Читать книгу Gesamtausgabe der "silent sea"-Trilogie - Christiane Weller / Michael Stuhr - Страница 9
Оглавление05 SIEG
„Warum denn nicht, Papa?“ begehre ich auf, als ich schließlich bei meinen Eltern am Tisch sitze, wo unser Abendessen serviert wird. „Fleur und Pauline machen schließlich auch mit und Felix auch!“
„Felix?“ Mein Vater schaut mich etwas irritiert an. „Jungen machen da auch mit?“
„Felix ist ein Mädchen“, kläre ich ihn auf. „Also, darf ich?“
„Nein!“
„Oh, Mann, warum denn nicht?“
„Weil du dich nicht zur Schau stellen sollst. Das macht man nicht!“ erwidert mein Vater bestimmt. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Eltern von Fleur und Pauline das erlaubt haben.“
„Doch haben sie“, lüge ich und hoffe inständig, das es so sein würde. „Die sind nicht so spießig!“ füge ich noch giftig hinzu, während ich mit wütenden Bewegungen an meinem Filet herum schneide und es dabei halb zerquetsche.
„Na, na!“ tadelt mich meine Mutter mit strafendem Blick. „Nun sei mal nicht so frech zu deinem Vater. Er meint es doch nicht böse mit dir. Er hat nur Angst um dich, weil er nicht weiß, wie so eine Misswahl abläuft“, fügt sie noch lächelnd hinzu und blinzelt mir dabei verschwörerisch zu. Das gibt mir ein wenig Hoffnung.
Mein blöder Bruder muss in diesem Moment natürlich dazwischen plärren: „Lana auf dem Laufsteg.“ Er lacht, hebt im Sitzen ein wenig die Arme und wackelt mit dem Oberkörper. „Sie wird bestimmt stolpern und sich total blamieren. Dann kenne ich dich nicht mehr!“
„Halt die Klappe Didier, du weißt ja gar nicht, wovon du redest!“ fauche ich ihn an. „Außerdem macht Celine auch mit, die Schwester von deinem Paul! Willst du, dass ich hinter der zurückstehe?“
Didier sieht mich mit offenem Mund an, in dem sich noch Reste von zermatschten Pommes befinden. Ich merke, wie er zu kämpfen hat. Schließlich siegt seine Familienloyalität. Er schließt seinen Mund und murmelt. „Na, besser als die blöde Celine bist du auf jeden Fall.“
„Wer ist überhaupt diese Felix, von der du da geredet hast?“ will mein Vater mit einem Mal wissen.
„Eigentlich heißt sie Felicitas. Sie ist Engländerin“, erwidere ich seufzend und glaube schon nicht mehr an den Erfolg meiner Bemühungen.
Mein Vater vergisst das Stück Filet und erstarrt mitten in der Bewegung. „Eine Engländerin“, wiederholt er ungläubig mit großen Augen. „Ist sie allein hier?“
„Nee, mit ihren Eltern.“ Diese Ausfragerei geht mir mittlerweile ganz gewaltig auf den Geist
„Engländer? Und die lassen ihre Tochter da mitmachen?“
„Ja“, sage ich lahm und trinke den Rest meiner Cola.
„Na, das kann man ja eigentlich nicht zulassen“, meint Papa und schiebt sich endlich das Fleischstück in den Mund, „dass hier Engländer über die Franzosen siegen“ Mit vollen Backen kauend schaut er mich an und grinst.
„Heißt das ‚Ja’ Papa?“, frage ich ihn atemlos und etwas ungläubig. Papa nickt und meine Mutter lacht.
Ich springe auf und gehe mit schnellen Schritten zum Tisch von Fleurs Eltern. Die schauen nicht gerade begeistert und Fleur ist kurz davor loszuheulen. Offenbar hat sie nicht so viel Glück wie ich. „Ich darf“, platze ich deshalb schnell in die Unterhaltung.
