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9. Zusatz: Der dolus eventualis in der Klausurbearbeitung

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In der Klausur sollte man sich für die Ernstnahmetheorie entscheiden und sie ggf. mit der Gefährdungstheorie absichern. Dies veranschaulicht folgender

Fall 8: A ist in die Wohnung des B eingedrungen, um diesen auszurauben. Plötzlich steht B vor ihm und schreit um Hilfe. Um B zum Schweigen zu bringen, würgt A ihn mit einem Lederriemen. Dem A ist der Tod des B höchst unlieb, ja sogar unangenehm und er hofft deshalb, dass dieser überleben werde. Allerdings erkennt er, dass B auch sterben kann, was er allerdings akzeptiert, um ungestört „weiterarbeiten“ zu können. B stirbt. Hat sich A nach § 212 StGB strafbar gemacht? (Lederriemen-Fall nach BGHSt 7, 369; hier verkürzt wiedergegeben)

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Lösung:

A könnte sich wegen vorsätzlicher Tötung gem. § 212 StGB strafbar gemacht haben.

I. Tatbestandsmäßigkeit

1. Objektiver Tatbestand A hat den Tod des B kausal und objektiv zurechenbar verwirklicht.

2. Subjektiver Tatbestand Dieser setzt bei § 212 StGB Vorsatz voraus, wobei dolus eventualis genügt. Problematisch ist vorliegend allerdings, ob A bedingt vorsätzlich oder nur bewusst fahrlässig im Hinblick auf den Todeserfolg gehandelt hat. Dieses Problem stellt sich vor allem deshalb, weil A der Tod des B unangenehm war. a) Nach der sog. Wahrscheinlichkeitstheorie ist Vorsatz gegeben, wenn sich der Täter den Erfolg als wahrscheinlich vorstellt. Gegen sie ist allerdings einzuwenden, dass sich Wahrscheinlichkeitsvorstellungen des Täters kaum feststellen lassen und die Willensseite im subjektiven Tatbestand vernachlässigt wird. b) Gleiches gilt für die Möglichkeitstheorie, für die entscheidend ist, dass der Täter den Erfolg für möglich hält. Denn auch sie beschreitet einen Weg der Rechtsunsicherheit und bedeutet im Übrigen einen Verzicht auf das voluntative Element im Vorsatz. c) Den Gegenpol zu den eben genannten objektivierenden Theorien bildet die von der Rspr. vielfach verwendete Billigungstheorie, derzufolge Vorsatz zu bejahen ist, wenn der Täter den Erfolgseintritt billigend in Kauf nimmt, nicht dagegen, wenn er ihn innerlich ablehnt und auf sein Ausbleiben hofft. Danach wäre hier bedingter Vorsatz zu verneinen. Auch gegen diese Theorie spricht aber, dass sie zu wenig am Rechtsgüterschutz ausgerichtet ist. d) Maßgeblich können nämlich keine Gefühle und Hoffnungen sein, sondern die Frage, ob sich der Täter für die mögliche Tatbestandsverwirklichung entschieden hat. Entscheidend muss daher sein, ob der Täter die Möglichkeit des Erfolgseintritts ernst nimmt und sich mit ihr abfindet. Nach einer so verstandenen Ernstnahmetheorie bzw. Einwilligungstheorie kann es nicht ausreichen, dass der Täter nur ins Blaue hinein auf einen günstigen Ausgang hofft. Entscheidend ist vielmehr, ob der Täter den Erfolg ernsthaft für möglich gehalten hat und dennoch in dessen Eintritt einwilligt, indem er ihn hinnimmt. So lag es aber im vorliegenden Fall, weil sich A mit dem tödlichen Ausgang abgefunden hatte. Er erkannte nämlich die konkrete Gefahr der Rechtsgutsverletzung und ließ sich dennoch nicht von seinem Verhalten abhalten. A handelte daher mit bedingtem Tötungsvorsatz.

II. Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe sind nicht ersichtlich.

III. Ergebnis: A ist strafbar wegen vorsätzlicher Tötung nach § 212 StGB.

Hinweis für die Klausurbearbeitung: Eine ausführlichere Problembehandlung, als sie hier vorgetragen wurde, wird in der Klausur kaum jemals erforderlich, geschweige denn zeitlich möglich sein. Insbesondere wird man regelmäßig auf die Darstellung der (veralteten) Frank'schen Formel und der (doch sehr speziellen) Herzberg'schen Theorie von der unabgeschirmten Gefahr (vgl. Rn. 93 und Rn. 97) verzichten können, so wie dies auch hier in der Falllösung geschehen ist. Überhaupt sind eingehendere Ausführungen nur dann veranlasst, wenn der Sachverhalt schildert, dass dem Täter der Erfolg unangenehm, unlieb etc. ist. Wenn der Sachverhalt dagegen erwähnt, dass der Täter den Erfolg „billigend in Kauf genommen“ hat oder „auf einen guten Ausgang gehofft“ hat, dürfte regelmäßig genügen, wenn in der Klausur auf die Billigungs- und Ernstnahmetheorie eingegangen wird.

Achten Sie vor allem auf den Klausurtext: „Auf einen guten Ausgang hoffen“, weist grundsätzlich auf dolus eventualis hin. „Auf einen guten Ausgang vertrauen“ spricht dagegen für bewusste Fahrlässigkeit.

Beispiel 1: Überholt etwa A vor einer Bergkuppe, weil er auf seine Fahrkünste vertraut, und kommt es zu einem Zusammenstoß, bei der ein entgegenkommender Fahrer getötet wird, so spricht dies für bloße Fahrlässigkeit.

Beispiel 2: A versucht sich der Festnahme zu entziehen, indem er auf eine Polizeisperre zufährt. Polizist P kann im letzten Moment zur Seite springen. A war davon auch ausgegangen, weil er darauf vertraute, dass Polizisten auf das Beiseitespringen geschult werden.

Auch hier kann wohl keine versuchte Tötung angenommen werden, weil A angesichts der von ihm angenommenen besonderen Fähigkeiten der Polizisten auf einen guten Ausgang vertraute. Gegeben sind aber in einem solchen Fall regelmäßig § 315b StGB (Stichwort: Pervertierung des Straßenverkehrs durch Benutzung des Fahrzeugs als Angriffsmittel) und §§ 113 f. StGB!

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