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8. Gefährdungstheorie[59]

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Danach liegt Vorsatz vor, wenn der Täter die konkrete Gefahr der Rechtsgutsverletzung erkennt und sich trotz des Bewusstseins dieser Gefahr nicht von seinem Verhalten abhalten lässt.

Hinweis: Der BGH folgt heute der Sache nach der Ernstnahmetheorie,[60] verwendet jedoch dabei grundsätzlich die Billigungsformel. Nach ihm ist also bedingter Vorsatz gegeben, wenn der Täter den Erfolgseintritt ernsthaft für möglich hält und ihn billigend in Kauf nimmt. Dabei erkennt der BGH, dass „billigen“ seinem Wortsinne nach „gutheißen“ bedeutet. Dies hätte zur Folge, dass bedingter Vorsatz nicht angenommen werden könnte, wenn der Täter den Erfolg für möglich hält und trotzdem handelt, obwohl ihm der Eintritt dieses Erfolges innerlich unlieb ist (so etwa im berühmten Lederriemen-Fall, s. sogleich Rn. 105 f.). Um diese Konsequenz zu vermeiden, fordert der BGH nur ein sog. „Billigen im Rechtssinne“; dieses könne auch dann gegeben sein, wenn dem Täter der Eintritt des Erfolges unangenehm ist. Damit steht der BGH der Sache nach aber doch auf dem Standpunkt der herrschenden Ernstnahmetheorie.[61]

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Wichtig ist auch, dass der BGH im Bereich der Tötungsdelikte eine sog. Hemmschwellentheorie entwickelt hat.[62] Danach sei die Hemmschwelle gegenüber Tötungen grundsätzlich höher, sodass das voluntative Element bei Tötungsdelikten durch konkrete Umstände gestützt sein müsse. Beispielsweise sei beim Zufahren auf eine Polizeisperre aufgrund der höheren Hemmschwelle kein bedingter Tötungsvorsatz anzunehmen, weil der Täter erfahrungsgemäß davon ausgehe, dass der Polizist noch beiseite springen könne. Ein Tötungsversuch ist in solchen Fällen daher abzulehnen und es verbleibt allenfalls eine Strafbarkeit nach §§ 315b, 113 f. StGB. Ebenso kann nach Auffassung des BGH nicht ohne Weiteres bedingter Tötungsvorsatz angenommen werden, wenn der Täter „zur Bestrafung“ des Opfers an dessen Wagen den Bremsschlauch durchtrennt[63] (s. zur Lösung eines solchen Falles Jäger, BT, Rn. 692 f.). Auch hat der BGH einen Tötungsvorsatz in Fällen verneint, in denen ein HIV-Infizierter mit seinem Sexualpartner in Kenntnis seiner Erkrankung ungeschützten Geschlechtsverkehr ausübte. Der BGH[64] ist hier davon ausgegangen, dass die Hemmschwelle gegenüber einer Tötung höher sei und der Täter daher grundsätzlich auf einen guten Ausgang vertraue. Die Entscheidung ist deshalb fraglich, weil der Täter gerade in derartigen Fällen das Risiko in keiner Weise in der Hand hat, sodass er allenfalls auf ein Ausbleiben des Erfolges hoffen kann, was grundsätzlich die Annahme eines dolus eventualis nahe legt. Dem kann nicht entgegengehalten werden, dass der Täter prinzipiell darauf vertraue, es werde in naher Zukunft ein Impfstoff gegen das HI-Virus gefunden. Eine solche Annahme widerspricht nämlich dem derzeitigen wissenschaftlichen Kenntnisstand, dem zufolge ein Ausbruch der Krankheit grundsätzlich zum Tode führt und die Entwicklung eines Impfstoffs in absehbarer Zeit nicht in Sicht ist. Folgt man jedoch dem BGH, so scheidet eine Strafbarkeit wegen versuchter Tötung aus und es bleibt lediglich die Möglichkeit einer Bestrafung wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung (selbst bei Ansteckung kann vielfach nur ein Versuch angenommen werden, da oftmals nicht nachweisbar ist, dass gerade dieser Täter die Ansteckung bewirkt hat, vgl. näher zur Lösung der AIDS-Fälle o. Rn. 62 f.). Ein Anzeichen für die Überwindung der Hemmschwelle kann aber nach Ansicht des BGH die besondere Gefährlichkeit der Tathandlung sein, so z. B. beim Einstechen auf den Oberkörper des Opfers mit einem Messer, dessen Klingenlänge 30 cm beträgt[65] oder beim brutalen Einschlagen auf den Kopf des Opfers mit einem Eisenrechen[66] oder mit einem Handfäustel[67] oder beim Schuss mit einer Waffe auf den Oberkörper des Opfers[68]. Trotz eines Stichs in den Oberkörper kann der Tötungsvorsatz fehlen, wenn der Täter nicht gezielt auf die Brust des Opfers einwirkt, um lebenswichtige Organe zu verletzen.[69]

Ein Indiz für die Überwindung der Tötungs-Hemmschwelle sieht der BGH auch darin, dass dem Opfer wiederholt in lebensbedrohender Weise hemmungslos und gleichwohl systematisch Misshandlungen zugefügt werden (so im Fall Karolina).[70]