Fleurs Vater, den ich wohl gerade bei einem Vortrag über Moral unterbrochen habe, blinzelt mich irritiert an.
„Siehst du!“ flüstert seine Frau, „dass ist doch alles nur harmloser Spaß. Komm Chérie, gib dir einen Ruck! Celine darf ja auch“
„Celine ist kein Maßstab für mich, deren Eltern sind in meinen Augen ...“ Er schaut mich an und bricht ab. „Aber dass du da mitmachen darfst Lana, das erstaunt mich! Setz dich doch einen Moment zu uns“
Ich rücke mir einen Stuhl zurecht, nehme Platz und warte auf das was nun kommen soll.
Gedankenverloren zerlegt Fleurs Vater mit chirurgischer Präzision seinen Fisch, schiebt sich ein Stück in den Mund und kaut schweigend. Fleur sitzt mucksmäuschenstill da und wartet, bis er zu einem Entschluss gekommen ist. Ihre Mundwinkel zucken und sie ist wirklich kurz davor, loszuheulen, während er mich ein bisschen ausfragt, was man da so machen muss, bei dem Wettbewerb.
Zum Glück kann ich ihm genau die richtigen Antworten geben. Schließlich kann ich lesen und das Plakat hängt ja überall herum. An unserem Tisch wird derweil der Rest von meinem Essen kalt, aber das ist mir die Sache wert.
„Also gut!“ seufzt er schließlich, „Ich erlaube es dir Fleur!“ Quietschend springt Fleur auf, rennt um den Tisch herum und fällt ihrem Vater um den Hals. „Merci Papa! Merci, merci, merci!“ Bei jedem ‚Merci’ drückt sie ihm einen Kuss auf die Wange.
Mann, das hätte ich vielleicht auch machen sollen, geht es mir durch den Kopf. Etwas unsicher schaue ich zu unserem Tisch, aber meine Eltern scheinen beide bester Laune zu sein.
Fleur ist mittlerweile etwa beim zehnten Merci angekommen.
„Ja, schon gut“, wehrt ihr Vater sie lachend ab. „Aber du machst keine unanständigen Dinge wenn sie so was von euch verlangen, verstanden?“ sagt er mit drohend erhobenem Messer. „Nein mach ich ganz bestimmt nicht Papa, ich bleibe ganz brav!“
Glücklich gehen Fleur und ich Arm in Arm zum Tisch von Paulines Eltern. Auch hier ist die Stimmung nicht gut. Anders als bei uns ist es hier die Mutter, die sich querstellt. „Pauline!“, verkündet sie gerade mit erhobenem Zeigefinger, „Ich habe dich nicht dazu erzogen, vor anderen die Springmaus zu machen und Männern begehrliche Blicke zu entlocken!“
„Aber Maman!“ erwidert Pauline verzweifelt, „es geht doch nur um den Spaß. Wir tänzeln ein bisschen im Badeanzug herum, und singen Karaoke.“
„Und was noch?“ So schnell lässt sich Paulines Mutter nicht beruhigen. Ihre hagere Gestalt wirkt angespannt, zum Angriff bereit.
„Dann gibt’s da noch ´ne Modenschau. Coole Freizeitkleidung und so, und dann machen wir noch einen kleinen Intelligenztest.“ Hilfesuchend schaut sich Pauline zu uns um.
„Das ist aber noch nicht alles“, stellt die Mutter säuerlich fest. „Ich habe das Plakat gesehen.“
„Na, ja“, druckst Pauline herum, „tanzen müssen wir auch noch.“
„Aber in der Gruppe“, versuche ich ihr zu helfen.
„Im Badeanzug!“ Paulines Mutter verzieht den Mund.
