Читать книгу Examens-Repetitorium Strafrecht Allgemeiner Teil, eBook - Christian Jäger - Страница 53

5. Notwendigkeit einer zeitlichen Koinzidenz des Vorsatzes (sog. Simultaneitätsprinzip)[19]

Оглавление

87

Der Vorsatz muss bei Vornahme der Tathandlung vorliegen.[20] Hieraus folgt im Wesentlichen zweierlei:

a) Nicht ausreichend ist ein sog. dolus subsequens.[21] Verdeutlicht wird dies durch folgendes

Beispiel: A geht auf den Hof des B und entwendet dessen BMW Coupé in der Absicht, eine Spritztour zu unternehmen und den Wagen dann zurückzustellen. Während der Fahrt gewinnt er Spaß an dem Wagen und behält ihn.

Lösung: § 242 I StGB ist hier nicht erfüllt, da es an der Zueignungsabsicht im Zeitpunkt der Wegnahmehandlung fehlt. Der nachträglich gefasste Entschluss reicht als bloßer dolus subsequens nicht aus. Gegeben sind jedoch § 248b I StGB sowie § 246 I StGB, wobei § 248b StGB nach dessen Abs. 1 gegenüber § 246 StGB formell subsidiär ist (dies gilt auch dann, wenn sich der Täter das KFZ während des Gebrauchs zueignet;[22] § 246 StGB droht nämlich zumindest abstrakt in Abs. 2 eine höhere Strafe an als § 248b StGB und hat daher Vorrang).

Ein Fall aus der neuesten Rechtsprechung liefert zu dieser Problematik ein lehrreiches

Beispiel:[23] A und B veranstalteten spontan auf dem Kurfürstendamm ein illegales Autowettrennen. In dessen Verlauf fuhren A und B nach Erreichen einer Geschwindigkeit von mindestens 170 km/h bei Rot in einen Kreuzungsbereich ein. Spätestens jetzt – zu einem Zeitpunkt, als sie schon absolut unfähig waren, noch zu reagieren – war beiden bewusst, dass ein bei grüner Ampelphase berechtigt in die Kreuzung einfahrender Fahrzeugführer und etwaige Mitinsassen bei einer Kollision mit den von ihnen gelenkten Pkw nicht nur verletzt, sondern sogar zu Tode kommen könnten. Auf der Kreuzung kollidierte das Fahrzeug des A tatsächlich mit dem Wagen des C, der bei Grün in die Kreuzung eingefahren war und durch den seitlichen Aufprall sofort getötet wurde. Strafbarkeit des A? (Raser-Fall verkürzt nach BGH NStZ 2018, 409; eine ausführliche Darstellung und Lösung dieses Falles unter Berücksichtigung des neuen § 315d StGB findet sich in Rn. 103 und Rn. 104)

Lösung: Der 4. Senat hat die Verurteilung des A wegen Mordes durch das LG Berlin (vgl. zu den einschlägigen Mordmerkmalen die klausurmäßige Lösung des Falles in Rn. 103 und Rn. 104) in einem spektakulären ersten Revisionsurteil zunächst aufgehoben, da der hierfür mindestens erforderliche bedingte Tötungsvorsatz zum Zeitpunkt der Tathandlung nicht hinreichend festgestellt sei. Voraussetzung für die Verurteilung wegen einer vorsätzlichen Tat sei nach § 16 I StGB, dass der Täter die Umstände, die zum gesetzlichen Tatbestand gehören, bei ihrer Begehung kennt. Dementsprechend müsse der Vorsatz im Zeitpunkt der zum Taterfolg führenden Handlung vorliegen. Fasse der Täter den Vorsatz erst später (dolus subsequens), komme eine Verurteilung wegen einer vorsätzlichen Tat nicht in Betracht. Aus der Notwendigkeit, dass der Vorsatz bei Begehung der Tat vorliegen muss, folge, dass sich wegen eines vorsätzlichen Delikts nur strafbar macht, wer ab Entstehen des Tatentschlusses noch eine Handlung vornimmt, die in der vorgestellten oder für möglich gehaltenen Weise den tatbestandlichen Erfolg – bei Tötungsdelikten den Todeserfolg – herbeiführt. Das Landgericht habe einen bedingten Tötungsvorsatz erst – wie sich aus der Wendung ‚Spätestens jetzt (…)‘ ergebe – für den Zeitpunkt festgestellt, als A bei Rotlicht zeigender Ampel in den Bereich der Kreuzung einfuhr, also zu einem Zeitpunkt, als er ‚absolut unfähig‘ gewesen ist, ‚noch zu reagieren‘, sodass ‚ein Vermeidungsverhalten objektiv nicht mehr möglich‘ gewesen sei. Die für den Unfall maßgeblichen Umstände, insbesondere die bereits erreichte Kollisionsgeschwindigkeit sowie das Einfahren in den Kreuzungsbereich trotz roten Ampelsignals, lagen danach bereits vor bzw. waren unumkehrbar in Gang gesetzt, als die Angeklagten und damit auch A – nach den Feststellungen – den Tötungsvorsatz fassten. Damit fehlt es an der Simultaneität von Tötungsvorsatz im Zeitpunkt des Versuchsbeginns, der nach den Feststellungen erst begann, als A und B die Entwicklung des weiteren Geschehens bereits unverhinderbar aus den Händen gegeben hatten. In der Neuauflage des Prozesses ist eine andere Kammer des LG Berlin jedoch davon ausgegangen, dass A schon früher den bedingten Tötungsvorsatz gefasst habe, nämlich bereits ca. 90m vor dem Scheitelpunkt der Kreuzung, was unter anderem dadurch belegt sei, dass A dort noch einmal Vollgas gegeben habe und sodann auf die Kreuzung zugefahren sei (auch hierzu die Falllösung Rn. 104).