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Beachte: Der BGH[71] hat in einem bedeutsamen Urteil ausdrücklich klargestellt, dass ein pauschales und schlagwortartiges Abstellen auf die Hemmschwellentheorie unzulässig ist. Die Hemmschwellentheorie besage lediglich, dass der Tatrichter alle Umstände in die Beweiserwägungen einzubeziehen hat, welche bedingtem Tötungsvorsatz entgegenstehen könnten. Hierdurch erschöpfe sich die Hemmschwellentheorie in einem Hinweis auf § 261 StPO. Die Wertung hoher und offensichtlicher Lebensgefährlichkeit von Gewalthandlungen als gewichtiges, auf Vorsatz hindeutendes Beweisanzeichen soll nicht in Frage stehen, vielmehr bedürfe es in jedem Einzelfall tragfähiger Anhaltspunkte dafür, dass der Täter ernsthaft auf ein Ausbleiben der Rechtsgutsverletzung vertraut habe. Im Ergebnis tritt der BGH somit einer als zu pauschal empfundenen Argumentation der Instanzgerichte mit der Hemmschwellentheorie entgegen und fordert eine explizite Abwägung aller Umstände. Zur Verdeutlichung dient folgendes (BGH NJW 2012, 1524 nachgebildetes)

Beispiel: Der trinkgewohnte A lief, nachdem eine vorhergehende Schlägerei mit B seit ca. 15 Minuten beendet war, mit einer BAK von 1,5 Promille unmittelbar auf den mit dem Rücken zu ihm stehenden B zu und rammte diesem von hinten ein 22 cm langes, doppelklingiges Messer (Klinge = 11 cm) mit den Worten „Verreck, du Hurensohn“ in den Rücken, wodurch eine Rippe des B durchtrennt und dessen Lunge verletzt wurde. B sank zu Boden, A wurde von Dritten niedergerungen.

Lösung: Das LG Saarbrücken als Vorinstanz wertete zwar die erhebliche Wucht des Messerstichs und den Ausspruch „Verreck, du Hurensohn“ als nicht unerhebliche Gesichtspunkte für die Annahme von Vorsatz. Der Umstand, dass A nur einen Stich ausgeführt hat (A wurde nach dem ersten Stich aber niedergerungen), und die nicht unerhebliche Alkoholisierung (bei § 64 StGB ging das LG aber von geringer Beeinträchtigung durch Alkohol aus, zudem war A trinkgewohnt) sprächen indessen für Fahrlässigkeit, da „…unter Berücksichtigung der Hemmschwellentheorie … Tötungsvorsatz nicht mit letzter Sicherheit als erwiesen …“ anzusehen sei. Dieser pauschale Verweis auf die Hemmschwellentheorie genügte dem BGH nicht.

Achtung Klausur: Die Anforderungen des BGH an die Begründung von Vorsatz oder Fahrlässigkeit sollte auch der Klausurbearbeiter beachten. Daher sollte die Hemmschwellentheorie zwar benannt werden, allerdings nur noch unter Beachtung der soeben dargestellten, relativierenden BGH-Rechtsprechung. Die Hemmschwellentheorie ersetzt daher nicht die ausführliche Argumentation unter Ausschöpfung aller relevanten Sachverhaltsangaben. Das Erfordernis einer einzelfallorientierten Prüfung, bei der alle subjektiven und objektiven Tatumstände anhand einer individuellen Gesamtschau bewertet werden müssen, bestätigt auch folgendes

Beispiel: Im Laufe eines zunächst nur verbal ausgetragenen Disputs zwischen den fußballerisch erfahrenen, erheblich alkoholisierten Tätern A und B mit dem O versetzte A dem O mehrere Faustschläge ins Gesicht, die diesen zu Boden brachten. Während A den O weiterhin mit Schlägen gegen Kopf und Oberkörper traktierte, entschloss sich auch B, der Auseinandersetzung nunmehr ebenfalls tätlich beizuwohnen. Mit der Innenseite des mit Straßenschuhen bekleideten Fußes traten zunächst B, sodann A mehrfach gegen den Kopf des am Boden Liegenden. O überlebte, erlitt aber zahlreiche Gesichtsschädelfrakturen.[72]

Lösung: Die Angeklagten wurden lediglich wegen gefährlicher Körperverletzung gem. §§ 223 I, 224 I Nr. 2, Nr. 4 und 5 StGB verurteilt. Einen darüber hinausgehenden Tötungsvorsatz, der eine Verurteilung wegen versuchten Totschlags tragen könnte, vermochten weder das LG noch der BGH zu erkennen. Dabei wurde das Wissenselement des bedingten Vorsatzes nicht in Frage gestellt. Anlass zu Zweifeln gab die voluntative Seite. Zwar haben Tritte gegen den Kopf einen Indizwert, der jedoch nicht stets und automatisch den Schluss auf das Vorliegen eines (bedingten) Tötungsvorsatzes begründe. Eine erhebliche Alkoholisierung und die Tatsache, dass Handlungen, die in affektiver Erregung ausgeführt werden, oft spontan und unüberlegt erfolgen, stünden einem zwingenden Schluss auf ein voluntatives Element entgegen. Als weiteres vorsatzausschließendes Indiz zog das LG – als tatrichterliche Beweiswürdigung[73] vom BGH unbeanstandet – auch die fußballerische Fähigkeit der beiden Täter heran. Trotz der Heftigkeit der Tritte könne nicht ausgeschlossen werden, dass die fußballerisch erfahrenen Angeklagten (noch) nicht mit der ihnen möglichen Wucht auf den Kopf des Opfers eintraten.

