Читать книгу Gesamtausgabe der "silent sea"-Trilogie - Christiane Weller / Michael Stuhr - Страница 20
Оглавление16 LES SABLES
Gegen neun Uhr lenkte Diego den Porsche auf den Parkplatz des Les Sables. Er hätte auch direkt vor den Haupteingang fahren können. Ein Angestellter hätte den Wagen dann eingeparkt und auch wieder vor das Portal gebracht, wenn er fahren wollte. Bewusst verzichtete er darauf, diesen Service in Anspruch zu nehmen, den die Nobeldisco ihren prominenten Gästen bot. Er wollte hier draußen auf Lana warten, um ihr schnell noch Glück zu wünschen. Der Shuttlebus, der die Siegerinnen von den einzelnen Campingplätzen hierher brachte, musste jeden Moment ankommen.
Diego ging an den Rand des Parkplatzes, setzte sich halb auf eine Absperrung und behielt die Straße im Auge. Das Les Sables hatte gerade erst geöffnet und er hatte genau den richtigen Moment abgepasst, denn Fahrzeuge aller Fabrikate und Preisklassen kamen die Straße entlang und bogen auf den großen Parkplatz ein. Schon nach wenigen Minuten wurde es eng im vorderen Bereich, und die ersten Fahrer begannen schon zu kreisen, um einen Platz möglichst nah am Haupteingang zu ergattern.
Es gab einen kleinen Rückstau, und als der Shuttlebus endlich auftauchte, war es bereits Zehn nach Neun. Schwerfällig schob sich der Bus an die Seite des Gebäudes und stoppte direkt vor dem Seiteneingang für die Lieferanten.
Diego war dem Wagen ein paar Schritte weit gefolgt und wartete darauf, dass Lana ausstieg. Einige der Mädchen schienen ein wenig enttäuscht zu sein, dass sie hier keinen Auftritt wie bei einer Oscar-Verleihung bekamen. Diego schnappte Wortfetzen auf: „... Lieferanteneingang! Bin ich eine Kiste Wasser?“, „... roten Teppich hätte ich schon gerechnet!“, „Wo sind denn die Fotografen? Ist kein Fernsehen da?“
Lana war nicht dabei. Diego suchte die Gruppe nochmals ab, aber der blonde Haarschopf war nirgends zu entdecken. Dafür entdeckte die kleine Schwarzhaarige, die Lanas Tanzpartnerin gewesen war, ihn. Sie löste sich aus dem Pulk, der sich auf den Eingang zuschob und kam mit schnellen Schritten auf ihn zu. „Du bist Diego“, stellte sie fest.
„Ja!“ Diego rang sich ein Lächeln ab.
„Lana kommt later!“, sagte Felix. „Ihr Dad kommt mit die Auto.“
„Danke.“ Diego nickte ihr freundlich zu.
„Du liebst mich nicht!“, behauptete Felix.
Diego brauchte einen Moment um zu begreifen. „Du meinst, ich mag dich nicht.“
„Right!“, nickte Felix. „Warum?“
Diego war von dieser direkten Art völlig überrumpelt. „Du, äh, du kannst nichts dafür.“ Er sah Felix ins Gesicht. „Es liegt nur an mir.“
„Bad reminds?“ Felix kniff die Augen ein wenig zusammen.
„Ja, schlechte Erinnerungen.“
„Ich bin nicht schuldig?“
„Nein, bist du nicht!“
„Gut!“ Felix drehte sich um und eilte der Gruppe nach, die sich durch den Lieferanteneingang drängelte. Sie schaffte es gerade noch durch die Tür zu huschen, bevor sie zufiel.
Diego wunderte sich. Diese Felicitas war eigentlich ganz in Ordnung, wenn sie ihn mit ihrer Frage auch ein wenig aus dem Takt gebracht hatte. Gerade das gefiel ihm sogar. In gewissem Sinne hatte sie so gehandelt, wie Sochon, sein Onkel. Sie hatte etwas wissen wollen und nicht lange rumgeredet. Sie war auf geradem Weg auf ihr Ziel losgegangen, hatte in ihrer freundlichen, natürlichen Art einfach gefragt und erfahren, was sie wissen wollte. Eine junge Frau, die wirklich Format hatte und bestimmt eine tolle Freundin für Lana. Was machten da die uralten, bösen Erinnerungen an ein ähnlich aussehendes Mädchen schon aus?
