Vorsatzes käme, obgleich der Täter wusste, dass er nur eines von beiden Opfern treffen würde. Die h.L. und der BGH gehen dagegen davon aus, dass trotz sich ausschließender Erfolge bei verschiedenen Opfern ein auf diese gerichteter bedingter Vorsatz gegeben sein kann. Ausdrücklich stellt der BGH für den vorliegenden Fall fest: „Die Tatsache, dass der Angeklagte den Eintritt eines Körperverletzungserfolges bei nur einem der beiden Tatopfer für möglich hielt, nicht aber einen Erfolgseintritt bei beiden (sog. Alternativvorsatz), steht der Annahme von zwei bedingten Körperverletzungsvorsätzen nicht entgegen“, da sich A sowohl mit der Verletzung der C als auch mit der Verletzung des B abgefunden hat und daher kein Grund für die Annahme von nur einem zurechenbaren Vorsatz bestehe. Dies verstoße nicht gegen Denkgesetze, solange die Erfolge – wie hier – nicht den sicheren Eintritt nur eines der Erfolge zum Gegenstand haben. Damit liegt auch ein Tatentschluss bezüglich C vor. Spätestens mit dem Ausholen zum Hammerschlag hat A dabei zum Versuch unmittelbar angesetzt. Da wiederum Rechtfertigung und Entschuldigungsgründe nicht ersichtlich sind, liegt auch eine versuchte gefährliche Körperverletzung gegenüber C vor.

III. Bleibt schließlich das Konkurrenzverhältnis von vollendeter und versuchter Körperverletzung zu untersuchen. Hier wären nun die bei Bsp. 1-3 geschilderten Auffasungen darzustellen. Obgleich A davon ausgegangen ist, dass allenfalls ein tatbestandsmäßiger Erfolg eintreten wird, hat er damit nach Ansicht des BGH eine größere Tatschuld auf sich geladen, als derjenige, der nur einen einfachen Vorsatz aufweist. Dieser Schuldgehalt werde daher erst mit der tateinheitlichen Verurteilung auch wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung neben der Verurteilung wegen vollendeter gefährlicher Körperverletzung abgebildet und klargestellt. Dem ist nur dann zu widersprechen, wenn auf diese Weise der dolus alternativus mit dem dolus cumulativus gleichgesetzt wird. Zumindest bei annähernd gleicher Schutzrichtung und Tatschwere sollte daher der Versuch hinter der Vollendung zurücktreten. Auch bei höchstpersönlichen Rechtsgütern unterschiedlicher Rechtsgutsträger – wie dies vorliegend der Fall war – sollte dies entgegen einer starken Literaturauffassung[17] nicht anders sein (Abweichendes könnte nur bei einem doppelten Versuch gelten).[18]

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