Der Fall zeigt: Ein Schluss von der Gefährlichkeit der Gewalthandlung auf das voluntative Element ist nicht automatisch möglich. Selbst im Falle eines Messerangriffs auf Kopf, Hals und Oberkörper, bei denen der Täter dem Opfer mehrere tiefe Schnittwunden zufügte und die Halsschlagader nur knapp verfehlte, hat der BGH daher eine ausreichende Darlegung des voluntativen Vorsatzelements verlangt.[74] Andererseits hat der BGH beim Anfahren einer Fußgängerin im Falle der Gleichgültigkeit gegenüber dem zwar nicht angestrebten, wohl aber hingenommenen Tod des Opfers bedingten Tötungsvorsatz bejaht[75] (in solchen Fällen ist neben §§ 212, 211, 224 I Nr. 2 und 5 StGB auch an § 315b I Nr. 3 – Stichwort: Pervertierung des Straßenverkehrs – sowie qualifizierend an § 315b III i.V.m. § 315 III StGB zu denken). Einen spektakulären Fall zur Abgrenzung von dolus eventualis und bewusster Fahrlässigkeit liefert das aktuelle Urteil des BGH zu den Rasern vom Kurfürstendamm. Dazu folgender

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Fall 7: A und B trafen mit ihren Fahrzeugen in Berlin an der Kreuzung Kurfürstendamm/Brandenburgische Straße/Lewishamstraße an einer Ampel aufeinander. Bereits hier ließ A den Motor seines Fahrzeugs, in dem auch die Beifahrerin K saß, aufheulen. Als die Ampel grün wurde, fuhren die beiden los. Kurz hinter dieser Kreuzung blieben die beiden stehen. Hier unterhielten sie sich durch die geöffneten Seitenscheiben. A teilte dem B mit, „er sei noch mit einigen Kumpels am Wittenbergplatz verabredet.“ Der Angeklagte B sah in dem vorgehenden Aufheulenlassen des Motors zutreffend eine Aufforderung zu einem Stechen. Als das Gespräch der Angeklagten beendet war, nahm der Angeklagte B die vor dem Gespräch erfolgte Aufforderung an. Beide führten ein kurzes Stechen durch. Dieses endete an einer roten Ampel an der Kreuzung Kurfürstendamm/Olivaer Platz/Leibnizstraße. Der Angeklagte B gewann das Stechen. Der Angeklagte A ließ an dieser Ampel erneut den Motor aufheulen, was der Angeklagte B als abermalige Aufforderung zu einem Stechen interpretierte und die Aufforderung annahm. Das zweite Stechen ging bis zu Kreuzung Kurfürstendamm/Schlüterstraße. Der Angeklagte B erreichte die rote Ampel wiederum als erster und blieb stehen. Der Angeklagte A hingegen blieb nicht stehen, sondern fuhr über die rote Ampel weiter, um den Anklagten B zu einem Rennen herauszufordern. Dies erkannte der Angeklagte B und fuhr daraufhin los. Das nun folgende Rennen ging entlang des Kurfürstendamms in östliche Richtung. An der Kreuzung mit der Joachimsthaler Straße überholte B den A. Bis zu diesem Zeitpunkt überfuhren die beiden Angeklagten zwei Kreuzungen mit roten Ampeln. Der Angeklagte B durchfuhr als erster die Kurve an der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche mit einer Geschwindigkeit von etwa 90-100 km/h. A durchfuhr die Kurve mit 120-130 km/h, was im Bereich der Kurvengrenzgeschwindigkeit lag. A beschleunigte sein Fahrzeug ab dem Kurvenausgang maximal, um B noch einholen und das Rennen gewinnen zu können. B realisierte, dass A nun Vollgas gab und beschleunigte ebenfalls. Ca. 90 Meter vor der Unfallkreuzung ging B kurz vom Gas und gab dann ebenfalls Vollgas. Die beiden fuhren mit hoher Geschwindigkeit auf die Unfallkreuzung Tauentzienstraße/Nürnberger Straße zu, wobei die dortige Ampel bereits seitdem die Angeklagten durch die Kurve an der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche fuhren für beide erkennbar rot war. A kollidierte in der Kreuzung Tauentzienstraße/Nürnberger Straße mit einem von rechts kommenden Fahrzeug des W, der hierdurch auf der Stelle getötet wurde. Der Wagen des A wurde nach links gegen das Fahrzeug des B geschleudert, sodass beide Autos mit einer Geschwindigkeit von 140 km/h gegen ein Hochbeet prallten. Dabei wurde K, die Beifahrerin des A, schwer verletzt. Strafbarkeit des A? (Ku'dammraser-Fall verkürzt nach BGH NStZ 2020, 602[76]). Zusatzfrage: Wie ist die Strafbarkeit des B zu beurteilen, der nicht mit W kollidierte? Für die Zusatzfrage genügt eine Beantwortung im Urteilsstil.

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Lösung:

Hinweis: Denkbar wäre eine Trennung nach den Opfern W und K. Da vorliegend aber auch Delikte zum Schutze des Straßenverkehrs (§§ 315d und 315c StGB) einschlägig sind, wäre dies eine ungünstige Vorgehensweise, weil diese Delikte keinen konkret opferbezogenen Charakter haben (besonders deutlich zeigt sich dies bei § 315d I).

I. In Betracht kommt eine Strafbarkeit des A wegen vorsätzlichen Totschlags nach § 212 StGB an W

1. Tatbestandsmäßigkeit

a) Objektiver Tatbestand Der Erfolg, der Tod eines Menschen, ist eingetreten und wurde von A auch kausal und zurechenbar bewirkt.

b) Subjektiver Tatbestand Fraglich ist, ob A einen hinreichenden Vorsatz hinsichtlich der Tatbestandsverwirklichung einer Tötung hatte.