Ein interessantes und klausurträchtiges Beispiel für die Problematik des dolus subsequens liefert auch ein aktueller Fall des BGH aus dem Bereich der Vermögensdelikte, der noch einmal Anlass dazu gibt, sich die Prüfung einer Wahlfeststellung zu vergegenwärtigen. Dazu folgender

88

Fall 5: Die auf Raubtaten spezialisierten A und zwei Mittäter drangen in das Haus der Eheleute R ein und schlugen diese jeweils heftig, um erwarteten Widerstand zu brechen, insbesondere auch gegen Kopf und Gesichtsbereich, und würgten die Geschädigten. Anschließend fesselten sie die Eheleute mithilfe mitgeführter Kabelbinder und forderten R auf, die Schlüssel zu einem sich im Keller befindenden Tresor auszuhändigen, was R vehement verweigerte, da im Tresor Waffen und Munition lagerten. Hierauf wendeten A und seine Mittäter erneut Gewalt gegen R an, um seinen Willen zu brechen, insbesondere Schläge und Tritte gegen den Kopfbereich. Daraufhin verriet R aus Angst um sein Leben und das seiner Ehefrau den Aufbewahrungsort der Schlüssel. Die Mittäter knebelten die Eheleute R durch Umwicklung des gesamten Kopfes im Bereich der Münder mit Klebeband. Sodann öffneten sie im Keller den Tresor mit den erlangten Schlüsseln und entnahmen unter anderem 30.000 Euro Bargeld und die dort gelagerten Waffen samt Munition. Anschließend ließen sie die Eheleute R in deren – von ihnen erkannten – hilflosen Lage zurück, wobei sie bemerkten, dass die Geschädigten potentiell lebensgefährlich verletzt waren, und billigend in Kauf nahmen, dass diese nicht gefunden werden könnten. Dabei war ihnen klar, dass diese ohne Hilfe „erbärmlich aus dem Leben scheiden würden“, was den Tätern aber gleichgültig war. Der Tod der Eheleute kam ihnen als mögliche Tatfolge gelegen, um unmittelbare Zeugen der vorangegangenen Tat auszuschalten und die Entdeckung zu verhindern. Es konnte nicht geklärt werden, ob die Täter bereits bei den Schlägen mit Tötungsvorsatz handelten oder ob ihnen die Lebensgefahr für die Opfer erst bewusst wurde, als sie vom Tresor zurückkehrten und die Eheleute bereits geknebelt am Boden lagen. Die Eheleute überlebten. Strafbarkeit der Beteiligten? (Brutalraub-Fall nach BGH NStZ-RR 2020, 79[24])

89

Lösung:

Erste Sachverhaltsvariante: Bereits bei den Schlägen lag bedingter Tötungsvorsatz vor