„Wir dürfen!“ platzt nun auch Fleur heraus. „Lassen Sie Pauline doch auch mitmachen, das wird so ein Spaß.“
Paulines Mutter ignoriert Fleurs Einwand und schüttelt mit verkniffenen Lippen energisch den schmalen Kopf. „Nein, kommt nicht in Frage! Und das ist mein letztes Wort. Pauline, du machst mir bei diesem unwürdigen Spektakel nicht mit!“
„Och Maman!“ Paulines Stimme hört sich richtig verzweifelt an. „Die Gewinnerin vom letzten Jahr soll sogar einen Plattenvertrag gekriegt haben.“
„Das fehlt mir gerade noch.“ Madame Poireaux schaut streng über ihre randlose Brille hinweg. „Es bleibt beim Nein!“
„Darf sie dann wenigstens unsere Beraterin in Klamottenfragen werden?“ werfe ich schnell ein und ernte einen dankbaren Blick von Pauline.
Die Mutter kaut ohne sichtlichen Genuss an einem Stück Miesmuschel und überlegt. „Na gut“, verkündet sie schließlich, „aber nur das und sonst nichts. Haben wir uns verstanden Pauline?“
„Ja Maman! Merci Maman!“ sagt Pauline und springt vom Tisch auf. „Darf ich gehen Maman?“ fragt sie schnell. „Wir haben noch so viel zu besprechen.“ Madame Poireaux nickt mit verzogenen Lippen. Paulines Vater hat in der ganzen Zeit keinen Ton von sich gegeben und nur konzentriert sein Essen in sich hineingeschaufelt.
Als wir die Terrasse verlassen, will ich den Sand spüren. Ich ziehe meine Schuhe aus und nehme sie in die Hand. Ich bemerke, wie Paulines Vater aufsteht und hinter uns her kommt. - Was denn jetzt noch?
Als er bei uns ist, hat er schon seine Brieftasche geöffnet und drückt Pauline schnell 50 Euro in die Hand. „Für dringend benötigte Accessoires und so für euch alle“, murmelt er und grinst, während er weiter zur Toilette hinter dem Restaurant geht und sich dabei die Hosen hochzieht.
„Merci Papa!“ flüstert Pauline und guckt schnell zu ihrer Mutter hinüber, um sich zu vergewissern, dass die auch nichts bemerkt hat.
Ich sehe zu meinem Vater hin, aber der unterhält sich gerade mit einem Mann am Nachbartisch. - Da könnte ich lange warten, bis der auf so eine Idee kommt.
Arm in Arm gehen wir drei über den Strand.
„Wait for mich!“, hören wir plötzlich eine Stimme. Felix springt vom Tisch ihrer Eltern auf und rennt hinter uns her.
„Und, darfst du?“ frage ich sie, als sie uns eingeholt hat.
„Zuerst war meine Mutter not amused – kennt ihr den Ausdruck?“
„Wie die Queen“, sage ich. „Die ist manchmal auch not amused, oder?“
„Genau!“, grinst Felix. „Aber dann hat mein Dad gesagt, und peng, war alles okay!“
Plötzlich gibt es hinter den Pinien einen gewaltigen Knall und einen Lichtblitz. Die Silhouetten der Bäume stehen dunkel vor einem rötlich erhellten Hintergrund.
„Feuerwerk!“, jubelt Fleur und da steigt auch schon die nächste Rakete in den dunklen Himmel. Sie zerplatzt in tausend funkelnde Sterne.
Im Restaurant stehen einige Leute von ihren Tischen auf und kommen auch ein paar Schritte weit an den Strand, um besser sehen zu können.
Immer neue Lichteffekte tauchen am Himmel auf und das Feuer gibt den Farben eine Intensität, die man sonst nicht erleben kann. Das Spektakel steigert sich bis zu dem Moment, wo gleich fünf große Raketen in einer Kaskade von schillernden Farben gleichzeitig explodieren.
„Wow, das war geil“, sagt Fleur, aber jetzt geht es erst richtig los: Wieder fängt es mit ein paar kleineren Raketen an, die in immer schnellerer Folge aufsteigen. Jetzt gibt es auch jaulende Geräuscheffekte bei jedem Start, sodass es sich anhört, wie ein einziger an- und abschwellender Ton. Immer greller, immer bunter leuchtet der Himmel in allen denkbaren Farben. Man weiß gar nicht mehr, wo man hinschauen soll.