aa) Die 35. Kammer des LG Berlin war hier im ersten Urteil davon ausgegangen, dass A die für den bedingten Vorsatz notwendige Möglichkeitsvorstellung hinsichtlich eines tödlichen Ausgangs für andere Verkehrsteilnehmer spätestens erkannt und billigend in Kauf genommen hatte, als sie in die Unfallkreuzung einfuhren.[77] Zu diesem Zeitpunkt, so die 35. Kammer des LG Berlin, hätten die Angeklagten jedoch bereits keine Möglichkeit mehr gehabt, den Unfall zu verhindern, da es im Urteil hieß, diese seien „absolut unfähig gewesen, noch zu reagieren“. Der BGH kassierte dieses Urteil daher zu Recht. § 16 StGB verlange, dass der Tatbestandsvorsatz „bei Begehung der Tat“ vorliegt, was § 8 StGB dadurch präzisiert, dass er den Zeitpunkt der tatbestandlichen Ausführungshandlung für maßgeblich erklärt. Damit, so der BGH, werde klargestellt, dass der Vorsatz zum Zeitpunkt der tatbestandlichen Ausführungshandlung gegeben sein muss (sog. Koinzidenz- oder Simultaneitätsprinzip).[78] Ein zeitlich davor wirkender dolus antecedens oder ein – wie hier – erst später wirkender dolus subsequens genüge dagegen nicht. Spätestens als das Fahrzeug bereits unverhinderbar auf das Opfer „zuflog“, wäre dies für die Vorsatzbildung zu spät gewesen, da Vorsatz als Kausalverläufe steuernder Verwirklichungswille zu begreifen ist,[79] der aber nicht vorliegen kann, wenn der Wille erst dann gefasst wird, wenn der Kausalverlauf den Händen des Täters bereits entglitten ist.

Die nach Zurückverweisung zuständige 32. Kammer des LG Berlin[80] verlegte nunmehr den Zeitpunkt der Vorsatzbildung auf ca. 100m vor der Kreuzung. Dort habe A im Kurvenausgang vor der Kreuzung noch einmal maximal beschleunigt, sodass dies den Zeitpunkt der Entstehung des bedingten Tötungsvorsatzes markiere. Am Ende bleibt hier vieles Spekulation. Ebenso gut könnte man davon ausgehen, dass A durch die nochmalige Erhöhung der Geschwindigkeit in Selbstüberschätzung darauf vertraute, er werde die Kreuzung noch rechtzeitig vor einem auf die Kreuzung einfahrenden Wagen überqueren können.[81]

bb) Unabhängig von der zeitlichen Komponente hatte der 4. Senat des BGH im vorliegenden Fall in seinem Revisionsurteil aus dem Jahre 2018[82] auch aus grundsätzlichen Erwägungen am Vorliegen eines bedingten Tötungsvorsatzes gezweifelt. Er wies dabei auf die in ständiger Rechtsprechung vertretene Notwendigkeit einer Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände hin, und betont einmal mehr, dass die Gefährlichkeit der Tathandlung und die Wahrscheinlichkeit des Erfolgseintritts keine allein ausschlaggebenden Kriterien für die Feststellung des bedingten Vorsatzes sein können.[83] Der 4. Senat betonte diesbezüglich, dass die Annahme einer nicht in Kauf genommenen Eigengefährdung bei gleichzeitig in Kauf genommener Fremdgefährdung unzureichend belegt worden sei.[84] Es gebe keinen Erfahrungssatz, wonach sich Fahrer in Automobilen mit hoher Sicherheitsausstattung regelmäßig sicher fühlten.[85] Bereits darin liege ein Widerspruch, der zur Aufhebung des Urteils zwinge. Dem war zuzustimmen und es sprachen auch noch weitere Gesichtspunkte gegen einen bedingten Tötungsvorsatz:[86] So setzt etwa die Vereinbarung eines konkreten Rennzieles regelmäßig voraus, dass diese Zielerreichung den Fahrern trotz Überquerens zahlreicher Kreuzungen bei Rotlicht möglich erscheint. Darüber hinaus war es auch widersprüchlich, wenn das LG Berlin aus dem Adrenalinrausch, in dem sich die Fahrer nach den tatrichterlichen Feststellungen befanden, zwar folgerte, dass die Fahrer eine mögliche Eigengefährdung ausgeschlossen, eine Fremdgefährdung aber uneingeschränkt für möglich gehalten haben. Und schließlich musste A sogar von höheren Eigengefährdungen ausgehen, da nicht nur ein Pkw, sondern auch ein Lkw hätte kreuzen können.

Nach der erneuten Verurteilung wegen Mordes durch die 35. Kammer des LG Berlin hat der 4. Senat die Bejahung des Vorsatzes jedoch bestätigt. Die Bewertung der Eigengefährdung durch den Täter könne, so der 4. Senat, abhängig von seinem Vorstellungsbild über mögliche Tathergänge abgestuft sein. So könne ein Täter nach Auffassung des 4. Senats ohne Weiteres bei Fassen des Tatentschlusses einen bestimmten gefahrbegründenden Sachverhalt – bei einem drohenden Unfallgeschehen etwa die Kollision mit einem Fußgänger – hinnehmen, während er auf das Ausbleiben eines anderen, für ihn mit einem höheren Risiko verbundenen Geschehensablaufs – etwa das Ausbleiben eines Zusammenstoßes mit einem Lkw – vertraut. Für die Prüfung, ob ein konkretes Geschehen mit tödlichen Folgen vom bedingten Vorsatz umfasst war, kommt es daher entscheidend darauf an, ob der Täter einen bestimmten Geschehensablauf als möglich erkannt und die mit diesem Geschehensablauf einhergehende Eigengefahr hingenommen hat. Ist dies der Fall und verwirklicht sich dieses Geschehen, ist es für die Prüfung der Vorsatzfrage unerheblich, ob der Täter bei Fassen des Tatentschlusses weitere Geschehensabläufe, die aus seiner Sicht mit einer höheren und deshalb von ihm nicht gebilligten Eigengefahr verbunden waren, ebenfalls für möglich erachtet hat.