A. Das Verhalten bis zur Rückkehr vom Tresor

I. Gegeben ist hier eindeutig ein versuchter Totschlag nach §§ 212, 22, 23 StGB.

II. Ebenso liegt ein versuchter Mord aus Habgier und in Ermöglichungsabsicht vor, da es den Tätern um die Erlangung eines Vermögensvorteils um jeden Preis, selbst um den Preis eines Menschenlebens ging. Auch wollten sie hierdurch die Begehung eines Raubes ermöglichen. Dass dabei die Gewaltanwendung im Rahmen des versuchten Tötungsdelikts mit derjenigen des Raubes zeitlich zusammenfällt, ändert nichts an der Ermöglichungsabsicht hinsichtlich einer anderen Straftat.[25] Darüber hinaus ändert auch das Vorliegen eines Eventualvorsatzes nichts an der Möglichkeit des Vorliegens einer Ermöglichungsabsicht. Denn der Tod des Opfers muss nicht als Mittel zur Ermöglichung einer Straftat eingesetzt werden; vielmehr genügt es, dass der Tod Folge der ermöglichenden Handlung ist.[26]

III. Der ebenfalls verwirklichte § 221 I Nr. 1 StGB (hier Versetzen in eine hilflose Lage) durch Schläge und Knebelung tritt als bloßes Gefährdungsdelikt hinter den versuchten Mord zurück, da dessen Unrechtsgehalt im Versuch des Erfolgsdelikts bereits vollständig enthalten ist.

IV. Verwirklicht ist auch ein Raub nach § 249 StGB. Jedenfalls gilt dies, wenn man mit dem BGH für die Abgrenzung zwischen Raub und räuberischer Erpressung auf das äußere Erscheinungsbild „Wegnehmen oder Weggeben“ abstellt.[27] Dagegen hebt die Literatur zum Teil für die Abgrenzung zur räuberischen Erpressung auf die innere Willensrichtung des Opfers ab.[28] Danach setzt die Erpressung wie der Betrug als Selbstschädigungsdelikt eine Vermögensverfügung des Genötigten voraus. Entscheidend ist danach, ob der Gewahrsam in dem Sinne freiwillig übertragen wird, dass das Opfer den Gewahrsamsübergang für vermeidbar hält. Da sich das Geld vorliegend im Tresor befand, ist dies prinzipiell zu bejahen. Geld oder Leben bedeutete vorliegend daher tatsächlich Geld oder Leben und nicht Geld oder Geld und Leben (vgl. Jäger, BT, Rn. 554). Nach dieser Literaturansicht wäre daher vorliegend von einer Vermögensverfügung auszugehen mit der Folge, dass § 255 StGB einschlägig wäre. Für die Rechtsprechung streitet allerdings, dass durch das Erfordernis einer Vermögensverfügung doch erhebliche Strafbarkeitslücken entstehen und die Abgrenzung nach der inneren Willensrichtung eine rechtssichere Anwendung kaum zulässt, da die Willensrichtung im Nachhinein häufig schwer feststellbar sein wird, insbesondere wenn das Opfer verstorben ist. Folgt man daher der Rechtsprechung, so lag hier ein Raub nach § 249 StGB vor. § 255 StGB, der nach der Rechtsprechung auch durch Wegnahme verwirklicht werden kann, tritt dann dahinter als subsidiär zurück.[29] Da die Täter auch Waffen, die jederzeit scharf gemacht werden konnten, samt Munition entwendet haben, liegt auch die Raubqualifikation nach § 250 I Nr. 1 a) StGB vor. Bezüglich des Fesselungs- und Knebelungswerkzeugs kann auch § 250 I Nr. 1 b) StGB bejaht werden, da es sich dabei jedenfalls um Mittel handelte, die die Täter bei sich führten, um Widerstand durch Gewalt zu verhindern. Darüber hinaus ist auch § 250 II Nr. 1 StGB verwirklicht, da zumindest das Klebeband als gefährliches (Knebelungs-)Werkzeug (Verkleben des gesamten Kopfbereiches!) verwendet wurde. Schließlich haben die Mittäter, die zu dritt auftraten, den Raub auch als Mitglied einer Bande durchgeführt und dabei Waffen bei sich geführt, sodass auch § 250 II Nr. 2 StGB verwirklicht ist. Dass diese Waffen Teil der Raubbeute waren, ändert an der Anwendbarkeit nach Auffassung der Rechtsprechung nichts.[30] Entscheidend ist allein die aus der Verfügbarkeit einer funktionsfähigen Waffe resultierende erhöhte Gefährlichkeit. Darüber hinaus ist durch die Fußtritte auch eindeutig § 250 II Nr. 3a StGB in Form einer körperlichen schweren Misshandlung gegeben. § 250 II Nr. 3b StGB (vorsätzliche Herbeiführung einer Todesgefahr) ist ebenfalls zu bejahen. Schließlich liegt bei Annahme von Tötungsvorsatz sogar ein Raub mit versuchter Todesfolge nach §§ 251, 22, 23 StGB vor. Da der Todeserfolg mindestens leichtfertig verwirklicht werden muss, ist diese Norm erst recht bei Tötungsvorsatz verwirklicht.[31] §§ 242, 244 I Nr. 1 a, b, Nr. 2 und IV StGB[32] treten ebenso wie § 240 StGB hinter § 249 StGB zurück. Die Strafzumessungsregel des § 243 I S. 2 Nr. 7 StGB spielt dagegen im vorliegenden Fall keine Rolle, da dieses Regelbeispiel nur beim Diebstahl nicht sofort funktionsfähig zu machender Waffen einschlägig ist.[33] Zu denken wäre allenfalls noch an § 243 I S. 2 Nr. 6 StGB, der jedoch im Verhältnis zum verwirklichten Raub keinerlei eigenständige Bedeutung hat, da der Strafzumessungsgehalt dieser Vorschrift bereits in § 249 StGB enthalten ist.