Vom Restaurant her hört man einstimmiges „Ah!“ und „Oh!“ Ein kleiner Hund fegt kläffend über den Strand, springt immer wieder in die Höhe und versucht, die Lichter zu jagen und zu fangen.
Ich zeige Felix, was er für witzige Sprünge macht und sie lacht hell auf. „Crazy!“
Mittlerweile nähert das Feuerwerk sich dem Ende und im Finale ergießen sich acht anemonenförmige Strukturen über den Nachthimmel, die sich immer mehr ausbreiten bis sie schließlich ineinanderfließen.
„Hey, war das nicht toll?“ sagt Pauline.
„Klasse“, nickt Fleur.
„The best war der Hund“, meint Felix.
„Was denn für’n Hund?“ will Fleur wissen.
„Na den da.“ Felix will Fleur den niedlichen kleinen Kerl zeigen, aber er ist schon wieder zwischen den Tischen des Restaurants verschwunden. „Ups, ist weg!“, stellt sie fest und wendet sich uns wieder zu.
„Hör mal, Pauline, das war ja ´ne tolle Nummer von deinem Vater eben“, meint Fleur gerade.
„Ja, er macht solche Sachen immer heimlich. Mir soll’s recht sein, wenn so was dabei rauskommt“, grinst sie und entfaltet im schwachen Licht der Restaurantbeleuchtung hinter uns den 50 Euro Schein.
Barfuß schlendern wir zum Ufer und lassen uns in den immer noch warmen Sand fallen. „Autsch!“ schreit Pauline auf.
„Was ist los?“, will Fleur wissen.
„Hab mir den Hintern an ’ner Muschel aufgeschnitten, glaub ich.“
„Schlimm?“
„Ach, nicht wirklich“, meint Pauline. „Hab mich nur erschreckt. Au, mein armer Arsch!“
„Macht nix, hast ja genug davon“, grinst Fleur und bekommt dafür von Pauline eine Handvoll Sand in die Haare.
Eine zeitlang schauen wir schweigend auf das dunkle Meer. Leichte Wellen spülen kleine weiße Gischtstreifen an den Strand. Die Luft ist mild und es riecht würzig nach Kräutern und Pinien.
„Dann lasst uns mal überlegen, was wir brauchen Mädels.“ Fleur wirft ein Steinchen, mit dem sie gerade gespielt hat, ins Wasser und wendet sich uns zu.
„Also wir brauchen“, sprudelt Pauline sofort heraus, so als hätte sie nur auf’s Stichwort gewartet. Während sie aufzuzählen beginnt, benutzt sie die Finger: „schicke Badeanzüge, coole Freizeitklamotten, gute Frisuren und jeder einen Titel, den er singen kann.“
„Oh Mann, das Singen“, stöhnt Fleur entsetzt auf, „Mon dieu, das kann ich doch gar nicht! Während andere singen, plärre ich wie ein Esel!“
Felix schmeißt sich rückwärts in den Sand und kugelt sich vor Lachen. „Wie ein Esel“, stammelt sie zwischendrin immer wieder atemlos. „Sie muss singen, und peng sie ist ein Esel! – Crazy!“
„Ja“, meint Fleur mit einem verzweifelten Grinsen, „soll ich mal eine Kostprobe geben?“ Und schon fängt sie an, ‚My heart will go on’ zu kreischen, bis wir uns alle vor Lachen im Sand wälzen und nur noch stöhnen können: „Hör auf!“ – „Hör bitte auf!“ – „Gnade!“
Pauline fasst sich als erste und verkündet atemlos: „Okay, Fleur, du hast uns überzeugt! Für dich brauchen wir dringend ein Lied mit möglichst wenig Text und vor allem nicht in so ´ner hohen Tonlage“ Was könnt ihr denn singen?“ wendet sie sich an mich und Felix.