Die Auffassung des 4. Senats ist wenig verständlich und bedeutet, dass A wegen der hohen Sicherheitsausstattung seines Fahrzeugs angesichts der Kollision mit einem Pkw, zu der es schließlich gekommen ist, nicht von einer hohen Verletzungsgefahr ausging. Obgleich A die Eigengefährdung bei einem Zusammenstoß mit einem Lkw nicht hingenommen hätte, komme es hierauf nicht an, weil allein das Fahrzeug entscheidend sei, mit dem die Kollision tatsächlich erfolgte. Das aber ist nicht plausibel. Denn wenn A die Eigengefährdung bei einem Zusammenstoß mit einem Lkw nicht hat hinnehmen wollen und ein Auftauchen eines solchen für ihn nicht ausgeschlossen war, dann musste er eine Kollision mit einem kreuzenden Fahrzeug in jedem Fall vermeiden, weil es eben auch ein Lkw hätte sein können.[87] Würde man dem BGH folgen, so wäre daraus zu folgern, dass etwa bei einer Kollision mit einem Bus, durch die der Fahrer des Busses das Steuer verreißt und umkippt, sodass Businsassen versterben, kein Tötungsvorsatz vorliegen dürfte, weil A diese Form des Zusammenstoßes wegen der hohen Eigengefährdung nicht in Kauf genommen hat. Das aber überzeugt nicht, sondern es zeigt nur, dass A einen Zusammenstoß in jedem Fall vermeiden musste und wollte, gerade weil er es auch mit einem Bus, Lkw oder Kleinwagen hätte zu tun haben können.[88]

2. Ergebnis: Nur wenn man dem BGH folgt, ist ein Tötungsvorsatz zu bejahen.

II. Denkbar wäre dann sogar eine Strafbarkeit wegen Mordes nach § 211 StGB an W.

1. Möglich erscheint insoweit das Merkmal der Tötung mit gemeingefährlichen Mitteln. Der BGH weist diesbezüglich darauf hin, dass die subjektive Tatseite des Mordmerkmals genauer Prüfung bedürfe, weil nicht auf der Hand liege, dass A im Adrenalinrausch die Möglichkeit der Tötung von Personen durch herumfliegende Trümmerteile in sein Vorstellungsbild aufgenommen hat.[89]

2. Was das gegebenenfalls zusätzlich in Erwägung zu ziehende Mordmerkmal der Heimtücke anbelangt, so setzt dieses ein bewusstes Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers zu seiner Tötung voraus. Hierfür genügt es, dass der Täter diese in ihrer Bedeutung für die hilflose Lage des Angegriffenen und die Ausführung der Tat in dem Sinne erfasst, dass er sich bewusst ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber einem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen. Das LG hatte insoweit unter Ablehnung eines Sponntanentschlusses aus der festgestellten Verkehrssituation geschlossen, dass der Getötete nicht mit einem groben Verkehrsverstoß durch andere Verkehrsteilnehmer rechnete, sich auf das Grünlicht der Ampelanlage verließ, deshalb ohne besondere Vorsicht in die Kreuzung einfuhr und dementsprechend arg- und wehrlos war. Diese aus Sicht des Opfers in keiner Weise zur Vorsicht mahnende Situation erfasste A nach Ansicht des BGH auch und nahm sie – um der Erreichung seines Zieles willen – hin.

Als subjektives Mordmerkmal kommt schließlich auch das Vorliegen von niedrigen Beweggründen in Betracht. Insoweit ist das LG davon ausgegangen, dass die Billigung der Tötung eines Zufallsopfers in einem krassen Missverhältnis zu ihrem Anlass, der von dem unbedingten Willen zum Sieg getragenen Durchführung eines illegalen Straßenrennens, stehe. Um sein Ziel zu erreichen, habe der Angekl. sich in besonders selbstsüchtiger und rücksichtsloser Weise über das Lebensrecht anderer Verkehrsteilnehmer hinweggesetzt. Dieses Handeln sei nicht einmal ansatzweise menschlich verständlich, hochverwerflich und rechtfertige die Stigmatisierung als Mord.

III. A könnte sich darüber hinaus wegen gefährlicher Körperverletzung nach §§ 223, 224 I Nr. 2 und 5 StGB an K strafbar gemacht haben.

1. Der objektive Tatbestand einer körperlichen Misshandlung (üble unangemessene Behandlung, die zu einer nicht nur unerheblichen Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens geführt hat) und einer Gesundheitsschädigung (hier in Form der Herbeiführung eines pathologischen Zustandes) ist durch die Verursachung der schweren Verletzungen zweifellos gegeben. Auch wurden die Verletzungen durch den Wagen als gefährliches (bewegliches) Werkzeug herbeigeführt und es spricht angesichts der Schwere der Verletzungen auch alles für eine lebensgefährdende Behandlung. Die Frage kann aber offenbleiben, da es jedenfalls am notwendigen Körperverletzungsvorsatz bezüglich K fehlte. Geht man nämlich mit der Feststellung des LG Berlin davon aus, dass sich A angesichts der Ausstattung seines Wagens sicher gefühlt hat, so bezog sich diese Vorstellung auch auf die Beifahrerin K.