V. Verwirklicht ist darüber hinaus auch ein erpresserischer Menschenraub nach § 239a StGB, da die Täter vorliegend eine im Zweipersonenverhältnis erforderliche stabilisierte Bemächtigungslage erzeugt und zu einer Erpressung ausgenutzt haben.

VI. Ebenso ist eine gefährliche Körperverletzung nach §§ 223, 224 I Nr. 2, Nr. 5 StGB durch die Tritte mit dem beschuhten Fuß und durch die lebensgefährdende Knebelung verwirklicht. Sie stehen in Tateinheit zum versuchten Mord[34] sowie zum besonders schweren Raub und zum erpresserischen Menschenraub.

VII. Gegeben ist schließlich auch ein Hausfriedensbruch nach § 123 StGB.

B. Das Verhalten nach der Rückkehr vom Tresor

I. Hier käme ein Mordversuch durch Unterlassen nach §§ 212, 211, 13, 22, 23 StGB in Betracht. Diesbezüglich wäre an das Mordmerkmal der Grausamkeit zu denken.[35] Immerhin gingen die Täter davon aus, dass die Eheleute ohne Hilfe erbärmlich sterben werden. Allerdings wäre hierfür Voraussetzung, dass neben der gravierenden Begehungsweise auch eine spezifische innere Haltung des Täters gegeben ist. Diese könnte man hier in Form einer emotional unbeteiligten Motivation in Kenntnis der objektiven Umstände der Grausamkeit sehen. Wenn dagegen, wie bei I. unterstellt, von Anfang an Tötungsvorsatz gegeben war, wäre in diesem Fall kein versuchter Verdeckungsmord durch Unterlassen gegeben. Für eine gewollte Verdeckung einer anderen Straftat wäre dann, worauf der BGH zutreffend hinweist, kein Raum, da es sich um ein einheitliches Tötungsgeschehen handeln würde, zu dem später nur die Verdeckungsabsicht hinzutritt. Dann aber handelt es sich nicht um eine andere Straftat, wie bei der Verdeckungsabsicht vorausgesetzt, sondern um eine einheitliche versuchte Tötung. Hierin ist dem BGH Recht zu geben.

II. § 221 I Nr. 2 sowie § 323c StGB haben als bloßes Gefährdungsdelikt bzw. Delikt zum Schutz der mitmenschlichen Solidarität neben dem versuchten Tötungsdelikt durch Unterlassen keine eigenständige Bedeutung und treten daher als subsidiär zurück.