Heute war wohl so ein Tag, an dem es viel zu lernen gab, stellte Diego fest. Zum ersten Mal hatte er so ein Mädchen wirklich wahrgenommen und nicht nur als Unglücksbotin aus der Vergangenheit angesehen. Er würde sich über kurz oder lang endgültig aus dieser Falle befreien, das nahm er sich fest vor.
Mit diesem Gedanken wandte Diego sich der Straße zu und ging zum Haupteingang der Diskothek. Wenn Lana sich von ihrem Vater bringen ließ, wäre es nicht unbedingt eine gute Idee gewesen, die beiden auf dem Parkplatz zu überfallen. Schließlich kannte er den Mann noch nicht und er wollte Lana nicht unnötig in Schwierigkeiten bringen.
Die Schlange, die sich vor dem Eingang des Les Sables gebildet hatte, war schon ziemlich lang. Die Armbändchen, die heute an die Gäste ausgegeben wurden, waren tiefblau. Diego verzichtete darauf, sich eines zu holen. Er konnte hier sowieso ein und aus gehen, wie er wollte, ohne dass ihn jemand kontrollierte. Ein paar der Wartenden murrten natürlich, als er einfach so an ihnen vorbeiging, aber das Personal grüßte freundlich. Einer der Männer klinkte das kurze Seil aus, das den VIP-Eingang versperrte. Zwar wurde Diego hier nicht wie Adriano direkt zu den Stammgästen gerechnet, aber als Sohn eines in Grimaud ansässigen Großreeders war er dem Personal natürlich bekannt. Man rechnete es sich als Ehre an, ihn unter den Gästen zu haben. Reiche, gutaussehende Junggesellen wie er zogen hübsche Mädchen in das Les Sables, und dieser Überschuss an jungen, schönen Frauen brachte es mit sich, dass auch jede Menge zahlende Gäste in den Laden kamen.
Aus der Haupthalle der Disco kamen schon die wummernden Bässe der Musik, während sich im Foyer allerlei Stände mit den verschiedensten Angeboten breitgemacht hatten. Hier konnte man sich noch zu Wahnsinnspreisen mit Modeschmuck, stylischen Sonnenbrillen, schriller Kleidung und billigen Armbanduhren im Nobel-Look für den Abend eindecken. Manche der Gäste taten das auch. Einzig der Stand, an dem Piercings, Tattoos und ähnliches angeboten wurde, war überhaupt noch nicht besucht, aber seine Zeit würde kommen. War der Alkoholpegel der Gäste erst mal ausreichend hoch, würden sich hier garantiert ein paar Verrückte wegen irgendeiner Wette sogar ein Branding oder ein Narbentattoo verpassen lassen.
Diegos Welt war das nicht. Ohne die Stände zu beachten, schlenderte er durch den großen Vorraum und blieb an der Tür zur Haupthalle stehen, bis seine Augen sich an das gedämpfte Licht gewöhnt hatten.
Die Halle hatte etwa die Größe eines halben Fußballfelds und die paar Leute, die schon da waren, vermochten sie nicht mit Leben zu füllen. Ein paar Gäste hatten sich Plätze in den Couchgruppen gesucht, die hier und da herumstanden, oder standen an einer der vier Bars in den Ecken des Raums. In der Mitte der hinteren Hallenwand hatte der DJ sein Reich auf einer halbrunden Bühne, die noch Platz für kleine Showacts bot. Im Moment spielte er ein wenig an den Reglern seiner Anlage herum und ließ ein paar Lichteffekte über die Tanzfläche laufen. Bei den wenigen Leuten in der Halle wäre es völlig witzlos gewesen, Stimmung erzeugen zu wollen, aber es wurde von Minute zu Minute besser. Hinter Diego drängten immer neue Gruppen von Gästen nach.