2. Ergebnis: Eine vorsätzliche gefährliche Körperverletzung an K scheidet aus.

Hinweis: An den Verletzungsfolgen der K zeigt sich die Fragwürdigkeit einer Verurteilung wegen Mordes übrigens deutlich. Das LG Berlin war davon ausgegangen, dass sich A in seinem Wagen auch deshalb sicher fühlen konnte, weil das kreuzende Fahrzeug – wie der Sachverständige erörterte – bei einem Zusammenstoß wie durch ein Projektil weggeschleudert werde, sodass A mit keinen schweren Eigenverletzungen rechnen musste. Der BGH hat diese Begründung letztlich gehalten, obgleich A sicherlich nicht das Wissen eines Sachverständigen haben konnte. Im Übrigen zeigt der tatsächliche Verlauf, dass man sich in dem Wagen keineswegs sicher fühlen konnte. Dies belegen die schweren Verletzungen der K entgegen der Aussage des Sachverständigen in anschaulicher Weise. Sicher sein konnte man sich nur, wenn es nicht zu einem Zusammenstoß kam, worauf A vermutlich doch vertraut haben dürfte, sodass eine Verneinung der §§ 212, 211 StGB und die Annahme bloßer fahrlässiger Tötung nach § 222 StGB mangels zum Tatzeitpunkt gegebener Existenz des § 315d I, II, V StGB zutreffender gewesen wäre. Die Verurteilung wegen Mordes an W löst jedenfalls ein Störgefühl aus und wird der regelmäßig vorliegenden Selbstüberschätzung der Fahrer, die an derartigen Wettrennen teilnehmen, schlicht nicht gerecht. Man wird sehen müssen, ob sich die Staatsanwaltschaften angesichts der hohen Darlegungslast für den Tötungsvorsatz auch künftig in vergleichbaren Fällen häufig für eine Anklage wegen Mordes entscheiden werden oder ob sie den leichteren Weg über § 315d V wählen, bei dem nur ein Beinaheunfall in den Vorsatz aufgenommen sein muss, was man bei Stadtrennen mit hohen Geschwindigkeiten regelmäßig bejahen können wird. Dagegen wird die Bejahung eines Vorsatzes auch hinsichtlich eines Beinaheunfalls auf Straßen außerhalb von Ortschaften zumindest bei wenig befahrenen Strecken schwierig sein (näher zum Ganzen Jäger, BT, Rn. 709).

IV. Gegeben ist aber eine fahrlässige Körperverletzung nach § 229 StGB an K.

V. In Betracht kommt auch eine Strafbarkeit wegen verbotenen Kraftfahrzeugrennens nach § 315d I StGB aufgrund der Fahrt mit weit überhöhter Geschwindigkeit.

Hinweis: Da die Norm zum Tatzeitpunkt noch nicht existierte, konnten weder das LG Berlin noch der BGH eine Strafbarkeit auf diese Norm stützen (vgl. § 2 I StGB). Da aber der Bearbeitervermerk keine Beschränkung der Beurteilung auf die alte Rechtslage enthält, müsste diese Norm, die am 13.10.2017 in Kraft getreten ist, in einer Klausur selbstverständlich auch nach Bejahung einer Strafbarkeit wegen Mordes geprüft werden.

1. Tatbestandsmäßigkeit

a) Objektiver Tatbestand

aa) Voraussetzung ist zunächst das Vorliegen eines Wettrennens. Ein „Rennen“ iSd des § 315d I StGB ist dabei jeder Wettbewerb oder Teil eines Wettbewerbs sowie jede Veranstaltung zur Erzielung von Höchstgeschwindigkeiten oder höchsten Durchschnittsgeschwindigkeiten mit mindestens zwei teilnehmenden Kraftfahrzeugen im öffentlichen Straßenverkehr, wobei es gerade nicht auf die Länge der gefahrenen Strecke ankommt.

bb) Für das Rennen lag keine Genehmigung nach § 46 II 1, 3 StVO vor, weswegen es unerlaubt stattfand.

cc) Darüber hinaus fand das Rennen auch unter Beteiligung von Kraftfahrzeugen im öffentlichen Straßenverkehr statt.

dd) Weiter müssten A und B als Kraftfahrzeugführer an den Rennen teilgenommen haben.

Die „Teilnahme“ als Kraftfahrzeugführer beschreibt insoweit nicht die Beteiligungsform i.S.d. Allgemeinen Teils nach § 28 I StGB, wo Teilnehmer als Anstifter und Gehilfen legaldefiniert sind. Teilnehmen ist hier vielmehr im Sinne einer Mitwirkung zu verstehen, d.h. als „Mitmachen“ am Rennen als Kraftfahrzeugführer.

Aufgrund der vorliegenden Teilnahme kann es auch dahinstehen, ob A und/oder B darüber hinaus noch als Durchführende des Rennens zu betrachten sind. Dagegen spricht aber, dass es sich hier um ein Spontanrennen ohne vorausgehende Organisation handelte.

b) Subjektiver Tatbestand

Darüber hinaus handelten A und B hinsichtlich der Teilnahme an einem illegalen Rennen im Straßenverkehr auch vorsätzlich gem. § 15 StGB.

2. Rechtfertigungs- und Schuldausschließungssgründe sind nicht ersichtlich.

3. Ergebnis: A und B haben sich nach § 315d I Nr. 2 StGB wegen Teilnahme an einem illegalen Straßenrennen strafbar gemacht.