Zweite Sachverhaltsalternative: Die Täter erkannten die Lebensgefahr erst nach der Rückkehr vom Tresor

A. Das Verhalten vor der Rückkehr vom Tresor

I. In diesem Fall scheidet ein versuchter Totschlag bzw. Mord nach §§ 211, 212, 22, 23 StGB mangels Vorsatzes aus. Der erst nach Rückkehr vom Tresor angesichts der nunmehr erkannten Lebensgefahr gefasste bedingte Tötungsvorsatz genügt als dolus subsequens nicht für eine Verurteilung wegen versuchten Mordes durch aktives Tun, weil der Vorsatz bei Vornahme der Tathandlung gegeben sein muss (sog. Simultaneitätsprinzip).[36]

II. Hinsichtlich der Raubdelikte ändert sich mit Ausnahme von §§ 251, 22, 23 StGB nichts. Selbst die Verwirklichung des §§ 250 II Nr. 3 b) wäre immer noch möglich, sofern der Täter die Umstände erkannt hat, aus denen sich eine Todesgefahr ergibt (Tatfrage).

III. Auch bezüglich §§ 239a, 223, 224 I Nr. 2, 5 StGB und 123 StGB ergeben sich keinerlei Änderungen.

B. Das Verhalten nach der Rückkehr vom Tresor

I. Hier würde nunmehr der Mordversuch durch Unterlassen nach §§ 211, 212, 13 StGB eine eigenständige Bedeutung erlangen. Das Merkmal der Habgier wäre zu diesem Zeitpunkt zu verneinen, da die Täter die Wertgegenstände bereits erlangt hatten, sodass die Tötung nicht mehr auf Bereicherung zielen konnte. Gleiches gilt für die Ermöglichungsabsicht, die zu verneinen wäre, weil die Tötung durch Unterlassen nicht mehr der Begehung des Raubes diente. Neben der Verwirklichung des Mordmerkmals der Grausamkeit wäre nunmehr auch das Merkmal der Verdeckungsabsicht verwirklicht, da die Angeklagten zunächst nur mit Körperverletzungsvorsatz handelten, sodass der nunmehr neu hinzukommende Entschluss zur Tötung der Absicht der Verdeckung einer anderen Straftat (nämlich der Verdeckung der zuvor begangenen §§ 223, 224 I Nr. 2 und 5, 249, 250, 239a und 123) galt.

II. Die gleichzeitig verwirklichten §§ 221 I Nr. 2 und 323c StGB treten hinter dem versuchten Mord durch Unterlassen zurück.

C. Auflösung der aus der Sachverhaltsungewissheit resultierenden unterschiedlichen Rechtsfolgen Nach allem ist in dubio pro reo von derjenigen Sachverhaltsalternative auszugehen, die sich für die Täter als die günstigste darstellt. Dies wäre vorliegend eindeutig diejenige Variante, der zufolge die Täter erst nach Rückkehr vom Tresor einen Tötungsvorsatz entwickelten, da dann bezüglich der versuchten Tötung durch Unterlassen nur das Mordmerkmal der Grausamkeit bejaht werden kann. Das dann zwar ebenfalls vorliegende Merkmal der Verdeckungsabsicht dürfte hingegen nicht angewandt werden, da diesbezüglich zu Gunsten der Täter geradezu umgekehrt zu unterstellen wäre, dass von Anfang an Tötungsvorsatz bestand, sodass wegen des Fehlens einer anderen Straftat Verdeckungsabsicht ausscheiden würde. Die gegenläufige Anwendung des in dubio pro reo-Grundsatzes, nämlich einmal in der Weise, dass die Täter zu Beginn noch keinen Tötungsvorsatz hatten, und einmal, dass dieser Vorsatz bereits ursprünglich vorlag, ist keine Seltenheit, weil jeweils der für den Täter günstigste Sachverhalt zu unterstellen ist.[37] Von Studierenden wäre die Kenntnis einer derartigen gegenläufigen Anwendung des Zweifelsgrundsatzes durchaus zu erwarten.

90

b) Nicht ausreichend ist auch ein sog. dolus antecedens.[38] Dies veranschaulicht folgender

Fall 6: A will seine Ex-Frau F töten, die in Trennung von ihm lebt. Zu diesem Zweck bestellt er sie für 19.30 Uhr unter dem Vorwand, mit ihr noch einmal über das Sorgerecht für die Kinder sprechen zu müssen, in seine Wohnung. Sodann bereitet er einen Gifttrunk für sie, den er ihr später reichen möchte. Um 19 Uhr geht er nach oben, um seine Sachen für die spätere Flucht zu packen. Als er wieder nach unten kommt, liegt die F tot am Boden. Sie war mit ihrem noch in ihrem Besitz befindlichen Zweitschlüssel, an den A überhaupt nicht mehr gedacht hatte, in die Wohnung gelangt und hatte von dem im Kühlschrank stehenden Getränk genascht. Strafbarkeit des A? (Gifttrunk-Fall)

91

Lösung:

I. A könnte sich dadurch, dass er den vergifteten Trank bereitstellte, wegen vollendeter Tötung nach § 212 StGB strafbar gemacht haben.