Felix kaut auf ihrer Unterlippe und mir bricht der Angstschweiß aus. An das Singen hatte ich gar nicht gedacht. Oh je, auf was habe ich mich da eingelassen? Mir fällt absolut kein Titel ein, den ich singen könnte. „Ich besitze gar keinen Badeanzug“, sage ich stattdessen. „Und wenn man dazu High Heels tragen muss, so was hab ich auch nicht.“ Betroffen schauen wir uns an.
Schließlich meint Pauline „Macht euch mal darüber keine Gedanken, Badeanzüge kann ich euch leihen, damit bin ich bestens ausgestattet, leider. Und was die High Heels betrifft, wenn wir keine auftreiben können, peppen wir einfach mit Schmuck und Nagellack eure Füße auf und ihr geht auf Zehenspitzen. Dazu schicke luftige Schals und coole Sonnenbrillen und euer Outfit ist perfekt. Wir haben ja schließlich ein bisschen Kapital, oder?“
Aufmunternd blickt sie in die Runde und fügt bestimmt hinzu: „Morgen früh treffen wir uns alle bei mir. Jede bringt mit, was sie hat. Auch Freizeitklamotten. Wäre doch gelacht, wenn wir nicht für jede von euch was Passendes zusammengestrickt bekommen!“
Alle nicken, nur Felix schüttelt den Kopf, während sie sich Sand von einer Hand in die andere rieseln lässt. „Lustiges Land. Crazy!. An der Strand alle halbnackt und für Misswahl anziehen! Real funny, denkt ihr nicht so?“
„Wie soll so jemand aus England das auch verstehen?“, ertönt es da neben uns.
Celine hat sich mal wieder heimlich herangepirscht! Was kann man von der auch anderes erwarten?
„Es kommt bei so einer Wahl doch nicht nur auf den Körper an, sondern auch darauf, wie man sich präsentiert! Und wie man sich sonst so gibt! Aber von so was habt ihr ja keine Ahnung. Seid nicht zu enttäuscht, wenn ihr nur die hinteren Plätze belegt“
„Aber du machst doch auch mit, also ist der allerletzte Platz sowieso schon vergeben“, kichert Fleur, ohne sich zu Celine umzudrehen.
Wir prusten los und Celine wirft den Kopf in den Nacken. „Wir werden ja sehen, ob ihr morgen auch noch so eine große Klappe riskiert. Ich an eurer Stelle würde mir genügend Taschentücher einpacken, wegen der Tränchen.“
„Na dann vergiss du mal morgen deine Papiertüte nicht. Du wirst sie dringend brauchen.“
„Wozu das denn?“
„Um sie über den Kopf zu ziehen natürlich. Wer sieht schon gern Verlierer? Und für dich ist der Heimweg dann auch nicht so peinlich.“
„Oh“, wirft Felix noch ein, „oben zwei Löcher in der Tüte machen, für deine Augen, weißt du. Vielleicht kommt da ein Baum und peng!“
Celine hat genug von uns und schreitet hoch erhobenen Hauptes von dannen. Wegen der vielen Sandkuhlen und der Dunkelheit ist es aber mehr ein Davonstolpern.
„Vergiss nicht, für den Intelligenztest zu üben, Celine Chérie!“, ruft Fleur ihr noch hinterher
Wieder prusten wir los, bis Pauline meint: „Hört mal Mädels, ganz im Ernst: die sieht saugut aus und wenn ihr gegen die eine Chance haben wollt, solltet ihr langsam mal an euren Schönheitsschlaf denken, sonst taumelt ihr morgen da rum wie die Zombies.“ Also bereden wir nur noch das Nötigste und verabreden uns für den nächsten Morgen um Neun.
Gemeinsam machen wir uns auf den Weg zurück zum Neptune, wo unsere Kinderzelte auf uns warten.