VI. Fraglich ist, ob auch die Qualifikation des § 315d II StGB erfüllt ist.

1. Die dafür erforderliche Gefährdung für Leib und Leben eines anderen Menschen ist gegeben. Mit dem Tod des W hat sich sogar die stärkste Form der Gefährdung verwirklicht. Darüber hinaus wurde auch eine fremde Sache von bedeutendem Wert gefährdet. Diese Gefährdung hat sich sogar in der Zerstörung des Wagens des W realisiert. Dagegen kommen die Fahrzeuge von A und B nicht als Gefährdungsobjekte in Betracht, da die Tatmittel nicht zugleich geschützte Objekte sein können. Anders als bei § 315c StGB sollen bei § 315d StGB zwar nach teilweise vertretener Ansicht auch Beteiligte an dem Renngeschehen durch Abs. 2 geschützt sein.[90] Dagegen spricht aber, dass der Schutz des § 315d StGB dem allgemeinen Straßenverkehr dient, während die Teilnehmer am Rennen sich durch ihre Handlungsweise gerade außerhalb des allgemeinen Verkehrsgeschehens stellen und es daher auch an deren Schutzwürdigkeit fehlt.

2. Auch ist der notwendige Zurechnungszusammenhang zwischen der Veranstaltung des Rennens und der Gefährdung zu bejahen, da es die typische Folge derartiger Verhaltensweisen ist, dass es zu (tödlichen) Unfällen im Straßenverkehr kommen kann.

3. Sofern man mit dem BGH Tötungsvorsatz bejaht hat, ist unproblematisch auch eine vorsätzliche Bewirkung der Gefährdung nach § 315d II StGB anzunehmen. Aber selbst wenn man – mit der hier vertretenen Ansicht – einen Tötungsvorsatz verneinen würde, wäre eine vorsätzliche Gefährdung des Straßenverkehrs zu bejahen. Zwar hat Rengier die Ansicht vertreten, dass mit der Verneinung von Tötungsvorsatz automatisch auch der Gefährdungsvorsatz nach § 315d II StGB entfallen müsse. Dem ist aber entgegenzuhalten, dass gerade der vorliegende Fall zeigt, dass A trotz seiner Selbstüberschätzung und dem damit einhergehenden Vertrauen auf eine Vermeidung einer Kollision zumindest von einem Beinaheunfall ausgehen musste. Denn er musste bei der von ihm gefahrenen Geschwindigkeit zumindest davon ausgehen, dass er möglicherweise nur noch mit Mühe einem Zusammenstoß entkommen kann, wenn ein kreuzendes Fahrzeug erscheint. Dies aber genügt für einen zumindest bedingten Vorsatz hinsichtlich eines Beinaheunfalls.

Ergebnis: A hat sich daher auch nach § 315d II StGB strafbar gemacht.

VII. In Betracht kommt schließlich eine Strafbarkeit des A wegen Verwirklichung der Erfolgsqualifikation nach § 315d V StGB.

1. Das Grunddelikt des § 315d I, II StGB wurde – wie soeben erläutert – vorsätzlich verwirklicht.

2. Diese Verwirklichung hat ursächlich die schwere Folge – Tod des W – kausal und zurechenbar im Sinne eines tatbestandsspezifischen Zusammenhangs verwirklicht. Es ist die typische Gefahr von Wettrennen im öffentlichen Straßenverkehr, dass durch die dabei erzielten Geschwindigkeiten dritte Verkehrsteilnehmer (tödlich) verletzt werden. Dies war der ausschlaggebende Gesichtspunkt, der den Gesetzgeber dazu bewogen hat, die Erfolgsqualifikationen des § 315d V StGB zu schaffen.

3. Nach § 315d V i.V.m. § 18 StGB muss der Täter hinsichtlich der Todesfolge wenigstens fahrlässig handeln. Hier handelte A – sofern man dem BGH folgt – diesbezüglich sogar mit bedingtem Vorsatz, sodass der Tatbestand der Erfolgsqualifikation erst recht erfüllt ist.

4. Rechtfertigungs- und Schuldausschließungssgründe sind hier nicht ersichtlich; auch ist von einer subjektiven Vorhersehbarkeit des Erfolges für die Täter mangels entgegenstehender Anhaltspunkte im Sachverhalt auszugehen. Der Gesichtspunkt der Selbstüberschätzung führt nicht ohne Weiteres dazu, dass auch die Erkennbarkeit für den jeweiligen Täter ausgeschlossen ist. Vielmehr liegt gerade in dieser Selbstüberschätzung die Sorgfaltspflichtwidrigkeit.

5. Ergebnis: A hat sich auch wegen der Teilnahme an einem illegalen Kraftfahrzeugrennen mit Todesfolge nach § 315d V StGB strafbar gemacht.

VIII. In Betracht kommt auch eine Strafbarkeit des A wegen vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs nach §§ 315c I Nr. 2a, d StGB.

1. Tatbestandsmäßigkeit

a) Auch hier ist der objektive Tatbestand erfüllt. A ist trotz Rotlichts in die Kreuzung eingefahren und hat W damit sein Vorfahrtsrecht genommen. Darüber hinaus sind A und B an einer Straßenkreuzung zu schnell gefahren.

b) Dabei handelten A und B auch grob verkehrswidrig und rücksichtslos. Das Fahren mit 170 km/h im Ortsinneren stellt eine objektiv grobe Verkehrswidrigkeit dar und ist auch subjektiv von einer besonderen Rücksichtslosigkeit geprägt gewesen, da sich die Täter aus eigensüchtigen Gründen über ihre Pflichten gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern hinweggesetzt haben bzw. Bedenken aus Gleichgültigkeit von vornherein nicht aufkommen lassen haben. Bei einer bewussten Verwirklichung einer groben Verkehrswidrigkeit ist Rücksichtslosigkeit grundsätzlich ohne weiteres zu bejahen.

c) Durch dieses Verhalten ist auch eine konkrete Gefährdung des Lebens des W sowie einer fremden Sache von bedeutendem Wert eingetreten. Diesbezüglich kann auf die Ausführungen zu § 315d II StGB verwiesen werden.

d) Hinsichtlich dieser Gefahrschaffung ist auch hier zumindest bedingter Vorsatz gegeben. Auch diesbezüglich sowie bezüglich des Zurechnungszusammenhangs zwischen dem verkehrswidrigen Verhalten und der Gefährdung kann ebenfalls auf die Ausführungen zu § 315d II StGB verwiesen werden.