1. Durch das Bereitstellen des Tranks hat A eine zurechenbare Ursache für den späteren Tod der F gesetzt.

2. Fraglich ist jedoch, ob A auch hinreichenden Tatvorsatz gehabt hat.

Als A das Getränk mischte und in den Kühlschrank stellte, hatte er den Vorsatz, die F zu töten. Andererseits trat der Tod der F früher als erwartet ein, sodass man an einer Vorsatzzurechnung zweifeln könnte.

a) Zu prüfen ist daher, zu welchem Zeitpunkt der Tatvorsatz gegeben sein muss. Anerkannt ist insoweit, dass der Vorsatz zum Zeitpunkt der Ausführungshandlung, d. h. zur Zeit ihrer Begehung i. S. d. § 8 StGB vorliegen muss.[39] Des Weiteren besteht Einigkeit darüber, dass der Vorsatz nicht während der gesamten Ausführungshandlung gegeben sein muss, sondern ausreichend ist, dass er in dem Augenblick vorhanden ist, in dem der Täter zur Erfolgsherbeiführung i. S. des § 22 StGB unmittelbar ansetzt.[40] Da nämlich denknotwendig vor jeder Vollendung das Stadium des Versuchs durchlaufen sein muss, kann mit dem in § 8 StGB genannten Zeitpunkt nur der Zeitpunkt der „strafbaren Handlung“ gemeint sein, sodass ein bloß im Vorbereitungsstadium wirkender Vorsatz als solcher nicht strafbar ist.[41] Würde man dies leugnen, so liefe dies im Ergebnis auf die Anerkennung einer Vollendungsbestrafung ohne vorausgehenden Versuch hinaus. Da also eine Vorsatzhaftung für eine vollendete Tat vor Versuchsbeginn nicht möglich ist, stellt sich in aller Schärfe die Frage, ob A vorliegend bereits zur Tatbestandsverwirklichung unmittelbar angesetzt hatte, als er das tödliche Getränk mit Tötungsvorsatz in den Kühlschrank stellte. Dabei ist davon auszugehen, dass sich die vorliegende Tat allenfalls im Stadium des unbeendeten Versuchs befand, da A den Trank der F nach deren Ankunft erst noch servieren wollte. Wann bei einem unbeendeten Versuch ein unmittelbares Ansetzen und damit eine Versuchsstrafbarkeit gegeben ist, ist umstritten.[42] Die Zwischenaktstheorie stellt darauf ab, ob nach der Vorstellung des Täters zwischen seinem Verhalten und der Tatbestandsverwirklichung noch ein weiterer wesentlicher Zwischenakt liegt.[43] Nach anderer Auffassung beginnt der Versuch dann, wenn der Täter für sich bereits die Feuerprobe der krit. Situation bestanden bzw. die Schwelle zum „jetzt geht's los“ überschritten hat.[44] Dagegen geht die heute wohl herrschende Sphärentheorie davon aus, dass der Versuch dann beginnt, wenn der Täter in die Schutzsphäre des Opfers eingedrungen ist und nach seiner Vorstellung zwischen Handlung und erwartetem Erfolgseintritt ein enger zeitlich-räumlicher Zusammenhang besteht.[45] Nach allen genannten Auffassungen ist vorliegend ein Versuchsbeginn zu verneinen, weil A davon ausging, dass er der F das Getränk noch servieren musste, sodass nach seiner Vorstellung noch wesentliche Zwischenakte sowie die Herstellung einer Täter-Opfer-Beziehung notwendig waren, um die Tatbestandsverwirklichung zu ermöglichen. Die Tat befand sich daher noch im Vorbereitungsstadium.

b) Denkbar wäre jedoch, eine Vorsatzzurechnung unter dem Aspekt einer unwesentlichen Abweichung vom Kausalverlauf zu bejahen,[46] indem man davon ausgeht, dass die geringfügig frühere Ankunft der F sowie deren Möglichkeit, sich als Ex-Frau mit Hilfe eines Zweitschlüssels Zugang zum Haus zu verschaffen, nicht außerhalb des nach allgemeiner Lebenserfahrung Vorhersehbaren lagen und keine andere Bewertung der Tat rechtfertigen, zumal sich der Plan des A, was den äußeren Tatablauf betrifft, mit dem Vergiftungstod der F letztlich verwirklicht hat.