„Hallo Diego!“ Der Besitzer des Les Sables hatte den neuen Gast entdeckt und brach sofort das Gespräch mit ein paar Touristen ab, mit denen er zusammengestanden hatte. Freudestrahlend kam er auf Diego zu. „Schön, dich mal wieder hier zu sehen!“
„Hallo Vincent!“ Diego reichte dem Mann die Hand. „Ich habe viel zu tun im Moment, aber so ein kleiner Besuch zur Entspannung muss ja auch mal sein.“
„Ja, die Arbeit!“ Vincent nickte verständnisvoll. „Aber dann freut es mich um so mehr, dass du gerade hierher gekommen bist.“
„Wohin denn sonst?“, grinste Diego. „Ich halte es da mit Oscar Wilde. Ich habe einen ganz einfachen Geschmack: Immer nur das Beste!“
„Das ist gut!“, freute sich Vincent über die uralte Anekdote. „Nur das Beste! Das ist gut! Such dir einen schönen Platz und lass es dir gut gehen. Soll ich dir Gesellschaft schicken? Ich hab ein paar neue Mädchen da.“
„Nicht nötig“, wehrte Diego ab. „Ich komme zurecht.“
„Genieß den Abend, und wenn irgendwas ist, dann lass es mich wissen. Der alte Vincent kümmert sich!“
„Klar doch!“ Froh, Vincent so schnell losgeworden zu sein, wandte sich Diego der Treppe zu der Plattform zu, die sich baugerüstartig in etwa vier Meter Höhe kreuz und quer durch die Halle zog. Da oben gab es einige Sitzecken, von denen aus man einen guten Überblick hatte. Ideal, um die Zeit totzuschlagen, und etwas Anderes hatte Diego hier auch nicht vor. Der Laden gefiel ihm nicht sonderlich und Vincent mit seinen sehr intensiven Mafia-Kontakten war ihm höchst unsympathisch. Der einzige Grund heute hier zu sein, war die Wahl, die in etwa einer Stunde beginnen sollte. Hoffentlich war Lana dann auch wirklich dabei.
Unten auf der Bühne begann das Vorprogramm. Von kaum jemand beachtet zeigte da ein Jongleur im Harlekinkostüm sein Können. Erst als er mit sieben brennenden Fackeln gleichzeitig hantierte, wandten sich ihm ein paar Gesichter mehr zu. Er beendete seine Vorstellung damit, dass er ein paar Feuersäulen in den Raum spie, was ihm dann doch eine erhöhte Aufmerksamkeit bescherte. Ihm und den Notausgängen, aber die waren so dezent gestaltet, dass sie von den Gästen kaum entdeckt werden konnten.
Der Harlekin löschte hastig ein paar züngelnde Flämmchen auf seinem Kostüm, verbeugte sich und machte ein paar Tanzmädchen Platz, die die Gäste schon mal ein wenig in Stimmung bringen sollten. Applaus gab es keinen für ihn, aber der wäre sowieso in den permanent auf die Tanzfläche einhämmernden Beats untergegangen.
Diego ging über die baugerüstartigen Stege zu einer der Sitzinseln, die hoch über dem Boden der Halle ein wenig Abgeschiedenheit boten. Er setzte sich auf eine der Couchen, von der aus er den ganzen Laden im Blick hatte.
An einer der Seitenwände war das Szenario aufgebaut, das dem Les Sables den Namen gegeben hatte: Ein gutes Stück Strandpanorama mit Sand, künstlichen Pinien und einem großen Wasserbecken. Dort würden weit nach Mitternacht die Miss-Wet-T-Shirt–Wettbewerbe und Schaumpartys steigen.
Ohne dass er auch nur ein einziges Wort gesagt hätte, brachte ihm ein Serviermädchen eine Flasche Evian-Wasser. Man konnte von Vincent ja halten, was man wollte, aber er hatte ein gutes Gedächtnis und kümmerte sich wirklich gut um seine Gäste. – Um die wichtigen jedenfalls.
Das Mädchen stellte Flasche und Glas auf den flachen Tisch vor Diego und fragte, ob es sonst noch etwas sein dürfe. Diego verneinte und bedankte sich, was ihm ein bezauberndes Lächeln einbrachte. Allerdings war er dagegen völlig immun, denn er dachte schon wieder an Lana. Warum war sie eigentlich nicht im Shuttlebus gewesen?