2. Rechtfertigungs- und Schuldausschließungssgründe sind auch hier nicht ersichtlich.

3. Ergebnis: A hat sich auch wegen Gefährdung des Straßenverkehrs nach § 315c I Nr. 2a, d StGB strafbar gemacht.

IX. § 221 I Nr. 1 StGB durch den Unfall mit W

Für § 221 I Nr. 1 StGB fehlt es bereits an der Verursachung einer hilflosen Lage des W. Dieser wurde laut Sachverhalt unmittelbar getötet, sodass eine hilflose Lage, die ein zumindest kurzfristiges Weiterleben des Opfers voraussetzt, überhaupt nicht entstand.

Hinweis: Es ist fraglich, ob § 221 StGB überhaupt notwendig geprüft werden muss.

X. Gesamtergebnis und Konkurrenzen

A hat sich wegen Mordes und tateinheitlich hierzu wegen Teilnahme an einem illegalen Straßenrennen mit Todesfolge strafbar gemacht, § 315d V StGB. Der gleichzeitig verwirklichte § 315d I i.V.m. II StGB tritt dahinter im Wege der Gesetzeskonkurrenz zurück. Dagegen stehen nach wohl h. M. § 315c I Nr. 2a, d StGB und § 315d V StGB in Tateinheit,[91] da das Wettrennen den konkreten Unrechtsgehalt der Straßenverkehrsgefährdung nicht ausweist (hier grob verkehrswidriges und rücksichtsloses Fahren an Kreuzungen) und daher zusätzlich im Urteilstenor Ausdruck finden muss (a.A. bei ensprechender Begründung vertretbar).

Zusatzfrage: Das LG Berlin[92] hatte auch B wegen mittäterschaftlichen Mordes verurteilt. Der BGH hat jedoch die Zurechnung der Handlung des A zur Person des B im Wege der Mittäterschaft gem. § 25 II StGB aus grundsätzlichen Erwägungen bezweifelt: Mittäterschaft setze einen gemeinsamen Tatplan und eine gemeinsame Tatbegehung voraus. Für einen gemeinsamen Tatplan genügt es jedoch nicht, dass sich die beiden Fahrer einig waren, ein Rennen zu fahren. Vielmehr muss sich der gemeinsame Tatplan auch auf den konkreten Tatbestand, also die Tötung eines Menschen beziehen.[93] Dafür, dass zu Beginn des Rennens eine solche Absprache erfolgt ist, liefere der Sachverhalt ebensowenig Anhaltspunkte wie für eine konkludente sukzessive Erweiterung des Tatplans auf die Tötung einer anderen Person im Verlaufe des Rennens. Eine Mordstrafbarkeit des B über mittäterschaftliche Zurechnung scheitere also schon an der fehlenden Handlungszurechnung gem. § 25 II StGB.[94] Der BGH hat daher die Sache diesbezüglich erneut zurückverwiesen. Zu welchem Ergebnis das Gericht bei B kommen wird, ist noch offen. Naheliegend wäre eine Verurteilung wegen versuchten Mordes in Nebentäterschaft. Denn wenn A bedingten Tötungsvorsatz vor dem Durchqueren der Kreuzung hatte, müsste B, der mit annähernd gleicher Geschwindigkeit und unter vergleichbaren Bedingungen fuhr, ebenfalls bedingten Vorsatz und damit Tatentschluss gehabt haben. Sollten künftig Straßenrennen an dieser Kreuzung mit vergleichbarer Geschwindigkeit stattfinden, müsste sogar ein versuchter Mord angenommen werden, wenn überhaupt nichts passiert. Zwar würde der BGH möglicherweise eine solche pauschale Konsequenz unter Hinweis auf die konkreten Bedingungen jedes Einzelfalls bestreiten, jedoch sind kaum Sonderbedingungen denkbar, die bei einer solchen Geschwindigkeit zu einem anderen Urteil führen könnten. Roxin/Greco gehen gar gänzlich pauschal davon aus, dass es die extrem hohe Geschwindigkeit war, die im konkreten Fall ausnahmsweise eine Bestrafung wegen Mordes rechtfertigte.[95] Dann führt aber an einer Verurteilung wegen versuchten Mordes in künftigen Fällen bei vergleichbarer Geschwindigkeit, Uhrzeit und Belebtheit dieses Kreuzungsbereichs kein Weg vorbei. Bleibt freilich die Frage, bei welcher Geschwindigkeit sich diese Einschätzung ändern soll. Sind 140 km/h oder 100 km/h eine Geschwindigkeit, die die Beurteilung ändern kann? Roxin/Greco gehen davon aus, dass ein Versuch in einem solchen Fall in Frage käme, jedoch nur, wenn das Opfer unmittelbar gefährdet wurde. Dies scheint wohl auf eine Leugnung eines untauglichen Versuchs in diesem Bereich hinauszuführen, was freilich unhaltbar wäre, weil es sowohl für den Tatentschluss als auch für das unmittelbare Ansetzen auf die Vorstellung des Täters ankommt. All dies zeigt, dass man sich im Beliebigen bewegt und das Urteil hochproblematisch bleibt. Entscheidet man sich bei B übrigens gegen einen Mordversuch, so bliebe für ihn nur eine Strafbarkeit nach §§ 315d V, 315c I Nr. 2a, d StGB (§§ 222, 229 StGB würden hinter § 315d V StGB zurücktreten).

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