Indessen ist die Rechtsfigur der Kausalabweichung nicht geeignet, aus einer straflosen Vorbereitungshandlung ein strafbares Vollendungsdelikt ohne das Zwischenstadium des Versuchs zu machen. Vielmehr greift dieses Institut erst dann, wenn eine mindestens als Versuch strafbare Handlung mit dem eingetretenen Erfolg in Beziehung zu setzen ist.[47]

Hinweis für die Klausurbearbeitung: Hier erreicht der Fall seinen höchsten Schwierigkeitsgrad! Die Inzidentprüfung eines Versuchsbeginns im Rahmen einer Vollendung kann nicht ohne Weiteres zum Standardrepertoire von Studierenden gezählt werden. Denkbar wäre etwa auch, getrennt zu untersuchen, welche Lösungen sich bei der Annahme eines Versuchs und einer Vollendung ergeben. Jedoch stellt sich eine Inzidentprüfung deshalb als sinnvoll dar, weil das Problem des Versuchs bereits bei der Möglichkeit der Vollendungsbestrafung relevant ist.

II. Nach dem Gesagten scheidet auch ein versuchter Mord gem. §§ 211, 212, 22, 23 I StGB aus.

Zwar hatte A Tatentschluss zu einer heimtückischen Tötung aus niedrigen Beweggründen (er wollte bei der Vergiftung Fs auf Arglosigkeit beruhende Wehrlosigkeit ausnutzen und handelte allein, um der F Böses zu tun)[48]. Jedoch hatte er – wie oben unter I. ausführl. dargestellt – nach seiner Vorstellung noch nicht unmittelbar zu Tatbestandsverwirklichung i. S. von § 22 StGB angesetzt.

III. Gegeben ist jedoch eine fahrlässige Tötung nach § 222 StGB.

Es war objektiv und subjektiv sorgfaltswidrig, das vergiftete Getränk in den Kühlschrank zu stellen und es war vorhersehbar, dass der Tod der F vorzeitig eintreten konnte, wenn sie von ihrem Zweitschlüssel Gebrauch machen sollte. Der dem A zu machende persönliche Vorwurf besteht dabei hier gerade darin, dass er diese Möglichkeit in seine Überlegungen nicht einbezogen hat.

IV. Gleichzeitig verwirklicht ist als Durchgangsstadium eine fahrlässige Körperverletzung nach § 229 StGB. Diese tritt aber hinter § 222 StGB zurück.

V. Ergebnis: A ist wegen fahrlässiger Tötung an F strafbar.

Hinweis: Einen der Sache nach vergleichbaren Fall hatte der BGH[49] zu beurteilen. Dort hatte A die B betäubt und geknebelt und sie sodann in den Kofferraum gelegt, um sie in ein Waldstück zu fahren, dort eine Unterschrift unter eine Generalvollmacht von B zu erpressen und diese sodann zu erstechen. Als er jedoch nach mehrstündiger Fahrt in das Waldstück kam und den Kofferraum öffnete, musste A feststellen, dass die B bereits erstickt war.

Auch hier scheidet aus den soeben genannten Gründen eine Strafbarkeit wegen vollendeter Tötung nach § 212 StGB sowie eine Strafbarkeit wegen versuchten Mordes nach §§ 211, 212, 22, 23 StGB aus. Gegeben sein könnte hier jedoch eine Körperverletzung mit Todesfolge sowie eine hierzu in Tateinheit stehende Freiheitsberaubung mit Todesfolge nach §§ 227, 239 IV StGB. Die gleichzeitig verwirklichte fahrlässige Tötung nach § 222 StGB tritt dahinter im Wege der Gesetzeskonkurrenz zurück. [50]

Examens-Repetitorium Strafrecht Allgemeiner Teil, eBook

Подняться наверх