Ich gehe ein Stück weit mit Felix zusammen über den nur schwach beleuchteten Campingplatz. „Wer ist der schöne Mann, nahe euch am Tisch?“, fragt sie mich plötzlich. „Er konnte nicht nehmen die Augen von dir.“
„Was für ein Mann denn?“ Ich habe davon überhaupt nichts bemerkt.
„Jung, schlank, hübsch, dark hair. Du hast ihn nicht gesehen?“
„Äh, nein“, antworte ich. „Keine Ahnung, wer das gewesen sein könnte.“
„Es ist sicher, er mag dich. Hat dich gesehen und peng, er war hin. Er konnte nicht ignore you. Ich sah es.“
„Wie willst du dir denn morgen deine Haare machen?“, lenke ich ab. Natürlich bin ich neugierig, wer das wohl gewesen sein könnte, aber schließlich will ich morgen Miss-Teen-Beach werden, das geht jetzt vor. Also rede ich mit Felix über Frisuren und Kleidung, bis wir uns in der Mitte des Campingplatzes trennen.
Die Nacht ist schrecklich. Ich wälze mich auf meiner Luftmatratze hin und her. Was muss ich morgen machen? Auf was habe ich mich da eingelassen? Mit den anderen zusammen schien ja alles noch ganz einfach, aber jetzt hier so ganz allein im Zelt sieht das schon anders aus. Nebenan liegt mein leise schnarchender Bruder in seiner Schlafkabine. Der ist mir im Moment auch keine große Hilfe beim Einschlafen.
Was, wenn die anderen nun alle die passenden Schuhe finden? In meiner Größe werden auf dem ganzen Campingplatz keine aufzutreiben sein, da kann selbst Monsieur Bardane nicht helfen. Ich habe Schuhgröße 42! Und dann auch noch singen! Was soll ich denn bloß singen? Mir fällt kein passender Titel ein, bei dem ich irgendwie überzeugen könnte. Obwohl ich zu Hause im Schulchor mitsinge, habe ich überhaupt kein Vertrauen in meine Stimme als Solosängerin. Was für einen Titel soll ich nehmen, mir fällt absolut nichts ein und in einem dieser Halbträume, wie sie manchmal kurz vor dem Einschlafen kommen, sehe ich mich unbeholfen barfuß über den Catwalk stolpern und ins Publikum kotzen.
Schweißgebadet fahre ich hoch. - Nein Lana, das war nur ein Traum, versuche ich mich zu beruhigen.
Wieder wälze ich mich hin und her und das Geratter in meinem Kopf hört nicht auf: Ich bei einer Miss-Teen-Beach-Wahl! Einen Moment lang will die alte Panik wieder nach mir greifen:
Es gab da zwei drei Jahre, in denen die Ferien ein echtes Problem für mich waren. Besonders unsere alljährlichen Familienurlaube hier am Strand von Port Grimaud waren der reinste Horror. Es ist nun mal nicht einfach, wenn man sich als hässliches Entlein im Pfauengehege fühlt.
Hier sind nämlich die hübschesten Mädchen bloß mit einem Tanga-Slip bekleidet am Strand und im Wasser unterwegs, und wenn man sie so ansieht, bleiben eigentlich kaum noch Fragen offen. Genau da liegt – oder besser lag – mein Problem. Ich dachte nämlich eine zeitlang, dass ich da irgendwie mithalten müsse und dazu fühlte ich mich absolut nicht in der Lage.
Ich war immer schon ziemlich groß für mein Alter und sehr schlank, wenn man es nett ausdrücken will. Dürr hätte es eher getroffen und da nützen einem auch die längsten Beine nichts, ganz im Gegenteil. Es tut der Seele nun mal nicht gut, wenn man vom eigenen Bruder - der kleinen Ratte – jahrelang Storch gerufen wird. Dazu kommen dann noch meine hellblonden Haare, die ich brünett viel hübscher finden würde und meine helle Haut, die absolut keine Sonnenbräune annehmen will.
Und dann auch noch das Oberteil-Problem: Hier an der Côte d’ Azur ist es eher üblich, keines zu tragen. Was mich anging, hätte ich damit kein Problem haben sollen, denn bis zu meinem fünfzehnten Lebensjahr hatte ich im wahrsten Sinne des Wortes nichts zu verbergen. Während andere Mädchen schon aussahen wie richtige Frauen und mit den Jungs am Strand rumalberten, hockte ich mit Oberteil oder T-Shirt abseits und hoffte, dass man wenigstens vermutete, ich könnte so etwas wie einen Busen haben. Noch schrecklicher wurde es aber, als sich dann endlich wirklich was tat. Plötzlich hatte ich das Gefühl, alle würden nur in meine Richtung starren.
Am liebsten hätte ich mich vor der ganzen Welt versteckt. Ich war mir vorgekommen wie das Beutetier bei einer Treibjagd. Ich war einfach noch nicht bereit dafür gewesen, die Aufmerksamkeit zu genießen, die man einer jungen Frau entgegenbringt, und jeder Kontakt mit einem Jungen hatte mich zur knallroten, stotternden Idiotin werden lassen.
Na, ja. Immerhin nenne ich nun einen halbwegs respektablen Busen mein eigen und mittlerweile habe ich begriffen, dass das nichts Besonderes ist und dass alle Frauen so was haben – sogar größer – wie mein charmanter Bruder mir mal meinte mitteilen zu müssen. Danke dafür! Da war ich dann gleich wieder zwei Tage lang mit Oberteil unterwegs gewesen, was niemand verstand, außer Didier - der kleinen Ratte - und mir.
Ganze zwei Nächte habe ich deswegen geheult, aber dann, am zweiten Morgen, kam eine andere Lana aus dem Kinderzelt. Es war nicht mehr die, die am Abend verzagt und voller Selbstzweifel auf ihre Luftmatratze gekrochen war, sondern eine, die bereit war, es mit der Welt aufzunehmen. Niemand – ich wiederhole: niemand wird mir je wieder einreden, dass ich nicht mithalten kann. Ich bin so wie ich bin, und so wie ich bin ist es gut!
Okay, damals hatte ich aus der Wut heraus eine ganze Menge Schub entwickelt, von dem dann wieder Einiges verloren ging, aber mittlerweile habe ich wirklich ein ganz gutes Verhältnis zu meinem Körper entwickeln können. Vor allem hängt das damit zusammen, dass ich im Besitz eines Gutachtens bin, das ich von Hervé, einem Jungen von meiner Schule bekommen habe. Wir waren eine zeitlang zusammen und er hatte es mich spüren lassen, dass er mich wirklich anziehend findet.
Etwas zu anziehend dann zuletzt. Schon bald wollte er mehr, als ich im Moment zu geben bereit war, und ich fürchte, er ist immer noch ein wenig beleidigt. Trotzdem war es eine schöne Zeit, und was immer auch passiert: zusammen mit Hervé habe ich viel über meinen Körper erfahren.
Das Oberteil-Problem hat für mich also keine Bedeutung mehr, und ich kleide mich im Urlaub so, wie mir im Moment zumute ist, und wie es meiner Meinung nach gerade passt. Und jetzt soll ich mich aufbrezeln, um möglichst vielen Leuten zu gefallen. Felix hat schon Recht: das ist ein ziemlich komischer Gedanke. Am Strand laufe ich den ganzen Tag lang rum, wie die Freundin von Tarzan, und jetzt kommen die Leute, um mich im Badeanzug zu sehen. Irre!
Trotzdem, ich werde es versuchen! Was habe ich schließlich zu verlieren, außer meinem Ruf, meinem Stolz und meiner Würde? Mit diesem tröstlichen Gedanken schlafe ich endlich ein.